Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Der Poet als Courmacher und ein unbeachteter Fremder – »Ach, mein Herr!« – Legende von einem geraubten Kuß. – Der »Salvator«. – Eine Prozession. – Es schneit Rosen. – Der Dichter im Halbdunkel. – Die Ursulinerin. – Ein gefährliches Tête-a-Tête.

»Ach, mein Herr!«

Dies wurde gesprochen in einer Morgenstunde in dem Schenk- und Speisezimmer des alten Gasthauses zur blauen Ente in der alten Reichsstadt Gmünd von der Tochter des Hauses zu einem Gast, welcher ihr angelegentlich die Cour machte. Die Sprecherin war eine große, volle frische, weiße Blondine mit einem hübschen Stumpfnäschen und einem schmachtenden Blick, welcher vermuten ließ, daß sie den Werther oder wenigstens den Siegwart gelesen habe, im übrigen nicht übertrieben gescheit, aber doch recht appetitlich aussehend. Der, zu dem es gesprochen wurde, war unser reisender Dichter, welchem die hübsche Wirtstochter vorhin seinen Morgenkaffee gebracht hatte.

Außer dem Poeten und dem Mädchen befand sich nur noch ein Gast in der Stube, welcher in einer entfernten Ecke hinter einem Tische saß, in verschiedene vor ihm liegende Briefschaften vertieft. Schiller, mit einem für ihn anziehenderen Gegenstand beschäftigt, achtete des Mannes nicht, obgleich das Äußere desselben zu einer anderen Stunde seine Aufmerksamkeit wohl hätte erregen dürfen.

Der Fremde, reich, vielleicht übertrieben reich gekleidet, war klein von Gestalt, dabei ziemlich korpulent und ungewöhnlich breitschulterig. Sein runder Kopf war mit dicken, dunkelschwarzen und krausen Haaren besetzt, welche sich dem Zwang der Frisur nur notdürftig fügten. Unter einer gedrungenen Stirn und starken dunkeln Brauen glühten schwarze, trüb schimmernde, stets rollende Augen. Der fein gerundeten, etwas gebogenen Nase entsprach nicht sehr der große Mund mit dickwulstigen Lippen, dagegen das feste, runde Kinn. Er schien sehr vollblütig, denn durch die braungelbe Gesichtsfarbe schimmerte überall das Blut hervor. Auf drei Schönheiten konnte er übrigens Anspruch machen: er besaß ein kleines und feines Ohr, eine kleine und fleischige Hand und einen kleinen, überaus wohlgebildeten Fuß. Dem Räuspern nach zu schließen, welches er von Zeit zu Zeit hören ließ, mußte er eine wohlklingende Stimme besitzen.

Der Dichter achtete des Mannes nicht. Er war vollauf beschäftigt, zu frühstücken und daneben seine Galanterie sehen zu lassen.

»Ja, Mamsell Senzele,« sagte er, »in der guten alten blauen Ente Hab' ich mich gleich wieder recht heimisch gefühlt. Wie oft bin ich als kleiner Junge mit Vater und Mutter an diesem Tische da gesessen! Sie freilich, Sie Böse, haben sich des alten Spielkameraden nicht wieder erinnert. Und doch war ich vorzeiten sozusagen Ihr anerkannter Schatz.«

»Ach, mein Herr!« lispelte die gebildete Wirtstochter und wurde gebührendermaßen rot, was sie keineswegs häßlicher machte.

»Wissen Sie noch, Mamsell Senzele,« fuhr der Courmacher fort, »wie Sie mich des Vertrauens würdigten, Ihnen die große schöne Puppe, die Ihnen der Santiklaus gebracht hatte, an- und ausziehen zu helfen? Ich weiß noch ganz gut, wie allerliebst Sie sich dabei anstellten und wie ungeschickt ich, und wie so hübsch Sie mich schalten und auszankten. Beim, Jupiter, wie sind Sie seither groß und schon geworden!«

»Ach, mein Herr!«

»Die liebe Puppe ist wohl schon lange den Weg aller Puppen gegangen, und Sie, teures Senzele, spielen jetzt statt mit Nürnberger Spielzeug mit armen Männerherzen.«

»Ach, mein Herr!«

»Meiner Treu, ich merke, in der blauen Ente ist's noch immer gut sein. Respekt vor diesem Kaffee! Der hat den rechten Duft. Und wie mild und süß dieser Milchrahm! Aber ich wette meinen Kopf, Ihre kirschroten Lippen, Mamsell Senzele, die müssen noch zehntausendmal milder und süßer sein.«

»Ach, mein Herr!«

Wir vermuten, der Dichter würde die blonde Schöne veranlaßt haben, diesen Ausruf noch zu verschiedenen Malen zu wiederholen, wäre nicht durch den Eintritt Raleighs das Gespräch unterbrochen worden.

Der Amerikaner, von einem in der Frühe gemachten Ausgange zurückkehrend, schien nicht so gut gelaunt zu sein wie sein Freund. Er warf den Hut auf den Tisch und nahm schweigend Platz.

»Hast du eine Spur gefunden?« fragte ihn Schiller leise.

»Keine,« erwiderte Raleigh einsilbig.

Der Poet hätte gern seine galanten Bemühungen um das hübsche Senzele wieder aufgenommen, aber er war zartfühlend genug, es zu unterlassen, aus Schonung für die Stimmung des Freundes.

Die gebildete Tochter des Gasthauses zur blauen Ente hielt sich mit Recht für verpflichtet, das eingetretene Stillschweigen zu brechen und die Gäste zu unterhalten. Sie fragte daher mit sittsam gesenkten Augen hinter ihrem Strickzeug hervor:

»Werden die Herren die heutige große Prozession nach dem Salvator mit ansehen?«

»Ist heute dort eine große Prozession zu sehen?« erwiderte Schiller.

»O freilich. Wir sind jetzt in der Zeit um den Himmelfahrtstag herum. Da geht bei uns in der Gegend alles mit dem Kreuz.Mit dem Kreuz gehen, d. h. dem vorangetragenen Kreuze und den Kirchenfahnen folgen, das ist in der Gegend, von welcher hier die Rede, die gewöhnliche Bezeichnung der feierlichen Bittgänge, welche zur Zeit des Himmelfahrtsfestes, auch an gewöhnlichen Wochentagen, von den Dorfgemeinden unternommen werden. Autor hat in seinen Knaben- und Jünglingsjahren solcher Flurgänge viele mitgemacht. Er ist des Dafürhaltens, daß dieselben nur die christliche Umbildung der Frühlingsumgänge altgermanischen Gottesdienstes seien. Heute kommen die Leute aus den umliegenden Ortschaften scharenweise in die Stadt herein, und dann geht die große Prozession von der Pfarrkirche aus nach dem Salvator. Da wird dann eine Predigt gehalten und nachher ein feierliches Hochamt.«

»Das müssen wir sehen, William,« sagte Schiller lebhaft. »So eine Prozession ist ein prächtiges Schauspiel. – Sie gehen doch auch nach dem Salvator, Mamsell Senzele? Gewiß, Sie dürfen da nicht fehlen, Sie unter den schönen Mädchen von Gmünd das allerschönste.«

»Ach, mein Herr!«

»Nicht wahr, Mamsell Senzele, die Landleute kommen im festlichen Anzug mit Kreuzen und Fahnen?«

»Ja, und sie sind jetzt wohl schon auf dem Wege. Der Zug ordnet sich dann auf dem großen Gottesacker bei der Pfarrkirche. Die gesamte hochehrwürdige Geistlichkeit der Stadt geht mit, auch alle die hochwürdigen Herren Religiösen aus den Klöstern gehen in dem Zug, ebenso die Klosterfrauen aus dem Klösterle in der Stadt und von Gotteszell draußen. Der Stadtzinkenist mit seinen Musikanten musiziert der Prozession voran. –

Wenn nur nicht immer an diesem Tage droben auf dem Salvator ein so gar arges Gedränge wäre.«

»Das tut nichts, Mamsell Senzele. Seien Sie ganz unbesorgt. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich in diesem Gedränge Ihren Beschützer abgeben dürfte.«

»Ach, mein Herr!«

Raleigh hatte bis jetzt an dem Gesprächsgegenstand wenig Anteil genommen. Jedoch die Erwähnung der Klosterfrauen machte ihn aufmerksam, und er war im Begriff, eine Frage an Mamsell Senzele zu tun, als ihm der fremde Herr in der Ecke, welcher inzwischen seine Papiere zusammengepackt hatte und aufgestanden war, zuvorkam, indem derselbe in einem schrecklich gebrochenen, halb französisch, halb italisch klingenden Deutsch die Tochter des Hauses fragte, ob es gewiß sei, daß auch die Klosterfrauen an der Prozession teilnehmen würden.

Auf die bejahende Antwort des Mädchens verließ er mit einem leichten Kopfnicken gegen die Freunde das Zimtner.

»Wer ist der Herr?« fragte Raleigh, welcher, den Fremden flüchtig fixiert hatte.

»Ein fürnehmer Herr, ein fremder Graf,« lautete die Antwort. »Er reist mit Equipage und Dienerschaft und wohnt schon seit ein paar Wochen bei uns in der blauen Ente. Er hat das große rote Zimmer gegen den Franziskanerklostergarten hinaus inne und das kleine grüne daneben. Wenn man ihn nur besser verstehen könnte.«

»Hm,« sagte Schiller. »Er scheint schon der Mann zu sein, der sich verständlich machen kann. Mamsell Senzele, nehmen Sie Ihre wunderschönen himmelblauen Augen vor den höllisch schwarzen dieses fremden Herrn in acht.«

»Ach, mein Herr! Warum nicht gar? – Jetzt ganget Se mer aber!«

Lachend über diesen klassisch-schwäbischen Ausdruck, welcher verriet, daß die schwäbische Natur über die städtische Kultur von Mamsell Senzele zeitweilig den Sieg davontrug, verließ der Dichter mit seinem Freunde das Haus. Es sei dies jedoch, behauptet eine handschriftliche Chronik von Gmünd, nicht geschehen, bevor er den erfolgreichen Versuch gemacht hätte, zu erfahren, ob die kirschroten Lippen des Mädchens, welches den Herren bis zur Haustüre das Geleite gab, wirklich so mild und süß seien, wie er galant vorausgesetzt hatte. Wir wissen nicht recht, ob wir diese Sage ohne weiteres für wahr halten sollen; wenn wir aber den historisch sicheren Umstand erwägen, daß unser Dichter zur ersten Aufführung seiner »Räuber« in Mannheim ums Haar zu spät gekommen wäre, weil ihn auf der Reise dahin zu Schwetzingen ein schmuckes Wirtstöchterlein über Gebühr lange aufhielt, so möchten wir die Gmünder Legende von einem im Halbdunkel des Hausgangs der blauen Ente kühn eroberten Kuß wenigstens für sehr wahrscheinlich halten. Es gibt so Augenblicke im Menschenleben, wo man viel kußräuberischer gesinnt ist als sonst.

Raleigh schien sich des guten Humors seines Freundes zu freuen, ohne jedoch denselben teilen zu können. Indem sie über den schönen großen Marktplatz der Stadt schlenderten, sagte er:

»Du scheinst dir hier im Lande nicht übel zu gefallen, lieber Friedrich, und ich werde, wenn du so fortmachst, der Bande im Ochsen zu Stuttgart nicht wenig von deinen freibeuterischen Taten hier oben zu erzählen haben.«

»Ach, du spielst auf die Lippenprobe an, die ich vorhin gemacht? Siehst du, dergleichen allerliebste Gelegenheiten kann man sich zu Nutzen machen, wenn man sich hütet, Herz und Sinn von einer großen und tiefen Leidenschaft gefangennehmen zu lassen. Es lebe der Mann, der das Sprichwort erdacht: Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen!« »Ich erstaune: du sprichst ja wie ein rechter Bruder Leichtfuß.«

»Möglich, aber was willst du? Es sitzt jedem der Narr unter der Haut. Zuweilen muß er heraus und seine Kapriolen machen, sonst schlägt einem die Narrheit nach innen und richtet da allerhand Unheil an. – Ernsthaft gesprochen, ich habe dir, glaub' ich, meine Ansicht von der Liebe und von den Frauen bereits bei einer früheren Gelegenheit mitgeteilt, und ich fand seither keinen Grund, sie zu wechseln. Es ist gewiß schrecklich, ohne eine mitfühlende Seele zu leben; aber es ist auch ebenso schrecklich, sich an irgend ein Herz zu hängen, wo man, weil doch in der Welt nichts Bestand hat, notwendig einmal sich losreißen und verbluten muß. – Wenn ich überhaupt je an eine dauernde Verbindung werde denken können, so wird das jedenfalls noch lange anstehen. Einstweilen jedoch, wenn da und dort eine Blume an meinem Wege blüht, bin ich entschlossen, ihres Farbenschmelzes und Duftes mich zu erfreuen. – Aber wohin wollen wir denn jetzt eigentlich?«

»Ich denke, nach der Wallfahrtsstätte, von welcher die Mamsell gesprochen.«

»Ah, nach dem Salvator?«

»Ja, denn da die Bewohnerinnen der beiden hiesigen Nonnenklöster an der Prozession teilnehmen werden, so wäre es doch möglich –«

»Ich verstehe. Doch horch, da beginnen die Glocken auf den Türmen der Stadt schon zu läuten, und Markt und Gassen füllen sich mit Menschen. Wir wollen eilen, uns noch einen guten Platz zu sichern. Ich kenne den Weg, komm nur.«

Sie gingen an der uralten Johanniskirche vorüber, die Bocksgasse entlang und zum gleichnamigen Tore hinaus. Dann wandten sie sich rechtshin an der Stadtmauer hinab, passierten die Brücke über den Waldstätterbach und kurz darauf eine zweite, durch deren Joche die Rems fließt. Ein mit Pappeln besetzter Weg führte sie jenseits der Remsbrücke binnen wenigen Minuten an den Fuß des Salvators.

Diese Wallfahrtsstätte, an der nordwestlichen Seite des schönen Talgeländes zu bewaldeten Höhen ansteigend, hat eine reizende Lage. Ein vielfach geschlängelter Weg windet sich den Hügel hinan, und an diesem Wege siehst du eine Reihe von Kapellen, in welchen mittels lebensgroßer Figuren aus Holz und Stein die aufeinanderfolgenden Szenen der Passion Christi dargestellt sind. Oben auf der Höhe steht eine größere Kirche, welche in drei Räume zerfällt. Da ist zuerst eine offene Vorhalle, an deren äußerer Strebewand eine Kanzel angebracht ist, denn an großen Wallfahrtstagen wurde hier unter freiem Himmel gepredigt. Von der Vorhalle gelangt man in die eigentliche Kirche, und unter dieser liegt das Hauptheiligtum, eine Art Krypte, welche nicht gebaut, sondern in den lebendigen Stein hineingehöhlt ist. Eine Legende will, in dieser Höhle hätten vorzeiten die ersten Christen der Gegend ihre gottesdienstlichen Versammlungen gehalten. Von der Vorhalle führte eine breite Treppe zu dieser halbdunklen Krypte hinab und zugleich auf einen kleinen freien Platz, auf welchem eine hölzerne Tribüne aufgeschlagen ist, von welcher aus die Wallfahrer sowohl die Predigt hören als mit den Augen den Akten der am Altar der offenen Halle zelebrierten Messe folgen konnten. Wendest du dich von der erwähnten steinernen Treppe aus zur Rechten, so betrittst du eine umfriedigte Terrasse, auf welcher die Kreuze Christi und der Schächer in die Luft ragen. Von der Balustrade dieser Terrasse aus rollt sich deinem Auge ein anmutiges Landschaftsbild aus. Unter dir liegt die Stadt, mit ihren Gärten in ein smaragdenes Wiesengelände eingebettet. Talauf und talab liegen zerstreute Gehöfte inmitten von Baumgruppen, und da und dort blickt das Türmchen einer Kapelle hervor. Die gegenüberliegende Hügelhalde steigt in südöstlicher Richtung zu dem Straßdorfer Plateau auf, und über diesem ragen drei isolierte Pyramiden empor, rechts der Hohenstaufen, in der Mitte der Hohenrechberg, links der Hohenstuifen. Noch weiter zur Linken hinter diesem blicken fernblau die Bergwälder des Aalbuch herüber.

Die ganze Stätte des Salvators hat, verbunden mit der Aussicht, welche sie bietet, viel Malerisches und besitzt einen gewissen romantischen Zauber, der noch dadurch erhöht wurde, daß zur Stunde, wo die Freunde den Ort betraten, der ganze Glanz eines schönen Maimorgens auf her Landschaft lag und das vieltönige Glockengeläute von den Türmen der Stadt die Luft von melodischen Klängen vibrieren machte.

Unsere beiden Reisenden waren eben mit der Besichtigung der Örtlichkeit notdürftig fertig geworden, als ein dumpfes Geräusch von der Stadt her erraten ließ, daß die Prozession sich in Bewegung gesetzt habe. Bald auch sahen sie die Spitze des Zuges aus der Wölbung des Vocktorturmes herauskommen, worauf sogleich die Glocken der Salvatorkirche, ihren Schwestern im Tale drunten antwortend, den Wallfahrern ihr Willkommen entgegenriefen. Nun war es schön anzusehen, wie sich der lange Zug über die Remsbrücke und durch die Pappelallee allmählich an den Fuß des Salvatorhügels heraufbewegte. Es verging jedoch eine geraume Weile, bis er die Anhöhe heraufkam, denn er hielt bei den einzelnen »Stationen« an, und es wurden dort die bezüglichen Stellen des »Rosenkranzes« gebetet. Endlich langte die Prozession auf dem kleinen Plateau an.

Da kamen zuerst der Stadtzinkenist und die Stadtpfeifer und Stadtpauker mit ihren Instrumenten, unter welchen selbst eine kleine tragbare Orgel nicht fehlte, und der Chorregent und der Kantor der Stadt mit ihren Singknaben und Orgelschülern und »Cäcilienjungfern«. Dann bewegte sich die hochwürdige Geistlichkeit der Stadt zur Vorhalle der Salvatorkirche herauf, oben empfangen von dem Pater Benefiziaten und von dem Herrn Frühmesser der Wallfahrtsstätte. Und die hochwürdigen Herren trugen alle den schwarzen Talar und darüber das schneeweiße faltige Chorhemde und die Stola, auf dem Kopf oder auch in der Hand das schwarze vierkantige »Biret«. Ein hochpreislicher Rat und Magistrat hatte den Ehrenplatz, hinter der Stadtgeistlichkeit inne, und es schritten, unter Vortritt Sr. Gnaden des Bürgermeisters, die würdigen Väter der Stadt einher in schwarzen Taffetmänteln und wohlgepuderten Perücken, mit wagerecht an ihrer linken Hüfte paradierenden Degen. Und überall sah man Fahnen von allen Farben, worauf unzählige Heilige gemalt und gestickt waren, und eine Schar Ministranten in scharlachroten Tuniken und weißen Überwürfen trug brennende Kerzen und allerhand kirchliches Geräte oder schwang die Rauchfässer, daß die ganze Atmosphäre von Weihrauchduft erfüllt wurde. Hinter einem hochpreislichen Rat gingen die Nonnen aus dem Stadtklösterle, alte verwitterte oder auch junge frische Gesichter aus dem eigentümlich geformten und gefalteten Linnen ihrer Weihel hervorsehen lassend; dann die Ursulinerinnen von Gotteszell, strenger verhüllt und das Antlitz hinter schwarzem Schleier bergend. Und ihnen folgten unter Führung ihrer Prioren und Superioren die Mönche der vier Stadtklöster, in braunen, schwarzen und weißen Kutten. Man sah da etliche asketische Physiognomien, aber viele wie mit Butter gesalbte Vollmondgesichter und gottselige Dickbäuche. Dann kamen die frommen Frauen und züchtigen Jungfrauen von Gmünd, geschmückt mit silbernen Busenketten und zierlich gestalteten, kleinen Flügelhauben von Golddraht und Silberzindel, und hierauf unter Vortritt ihrer Zunftmeister die verschiedenen Zünfte und Gewerke. Dann erst folgte das Landvolk aus den umliegenden Dörfern, jede Gemeinde von ihrem Seelenhirten geführt, unter Vortragung von Kreuzen und Fahnen. Da sah man die ehrliche Bauersame, angetan mit langen, ziegelroten Röcken, schwarzen Plüschwesten, kurzen schwarzen Lederhosen, weißlinnenen Strümpfen und Schnürstiefeln, den kolossalen Nebelspalter unter dem Arm, und ihre Weiber und Töchter in kurzen, unermeßlich faltenreichen schwarzen Röcken, blauen Strümpfen mit roten Zwickeln, bunten Schürzen und Brustlätzen, großen seidenen Halstüchern und schwarzen Florhauben, deren Flügel an den Ohren weit hervorstanden. Und es waren genug hübsche Mädchen darunter, dralle, vollbusige Gestalten mit blauen und braunen Augen, die sehr andächtig zu Boden, aber auch recht munter in die Welt zu blicken verstanden.

Als sich dieser mächtige Menschenstrom auf das Plateau des Salvators ergossen hatte, wie er, nach Raum und Ordnung suchend, hin und her wogte, bis er sich endlich staute, wie dabei allmählich die bunteste Zusammenwürfelung der Geschlechter, Stände, Trachten stattfand, wie die so gemischte Menge auf dem vielfach zerklüfteten Terrain, auf den Terrassen, Treppen und Plätzen in den mannigfaltigsten Stellungen und Gruppen sich darstellte: so gewährte das Ganze ein so belebtes und höchst malerisches Bild, daß es wohl ein Dichterauge zu entzücken vermochte.

Schiller war daher dieser Anschauung so hingegeben, daß er einen plötzlichen halb unterdrückten Ausruf Raleighs überhörte und es auch weiter nicht beachtete, daß er im Gedränge von dem Freunde getrennt wurde.

Dieser aber hatte guten Grund, bewegt zu sein. Als nämlich die Abteilung der Prozession, in welcher die Nonnen von Gotteszell, schon gemischt mit der übrigen Menge, gingen, an der Terrasse, wo er mit dem Freunde bis dahin gestanden hatte, vorüberkam, hatte er bemerkt, wie der fremde Herr, welchen er in der blauen Ente gesehen, rasch einer der Nonnen zur Seite trat und derselben äußerst geschickt ein Papier in die Hand steckte. In diesem Augenblick hob ein Luftzug den Schleier der Nonne weit genug, um darunter ein Antlitz wahrnehmen zu lassen, welches das Herz des jungen Mannes hoch schlagen machte. Er drängte sich vorwärts, aber die Gunst des Augenblicks war schon vorüber. Gerade hier, auf dem Wege zu der nahegelegenen Vorhalle der Salvatorkirche, staute sich die Menge der Wallfahrer am dichtesten. Der Fremde und die Nonne waren seinen Augen entschwunden, und er sah sich in eine Menschenmasse eingekeilt, welche zu durchbrechen selbst mit Anwendung offener Gewalt kaum möglich gewesen wäre.

Während der so gefangene Amerikaner, von keineswegs sehr andächtigen Gefühlen bewegt, sich in Geduld fassen mußte, war Schiller glücklicher, sofern ihn der Zufall dem eigentlichen Schauplatze der gottesdienstlichen Feier ganz nahe brachte. Da sich nämlich von der von Wallfahrern wimmelnden Terrasse aus alles jenem Schauplatze zudrängte, wurde er von der Flut mit fortgeschoben, aber in einer andern Richtung als in jener, wo Raleigh festsaß. Erst ging es kunterbunt bergab, dann um einen mit einer Kapelle gekrönten mächtigen Felsen herum, dann rechtshin auf den Platz vor der Tribüne, und endlich gewann unser Poet einen Ruhepunkt hart am Fuße der Treppe, welche von dem Eingang der Krypte außen nach der Vorhalle hinaufführt.

Droben in der Halle und der daranstoßenden Kirche wurden rasch die Vorbereitungen zum Gottesdienst getroffen. Man hörte die Musiker ihre Instrumente stimmen, und bald erklang unter ihrer Begleitung der Gesang, welcher die Predigt einleitete.

Mit einmal glaubte der Dichter durch diese Klänge hindurch seinen Namen zu hören, und zwar ganz aus der Nähe. Er schaute sich um, da er aber jetzt erst bemerkte, daß ihm der Freund von der Seite gekommen, welcher ihn unter dieser Masse von Fremden doch wohl allein bei seinem Namen angesprochen haben konnte, so nahm er die Sache für eine wunderliche Sinnestäuschung, und gab sich wieder unbefangen seinen Beobachtungen hin.

Da fiel ihm auf seinen Hut, den er vor sich ander Brust hielt, eine prächtige Rose nieder. Er nahm sie, steckte sie ins Knopfloch und sah nach der Balustrade der Halle hinauf, vermutend, die Blume möchte einer der Cäcilienjungfern entfallen sein, deren helle Stimmen da oben klangen. Aber an der Balustrade standen nur Weltpriester und Mönche. Nun kehrte er sich um nach der Treppe, aber auf den breiten Stufen derselben waren nur strengverschleierte Ursulinerinnen wahrzunehmen, vermischt mit höchst andächtigen alten Stadtfrauen und Bäuerinnen, und weder diese noch jene sahen danach aus, als ob sie sich mit Rosen zu schaffen machten.

Der zwecklosen Nachforschung müde, sog der Dichter den Duft der Blume ein und sprach bei sich: »Wenn es einem Rosen auf den Hut schneit, so kann man sich ja derselben erfreuen, ohne sich darüber Sorgen zu machen, woher sie kommen.«

Er hatte auch keine Zeit, dem Rosengedanken weiter nachzuhängen, denn jetzt trat droben der Prediger auf die Kanzel heraus, und da gab es wieder ein lebhaftes Hin- und Herschieben unter der Menge, weil die einen von da, die andern von dort aus die Predigt am besten zu hören glaubten. Da unserem Freunde an der Behauptung seines Platzes nicht viel lag, wandte er keine Mühe darauf, und so sah er sich unversehens in die Krypte hineingedrängt, was ihm baß gefiel, weil es hier, im Gegensatz zu dem heißen Sonnenschein draußen, hübsch kühl war. Er schaute sich in dem Halbdunkel der kleinen Höhlenkirche nach einem Sitz um, und da er an der Hinterwand einen großen Gitterstuhl stehen sah, ergriff er davon Besitz. Von diesem sicheren Winkel ließ er seine Blicke in den dämmerigen Raum hinausschweifen und bemerkte, daß derselbe mit Landleuten angefüllt war, welche, auf den Knien liegend, die Lippen im eifrigen, halblauten Gebet bewegten und dazu die Kugeln ihrer Rosenkränze, welche in jener Gegend den wunderlichst aus Paternoster verstümmelten Namen Pfotter führen, abrollen ließen. Das gab ein summendes Getön, mit welchem sich die stoßweise von draußen hereindringenden Sätze der Predigt seltsam mischten.

Der Dichter erinnerte sich, daß er mit seiner Mutter und seiner geliebten Schwester Christophine in seinen Knabenjahren von Lorch aus mehrmals den Salvator besucht hatte, und die Bilder seiner Teuren stiegen vor ihm auf. Die Schwingen der Phantasie trugen ihn weit das Land hinab nach der Solitude. Er sah den strengen und doch so trefflichen Vater in seiner Baumschule beschäftigt, und inzwischen saßen Mutter und Schwester in der bescheidenen Wohnung der Familie bei ihrer Arbeit und diese fragten »Wo ist jetzt wohl der Fritz?« und jene erwiderte: »O, der wird sich jetzt droben im Oberlande gute Tage machen.« Worauf die Schwester: »Daran tut er recht.« Und dann nahm sie aus dem geheimen Behälter ihres Nähkissens den launigen Brief, in welchem der Bruder die Seinigen von seinem Ausflug in Kenntnis gesetzt, und las ihn – o, zum wievielten Male! – der Mutter vor, und beide Frauen lachten herzlich mitsammen über die scherzhaften Ausdrücke, in welchen sich ihr Fritz als angehenden irrenden Ritter geschildert hatte.

In solche Träumereien versunken, beachtete er es nicht, daß draußen die Predigt zu Ende war und droben in der Halle die feierlichen Klänge des Hochamtes laut wurden. Der Gesang des Priesters am Altar, die Responsen des Chors, die Töne der begleitenden Musik wiegten ihn nur in tieferes Sinnen, als er plötzlich daraus auffuhr, weil er eine flüsternde Stimme seinen Namen nennen hörte.

Diesmal war es keine Täuschung. Der Name war zu deutlich gesprochen worden, und zwar von einer weiblichen Stimme, die er zu kennen glaubte. Er blickte aber vergeblich suchend in die Krypte hinaus: er sah dort nur die ihre Gebete hermurmelnden Bauersleute.

Da sagte die flüsternde Stimme und zwar hart neben ihm: »Lassen Sie den Vorhang vor ihrem Sitze herab, lieber Schiller, und legen Sie das Ohr an das Gitter. Ich will mit Ihnen reden.«

Höchlich überrascht, ließ der Dichter mechanisch den grünen Vorhang herab, so daß er allfällig von der Krypte herkommenden Blicken verborgen war, und wandte nicht nur das Ohr sondern auch das Auge dem kleinen, viereckigen Gitter zu, das die eine Abteilung des Stuhls von der andern trennte. In dieser sah er eine Nonne knien, im Habit der Ursulinerinnen von Gotteszell, aber unter dem zurückgeschlagenen Schleier hervor leuchteten ihn die Augen der Turbinella an.

»Lauretta!« rief er in freudigem Schreck halblaut aus.

»Still! Reden Sie leise, damit wir nicht unterbrochen werden. – Es ist doch prächtig komisch, Sie gerade hier zu treffen.«

Und ein reizendes Lächeln umzog ihre Lippen, welche einen Augenblick die herrlichen Zähne sehen ließen.

»Ich gestehe, teures Fräulein,« sagte er, seine Stimme dämpfend, »ich gestehe, daß mir Ihre Erscheinung als Nonne weit mehr einen, tragischen als einen komischen Eindruck macht.«

»Bah, mein Freund, es ist für mich nur eine Verkleidung wie eine andere. Ich wollte die heutige Prozession nach dem Salvator mitmachen, wahrscheinlich von der Ahnung getrieben, daß ich Sie hier sehen würde, und da war es das klügste, mich dieses Kleides zu bedienen. Es kostete freilich viel Mühe, die Mutter Monika, über welche ich mich sonst nicht zu beklagen habe, zu überreden, mir die Erlaubnis zu erteilen. – Ah, ich, bemerke, Sie haben meine Rose ins Knopfloch gesteckt. Es machte mir Spaß, zu sehen, wie Sie gen Himmel guckten, als ob es Blumen regnen würde. Und doch hätten Sie sogleich wissen müssen, daß die Blume von mir komme, vergeßlicher Mensch Sie! Haben Sie mich nicht vorzeiten eine Fee genannt und kündigen die Feen ihr Kommen nicht immer durch Rosen an?«

So plauderte das schöne Mädchen harmlos und herzig wie ein Kind, aber, durch dieses Geplauder klang ein warmer Herzenston, welcher bezeugte, daß Lauretta durch die unerwartete Erscheinung des Dichters froh bewegt war.

»Aber,« fuhr sie fort, »die Zeit drängt, und wir wollen sie daher nicht damit vergeuden, daß wir durch die Blume sprechen. – Sagen Sie mir, was führt Sie denn hierher?«

»Wie können Sie fragen! Wer oder was anderes als Sie?«

»Ich?«

»Ja.«

Laurettas reizendes Antlitz näherte sich so sehr dem Gitter, daß der Dichter den süßen Atem des Mädchens auf seiner Wange fühlte, und ihre Augen überschütteten ihn mit strahlenden Fragen. Doch nur für einen Augenblick, denn im nächsten verschleierten die langen dunkeln Fransen der Wimpern die zwei blauen Sterne, und Lauretta beugte sich zurück, das liebliche Erröten ihrer Wangen verbergend.

Es entstand eine kurze Pause, bevor sie in dem früheren leichten Ton fortfuhr, und man konnte bemerken, daß ihr die Wiedergewinnung desselben einige Anstrengung kostete.

»Sie sind gekommen, nach mir zu sehen?« sagte sie, einen eigentümlichen Nachdruck auf das »Sie« legend; »Sie haben mich aufgesucht? Wie gut und lieb von Ihnen! Und Sie haben auch meine verunglückte Flucht aus Stuttgart nicht falsch ausgelegt, nicht wahr? Sonst wären Sie ja nicht gekommen. Wie danke ich Ihnen! Wäre nur das Gitter da nicht, ich wollte Ihnen herzlich die Hand drücken.«

Wir hegen die stille Vermutung, auch der Dichter habe dasselbe gewünscht. Zwar die Zeit der Lauraoden war, wie wir wissen, eine vergangene, aber – aber – mit so einem bezaubernden weiblichen Wesen im Halbdunkel zu sein, nur durch ein leichtes Holzgitter getrennt, ist für einen Poeten von noch nicht dreiundzwanzig Jahren doch immerhin eine etwas bedenkliche Situation. Zu seinem Glück vermochte die Regung von Eitelkeit, welche er empfand, nichts über die Lauterkeit seiner Seele.

»Wenn,« sagte, er, »überhaupt von Dank die Rede sein könnte, so gebührte mir derselbe erst in zweiter Linie.«

»Wie?«

»Ein anderer als ich faßte zuerst den Gedanken, nach Ihnen auszusehen und Sie, wenn immer möglich, aus der Haft zu befreien.«

»Ein anderer?«

Es klang in dieser Frage etwas wie herbe Enttäuschung.

»Ja, ein anderer und zwar ein Trefflicher: mein Freund William Raleigh.«

»Der?«

»O, teure Lauretta, sprechen Sie nicht in diesem Tone von ihm!«

»Warum nicht? Was soll mir der? Ihn liebe ich nicht!«

Hatte Schiller weniger an seinen Freund und mehr an sich gedacht, wäre das Verhältnis zu Lauretta überhaupt jemals von seiner Seite das einer tiefen Herzensneigung gewesen, so hätte die Art, wie das Mädchen die letzten Worte sprach, diese Neigung zu heller Glut anfachen müssen. So aber sagte er:

»O, Fräulein, Sie würden ihn lieben, wenn Sie ihn kennten.«

»Warum nicht gar!«

»O doch! Und wenn Sie wüßten, mit wie ganzer Seele er Ihnen zugetan ist! Er liebt Sie, und er verdient Ihre Liebe.«

Lauretta machte eine heftige Bewegung und versetzte dann fast lauter, als die Vorsicht, welche dieses sonderbare Tête-a-Tête erheischte, gestattete:

»Und das sagen Sie mir, Schiller, gerade Sie?«

Der Dichter stutzte einen Augenblick. Eine egoistische Regung wollte sich in ihm emporarbeiten, aber sein Freundschaftsenthusiasmus kämpfte dieselbe siegreich nieder.

»Warum sollte ich es nicht sagen? Ich bin ihm so gut und achte ihn so hoch.«

»Den kalten, stolzen Amerikaner?«

»Teure Lauretta, er ist weder kalt noch stolz. Er ist des tiefsten Gefühls fähig und dabei tüchtig um und an. Erinnern Sie sich, was Shakespeare im ›Julius Cäsar‹ den Antonius von Brutus sagen läßt:

... So mischten sich in ihm die Elemente, Daß die Natur aufstehen durft' und sagen: Das war ein Mann!

Sehen Sie, diese Worte möchte ich auf William Raleigh anwenden.«

»Ei, mein Freund, Sie geraten ja ganz in Ekstase,« versetzte Lauretta oder vielmehr die Turbinella, denn ihr Ton war plötzlich ein herb spottender geworden.

»Und wenn,« fuhr der Dichter fort, »so habe ich guten Grund dazu. O, wenn Sie William näher kennten, Lauretta! Fürwahr, seine Huldigung würde Sie nicht kalt lassen. Wie ist er fest und sicher in sich, während wir anderen alle unsicher an den Problemen des Lebens herumtasten. Wie abgerundet seine Bildung, wie edel sein Sinn! Und was hat er alles in so jungen Jahren schon erlebt und getan! Er hat im Kampfe für die Freiheit mannhaft gestanden wie ein Held und für seines Landes Unabhängigkeit von fremdem Joch ehrenvolle Narben davongetragen. Seine Bescheidenheit gestattet ihm nicht, viel davon zu reden, aber ich weiß, der große Washington, der Heros der neuen Welt, hält ihn seiner Achtung und Freundschaft würdig.«

»Wirklich? Nun, es mag sein, aber was geht das alles mich an? – Doch sagen Sie, wenn der Herr Amerikaner sich die Schrulle in den Kopf setzte, mir nachzulaufen, wie hat er denn meinen Aufenthalt in Gotteszell erfahren?«

»Durch den Chevalier.«

»Ah, durch meinen Entführer? Was ist denn eigentlich aus diesem galanten Herrn geworden?«

»Man hat ihn laufen lassen.«

»So? Und warum hat man mich nicht ebenfalls laufen lassen?«

»Teure Lauretta, Ihre Fesseln sollen Sie nicht lange drücken. Raleigh wird alle Hebel in Bewegung setzen –«

»Raleigh und immer Raleigh? Sie wollen sagen, er beabsichtige, mich aus Gotteszell zu befreien. Und Sie?«

»Ich werde ihm nach Kräften beistehen.«

»Als Knappe des Ritters aus Atlantis? Ich hatte, verzeihen Sie mir, dem Dichter der ›Räuber‹ etwas mehr Ehrgeiz zugetraut.«

»Was wollen Sie, daß ein armer, unerfahrener Teufel von Poet tun soll?«

»Was? Ich könnte es Ihnen vielleicht sagen. – Doch gesetzt nun, ich hätte überhaupt gar keine Lust, von dem Aufenthalt im Kloster, welchen mir mein gütiger Beschützer, der Herzog von Württemberg, in seiner Weisheit angewiesen, erlöst zu werden? Gesetzt, ich beabsichtigte dieses Kleid, welches ich heute im Scherze trage, schon morgen im Ernste zu tragen? Es wäre am Ende das beste für mich.«

»Teure Lauretta, Sie können unmöglich im Ernste so sprechen! So viel Schönheit, so viel Geist so viel Berechtigung zum Glück darf nicht in Klostermauern verkümmern.«

»Meinen Sie? – Wenn ich nun anderer Ansicht wäre? – Doch lassen wir das einstweilen. – Aber als die zu Befreiende werde ich ja wohl wissen dürfen, welchen Befreiungsplan Sie oder vielmehr Herr Raleigh entworfen hat. Wie ist's damit?«

»Ich glaube nicht, daß William schon einen förmlichen Plan entworfen hat. Wir kamen erst gestern hier an. Mein Freund weiß auch noch gar nicht, in welchem Kloster Sie sich befinden. Wenn er meiner Ansicht folgen will, so wird er sich vor allen Dingen bei einem Manne Rats erholen, an welchen uns ein Freund gewiesen, und welcher in der ganzen Gegend großes Ansehen und bedeutenden Einfluß besitzen soll.«

»Wer ist der Mann?«

»Der Pater Aloisius, Einsiedler auf dem Bernhardusberg.«

»Der Bernharduspater?«

»Ja. Sie hörten von ihm?«

»Die Mutter Monika spricht viel von ihm. Sie verehrt ihn als einen Heiligen. Eine alte Klosterschwester sagte mir freilich, der Heilige sei eigentlich ein Erzketzer. – So, hinter den Bernharduspater will sich Herr Raleigh stecken? Ihr Held aus Atlantis ist kühn, das muß ich sagen.«

»Teures Fräulein, gewiß verdient mein Freund solchen Spott nicht. Wenn er, wie es bei einem solchen mitten in einer katholischen Gegend gewiß nicht ganz unbedenklichen Unternehmen erforderlich ist, Vorsicht walten läßt, so geschieht es sicherlich hauptsächlich aus Rücksicht auf Sie.«

»Ja, ja, Vorsicht ist die Mutter der Tapferkeit, wie ich einmal das wunderliche Original, den Sammetdoktor, sagen hörte. – Im übrigen, mein Freund, wird es mich amüsieren, zu sehen, wie das Drama, betitelt: Turbinellas Befreiung aus Gotteszell, in Szene gesetzt werden soll. Ich lebe des tröstlichen Glaubens, daß ein Unternehmen, zu welchem sich ein Freiheitskämpfer, den der große Washington achtet und liebt, ferner ein Dichter, welcher die ›Räuber‹ geschrieben hat, und endlich ein Eremit, der zugleich ein Heiliger und Erzketzer sein soll, miteinander verbinden, nicht fehlschlagen kann. Aber nur recht vorsichtig, um Gottes willen vorsichtig! – Doch horch, da oben stimmt der Priester das ›Ite, missa est‹ an. Es ist die höchste Zeit, daß ich mich entferne. ›Addio, caro mio!‹«

Sie ließ den Schleier über das Gesicht fallen und huschte weg.

Als der Dichter im Wirrwarr seiner Empfindungen den Vorhang vor seinem Sitze in die Höhe zog, sah er das seltsame Mädchen mit der Gewandtheit einer Lazerte durch die dichtgedrängten Reihen der andächtigen Landleute schlüpfen und in der Türe verschwinden.


 << zurück weiter >>