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XIV.
Flammen unter der Asche.

Holmstein lag wie verödet in der Schwüle des heißen Augustnachmittages. Ein großer Neufundländer hatte sich träge auf dem Absatz der Treppe ausgestreckt und schien zu schlafen, ab und zu schlenderte ein Diener oder eine der Mägde müßig über den Hofplatz, alles sah müde und erschlafft aus.

Jetzt hob der Hund den Kopf und spitzte die Ohren, ein fernes Räderrollen ließ sich hören, ein leichter Wagen kam näher und hielt vor dem Herrenhause an. Es war Waldemar von Haßfeld, er fragte den herbeieilenden Diener: »Wo sind die Herrschaften, Friedrich? Es ist hier wie ausgestorben.«

»Alle die Herren sind auf die Feldhühnerjagd,« antwortete der Gefragte. »Sie kommen erst spät zurück, die gnädige Frau und die übrigen sind nach Hohenberg gefahren, es ist dort Geburtstag, wir erwarten sie nicht zum Diner.«

Haßfeld lohnte den Kutscher ab und ging ziemlich verdrießlich auf sein Zimmer, um den lästigen Reisestaub zu entfernen. Er überlegte, ob er die Jäger nicht aufsuchen sollte, die Aussicht, so viele Stunden einsam zu verbringen, war nicht gerade verlockend. Der unerträglich heiße Tag und das langsam heraufsteigende Gewitter benahmen ihm aber die Lust dazu, sich abermals der tropischen Glut auszusetzen.

Er war auf zwei Tage in Geschäften verreist gewesen und früher zurückgekehrt, man erwartete ihn erst morgen. Warum hatte er alles in fieberhafter Hast erledigt, warum trieb es ihn sehnsüchtig nach Holmstein zurück?

»Was soll ich nun mit mir selbst anfangen, bis sie alle wieder hier sind?« fragte er sich, durch die halbdunkeln, kühlen Zimmer schreitend, deren grüne Jalousien der Hitze wegen geschlossen waren.

»In der Bibliothek wird doch vielleicht ein halbwegs vernünftiges Buch aufzutreiben sein,« dachte er weiter, »obgleich ich dort nur Jagd- und Sportszeitungen, landwirtschaftliche Broschüren oder Modeblätter gesehen habe.«

Seiner sonstigen Gewohnheit untreu, kam ihm Chasseur ohne stürmische Freudenbezeugungen entgegen, er leckte ihm die Hand und sah ihn mit den klugen Augen bittend an.

Haßfeld wunderte sich, daß er nicht zur Jagd mitgenommen war, und folgte ihm unwillkürlich. Der Setter ging voran und sah sich stehenbleibend nach seinem Herrn um, als forderte er ihn auf, mitzukommen.

Das kleine Erkerzimmer war besonders kühl, da es nach Norden lag, selbst an diesem schwülen Tage; Haßfeld blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen, seine ganze Seele lag in seinen Blicken, stumm umfaßten sie das liebreizende Bild, das sich ihm unerwartet bot. Gertrud lag auf der dunkelroten Samt-Couchette und schlief fest und süß.

Ihr herrliches, schwarzes Haar war gelöst und floß in langen, weichen Wellen über das weiße Gewand, das ihre Gestalt umschloß. Sie sah bleich aus, die dunkeln Wimpern ruhten friedlich auf den zarten Wangen, ein Lächeln teilte den rosigen Mund.

Vielleicht träumte sie von der Vergangenheit, von den sonnigen Tagen, als sie mit den Ihrigen hier gelebt, eine geliebte, verwöhnte Tochter und Schwester?

Lange fesselte ihn der holde Anblick. Jetzt durfte er seine Augen an ihr weiden, er hatte nur verstohlen gewagt, sie anzusehen, damit es die übrigen nicht merkten, damit er sie nicht in ihrer keuschen Reinheit verletzte.

Chasseur lag auf dem Teppich zu ihren Füßen, wie wenn er sie bewachte, er sah seinen Herrn verständnisvoll an, als ob er sagen wollte: »Da du fern warst, mußte ich sie behüten.«

Wie kam es nur, daß sie allein hier war? Sie mußte ihre nervösen Kopfschmerzen haben, deren er sich von früher erinnerte.

Er trat leise näher und kniete neben ihr nieder, eine der lockigen Haarsträhnen fiel fast bis auf den Boden, er drückte seine Lippen leidenschaftlich darauf, wieder und immer wieder. Ein süßer Duft entströmte ihr, und als er ihn einatmete, fühlte er, wie ein tödliches Gift ihm durch die Adern schlich. Es würde ihn nie mehr verlassen, sein lebelang mußte er daran kranken, das sagte er sich verzweifelt.

Endlich erhob er sich und ging leise auf den Fußspitzen hinaus, er durfte sie nicht wecken, der Schlaf mußte ihr gut thun, er würde sie vielleicht herstellen.

»Warum ist Fräulein von Brenken zu Hause geblieben?« fragte er den Diener draußen.

»Ach ja, die ist ja da, ich hatte sie ganz vergessen,« erwiderte Friedrich nachlässig, »sie soll Kopfweh haben.« Der Ton war so geringschätzend, daß Haßfeld dem Menschen am liebsten ein paar Ohrfeigen verabfolgt hätte. Es herrscht fast immer eine neidische Antipathie vonseiten der Dienstboten gegen das Lehrerpersonal, ein heimliches Auflehnen gegen die Gebildeteren, die gleich ihnen arbeiten müssen, um zu leben, und die sie nicht als Höhergestellte anerkennen wollen. »Bestellen Sie um sechs das Mittagessen für zwei Personen, hören Sie?« befahl Haßfeld kurz und herrisch, wie es sonst nicht seine Art war.

Er ging in die Bibliothek, die neben dem Erkerzimmer lag, ergriff das erste, beste Buch und las Seite um Seite, ohne zu wissen, worüber es handelte. »Über den Bau der Futterrüben,« stand auf dem Deckel. Er lächelte, als er es fortlegte, denn er hatte kein Wort verstanden, seine Gedanken waren weit abgeschweift.

Sie waren sich in den letzten Tagen vor seiner Abreise ängstlich aus dem Wege gegangen, jedes Alleinsein vermeidend. Er hatte neben ihr gestanden, wenn sie eines männlichen Schutzes bedurfte, wenn Franz Gärtner sie belästigte. Dabei fing er es so geschickt an, daß es niemand auffallen konnte, es schien immer ein Zufall zu sein, der ihn herbeigeführt, an dem er keinen Anteil hatte.

Die ganze Zeit verzehrte ihn das Verlangen, sich mit ihr auszusprechen, ihr zu erzählen, wie alles so gekommen war, daß er nicht anders handeln konnte und daß er sie noch immer unsagbar liebte.

Doch nein, das durfte er nicht! Sie war kalt wie Eis und hatte ihm nie ein wärmeres Interesse geschenkt, er mußte es sich damals in Italien eingebildet haben, als er ihr Lebewohl gesagt.

Fast zwei Stunden waren vergangen, Gertrud schlief noch immer, und er rührte sich kaum, um sie nicht zu stören. Endlich hörte er ein leises Geräusch im Erkerzimmer, der Hund war aufgesprungen und schüttelte sich nach dem langen Liegen.

»Du lieber, treuer Chasseur, wie gut, daß du zurückgelaufen kamst,« sagte Gertrud, »ich wäre sonst ganz allein.« Das schöne Tier sprang freudig bellend umher und schmiegte sich liebkosend an sie.

»Das darfst du nicht,« fuhr sie scherzend fort, »wenn du bellst, thut mir der Kopf gleich wieder weh, du mußt hübsch still sein.«

Chasseur lief in die Bibliothek und faßte Haßfelds Ärmel, als lade er ihn ein, mitzukommen. Er folgte der stummen Aufforderung und stand plötzlich vor Gertrud.

Sie erschrak heftig und blickte zur Seite, ihre Hände sanken kraftlos in ihren Schoß, und ihre Lippe zitterte. –

»Sie sind nicht wohl?« sagte er, auf der Schwelle stehen bleibend. »Friedrich meinte, Sie hätten Kopfweh. Ist es jetzt besser, nachdem Sie geschlafen haben?«

»Ja,« erwiderte sie kurz. »Sind Sie schon lange hier?«

»Über zwei Stunden. Ich las eine, – hm, eine sehr interessante Abhandlung über, über –«

Er stockte verlegen. »Ich werde in mein Zimmer gehen und mich ganz still verhalten, dann vergeht das Kopfweh am schnellsten,« sagte sie und wollte sich entfernen.

»Es ist heute auch hier still genug,« warf er bittend ein, »die Zimmer sind viel kühler als die oberen. Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten, gnädiges Fräulein? Ich habe das Diner bestellt, es ist so langweilig, allein zu speisen.«

Sie lachte. »Ich muß gestehen, daß ich sehr hungrig bin,« erwiderte sie, »ich habe heute fast noch nichts gegessen.«

Sein Blick umfaßte ihre ganze, liebreizende Erscheinung, sie stand vor ihm in dem weißen Gewande, dessen weit offene Ärmel die schöngeformten Arme fast bis zur Schulter frei ließen. Ihr Gesicht war auf der einen Seite, wie das eines Kindes, vom Schlaf rosig angehaucht, die dunkeln Augen strahlten wie Sterne, und um sie her flutete das reiche Haar in seidigen, üppigen Wellen; sie war wunderbar schön und die Blicke Haßfelds verrieten es ihr deutlich.

»Sie sehen wie die Poesie aus, die zu den armen Sterblichen herabgestiegen ist,« entschlüpfte es ihm bewundernd.

Sie bemerkte es erst jetzt, daß sie in ihrem Kranken-Negligé war und daß sie ihr Haar gelöst hatte. In holder Verwirrung schlug sie die Augen nieder und rief hastig, indem sie enteilen wollte: »Ich gehe mich umkleiden, dieser Anzug paßt nicht für die Gesellschaft.«

Haßfeld hielt sie an der Hand zurück. »Sie kommen doch wieder?« flehte er. »Nicht wahr, Sie leisten mir freundlich Gesellschaft?«

»Ich muß wohl,« entgegnete sie scherzend, »es wäre auch zu albern, wenn wir getrennt speisen sollten. Ich glaube übrigens, ich hätte höchstens eine Tasse Thee erlangt, wenn Sie nicht für des Leibes Nahrung und Notdurft gesorgt hätten, Herr von Haßfeld.«

»So ist mein Kommen doch zu etwas gut gewesen,« scherzte er, auf ihren Ton eingehend. »Um sechs Uhr ist das Diner fertig.«

»Dann muß ich mich beeilen,« rief sie, »da schlägt es eben schon halb sechs, und die Herren der Schöpfung lieben nicht zu warten.«

Sie streifte in ihrem Zimmer das weiße Gewand ab, das noch ein Überbleibsel aus der alten, guten Zeit war, und legte ein leichtes, schwarzes Kleid an, das Hals und Arm mit einem luftigen Spitzenstoff bedeckte. Dann befestigte sie eine weiße Rose und halberblühte Knospe im Gürtel. Ihre kleinen Schülerinnen hatten sie ihr heute morgen gebracht, ehe sie fortfuhren.

»Bitte, tragen Sie sie, Fräulein Gertrud,« bat die zehnjährige Anna, »ich liebe es so sehr, wenn Sie Blumen anstecken, es kleidet Sie so wunderhübsch.«

Sie lächelte, als sie daran dachte. »Ich muß der Kleinen Wunsch erfüllen,« sagte sie sich, denn sie wollte es sich nicht eingestehen, daß es ihr lieb war, sich für das Diner »zu Zweien« zu schmücken. Das Haar wurde in einen losen Knoten gefesselt und am Hinterkopf befestigt, dann schritt sie die Treppe hinunter. Sie wußte, daß sie sich meisterhaft zu beherrschen verstand, und sie fühlte ein blindes Vertrauen zu Haßfelds Ehrenhaftigkeit als Kavalier, die ihr mit keinem Wort zu nahe treten konnte.

Er bot ihr den Arm, und sie gingen in das Speisezimmer und saßen allein an dem runden Tisch, es fiel ihnen beiden ein, daß sie einst geglaubt, sich so als Mann und Frau bei den täglichen Mahlzeiten gegenüber zu sitzen. Aber sie bemühten sich, diesen Gedanken schnell hinwegzuscherzen.

Gertrud sah noch sehr angegriffen aus, Haßfeld bemerkte es und sagte: »Ihre Migräne scheint doch noch nicht ganz verschwunden zu sein, trinken Sie, bitte, ein Glas Wein. Darf ich Ihnen einschenken?« Er füllte ihr Glas und sein eigenes.

»Ich weiß nicht, ob das gerade das beste Mittel ist!« scherzte sie.

»Bei moralischen und seelischen Schmerzen hilft es, ich habe es erprobt,« erwiderte er dumpf. »Es bringt Vergessen, das scheint mir oft das beste Glück.«

Sie bedienten sich der französischen Sprache, die sie beide vollkommen beherrschten. Gertrud nahm hastig das Glas; ihre Hand zitterte, und sie vergoß einige Tropfen seines Inhalts. Wenn er so zu ihr sprach, fühlte sie ein namenloses Mitleid mit ihm, die Thränen steckten ihr im Halse und eben deshalb ließ sie ihrer Heiterkeit, ihrem Humor freien Lauf, daß er in bunten Farben sprühte und den Mann ihr gegenüber mit sich fortriß; er mußte in ihr helles Lachen einstimmen. Sie fühlten es beide, es war ein künstliches und der Scherz kam nicht aus einem wirklich frohen Gemüt, das Herz hatte keinen Teil daran. Schon während sie bei Tisch saßen, zog ein böses Unwetter auf, es blitzte, und der Donner rollte in der Ferne. Gertrud fuhr ängstlich zusammen.

»Fürchten Sie sich vor dem Gewitter?« fragte er, als er es bemerkte.

»Fürchten ist nicht der rechte Ausdruck, mir ist aber sehr unbehaglich zu Mute, ich bin froh, daß Sie hier sind, Herr von Haßfeld.«

Sie erhoben sich und traten in die offene Thür der Veranda. Der Himmel hing bleischwer hernieder; wenn ein flammender Blitz die dunkeln Wolken zerriß, war es, als öffne er sich dahinter.

Der Diener brachte den Kaffee, Gertrud goß ihn ein, sie fühlte, wie Haßfelds Blick auf ihren weißen Händen ruhte. Sie reichte ihm eine Tasse, dabei sahen sie sich flüchtig an und lasen in ihren Augen denselben Gedanken: »Wenn dieses unser Heim wäre und wir ein glückliches Paar, was bliebe dann noch zu wünschen übrig?«

Sie fing an, sehr schnell zu sprechen, sie erzählte ihm von Axel, von den übrigen Geschwistern, von den Jahren, die vergangen, seit sie Holmstein verlassen, Haßfeld hörte aufmerksam zu und fragte nach einigem Zögern:

»Sie haben alle ihr Brot verdienen müssen und haben es doch nicht gelernt; Sie wuchsen unter andern Verhältnissen heran. Wie schwer muß es Ihnen gefallen sein!«

»Die Not hat es uns gelehrt, und es liegt eine große Befriedigung in dem Schaffen für das, was wir lieben,« antwortete sie fest.

»Und doch wäre es Ihnen leicht gewesen, in Glanz und Reichtum zu leben.«

Sie verstand ihn nicht gleich. »Wie meinen Sie das?« fragte sie verwundert.

»Wenn sie die Werbung des Kaufherrn Westerholz nicht ausgeschlagen hätten,« entgegnete er leise.

»Was wissen Sie davon, Herr von Haßfeld?«

»Die Cousine meiner Frau, die in D. lebt, schrieb es ihr, Sie bildeten das Gesprächsthema der guten Stadt zu jener Zeit.«

»Das ist mir sehr gleichgiltig,« erwiderte sie schroff. »Ich werde mich nie um des Geldes willen verkaufen, ich müßte mich selbst verachten und arbeite lieber um das tägliche Brot.« – Ihre Worte klangen scharf und schneidend, Haßfeld schienen es ebensoviel Dolchstiche, die ihn trafen. Er hatte als Mann nicht so groß gedacht und das gethan, was sie tadelte; schweigsam starrte er in den strömenden Regen hinaus, der die Macht des Gewitters gebrochen hatte.

»Ehe wir uns trennen, möchte ich mit Ihnen über etwas sprechen, das mir am Herzen liegt. Wollen Sie mich anhören, gnädiges Fräulein?«

Sie neigte zustimmend das Haupt und sah in das Unwetter hinein, sie konnte den traurigen Ausdruck seines Gesichts nicht ertragen und mußte um jeden Preis gefaßt und ruhig bleiben.

»Als wir uns in Italien trennten,« begann er mit der müden Stimme, die ihr das Herz schwer machte, »wollte ich bald nach Deutschland zurück. Da wurde meine Schwester sehr krank, ich blieb auf Wunsch meiner Mutter bei ihnen. Es war für Cilly eine Lebensfrage, den Süden nicht zu verlassen, ihre Lungen hätten das nordische Klima nicht vertragen, sie konnte nur leben, wenn sie ihren Aufenthaltsort nicht wechselte.«

»Ich weiß es,« unterbrach Gertrud, »Axel erzählte es mir, ehe wir Holmstein Lebewohl sagten.«

»Ich hörte in Italien von dem Tode Ihres Vaters und von der traurigen Lage –«

»Und da zogen Sie es natürlich vor, der Heimat fern zu bleiben,« rief sie bitter, um sich gleich darauf über die unbedachte Äußerung zu ärgern.

»Seien Sie nicht ungerecht,« bat er aufgeregt. »Sie können es nicht wissen, was ich durchkämpft, wie ich gelitten! Ich konnte das Leben meiner einzigen Schwester retten, wenn ich die reiche Heirat einging, zu der meine Mutter mich fast knieend überredete.«

»Konnten Sie die nötigen Mittel für die Ihrigen nicht durch Arbeit und eigene Kraft erwerben?« rief sie ärgerlich aus, »Axel hat es bewiesen, daß auch der reich erzogene Kavalier seinen Platz im Leben, wie ein ganzer Mann, auszufüllen vermag.«

»Axel ist eine Ausnahme; mit seiner Energie ist er fähig, eine Welt aus den Angeln zu heben, bitte, vergleichen Sie mich nicht mit ihm, ich verliere dabei zu sehr.«

»Ich weiß es,« entgegnete sie herb.

Er senkte den Kopf vor diesem harten Urteil.

»Wozu überhaupt diese Rechtfertigung, Herr von Haßfeld,« fuhr sie eisig fort, »ich verlange und erwarte sie nicht von Ihnen.«

Sie stand auf und wollte sich entfernen, auch er war aufgesprungen und trat dicht an sie heran.

»Wir gehen in wenig Tagen auseinander, gnädiges Fräulein, und werden uns wahrscheinlich nicht mehr im Leben begegnen, lassen Sie uns als Freunde scheiden. Sie sagten damals in Stuttgart ein hartes Wort, das mich seitdem oft quälte.«

Der schmerzliche Vorwurf in seiner Stimme traf sie.

»Sie sagten, ich sei Ihnen zu fremd, um an Ihrem und der Ihren Wohl und Weh teilnehmen zu dürfen.«

»Ihr Benehmen rechtfertigte diesen Glauben,« erwiderte sie kühl, »man schließt nach Thaten und nicht nach leeren Redensarten.«

Er legte die Hand beschwörend auf ihren Arm, das ganze Elend seines Lebens lag in seinen krampfhaft zuckenden Zügen.

»Wissen Sie denn nicht, daß ich jeden Blutstropfen mit tausend Freuden für Sie verspritzen möchte? Sehen Sie denn nicht, daß ich selbst für Ihre Verachtung zu unglücklich bin?« rief er aus.

»Tragen Sie männlich, was Sie selbst gewollt,« versetzte sie, ihn fest ansehend. »O glauben Sie mir, es geht, wenn man es muß und ernstlich will.«

»Ich suche ja auch mit meinem Schicksal fertig zu werden, ich hoffe, niemand sieht, wie schwer es mich drückt.«

»Ich habe es vom ersten Augenblick an gemerkt,« entfuhr es ihr unbedacht, während es in ihren Augen feucht emporquoll und sie in das Innere des Zimmers zurücktrat.

Er folgte ihr. »Sagen Sie mir, daß Sie freundlich an mich denken werden,« flehte er noch einmal. »Ich muß wenigstens einen Gedanken haben, der hell und rein in mein Leben hineinleuchtet.«

Sie antwortete nichts, sanft zog sie die Hand aus der seinen, die sich krampfhaft um ihre Finger schloß und lächelte leise. Dann schritt sie in das Nebenzimmer. Gleich darauf zogen weiche Melodieen zu ihm hinüber, sie spielte statt aller Antwort, es war ihr leichter, ihm so zu sagen, wovor ihr bangte, was sie sich nicht in Worte zu kleiden getraute.

Er war in einen Sessel gesunken, das Antlitz mit den Händen bedeckt, lauschte er dem Liede ohne Worte, das ihre Seele der seinen sang.

Wohl eine halbe Stunde hatte Gertrud gespielt, da hörten sie das Geräusch heranrollender Räder, der Zauber war gebrochen! Sie erhob sich und schloß den Deckel des Flügels, Haßfeld war in das Zimmer getreten, sie hielt ihm freimütig die Hand hin, er beugte sich über dieselbe und küßte sie lange. »Ich danke Ihnen, – und ich habe Sie verstanden.«

Die laute, rufende Stimme seiner Frau ließ sich hören: »Waldemar, Waldemar!« schrie sie, suchend durch alle Zimmer laufend, »wo steckst du denn? Friedrich sagte, du seist zurückgekommen. Ah! Da bist du endlich!«

Sie flog ihm um den Hals und küßte ihn schallend.

»Bist du froh, mich wiederzusehen? Ich bin es furchtbar! Es war ganz schauderhaft langweilig ohne dich, mein Alter!« Sie stand auf den Fußspitzen und klopfte ihm zärtlich die Wange.

»Dir ist wohl die Zeit recht lang geworden? So viele Stunden bist du allein gewesen, du armer Kerl.«

Er trat etwas zurück und machte sich ungeduldig aus ihren Armen frei, die sie um seinen Hals gelegt hatte.

»Fräulein von Brenken war hier,« entgegnete er kühl, »wir haben zusammen diniert und die Zeit so gut es ging totgeschlagen. Nicht wahr, gnädiges Fräulein?«

Es lag ein wilder Galgenhumor in seinen Worten.

»Warum nennst du sie immer gnädiges Fräulein,« fragte seine Frau in so lautem Flüsterton, daß Gertrud es hörte. »Sie ist doch nur eine Gouvernante! Doch komm,« fuhr sie fort, »die Meißners und Brauns haben uns begleitet, es soll heute abend getanzt werden, ich freue mich kindisch darauf! Können Sie hübsche Tänze spielen?« wandte sie sich lebhaft an Gertrud. »Besonders Walzer? Waldemar walzt nämlich himmlisch und muß viel mit mir tanzen, nicht wahr, mein Alterchen?«

Er machte eine verdrießlich abwehrende Bewegung.

»Was, du willst nicht?« rief sie empfindlich, »und damals, wie du mir den Hof machtest, hast du immer mit mir tanzen wollen, weißt du es nicht mehr?«

Haßfeld ergriff ihren Arm und zog sie mit sich fort, recht unsanft, wie man deutlich sehen konnte. –

Auch die Jäger waren unterdessen heimgekehrt, und es wurde ein Ball improvisiert, zu dem Gertrud spielen mußte. Ihre Kopfschmerzen, die noch nicht vergangen waren, kehrten durch den Lärm und die Musik wieder, es hämmerte und pochte in ihren Schläfen. Rücksichtslos tanzte man weiter, es fiel niemand ein, sie abzulösen. Niemand?

Nein, Haßfeld hatte es nicht vergessen. Er trat auf sie zu.

»Bitte lassen Sie mich Ihre Stelle einnehmen,« sagte er leise und dringend. »Sie sehen so bleich aus, es kann für Ihren Kopf nicht zuträglich sein.«

Sie erhob sich dankbar, glücklich, von der Pein erlöst zu werden. Er nahm sofort ihren Stuhl ein.

»Wenn ich auch sonst nicht musikalisch bin, einige Tänze kann ich zum besten geben,« meinte er.

Gertrud wollte sich in ihr Zimmer zurückziehen.

»Gute Nacht,« sagte sie, »ich halte es wirklich nicht länger aus und thue besser daran, die Ruhe aufzusuchen, Sie wissen nicht, welchen Dienst Sie mir leisten, Herr von Haßfeld.«

Franz Gärtner hörte ihre Worte. »Nichts da,« rief er, »kommen Sie tanzen, heute müssen alle daran.« Sie wich mit Abscheu vor ihm zurück, denn er war in ziemlich zweifelhafter Verfassung.

»Ich bin in Trauer, mein Herr,« sagte sie sehr ernst und abweisend.

»Ach, das thut nichts, eine Polka wird Ihnen nicht schaden!«

Er legte den Arm um ihre Taille und wollte sie fortziehen, da verstummte plötzlich die Musik, und alle sahen sich erstaunt um. Haßfeld hatte das Taschentuch an sein Gesicht gedrückt und eilte davon, etwas von: »Nasenbluten« murmelnd.

Gertrud fing einen verständnisvollen Blick von ihm auf, den sie ebenso zurückgab, und die Pause benutzend, schlüpfte sie auf ihr Zimmer und that, als schliefe sie. Frau Rosalinde polterte nach einiger Zeit heftig an der verschlossenen Thür und wünschte, sie möge hinunterkommen, sie hätten noch so große Lust zu tanzen.

Sie schlief in Wirklichkeit fast gar nicht in dieser Nacht, sie war zu erregt, ihre Gedanken beschäftigten sich mit den Stunden, die sie eben verlebt, sie sagte sich immer wieder: »Übermorgen reisen wir fort, dann ist alles zu Ende und wir sehen uns hoffentlich nie mehr wieder.«

An dem letzten Abend ging sie noch einmal durch den Park und nahm Abschied von jedem Baum und Plätzchen. Sie dachte des trüben Novembertages, als sie mit ihrem Bruder hier gegangen, schwer war ihr damals das Scheiden gefallen, und doch war es nichts gegen das Leid, welches sie heute fühlte. Es war noch etwas anderes, das sie sich mit scheuem Erbeben nicht eingestehen mochte, es lastete wie ein Alp auf ihr. Morgen mußte sie Haßfeld Lebewohl sagen, ein ewiges Lebewohl. Sie durften sich nicht mehr begegnen, nie mehr, nie mehr!

So allein hoffte sie das unselige Gefühl niederzukämpfen, vor dem ihr Stolz sich empörte, das durch den Anblick seines Elends zu einer Stärke gelangt war, die sie scheu zurückbeben ließ. Sie sträubte sich gegen die Fessel, die ihr Herz trug, die sie vor sich selbst in den Staub zog und die sie doch nicht abzustreifen vermochte.

Ihr einsames Sinnen wurde durch schnell sich nähernde Schritte unterbrochen. Es war der Sohn des Hauses, Franz Gärtner.

Er näherte sich ihr mit einem siegesgewissen Lächeln auf den verlebten Zügen.

»Welch ein Glück, daß ich Sie hier und allein finde,« rief er und sah sie mit dreister Bewunderung an. »Ich sehnte mich den ganzen Tag darnach, Sie zu sprechen, aber Sie wichen mir absichtlich aus, Fräulein Gertrud.«

Wieder die vertrauliche Anrede, die sie sich verbeten hatte. Ein Gefühl großen Unbehagens überkam sie, es dunkelte schon, sie war mit ihrem zudringlichen Verehrer allein, daher beschleunigte sie ihre Schritte.

»Ich wüßte nicht, was Sie mir zu sagen hätten,« versetzte sie stolz und hochmütig.

»Immer so spröde, schöne Königin,« lachte er spöttisch. »Sie müssen es doch lange bemerkt haben, daß ich rasend in Sie verliebt bin.«

»Bitte, verschonen Sie mich gütigst mit diesen mir unangenehmen Versicherungen,« erwiderte sie mit schneidender Kälte.

Er lachte frech.

»Oho, Sie kommen mir so nicht fort, erst müssen Sie mir einen Kuß geben, ich habe Sie schon lange darum bitten wollen.«

Er legte den Arm um sie und wollte sie an sich ziehen, seine Lippen näherten sich ihrem Munde. »Nicht so spröde, schönes Kind,« lachte er roh.

Sie stieß ihn so heftig von sich, daß er taumelte, dann flog sie wie ein Pfeil davon, und er folgte ihr keuchend, drohende Worte ausstoßend.

Bei einer scharfen Biegung des Weges fühlte sie sich plötzlich von zwei Armen umfaßt, in die sie wie ein gescheuchter Vogel geflogen war; Haßfelds Stimme fragte in höchstem Erstaunen, was ihr sei.

Sie hatte in der Todesangst vor ihrem Verfolger beide Arme um ihn geworfen, er hielt sie fest und fühlte ihr Herz stürmisch klopfen.

»Schützen Sie mich vor jenem Unverschämten, er wollte mich gewaltsam küssen.«

Ein wilder Fluch glitt über Haßfelds Lippen.

»Sie werden diese Dame sofort um Entschuldigung bitten, Herr Gärtner,« rief er heftig.

Der junge, wüste Mensch lachte höhnisch.

»Fällt mir gar nicht ein,« versetzte er grob, »es war nur ein kleiner Scherz.«

»Den Sie in Zukunft unterlassen werden. Verstehen Sie mich? Und nun noch einmal, werden Sie sich entschuldigen?«

»Mit welchem Recht treten Sie für diese verfolgte Unschuld ein?« fragte Franz Gärtner spitz.

»Ich bin der Freund und frühere Regimentskamerad ihres Bruders und stehe hier an seiner Stelle.«

»Um die Ehre einer Gouvernante zu retten? Pah.«

»Schurke,« knirschte Haßfeld zwischen den Zähnen, »du wirst mir für deine Unverschämtheit Rechenschaft geben.«

»Ich denke nicht daran,« lachte Gärtner und wollte sich entfernen.

»So werde ich dich dazu zwingen,« rief Haßfeld außer sich. Seine Reitgerte sauste im wuchtigen Schlage über die Schulter des andern, Gertrud sah seine Augen funkeln, wie die eines Löwen, der sich auf seine Beute stürzt. »Jetzt wirst du mir die Genugthuung nicht mehr verweigern können!«

Der Geschlagene wollte sich auf seinen Gegner stürzen, aber Haßfeld zog ruhig einen Revolver hervor und sagte mit furchtbarer Drohung: »Ich schieße Sie nieder wie einen Hund, wenn Sie es wagen, mich anzurühren!«

»Sie sollen an mich denken,« zischte der junge Mann in blinder Wut, »Sie sollen es, bei Gott!«

Dann eilte er hinweg.

»Nehmen Sie meinen Arm, gnädiges Fräulein,« bat Haßfeld mit völlig veränderter Stimme, »ich führe Sie nach Hause.«

Gertrud zitterte am ganzen Körper, er merkte es und sagte entschuldigend: »Es ist mir sehr peinlich, daß Sie Zeuge dieses unliebsamen Auftrittes waren, verzeihen Sie mir meine Heftigkeit.«

»Werden Sie sich mit ihm schießen?« fragte sie, und es lag eine heiße Seelenangst in der Frage. »Mir ist so bange um Sie.«

»Gertrud!« – Ein wilder Jubel brach sich in dem einen Wort Bahn, »so liegt Ihnen etwas an mir, so bin ich Ihnen etwas wert?«

Er hatte ihren Arm fallen lassen und schwankte, als blende ihn ein grelles Licht.

Sie brach in ein leidenschaftliches Weinen aus und dann floh sie, als werde sie verfolgt.

Er aber warf sich in das vom Abendtau feuchte Moos des Parkes nieder und stöhnte: »O wenn er mich treffen würde, wenn mir seine Kugel dieses elende Leben nähme, das mir seit heute so süß und wonnevoll und doch so wertlos scheint, unmöglich, es weiterzuschleppen!«


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