Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Drittes Kapitel.

Eine Stunde der Entscheidung. – Fürst und Dichter. – »Er war in die Demoiselle verschossen. Er Hans Narr?« – Von einem Skandal und von einem Wechselbalg. – Der Genius und die Gewalt. – Herzog Karls Poetik und Politik. – Wie einer nachträglich für einen empfangenen Faustschlag quittiert – »Schreib' Er keine Komödie mehr, bei meiner Ungnade, bei Festungsstrafe!«.

»Soll kommen!« hatte der Herzog dem Offizier vom Dienst gesagt, welches ihm gemeldet, daß der Regimentsfeldscherer Schiller von Auges Grenadieren noch immer auf Audienz warte.

»Bös Wetter, schüli bös Wetter, Herr Doktor. Nehmen Sie sich in acht!« flüsterte der Hoftürke, Melchior Thut aus Glarus, ein Riese, der sieben Fuß und sechs Zoll hoch in seinen Schuhen stand und ebenso gutmütig als lang war, unserem Dichter zu, als dieser die prachtvolle Treppe heraufgekommen und in die Vorhalle zum Balkongemach getreten war.

Damit schlug der Koloß vom Fuße des Glärnisch den Vorhang vor der Flügeltüre zurück, öffnete diese und ließ den Gewarnten eintreten. Dann schloß er hinter demselben geräuschlos die Türe und brummte in seinen Türkenbart: »Ein jung hitzig Blut und drinnen der Herr, der einen extraordinäri Zornrappel hat, bi Gott, das ist wie Stahl und Stein, 's wird Funken geben, bim Eid!«

Es gab Funken.

»Was will Er?« herrschte dem eingetretenen Poeten Herzog Karl entgegen, der in seiner Aufregung für einen Augenblick vergessen haben mochte, daß er gerade vorhin den Eingetretenen herbefohlen hatte.

Schiller näherte sich seinem Landesherrn ehrfurchtsvoll, aber ohne sklavische Furcht. Der Herzog, man muß es ihm zu seiner Ehre nachsagen, hatte die Zöglinge seiner Akademie gewöhnt, offen und frei mit ihm zu reden. So verblüffte der barsche Empfang den Dichter nur momentan. War doch auch er in hocherregter Stimmung. So tat er denn seine drei Verbeugungen ab und entgegnete:

»Gnädigster Herr, ich bin zur Audienz bei Ew. Durchlaucht kommandiert.«

Der Dichter konnte zeit seines Lebens nie an diese Stunde zurückdenken, die für ihn eine Stunde der Entscheidung war, ohne daß ihm das Herz stärker geklopft hätte. Die Umstände der Audienz prägten sich seinem Gedächtnis in allen ihren Einzelheiten unverwischbar ein. Er hat dankbar anerkannt, daß insbesondere die Gegenwart der Gräfin von Hohenheim den Mut, welchen er bei dieser verhängnisvollen Unterredung entwickelte, aufrecht erhielt. Wie sie so dasaß auf den rotseidenen Polstern des vergoldeten Kanapees, in ihrem weiten Reifrock mit schlanker Taille, mit ihrer hohen, gepuderten Frisur, auf der hoch oben eine gelbe Bandschleife wie ein Kanarienvogel klebte, ist ihr Bild mit den anmutigen und wohlwollenden Zügen seiner Erinnerung nie entschwunden.

Herzog Karl, im einfachen Hauskleid, ging mit auf den Rücken gelegten Händen und heftig auftretend auf dem blanken Parkett des Salons hin und her. Sein Gebärdenspiel war energisch, sein Ausdruck dezidiert wie immer. Aber sein Blick und das ungewöhnlich rasche Herausstoßen der Worte zeigten hinlänglich, daß der Hoftürke Thut guten Grund gehabt, von bösem Wetter zu reden.

»Hör Er,« begann der Herzog nach einer Weile wieder, »ich hab' Ihn her befohlen, damit Er sich verantworte.«

Dabei sah er den Dichter von der Seite an und setzte seinen Gang nicht aus.

»Ew. Durchlaucht,« lautete Schillers ehrerbietige, aber feste Antwort, »eine Verantwortung setzt eine Anschuldigung voraus. Wie diese laute, weiß ich nicht, aber ich bin mir keines Unrechts bewußt.«

»So? Ei, jawohl! Er ist wohl so unschuldig wie ein neugebornes Kind, nicht wahr?«

Ein neckischer Dämon mußte seine Hand im Spiele haben, daß sich Schiller ganz unwillkürlich das Wort auf die Lippen drängte: »Gnädiger Herr, ich erhebe mich nicht: wir sind Sünder allzumalen.«

Die Gräfin von Hohenheim entfaltete rasch ihren Fächer und fuhr damit vors Gesicht. Sie mochte ein Lächeln verbergen wollen.

Der Herzog war jedoch nicht in jener Laune, wo er sich einen Scherz gefallen ließ. Er warf dem Dichter einen Blick zu, welcher denselben sehr an seine Stellung erinnerte, und er sagte:

»Was da? Ich glaube gar, Er ist impertinent genug, mit mir spaßen zu wollen. Laß Er sich das vergehen wenn ich Ihm gut zu Rate bin. Wir sind jetzt nicht in der Akademie, wo sich in neuerer Zeit ein dummdreist jokoser Ton eingenistet hat, den ich auszufegen wissen werde.«

Was sich doch die Menschen für Illusionen machen, auch die Fürsten. Herzog Karl wußte nicht, daß in seiner Akademie ein Mann großgewachsen, mit dem nicht mehr so leicht fertig zu werden war. Sollte er doch ein paar Jahre später die schmerzliche Erfahrung machen, daß eine Rede im alten Stil, die er an die Karlschüler hielt, von diesen ihm ins Angesicht förmlich ausgepfiffen wurde.

Den Herzog schien jedoch in diesem Augenblick ein anderer Gegenstand viel angelegentlicher zu beschäftigen als Schillers wirkliche oder angebliche Verschuldigungen. Er durchmaß mit verdoppelt raschen Schritten das Gemach und warf, ohne stillzustehen, dem Dichter plötzlich die Frage zu:

»Hör Er, hat Er die Demoiselle Lauretta gekannt, die – die in der Ekole sich befand?«

Dem Dichter rieselte es kalt den Rücken herauf. Das Terrain, auf welches der Herzog so mit einmal hinübergesprungen, war ein sehr verfängliches.

»Ew. Durchlaucht,« erwiderte er nach einigem Bedenken, »ja, ich hatte und habe die Ehre, Demoiselle Lauretta zu kennen.«

»Wo und wann hat er das Mädchen zuletzt gesehen?«

Schiller stand auf glühenden Kohlen. Aber das Wahrheitsgefühl seiner Seele hielt ihn bei dem Entschlusse fest, auch hier, wie bei dieser Unterredung überhaupt, streng bei der Wahrheit zu bleiben, und so versetzte er:

»Vorhin im Park, gnädigster Herr.«

»Vorhin im Park? wie ging das zu?«

»Ich weiß es selbst nicht. Ich war unbeschreiblich überrascht, Fräulein Lauretta plötzlich zu begegnen.«

»Was sagte sie Ihm?«

»Sie sagte mir Lebewohl, gnädigster Herr.«

»So? – Wie hat Er denn überhaupt die Bekanntschaft der Demoiselle gemacht?«

»Auf einer Redoute, zu welcher ich als Begleiter des Fräuleins kommandiert zu werden die Ehre hatte.«

»Und daraus leitete Er das Recht ab, der Demoiselle ins Ausland nachzustreichen, nach Gmünd?«

»Ew. Durchlaucht, dies tat ich aus Freundschaft für William Raleigh aus Amerika. Auch hatte ich Urlaub von meinem Regimentschef.«

»Er wollte am Ende gar Seinem Freunde, dem Amerikaner, das Mädchen entführen helfen, nicht wahr? Wußte Er denn nicht, daß die Demoiselle auf meinen Befehl in Gotteszell sich befand?«

»Ich wußte es, gnädigster Herr, aber –«

»Aber?«

»Ich kannte die Redlichkeit der Absichten meines Freundes.«

»Dieser Herr Raleigh beabsichtigte, der Demoiselle einen Heiratsantrag zu machen?«

»Ja, gnädigster Herr.« »Erzähl Er mir diese ganze Geschichte, doch nehm Er sich in acht, daß ich Ihn auf keiner Lüge ertappe.«

Schiller entsprach dem Befehl, und nachdem er seine Erzählung beendigt, sagte der Fürst in etwas milderem Tone als bisher:

»Ich sag', Er ist wenigstens kein Lügner, und das freut mich. – Er weiß also nicht, was es mit dem Verschwinden des Mädchens aus Gotteszell für eine Bewandtnis hatte?«

»Nein, Ew. Durchlaucht.«

»Wohl, Sein Bericht stimmt mit dem, was mir dieser sonderbare Mensch von Amerikaner mitteilte, als er mir vor einigen Tagen hier seine Aufwartung machte. – Was hält Er von diesem Raleigh?«

»O, gnädigster Herr, das ist ein trefflicher Mann! Ich achte ihn hoch und liebe ihn sehr!«

»So? – Und was hält Er von der Demoiselle Lauretta?«

»Durchlaucht,« antwortete Schiller, von dem ruhigen, fast gütigen Ton, womit diese Frage gestellt wurde, verleitet, der Wärme seiner Empfindung freien Ausdruck zu geben, »Fräulein Lauretta ist ein wunderbares Geschöpf, schön wie ein Engel, voll Geist und Humor, ein verkörperter Dichtertraum!«

»Ei, Er poetisiert ja mächtig, Er fingerfertiger Verseschmied! Er hat wohl auch die Gedichte an Laura gemacht, die in der geschmacklosen Scharteke stehen – Anthologie, glaub' ich, heißt sie?«

»Gnädigster Herr, ich gestehe, Fräulein Lauretta schwebte mir vor –«

»Und da hat Er mit seinen Schwarbeleien den Wirbelkopf des Mädchens noch wirbeliger gemacht? – Er war in die Demoiselle verschossen, Er Hans Narr, nicht?« Schiller merkte, daß, das Gespräch eine bedenkliche Färbung annahm. Der Ton des Herzogs war schon nicht mehr so mild wie vorhin. In seiner Beklemmung warf er einen bittenden Blick zu der Gräfin hinüber, der nicht wirkungslos blieb.

»Gnädigster Herr,« sagte Franziska, »bitte, sehen Sie doch, in welche Pein Sie den jungen Menschen versetzen. Es kann nicht angenehm sein, daran erinnert zu werden, daß man seine poetische Glut vergeblich aufgewandt hat.«

»Ei was, mein Schatz,« gab der Herzog zur Antwort, »der Schiller ist da, daß ich ihm den Kopf zurechtsetze, in allem und jedem und ein für allemal. Sag Er, hat die Lauretta Seine tollen Phantasien ermuntert?«

»Gnädigster Herr, ich flehe Sie an, mich nicht weiter damit zu quälen. Es war eine Illusion, von Enttäuschungen gefolgt, die schmerzlich genug für mich gewesen sind.«

»Er meint, die Demoiselle habe Seine – Seine – nun, Seine Huldigungen unbeachtet gelassen?«

Diese Frage empörte den Dichterstolz des jungen Mannes.

»Das nicht, gnädigster Herr«, versetzte er.

»Wie? Er bildet sich am Ende gar ein, die Demoiselle sei auch in Ihn verschossen gewesen? Da müßte sie einen guten Geschmack gehabt haben, in der Tat!«

Und um diese Worte noch kränkender zu machen, maß der Herzog, auf seinem Gange innehaltend, den armen Feldscherer mit höhnischen Blicken vom Scheitel bis zur Sohle.

Schillers Wangen brannten, aber die erlittene Kränkung drückte ihn keineswegs zu Boden. Im Gegenteil, in eben dem Maße, in welchem der Fürst ihn wegwerfend behandelte, wuchs seine innere Würde und verlieh auch seinem Äußeren eine Haltung, die den Fürsten, wenn er dafür Augen gehabt, hätte aufmerksam machen müssen, daß er es mit einer Natur von edlem Metalle zu tun habe. Der Dichter fühlte, daß eine einläßliche Erörterung seines Verhältnisses zu Lauretta hier weggeworfen wäre, und so begnügte er sich zu sagen:

»Gnädigster Herr, die souveräne Macht der Schönheit wirkt auf jeden, und jeder hat nach Maßgabe seiner Empfänglichkeit das Recht, ihr zu huldigen.«

»Phrasen! – Ich sag' Ihm, statt von Rechten zu sprechen, hätte Er lieber Seiner Pflichten eingedenk sein sollen. Statt Verse zu schmieren, hätte Er Seine Nase in Seine medizinischen Bücher stecken, und statt den Galan machen zu wollen, hätte Er Seine Grenadiere im Lazarett fleißiger besorgen sollen. – Was aber das andere dumme Zeug angeht, so sag' ich, Er sollte sich schämen, in Seinem Alter Seine Zeit mit Liebeleien zu vernutzen.«

Schiller drückte ein bitteres Lächeln zurück, welches ihm auf die Lippen treten wollte bei dem Gedanken, was alles in Sachen der Liebe der Herzog schon durchgemacht hatte, als er in seinem Alter stand.

Mehr und mehr in Ärger und Zorn sich hineinredend, fuhr Karl fort:

»Er weiß wohl, daß ich es gut mit Ihm vorhatte, schon Seinem Vater zulieb, der mir stets ein treuer Diener gewesen. Aber wie hat Er Meinen guten Absichten entsprochen? Schlecht, sag' ich Ihm, undankbar –«

»O nein, Ew. Durchlaucht, das nicht! Es wäre mir schmerzlich, glauben zu müssen, daß mein Fürst mich für undankbar halten könnte.«

»So, das wäre Ihm schmerzlich? Und warum hat Er nicht danach gehandelt, Mußje?« »Gnädigster Herr, ich beklage es, wenn der Erfolg meinem guten Willen nicht entsprach. Aber ich glaube sagen zu dürfen, daß ich mich bemühte, meine Anlagen so auszubilden, daß sie Ew. Durchlaucht zur Ehre gereichen möchten.«

»Wirklich? Ei, jawohl! Er gereicht mir zur Ehre, das muß ich sagen! Zur Schande gereicht Er mir, mir und meinem Lande, weiß Er das?«

»Nein, gnädigster Herr!«

»Er will sich wohl gar noch sperren und spreizen? Aber nehm' Er sich wohl in acht! Ich bin Sein Herr, versteht Er mich? Sein Herr ganz und gar! Und ich sag', ich will dem Unwesen, das Er treibt, ein Ende machen. Habe diesem Unwesen ohnehin schon zu lange zugesehen. Hätte bälder eingreifen sollen. Wäre dann der Skandal nicht passiert, daß ein Zögling meiner Akademie – versteht Er mich? meiner Akademie – ein Monstrum von Komödie schreibt und drucken läßt, über welche alle verständigen und redlichen Leute im Deutschen Reiche vor Ärgernis die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen.«

»Ew. Durchlaucht –«

»Schweig Er! Wie hat Er sich unterstehen können, ohne Vorwissen Meiner, der ich in allen Dingen Sein natürlicher Herr und Gebieter bin, daß affröse Stück drucken zu lassen? War es nicht genug, mehr als genug, dasselbe geschrieben zu haben? Und auch mit dem Drucke war's dem Mußje von Poetaster noch nicht getan. Die Komödie mußte auch noch auf die Bühne, zu rechtem Skandal und Ärger. Weiß Er, was Ihm da Seine knabenhafte Eitelkeit für einen Streich gespielt? Weiß Er, daß ich Ihm wegen Felonie den Prozeß machen lassen könnte, weil Er sich ohne Vorwissen Meiner mit dem Ausland eingelassen? Und weiß Er, daß Er eigentlich nicht nur ein schlechter Poete, sondern auch ein Deserteur ist, ein Fahnenflüchtiger? Hat Er sich nicht zweimal nach Mannheim begeben, heimlich wie ein Dieb in der Nacht? Hatte Er auch zu diesen Ausflügen Urlaub?«

»Nein, Durchlaucht: aber ich glaubte, mein Fürst würde zu groß denken, um einen Vater deshalb zu strafen, weil er sich sehnte, sein Kind, sein Schmerzenskind zu sehen.«

»Flausen! Komm Er mir nicht mit Redensarten! – Ein sauberes Kind, diese Räuberkomödie! Ich sag', ein ungeheuerlicher Wechselbalg ist Sein Stück. Weiß Er auch, was Er damit für eine Mord- und Brandfackel in die Welt geschleudert? Weiß Er, daß das abominable Ding nach Hochverrat und Rebellion stinkt von der ersten Seite bis zur letzten? Und wenn er sich nicht fürchtete, darüber vor Seinem Landesherrn sich verantworten zu müssen, wo wollte Er die Todsünde gegen den guten Geschmack verantworten, welche Sein Stück ist?«

»Vor dem Richterstuhl der Leidenschaft und der poetischen Wahrheit, vor welchem der große Brite Shakespeare seinen Richard und Macbeth, seinen Jago und Othello verantwortete.«

Der Herzog blieb stehen und blickte den kühnen Feldscherer wie überrascht an.

Schillers Gestalt hatte sich aus ihrer ehrerbietigen Haltung zu ihrer vollen Höhe aufgerichtet, und es war etwas in seinem Auge, was Achtung einflößen konnte. Man möchte sagen, der Genius lüftete seine Schwingen, um über die ihn bedrohende Gewalt triumphierend sich zu erheben.

Der Fürst rüstete sich zu einer zornigen Erwiderung, aber da passierte es ihm, wie oft geschah, daß ihn der Schulmeister in den Nacken schlug. »Shakespeare und immer Shakespeare,« sagte er dozierend. »Das ist nun so ein Stich- oder Modewort, womit ihr einfältigen jungen Leute alles ausrichten zu können glaubt. Auch Er beruft sich auf diesen Shakespeare, den wollte Er nachahmen? Weiß Er nicht, daß Er sich da das unglücklichste Muster auserwählte? Kennt Er die vortrefflichen Verse nicht, worin Michaelis die Anfänger vor ihm warnt:

Ein Shakespeare, Freund, taugt für den Schüler nicht!
Sein Leben war so kühn wie sein Gedicht.
Der kleinste Zug bleibt auf dem Jüngling haften,
Er wird zu groß für kleine Wissenschaften.
Und sieht zu spät, es glücklich zu bereun,
Für große sich im Alter einst zu klein.

»Aber ich sag' Ihm,« fuhr der fürstliche Dozent fort, »Sein Shakespeare war überhaupt nur ein wilder Querkopf, der keine Idee von gutem Geschmacke besaß. Weiß Er nicht, daß Voltaire den Briten als einen betrunkenen Wilden charakterisierte, und daß König Friedrich von Preußen mit wohlgerechtfertigtem Abscheu von den abominablen Piecen desselben sprach?«

»Durchlaucht wollen mir zu Gnaden halten, ich bewundere Friedrich den Einzigen als Regenten und Feldherrn –«

O weh, das war ein arger Mißgriff! Schiller hätte sich erinnern sollen, daß der große Fritz seinem vormaligen Mündel und Zögling Herzog Karl im Siebenjährigen Krieg gar übel mitgespielt hatte.

»Was, was?«, fuhr Karl erzürnt heraus, wieder hin und her gehend, daß das Parkett krachte. »Er will sich am Ende gar erfrechen, über gesalbte Häupter Seine Meinung zu sagen? – Sag' Er mir, wie ist Er dazu gekommen, Sein zugleich albernes und böswilliges Stück zu schreiben?« »Durchlaucht,« entgegnete der Dichter, mehr und mehr empört über die Mißhandlung, welche er zu erdulden hatte, »ich schrieb die ›Räuber‹ als ein Gefangener, der mit seinen Ketten klirrte.«

»Was soll das?«

»Sie meinten es gut mit mir, Durchlaucht, ich weiß es, und könnten Sie in meinem Herzen lesen, so würden Sie finden, daß auch die Härte, die ich zu dieser Stunde ertragen muß, das Gefühl der Dankbarkeit dort nicht austilgen kann. Aber Sie fragten mich, und ich muß antworten, komme, was da wolle. Ich war ein Gefangener in der Akademie, ja. Eine wohlgemeinte, aber unerträgliche Disziplin, ein meinem innersten Wesen widersprechendes Studium brachten mich zur Verzweiflung. – Es war mein Ideal und, ach, die Lebenhoffnung meiner geliebten Mutter gewesen, daß ich Prediger werden sollte. – Sie wollten es anders, Durchlaucht –«

»Allerdings, Mußje, und ich sag', die Disziplin in der Akademie muß noch lange nicht streng genug gewesen sein, wenn sie Ihn nicht einmal zu der Einsicht bringen konnte, daß ich und nur ich zu wollen habe und, ihr andern zu gehorchen und nur zu gehorchen habt. Ich bin der Herr, und ihr seid die Untertanen, meine Untertanen. Merk Er sich das!«

»Gnädigster Herr, ich fühlte in mir den Drang erwachen, meine Gefühle und Gedanken in poetische Form zu bringen.«

»Dagegen hätt' ich an und für sich nichts einzuwenden. Aber warum hat Er sich nicht an die rechten Muster gehalten? Warum hat Er nicht Seinen Boileau, Seinen Corneille, Racine und meinetwegen auch Seinen Voltaire studirt? Die hätten Ihn den rechten Weg führen und Ihm zeigen können, daß Gesetz, Regel und guter Geschmack die Schönheit machen.« »Durchlaucht, die Franzosen befriedigten mich nicht. Ich ahnte, daß die Poesie eine tiefere und reinere Quelle haben müsse als Konvenienz und formale Regelmäßigkeit. Die neuen Welten, welche unsere vaterländischen Dichter, ein Klopstock und Wieland, ein Lessing und Goethe aufschlossen, erhoben meine Ahnungen zur Gewißheit. Shakespeares Einfluß – verzeihen Sie mir – kam dazu. Ich erkannte an der Hand dieser Führer, daß nicht die kalte Regel, wie der nüchterne Verstand sie lehrt, nein, Phantasie und Leidenschaft, Freiheit und Wahrheit das Wesen der Dichtkunst ausmachen, und daß das Amt des Dichters sei, die Völker zu erleuchten und zu zünden mit der Rede Feuerbränden. Und ich war jung, Durchlaucht, und in meiner Brust schlug ein glühendes Herz, vielleicht zu glühend, aber, das darf ich sagen, nie schlug es für Gemeines. Ich legte die Maßstäbe meines an den Autoren der Alten, an der Heldenwelt Griechenlands und Roms gewährten Idealismus an meine Zeit, an meine Umgebungen und so – schrieb ich die ›Räuber‹.«

»Ja, Er Abstraktor und Wolkenwandler, Er schrieb diese Komödie, die eine Welt in Brand stecken würde, wenn mit Druckerschwärze beklexte Papierfetzen zünden könnten. Und dieses wüste Produkt nennt Er einen Ausfluß Seines Idealismus? – Was ist überhaupt dieser Idealismus, von welchem jetzt ein so großes Geschrei erhoben wird? Kindische Phantastik, welche einen bösen Geist der Widersetzlichkeit und strafbarster Unbotmäßigkeit als Bastardkind in die Welt setzt. – Muß ich es denn in meinen alten Tagen noch erleben, daß alles verrückt und toll wird? Glaubt Er denn, Er, der doch nicht gerade auf den Kopf gefallen ist, das sogenannte Ideal lasse sich in dieser Welt jemals verwirklichen?

»Nicht geradezu verwirklichen, aber einwirken, wohltätig und segensreich einwirken auf die Wirklichkeit wird das Ideale, in immer bedeutenderem Maße, wenn die Menschheit nicht stillstehen soll auf ihrer Bahn.«

»Ei, jawohl! Ich sag', Er gibt sich ja ganz das Air eines Propheten.«

»O, mein Fürst, spotten Sie meiner nicht! – Ich weiß nicht, welch ein Geist mich treibt, so kühn mit Ihnen zu reden, aber ich glaube, es muß ein guter sein. – Ihr Scharfblick, Durchlaucht, ist zu groß, als daß Sie die Zeichen nicht sähen, welche rings um uns her das Anbrechen einer neuen Epoche ankündigen. Es ist der Menschheit zu enge geworden in ihren alten Formen; nach Lust und Licht ringend schickt sie sich an, diese Formen zu zerbrechen. Ein neuer schöpferischer Geist ist auf allen Gebieten menschlichen Wissens und menschlicher Tätigkeit erwacht. Von jenseits des Weltmeers kam ein wunderbarer weltgeschichtlicher Anstoß nach vorwärts. Die Gemüter atmen auf und die Völker regen sich, in dem Kampf der alten Satzungen mit den neuen Ideen Partei zu ergreifen.«

»Die Völker!« entgegnete der Herzog mit dem Ausdruck unsäglicher Verachtung. »Was weiß Er von den Völkern! Ich will Ihm sagen, wozu sie da sind. Sie sind dazu da, um von uns, die wir von Gottes und Rechts wegen ihre Herren sind, regiert zu werden, zu ihrem eigenen Besten. Was aber den neuen Geist betrifft, von dem Er faselt, den Geist der Schwindelei und Rebellerei, so soll derselbe nicht aufkommen, solange ich lebe, wenigstens im Lande Württemberg nicht. Versteht Er mich? – Weil Er jedoch so große Stücke auf die Völker hält, so sag' Er mir, warum Er sich's beigehen ließ, in seinem wüsten Räuberstück ein fremdes Volk so gröblich zu beschimpfen?«

»Ein Volk? Ich?« »Ja, Er, Mußje. Hat Er nicht das Land Graubünden ein Spitzbubenklima, ein Athen der Gaunerei genannt? Weiß Er, was Er mir dadurch für Ungelegenheiten zugezogen? Soll es mir etwa lieb sein, daß man ins Ausland glauben kann, ich habe solche impertinente Leute zu Untertanen, ich ziehe sie gleichsam groß? Weiß Er, daß zu meinem tiefen Ärger die dumme Sache so in öffentlichen Blättern verhandelt wird? Weiß Er, daß der Churer Magistrat durch Vermittelung meines Garteninspektors Walter in Ludwigsburg eine Beschwerde an mich hat gelangen lassen?«

»Durch Vermittelung des Garteninspektors Walter?«

»Ja.«

»Durchlaucht, ich habe gute Gründe, zu glauben, daß dieser Walter mir persönlich abgeneigt sei, und daß er daher die Sache absichtlich übertrieben und verhetzt habe.«

»Was, was? Er, untersteht sich, einen treuen und eifrigen Diener bei mir anschwärzen zu wollen? Ich sag', es ist hohe Zeit, daß ich Ihm Seinen Herrn und Meister zeige. Nehm Er sich, wenn ich Ihm gut zu Rate bin, ein abschreckend Exempel an dem Schubart.«

»O, mein Fürst, Gnade für den unglücklichen Mann! Wenn Ew. Durchlaucht wüßten, was der Arme gelitten –«

»Was geht das Ihn an? Er hätte wahrhaftig Ursache genug, für sich selbst um Gnade zu bitten. Ich sag' Ihm, mit meiner Nachsicht ist's zu Ende. Und jetzt hör' Er! Ich befehl' Ihm, Er schreibt von nun an nichts mehr, gar nichts mehr, läßt auch nichts mehr drucken, als was in Sein Berufsfach einschlägt, medizinische Sachen also – versteht Er mich?«

Das war ein Keulenschlag.

Wäre Schiller weniger aufgeregt gewesen, als er es war, so hätte ihm die bedrohliche Veränderung, auffallen müssen, welche, schon seit einer Weile im Ausdrucke des Herzogs vorgegangen. Karl, sprach nicht mehr heftig, brausend, wie zuvor, sondern im Tone eines kühlen, aber unbeugsamen Despotismus.

Der Dichter stand; verstummt. Ihm sagen, er müsse aufhören zu dichten, hieß ihm sagen, er müsse aufhören zu leben.

Es gibt aber, mit einem großen Geschichtschreiber zu reden, keine Macht auf Erden, sie mag so groß sein, wie sie will, welcher gestattet wäre, das innerste Gefühl der Menschen zu mißhandeln; unter der Macht der Faust kann wohl der Mund der mißhandelten schweigen, aber ihre Mienen reden unwillkürlich.

Auch Schillers Mienen sprachen es laut, daß es, wenn auch keineswegs den Herzog, so doch die Gräfin Franziska erbarmte und zu einem Vermittelungsversuch bewog.

»Gnädigster Herr,« sagte sie, »sollte man nicht dem jungen Manne Gelegenheit geben, von seinen Irrtümern zurückzukommen? Ist das Verbot, poetische Sachen, zu schreiben, nicht zu hart für ihn? Heißt das nicht dem Vogel das Singen verbieten? Wie wäre es, wenn er Sie, Durchlaucht, untertänigst bäte, sein Lehrmeister im guten Geschmacke zu sein? Wenn er Ihnen zu diesem Ende seine Gedichte vor Veröffentlichung derselben zur Durchsicht und Genehmigung vorlegte?

»Was meint Er dazu?« fragte der Fürst.

In dem Dichter kämpfte es einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick.

»Gnädigste Frau,« sagte er dann, »genehmigen Sie, ich bitte, daß ich Ihnen meinen tiefgefühltesten Dank für Ihr schönes Wohlwollen zu Füßen lege. Aber ich darf nicht unwahr sein gegen meinen Fürsten, gegen Sie und gegen mich selbst; ich darf nicht etwas versprechen, was ich nicht halten kann. Das Schaffen des Dichters, soll es überhaupt ein solches sein, kann nur ein freies, muß ein freies sein! Fesseln, seien sie von Eisen oder von Gold, erdrücken und ersticken die Muse. Ich kann Ihren Vorschlag nicht annehmen, gnädigste Frau.«

Der Herzog sah die Gräfin an, als wollte er sagen: Siehst du, er ist unverbesserlich.

Dann wandte er sich mit einem Blick gefrorenen Zornes zu Schiller und sagte:

»Er ist der Fürsprache einer so illustren Dame gar nicht würdig. Er ist also ein fertiger Rebell? Ich sag' Ihm aber, ich will schon mit Ihm und seiner Rebellion fertig werden. Er geht von hier aus immediat auf die Stuttgarter Hauptwache, übergibt dem wachthabenden Offizier Seinen Degen und meldet sich bei demselben als Arrestant auf vierzehn Tage. Da hat Er Zeit, über all das törichte und freche Zeug, was Er heute vorgebracht, nachzudenken. Jetzt geh' Er und nehm' Er zum Andenken und zur Beherzigung noch das Wort von Seinem Herrn mit sich: Ich sag' Ihm, bei Kassation und Festungsstrafe schreibt er keine Komödie mehr!«

So endigte die Audienz des Dichters bei dem »Philosophen von Hohenheim«.


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