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Herr Westerholz war mit seiner Tochter auf dem Lande bei Verwandten und wurde erst zu Neujahr zurückerwartet.
»Alma ist uns fast fremd geworden,« erzählte Heimchen. »Seit sie die Bälle und Gesellschaften in Berlin mitmacht, ist sie eine vollständige Weltdame und lebt nur dem Vergnügen.«
»Beurteile sie nicht so streng, liebes Kind,« warf Frau von Brenken ein, »sie hat jetzt viel neue Bekannte, man huldigt ihr überall als reiches, schönes Mädchen, ihr bleibt weniger Zeit für die alten Freunde.«
»Ist es wahr, daß sie rechts und links Körbe austeilt?« fragte Gertrud.
»Ja, man nennt sie nur Turandot,« bemerkte Tante Dora. »Sie soll mit den Herzen der Männer spielen und recht kokett geworden sein.«
»Sie ist aber doch ein herziges Ding,« verteidigte Frau von Brenken mild. »Wie erfreut war sie, uns im September wiederzusehen, an uns alle hatte sie gedacht und brachte von ihrer Reise kleine Geschenke und Andenken mit.«
»Sie besitzt wohl einen eigenen Zauber,« gab Heimchen zu, »eigentlich ist es kein Wunder, wenn sie launenhaft ist, sie wird sehr verwöhnt und gefeiert.«
Axel hörte dieses Gespräch scheinbar gleichgiltig an, aber er fühlte sich dadurch verstimmt und fragte sich, ob das liebliche Vergißmeinnicht jetzt wirklich eine Rose mit spitzen Dornen geworden war, und er sehnte sich darnach, selbst zu urteilen.
Er ging am Sylvestertage, Herrn Westerholz zu begrüßen, und fand ihn in unveränderter Rüstigkeit und Frische. Der freundliche Empfang, der ihm zu teil wurde, that ihm sehr wohl. Nachdem sie eine Weile geplaudert, sagte der alte Herr: »Ich hoffe, wir trennen uns nicht mehr, Brenken. Sie sollen ja ein so tüchtiger Geschäftsmann geworden sein, daß Sie den Posten meines alten Müller gewiß gut ausfüllen werden.«
Sie schüttelten sich herzlich die Hand. »Damals ging es mir nicht, wie ich wünschte,« fuhr der Kaufherr fort, »Ihre Schwester gab mir einen Korb. Es fiel mir anfänglich recht schwer, ihn einzustecken, seitdem habe ich aber eingesehen, daß es so besser ist, ich bin zu alt, um ein so junges, schönes Weib glücklich zu machen.«
Axel schwieg etwas verlegen bei dieser offenherzigen Beichte, und Herr Westerholz fuhr fort: »Meine Kleine kommt erst heute abend spät mit ihren Verwandten hierher, morgen ist bei uns Ball, es freute mich, wenn Sie ihn mitmachten. Sie sind doch hoffentlich Tänzer?«
Über Axels ernstes Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. »Einst war ich es, ich denke, ich habe es nicht verlernt.« Er nahm dankend Abschied und schlug sinnend den Heimweg ein. Es war ihm nicht lieb, Alma erst dort wiederzusehen, gern hätte er sie allein oder bei den Seinigen begrüßt, um ihr mündlich für das Bild zu danken, daß sie ihm nach Kairo geschickt, hatte. Er trug es noch immer wohlgeborgen in seiner Brieftasche.
Am Abend des ersten Januar trat er mit mehreren andern Gästen in die hellerleuchteten Zimmer des Westerholzschen Hauses, die er zum erstenmal festlich geschmückt sah.
Er war fast fremd in D. geworden, auch früher kannte er nur wenig Menschen, denn seine Zeit war von ernster Arbeit ausgefüllt, es blieb ihm wenig Muße zur Geselligkeit und zum Vergnügen.
In Bordeaux hatte er mehr Gelegenheit gehabt, diese Versäumnis nachzuholen, der feine Schliff des Weltmannes und Kavaliers lag ihm von seiner Dienstzeit her im Blut, sodaß er sich mit gewandter Sicherheit überall zurecht fand.
Der Wirt des Hauses begrüßte ihn freundlich und sagte sogleich: »Wo ist Alma? Ich muß Sie zu ihr hinführen, kommen Sie, Brenken!«
Er schob den Arm durch den des jungen Mannes und ging mit ihm in eins der Nebenzimmer, wo Alma in lebhaftem Gespräch mit einem geckenhaft aussehenden Husarenoffizier begriffen war, der ihr angelegentlich den Hof machte. »Hier ist ein alter Bekannter, Kleine,« sagte Herr Westerholz, »er wünscht sich dir wieder vorzustellen.«
Sie sah schnell auf, ein warmes Rot lief über ihr liebliches Gesicht, als sie den stattlichen Mann erblickte, der sich tief vor ihr verbeugte.
Einen Augenblick schien es, als ob sie ihm freudig die Hand entgegenstrecken wollte, dann neigte sie fremd und kühl das Haupt und sagte gleichgiltig: »Ich wußte nicht, daß Sie wieder in D. sind, Herr von Brenken.«
Axel fühlte sich schmerzlich berührt. War das dieselbe Alma, die er als frohes, natürliches Kind gekannt, die wie ein neckischer Schelm seinen Ernst hinweggescherzt, die ihm in Berlin so freundlich und offenherzig begegnet war?
»Nun, reicht euch doch die Hand,« sagte Herr Westerholz, »warum bist du so steif, Alma, das ist doch sonst gar nicht deine Art!«
»Es scheint, daß ich Ihnen in den zwei Jahren ganz fremd geworden bin, gnädiges Fräulein,« versetzte Axel mit leisem Vorwurf, »obgleich die Zeit schnell genug vergangen ist.«
»Ja, das glaube ich Ihnen gern, zu schnell wahrscheinlich,« erwiderte sie spitz.
»Ich verstehe Sie nicht,« antwortete er erstaunt.
Sie that, als höre Sie es nicht, und sprach mit dem Leutnant weiter. Axel zog sich zurück, hörte aber noch, wie jener fragte: »Wer ist dieser junge Mensch, Cousine? Kennen Sie ihn?«
»Ja, flüchtig, es ist der neue Buchhalter meines Vaters,« entgegnete sie, wie es Axel schien mit hochmütiger Betonung.
Bald darauf schwebte sie am Arm desselben Herrn im Wirbel des Tanzes vorbei, und kaum hatte er sie abgesetzt, als sie wieder aufgefordert wurde, sodaß es Axel unmöglich war, sich ihr zu nähern.
Wie schön sie geworden ist, dachte er, sie heimlich beobachtend, und doch war es noch dasselbe liebreizende Kindergesicht mit den Grübchen in den rosigen Wangen und der Fülle aschblonden Haares. Der Schmelz der Jugend lag darüber, die kindliche Rundung hatte einem anmutigen Oval Platz gemacht, ohne dem süßen Antlitz dadurch etwas zu nehmen. Ihre mittelgroße Gestalt, von herrlichstem Ebenmaß, sah in dem hellseidenen Ballkleide sehr hübsch aus, Nacken und Arme schimmerten blendend weiß, alle ihre Bewegungen hatten etwas Weiches und waren doch dabei voll Lebhaftigkeit.
In der Pause, nach dem ersten Walzer, näherte Axel sich ihr und fragte, ob es gestattet sei, den Stuhl neben ihr einzunehmen, der Leutnant war in das Rauchzimmer gegangen, sie war allein.
»Ich muß Ihnen noch einmal für Ihr Bild danken,« sagte er, »ich freute mich so sehr darüber.«
»So?« antwortete sie gedehnt. »Schickte ich es Ihnen? Ich besinne mich nicht mehr darauf.«
»Fräulein Alma, warum sind Sie so verändert gegen mich?« fragte er traurig, und die altvertraute Anrede schlüpfte ihm über die Lippen. »Habe ich Ihnen irgend welchen Grund gegeben, mich so abweisend und fremd zu behandeln? Was habe ich verbrochen, daß mein kleiner, fröhlicher Kamerad mich nicht mehr kennt?«
Sie zerknitterte ihr feines Taschentuch in den Händen, ihre Lippen wurden bleich, und sie grub die kleinen, weißen Zähne hinein, während sie es vermied, in seine ernsten, flehenden Augen zu blicken.
»Die Zeit ändert vieles,« versetzte sie gepreßt.
»Es scheint so,« sagte er düster.
Die Musik spielte wieder, es war ein Rheinländer, und er bat sie darum. Sie sagte widerwillig zu, wie es den Anschein hatte, und doch hatte sie ihm diesen Tanz aufbewahrt, ihn gegen alle Herren verteidigend, die sie darum gebeten.
Wenn er es doch gewußt hätte!
»Wir sind zum erstenmal auf einem Ball zusammen,« bemerkte er, »es ist lange her, seit ich zuletzt getanzt habe, ich bitte daher um freundliche Nachsicht.«
»Sie haben doch wohl in Kairo Gelegenheit gehabt,« meinte sie.
»Nein, gnädiges Fräulein,« erwiderte er, »ich lebte dort sehr still und zurückgezogen und war eigentlich nur im Hause eines Landsmannes bekannt.«
»Wie hieß er?« fragte sie schnell.
»Es war der deutsche Konsul, Freiherr von Zöller,« antwortete er arglos.
Alma trafen die Worte wie ein Dolchstoß. Das war ja eben der Name, der ihr genannt war, so hieß sie, die er liebte, mit der er sich verlobt hatte. Sie verstummte, eine feine Falte des Unwillens zeichnete sich zwischen ihren dunkeln Augenbrauen ab.
»Gertrud bleibt jetzt hier,« berichtete Axel seiner schweigsamen Tänzerin, »sie freut sich sehr, Sie wiederzusehen.«
Das junge Mädchen wurde plötzlich lebhaft und ihrem früheren Selbst ähnlich. »Und Heimchen ist verlobt,« rief sie aus, »ich bin so froh, so unbeschreiblich froh über diese Nachricht!«
»Werden Sie bald zu uns kommen und dem Brautpaar Glück wünschen?« fragte er. »Sie sehnen sich alle darnach, Sie zu begrüßen.«
»Gewiß, morgen komme ich jedenfalls, ich kann es kaum erwarten.«
»Jetzt sind Sie doch wieder ganz wie früher,« sagte er, und das gewinnende Lächeln verschönte sein Gesicht, »ich habe Sie eben erst wiedergefunden.«
Der Tanz ging zu Ende, Alma wurde umringt, und der Leutnant legte Beschlag auf sie, sodaß Axel sich ihr den ganzen Abend nicht mehr nähern konnte. Ihm war aber mit einem Mal sehr froh und glücklich zu Mute, er tanzte viel und amüsierte sich vortrefflich, und er fühlte, daß er noch jung war und in den letzten Jahren voll Arbeit und Sorge dieses Bewußtsein fast verloren hatte.
Die stattliche Erscheinung des schönen Mannes erregte unter der Damenwelt Aufsehen, man kannte ihn nicht in der Gesellschaft. Manches hübsche Mädchen schaute ihm verstohlen nach und war es wohl zufrieden, wenn sie in seinem Arm durch den Saal schwebte.
Zu seinem Verdruß hatte Axel keinen längeren Tanz von der Tochter des Hauses erlangt. Im Kotillon brachte er ihr sein Sträußchen, es bestand aus einer Rosenknospe und Vergißmeinnicht.
»Ich wählte Ihre Lieblingsblumen,« sagte er leise, als sie tanzten, »Vergißmeinnicht«.
»Ich dachte, Sie erinnerten sich nicht mehr daran,« meinte sie lächelnd.
»Die gestickten Blumen im Rahmen sprachen mir von Ihrer Vorliebe, aber ich habe Ihr Bild dort nicht aufbewahrt.«
»Sie besitzen es wohl überhaupt nicht mehr,« versetzte sie spitz.
»Ich trage es in meiner Brieftasche, um es stets bei mir zu haben,« sagte er schnell.
Er verbeugte sich und sehnte sich vergeblich nach einem freundlichen Blick, die blauen Augen versteckten sich unter den langen Wimpern, sie hielt das Köpfchen eigensinnig gesenkt und that, als habe sie ihn nicht verstanden.
Spät nach Mitternacht ging Axel durch die sternhelle Winternacht nach Hause und fühlte sich erregt und mit sich selbst unzufrieden. Jetzt wußte er es, daß er die reiche Tochter des Kaufherrn liebte, daß ihr Bild ihn in die Fremde begleitet hatte, und daß sein stolzes Männerherz mit dieser Leidenschaft kämpfen mußte und er sich nicht verraten durfte. Wie sollte er, der arme, abhängige Buchhalter ihres Vaters, um dessen einziges Kind werben?
Wenn sie nur immer so kühl und fremd gegen ihn bleiben wollte; so tief es ihn auch schmerzte, so sehr wünschte er es jetzt. Und doch zermarterte er sein Hirn mit der Frage, was wohl der Grund ihres veränderten Wesens sein möge. Er beschloß, jedes Zusammensein zu vermeiden, seine Liebe zu ersticken und in der angestrengten Thätigkeit und ernsten Pflichterfüllung Vergessen und Heilung für die Wunde seines Herzens zu suchen.