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Axel hatte seine Arbeit im Kontor wieder begonnen. Es ging ihm aber nicht gut, er hustete viel und konnte sich nicht recht erholen. Der Arzt fürchtete den nordischen Winter für ihn und wünschte, daß er nach dem Süden gehe. Da schlug Herr Westerholz ihm vor, in das Geschäft seines Schwagers einzutreten, der ganz in Kairo lebte. Der brave junge Mann zögerte lange. Es fiel ihm unendlich schwer, die Seinigen zu verlassen, er fürchtete besonders, daß sein leichtsinniger Bruder ohne ihn völlig zu Grunde gehen würde.
Die Bedingungen, unter denen er den Wechsel eingehen sollte, waren sehr vorteilhaft und gaben den Ausschlag, es wurde bestimmt, daß er gleich nach Weihnachten die weite Reise antreten sollte. Es berührte ihn sehr angenehm, daß sich der Direktor der Seemannsschule zufriedener über Egon aussprach, als er zu hoffen wagte.
»Er ist ein selten begabter Mensch,« sagte er, »ihm wird das Lernen sehr leicht, wenn er nur will und seine Faulheit bekämpft.«
Egon hatte sein Rad verkauft, um Geld zu haben. Ein anderes Mal sogar seinen fast neuen Überzieher, weil er behauptete, er sei ausgewachsen und altmodisch, und als Heimchen ihm darüber Vorstellungen machte, rief er zornig:
»Was soll ich thun? Axel ist so geizig und giebt mir nie einen Groschen, ich kann nicht ohne Geld auskommen.«
Bei all seinem Leichtsinn besaß er doch eine gewisse Gutmütigkeit: er liebte seine Mutter und den kleinen Willy wirklich, und kaufte zuweilen Geschenke für sie. Das kranke Kind war in diesem Herbst sehr elend und schwach, sie sahen es alle, daß es nicht mehr lange leben konnte, und verdoppelten ihre Sorgfalt und Pflege, um das flackernde Lebenslicht vor dem rauhen Hauch des Todes zu schützen. Heimchen schlief jetzt auf der Couchette im Zimmer ihrer Mutter und teilte sich mit ihr in die Nachtwachen. Auch Gertrud hätte es gern gethan. Doch erlaubten es weder Schwester noch Mutter. »Du hast deine Kräfte nötig,« meinten beide. »Dein Kopfweh kommt gleich nach jeder schlaflosen Nacht, wie willst du dann deine vielen Stunden geben?«
Die Zwillinge, oder Unzertrennlichen, wie man sie auch nannte, sollten nach Weihnachten in die öffentliche Schule eintreten, bis dahin unterrichtete Heimchen sie unter Gertruds Anleitung.
Bei ihrer alten Freundin holte sie sich nach wie vor Rat und besprach mit ihr die schwere Kunst, aus zwei vier zu machen, wie das Sprichwort sagt. Es ist immer schwer, ganz besonders für Menschen, die einst in besseren Verhältnissen gelebt haben.
»Tante Dora, wie fange ich es nur an, Egons Strümpfe zu stopfen? Sie sind so schrecklich zerrissen!«
Mit diesem Ruf eilte sie in das Stübchen Fräulein Hageners. Bei ihrer Stimme wandte sich ein junger Mann um, der in der tiefen Fensternische gestanden und den sie in ihrem Eifer nicht gesehen hatte.
Zwei hellbraune, leuchtende Augen sahen sie verwundert und fragend zugleich an.
Sie hatte ihre große Arbeitsschürze vor, die Aermel ihres dunkelgrauen Kleides waren bis über die Ellbogen aufgestreift und ließen die hübschen, weißen Arme frei. Sie hatte sich, da es ein Sonnabend war, mit den Vorbereitungen zum Sonntag in der Küche beschäftigt, als die Wäscherin die frische Wäsche brachte.
Ihrer Gewohnheit gemäß, eilte sie sofort zu Tante Dora hinüber, um sich Rat zu holen.
Beide junge Leute sahen sich einige Sekunden verlegen an, dann lächelte erst Heimchen, und der Fremde folgte ihrem Beispiel.
»Meine Tante ist nicht hier,« sagte er mit sehr angenehmer, wohlklingender Stimme, »sie ist ausgegangen, wollte aber gleich wiederkommen. Kann ich etwas an sie bestellen, Fräulein von Brenken, – nicht wahr, das ist ihr Name?«
Heimchen bejahte, während in ihren blauen Augen ein klein wenig Neugier lag.
»O, es hat Zeit,« sagte sie, »ich werde später« –, sie wollte sich entfernen.
»Erlauben Sie,« sagte der junge Mann, »daß ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Robert Warnbeck, der neue Stadtvikar, Tante Dora ist die Schwester meiner Mutter,« setzte er erläuternd hinzu. »Es thut mir leid, daß ich Ihnen keinen Rat auf Ihre hausmütterliche Frage geben kann.«
Es zuckte heiter um seinen hübschen Mund.
Heimchen errötete zuerst etwas, dann brach sie, ihrem Sinn für Humor folgend, in ein lautes Gelächter aus, das den Fremden sofort ansteckte, er stimmte herzlich bei.
»Wir lernen uns auf sonderbare Weise kennen,« sagte er. »Doch nein, ich habe Sie schon lange durch Tante Dora kennen gelernt, durch die Briefe, die sie meiner Mutter schrieb. Sie sind Fräulein Marie, man nennt Sie aber meist Heimchen, nicht so?«
»Erraten,« rief sie fröhlich. »Und Sie müssen der Neffe sein, auf den Tante Dora immer so stolz war, der so früh die Schule beendete und auf der Universität das beste Examen machte. Heißen Sie Robert?«
»Ja, Fräulein von Brenken. Sie sehen, wir sind gut über einander orientiert, das ist das Verdienst unserer gemeinsamen Tante.«
»Die aber eigentlich gar nicht die meinige ist,« scherzte das junge Mädchen. »Aber sie ist so einzig gut zu uns, daß wir sie alle wie eine wirkliche Tante lieben.«
Sein Blick streifte jetzt ihre entblößten Arme, sie errötete lebhaft, denn sie hatte sie ganz vergessen.
»Jetzt muß ich aber gehen,« sagte sie verwirrt.
In diesem Augenblick schellte es draußen, und der neue Bekannte Heimchens rief:
»Da ist sie schon, wollen Sie nicht etwas warten?«
Er eilte, um zu öffnen; als er zurückkam, waren die Ärmel bis zum feinen Handgelenk heruntergezogen. »Schade,« dachte er bei sich, »sie hat so hübsche, weiße Arme.«
»Wie ich sehe, habt Ihr schon Bekanntschaft gemacht,« sagte die alte Dame zu den beiden jungen Leuten.
»Ja, Tante, du hattest uns, ehe wir uns sahen, von einander erzählt, daher ging es so schnell,« erwiderte Heimchen.
»Robert kommt zu Weihnachten als Vikar hierher,« berichtete Fräulein Hagener froh. »Ich muß eine Pension für ihn suchen, leider ist meine Wohnung zu klein, um ihn bei mir aufzunehmen.«
Sie kam später mit ihm zu Brenkens hinüber und stellte ihn Gertrud und ihrer Mutter vor. Sein frisches, bescheidenes Wesen, sein männlich hübsches Äußere gefiel ihnen allen sehr.
An demselben Sonnabend schlenderte Egon in seiner nachlässigen Weise in das Kontor des Westerholzschen Geschäftes. Im Vorzimmer fragte er den Diener:
»Friedrich, ist mein Bruder noch hier?«
»Ja, junger Herr, er bleibt am Sonnabend immer etwas länger, um die Kasse zu schließen. Alle andern Herren sind schon vor einer Viertelstunde fortgegangen.«
Egon holte Axel zuweilen ab; er trat auf ihn zu und fand ihn damit beschäftigt, eine größere Summe Geldes zu zählen.
»Was giebt's, Egon?« fragte er, flüchtig zu ihm aufblickend und in seiner Arbeit fortfahrend.
»Ich kam nur, um dich abzuholen, bist du bald fertig?«
»Gleich,« sagte er. »Ich muß nur noch das Geld in den Schrank schließen.«
In diesem Augenblick rief Herr Westerholz aus dem Nebenzimmer:
»Brenken, kommen Sie doch rasch her. Helfen Sie mir den Brief von Frei und Grünfeld entziffern, da sind einige Worte, die ich nicht lesen kann.«
Axel eilte sofort, alles liegen lassend, zu seinem Prinzipal. Die Thür blieb offen, und nachdem Egon sich scheu umgesehen hatte, beugte er sich über das Pult seines Bruders und steckte blitzschnell mehrere Scheine in seine Brusttasche.
Als Axel zurückkam, stand er am Fenster und pfiff leise vor sich hin.
»Nun, kommst du endlich?« rief er ungeduldig. »Ich kann nicht länger warten und werde allein gehen.«
Axel verschloß das Geld in den eisernen Schrank und brachte Herrn Westerholz den Schlüssel, dann verließ er mit seinem Bruder das Haus.
»Wie geht es dir in der Schule, Egon?« fragte er, als sie durch die sternenklare Dezembernacht nebeneinander herschritten. »Wirst du in eine höhere Klasse kommen?«
»Gewiß,« log Egon. »Ich arbeite wie ein Pferd, du kannst die Lehrer fragen.«
»Nun, gottlob, daß du einsiehst, wie ernst das Leben ist, besonders für uns, wir dürfen uns keinen Müßiggang erlauben.«
Um den Mund Egons zuckte es spöttisch, es war aber so dunkel, daß sein Bruder es nicht sehen konnte; derselbe sagte herzlich, indem er die Hand auf seinen Arm legte:
»Wenn ich nach Weihnachten von hier fortgehe, bist du der Schutz der Mutter und Schwestern, vergiß das nie, mein lieber Junge.«
Am Sonntag abend kam Egon nicht nach Hause, seine Familie wunderte sich nicht besonders darüber, er hielt es nie der Mühe wert, sie davon zu benachrichtigen, wenn er fort blieb, um einen Freund zu besuchen oder ins Theater zu gehen.
Axel fühlte trotzdem, als es immer später wurde, eine leichte Unruhe und verbrachte eine ziemlich schlechte Nacht, ein unbestimmtes, quälendes Gefühl verließ ihn nicht, als Stunde auf Stunde verging, ohne daß sein Bruder heimkehrte. Erst gegen Morgen schlief er ein, erwachte aber schon früh, Egons Bett war leer.
Auch der kleine Kranke hatte eine schlechte Nacht gehabt; er und die Mutter schliefen noch, als Axel mit seinen beiden Schwestern sprach, sie alle fragten sich voll banger Sorge, was wohl aus Egon geworden sein könne?
Es war Zeit, ins Kontor zu gehen, Gertrud begleitete ihren Bruder ein Stück Wegs, denn auch sie mußte um acht zu ihren Stunden. Sie schritten schweigsam nebeneinander her durch den noch dunkeln Wintermorgen, und derselbe trübe Gedanke lastete auf beiden.
»Es ist gut, daß die Mutter so sehr durch Willys Pflege in Anspruch genommen ist,« sagte Gertrud, »sie hat wenig Zeit, auf Egon zu achten.«
»Ich fürchte, sein Leichtsinn bringt noch Schande über uns,« versetzte Axel düster.
Erschreckt sah ihn seine Schwester an.
»Das verhüte Gott,« sagte sie schnell. »Unser guter Name ist das einzige, was uns geblieben ist.«
Sie trennten sich an der nächsten Straßenecke. Gertrud versprach ihrem Bruder, ihn sofort zu benachrichtigen, wenn Egon heimgekehrt sei, denn Axel kam immer erst am Abend nach Hause. Er speiste in einem billigen Restaurant in der Nähe seines Kontors.
»Pst, pst, Brenken, ich muß Sie sprechen,« rief eine Stimme kurz vor Herrn Westerholz' Geschäftslokal.
Ein junger Mensch von Egons Alter trat auf ihn zu. Er war als roh und sittenlos bekannt und gehörte zu den besten Freunden seines Bruders, vor dem er ihn oft gewarnt hatte.
Erstaunt blieb Axel stehen. Der andere lachte verschmitzt und fragte höhnisch:
»Nun, wo glauben Sie wohl, daß Egon jetzt ist?«
»Wissen Sie es?« fragte Axel kurz.
Der junge Mensch warf sich in die Brust. »Na, und ob!« rief er prahlerisch. »Der schwimmt bereits hoch auf See und kehrt nicht sobald wieder, er hatte die Schule gründlich satt!«
Axel starrte ihn sprachlos an, als verstände er ihn nicht.
»Er läßt Sie und die Seinigen grüßen und Ihnen sagen, daß er erst als reicher Mann heimkehrt.«
»Und womit will er es werden?« versetzte der Bruder des Ausreißers bitter. »Sein Leichtsinn soll ihm wohl die Schätze bringen, auf die er so sicher hofft?«
»Er ist ein gewandter Mensch,« lobte Egons Freund, »mit der Summe, die er mitnahm, läßt sich schon etwas anfangen.«
Ein entsetzlicher Verdacht stieg in Axel auf, aber er blieb sehr ruhig und sagte gelassen:
»Was wissen Sie davon?«
»Er zeigte mir die 2500 Mark, die er von seinem reichen Onkel in England erhalten hat. Wir haben die ganze Nacht durchgezecht und Karten gespielt. Heute früh, als es kaum tagte, sind mehrere Schiffe abgegangen, und ich mußte es ihm versprechen, Ihnen nicht zu verraten, welches er benutzt hat, um durchzubrennen.« Eine höhnende Schadenfreude lag in den letzten Worten.
Axel hörte es kaum, ohne Gruß wandte er sich ab und ging wie betäubt in sein Kontor.
Er hatte die feste Gewißheit, daß sein Bruder die Kasse bestohlen, als er selbst in Herrn Westerholz' Zimmer ging.
Mit zitternden Händen zählte er das Geld. Es fehlten zweitausendfünfhundert Mark. Er sank auf einen Stuhl und starrte wie geistesabwesend vor sich hin.
Es war noch niemand da, und er überlegte, wo er das Geld herschaffen sollte. Jeden Tropfen seines Herzblutes hätte er freudig geopfert, um die entwendeten Scheine zurückzuerlangen.
Wie hatte doch Gertrud gesagt: »Unser guter Name ist das einzige, was uns geblieben ist!« Und nun drohte ihnen Gefahr, daß ihnen dieses letzte, höchste Gut geraubt werde, durch des eigenen Bruders Leichtsinn.
Das bleiche, verstörte Aussehen seines Kassierers fiel Herrn Westerholz auf, er fragte ihn besorgt, ob er sich unwohl fühle.
»Mir ist allerdings recht schlecht zu Mute, Herr Westerholz,« murmelte Axel, sich den kalten Angstschweiß von der Stirn wischend.
»Gehen Sie lieber nach Hause oder an die frische Luft,« riet der gütige Mann.
»Wenn Sie es gestatten,« sagte Axel tonlos.
Herr Westerholz sah ihn kopfschüttelnd an.
»Es ist Zeit, daß Sie nach Kairo fortkommen, Brenken,« sagte er freundlich. »Hier erholen Sie sich nicht recht.«
Axel wollte sich entfernen.
»Haben Sie zu Hause Sorgen?« fragte der Kaufherr, »kann ich Ihnen irgendwie helfen? Sie wissen, ich bin Ihr Freund und Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet, seit Sie mein Kind retteten.«
Einen kurzen Augenblick schwankte er, ob er ihm nicht alles anvertrauen sollte. Sein Mannesstolz verbot es ihm, und er verneinte daher.
»Vergessen Sie nicht die zweitausendfünfhundert Mark für Frei und Grünfeld nach Lübeck, Brenken,« erinnerte der erste Buchhalter, Herr Müller.
»Ich kann den Brief gleich selbst zur Post bringen,« erwiderte Axel ruhig. »Ich habe heftiges Kopfweh, und Herr Westerholz hat mich für heute morgen entlassen.«
Wie rauh und seltsam klang seine Stimme, oder kam es ihm nur so vor? Er erschrak fast davor und wunderte sich, daß es den andern Angestellten nicht auffiel.
Er empfing den Brief an das Haus in Lübeck, dann eilte er auf die Straße. Ihm schien es, als schwanke alles um ihn her. Er lehnte sich, nach Atem ringend, gegen einen Laternenpfosten, denn er fürchtete zu fallen, die Füße versagten ihren Dienst.
Bis morgen mußte er das fehlende Geld herbeischaffen. Aber wie? Das war die Frage, die ihn fast um den Verstand brachte.
Er hatte, sich alles versagend, dreihundert Mark erspart. Ehe er fortreiste, wollte er Heimchen diesen kleinen Schatz einhändigen, damit sie in seiner Abwesenheit einen Notgroschen habe. Es mußte eine bessere Wohnung gemietet werden, der leidende Zustand Frau von Brenkens erheischte es dringend.
Er eilte zur Bank und erhielt die kleine Summe, von dort ging er zum Goldschmied und verkaufte seine goldene Uhr und Kette. Einen wertvollen Brillantring zog er vom Finger, lauter Erinnerungen an eine bessere Zeit.
Es war unterdessen fast Mittag geworden, er schlich sich durch die Küche in das Haus und fand Heimchen zum Glück allein.
Er zog sie in sein Zimmer und teilte ihr alles mit. Bald darauf kam Gertrud, und sie berieten voll Sorge, was sie thun sollten.
»Wir haben schon fast alles Wertvolle verkauft,« sagte Heimchen weinend. »Es ist nur noch der Flügel da,« fügte sie zaghaft hinzu.
Über das schöne Gesicht ihrer Schwester glitt ein Freudenstrahl.
»Bitte, Axel, verkaufe ihn,« rief sie schnell. »Ich hatte gar nicht daran gedacht.«
»Wird es dir nicht zu schwer werden, Liebling?«
Seine Hand legte sich bedauernd auf ihren Arm. Sie hob das stolze Haupt und versetzte herb: »Mir wird nichts schwer, wenn uns der gute Name erhalten bleibt!«
Ihr Bruder und Heimchen schlossen sie gerührt in die Arme.
»Die arme Mutter darf es nie erfahren,« sagten sie beide.
»Es wäre der Nagel zu ihrem Sarge,« meinte Gertrud, »Sie wird ohnehin tief gebeugt über Egons Verschwinden sein.«
Herr Benno Sträußel ließ sich die gute Gelegenheit nicht nehmen, den schönen Bechstein möglichst billig zu erstehen. Da die Zeit drängte, mußten sie mit dem niedrigen Preise zufrieden sein, den er bot, wobei er selbstverständlich den Rückstand an der Miete abzog.
Es fehlten, trotz aller Opfer, doch noch einige hundert Mark. Axel sah sich genötigt, sie gegen hohe Zinsen bei einem jüdischen Wucherer aufzunehmen.
Erleichtert atmete er auf, als er die ganze Summe in das Couvert legte und den Brief abschickte.
»Der Name ist gerettet,« murmelte er. »Aber mit wieviel Entbehrungen für die Meinen.«
Er ging ins Kontor und nahm scheinbar ruhig seine Arbeit wieder auf.
Am Abend teilten die Geschwister der Mutter mit der größten Vorsicht mit, daß ihr Sohn sie verlassen habe, um sein Glück auf eigene Hand in der Welt zu versuchen.
Sie war von dieser Nachricht weniger erschüttert, als sie befürchteten, denn der Zustand des kleinen Kranken war so besorgniserregend, daß sich ihr Mutterherz ausschließlich mit ihm beschäftigte und sie für den Augenblick gegen alles sonst abgestumpft schien.
Das Weihnachtsfest war in diesem Jahr sehr still und traurig für die Brenkens; der nahe bevorstehende Abschied von Axel, die Sorge um Egon und der Zustand Willys lasteten schwer auf allen Gliedern der Familie.
Das kranke Kind lag auf dem Sofa und blickte mit seinen großen, dunkeln Augen in die Lichtchen des bescheidenen Weihnachtsbaumes, auf dessen Spitze der Engel die Arme nach ihm ausbreitete. Es lag schon etwas Überirdisches in dem abgezehrten Gesicht, und sie alle wußten es, daß er sie bald für immer verlassen würde, um droben im ewigen Vaterhause von seinem kurzen, schmerzensreichen Erdenwallen auszuruhen.
Einige Tage schien er etwas kräftiger, dann schlummerte er sanft und ruhig auf Axels Armen ein. Und er, der ihm, dem früh Verwaisten, den Vater zu ersetzen getrachtet hatte, er bettete ihn jetzt in den weißen Sarg und trug ihn mit dem jungen Vikar die steile Treppe hinunter. Die warmen, schlichten Worte, die Warnbeck sprach, als sie ihn ins Grab senkten, legten sich wie weicher Balsam auf das Herz der Hinterbliebenen.
Sie wußten es, daß ihr kleiner Liebling ein gutes Los erwählt hatte, das Los, das den Kleinen in der himmlischen Heimat bereitet ist.
Da das Zimmer frei wurde, welches die Brüder bisher bewohnt hatten, wurde abgemacht, daß Robert Warnbeck zu den Brenkens in Pension kommen sollte. Es war Axel lieb, daß seine Mutter und Schwester in seiner Abwesenheit einen männlichen Schutz haben würden. So wenig sich die beiden jungen Leute kannten, so sehr fühlten sie sich zu einander hingezogen. Jeder achtete die Tüchtigkeit des andern und empfand eine warme Freundschaft für ihn. Die gemeinschaftlich verlebten trüben Stunden am Kranken- und Sterbebett Willys hatten Robert der Familie genähert, er erschien ihnen bereits wie ein langjähriger Bekannter, mit dem man Leid und Freude teilt.