Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Neun und dreysigster Brief.

Prag –

Böhmen ist ein gesegnetes Land und hat ein herrliches Klima. Seit meinem kurzen Aufenthalt hab' ich verschiedne Fremden kennen gelernt, die sich wegen der gesunden Luft, der guten und wohlfeilen Lebensmitteln und dem jovialischen Humor der Einwohner beständig hier aufhalten – Aeneas SylviusAeneas Sylvius – bürgerlicher Name Papst Pius II. dieser war ein bedeutender Humanist, Schriftsteller und Historiker, er stiftete die Universität Basel. beschreibt das Land wie einen Theil von Sibirien; und doch war es zu seiner Zeit, wahrscheinlicherweise, blühender als es jetzt ist. Für einen Römer mag der Abstich der Witterung immer merklich seyn; allein ich glaube, daß ser.ser. – serenissimus: allergnädigst Eminenz doch nur im Winter hier war. Zu Rom hat man gewiß keinen so schönen Frühling, als der jetzige hier ist. Ueberhaupt sollen hier die Frühlinge und Sommer äusserst angenehm seyn, so wie die Herbste zu Wien, wo man aber selten einen ordentlichen Frühling hat, und der rauhe Winter gemeiniglich mit dem heissen Sommer unmittelbar zusammengränzt. Hier bleibt die Witterung immer in einem gewissen Gleichgewicht, und ist den schnellen und gewaltsamen Veränderungen nicht unterworfen, die der Gesundheit so nachtheilig sind. Die Kälte des Winters ist hier eben so selten, wie die Hitze des Sommers ausserordentlich heftig. Die Luft ist trocken, rein und gemäßigt.

Das Land liegt hoch, und bildet ein ungeheuer weites Thal, das auf allen Seiten von hohem und starkbeholztem Gebirge umgeben ist. Die Vertiefung in der Mitte, wo die Flüsse, die Elbe, die Moldau und die Eger zusammenfliessen, und die du dir leicht mit einem Blick auf die Karte deutlich vorstellen kannst, ist gegen die Gewalt der Winde gedeckt. Diese verschiedenen Abdachungen des Landes gegen die Mitte zu befördern den Abfluß des Gewässers, und es kann weder Moräste noch Seen bilden, welche die Luft mit schädlichen Ausdünstungen anfüllen. Da der Boden des Thales nur an sehr wenig Orten felsigt ist, so gräbt es sich leicht seine Kanäle durch die lokere Erde, und befruchtet dieselbe ohne, wie in vielen Gegenden der noch höhern Schweitz, die Luft mit Katharrhen und FlüssenFlüssen – Fluß: Schlaganfall, früher Schlagfluß genannt anzufüllen.

Das Land hat alles, was zu einem gemächlichen Leben gehört, in erstaunlichem Ueberfluß, nur Salz und Wein ausgenommen. Den größten Theil des ersten Bedürfnisses bezieht es um sehr billigen Preis von Linz, wo eine Niederlage von Salz ist, welches zu Gemünd in Oestreich und zu Halle in Tyrol gewonnen wird. Das übrige bekömmt es jezt, auch um einen mäßigen Preis, aus dem östreichischen Polen. Mit dem Weinbau sind glückliche Versuche gemacht worden, und ich habe hier MelnikerMelniker – Name einer Weinsorte in Bulgarien, der im einzigen böhmischen Weinbaugebiet um die Stadt Melnik angebaute Wein ist wesentlich geringwertiger gekostet, welcher der mittlern Gattung der Weine von Bordeaux wenig nachgiebt. Die ersten Setzlinge sind aus Burgund beschrieben worden. Allein das Land wird doch schwerlich diesen Artickel für sich in hinlänglicher Menge ziehen können, und hat auch andre Güter genug, um sich denselben eintauschen zu können. Es hat im Handel ein grosses Uebergewicht, welches ihm auch keines der benachbarten Länder streitig machen kann, weil es größtentheils auf natürlichen Gütern und den ersten Bedürfnissen beruht. Es versieht einen grossen Theil von Sachsen, Slesien und Oestreich mit Getreide und verkauft auch etwas Vieh. Der Saazer=Kreis ist auch in Jahren von mittelmäßiger Erndte allein im stand, ganz Böhmen, so bevölkert es auch ist, mit dem nöthigen Getreide zu versehen. Die vortreflichen böhmischen Hopfen werden bis an den Rhein in grosser Menge ausgeführt. Die Pferdezucht ist seit einigen Jahren ausnehmend verbessert worden, und trägt dem Lande schon eine ansehnliche Summe Geld ein. Das böhmische Zinn ist nach dem englischen das beste, welches man kennt, und mit Alaun, Bittersalz, verschiedenen Gattungen von Edelgesteinen, besonders Granaten,Granaten – eine große Gruppe von Mineralien, die meist zu Schmuck verarbeitet werden, z. B. Karfunkel u. s. w. wird ein beträchtlicher Handel getrieben. Die grossen Waldungen, womit es eingeschlossen ist, begünstigen seine vortreflichen Glasfabricken, die aus ganz Europa, von Portugal und Neapel bis nach Schweden hinauf, eine unglaubliche Menge Geldes ins Land ziehn. Man verfertigt auch seit einigen Jahren eine erstaunliche Menge guter und ungemein wohlfeiler Hüthe, und versieht damit einen grossen Theil der Einwohner von Oestreich, Bayern und Franken. Die Tuch= und Leinwand=Manufakturen kommen auch sehr in Aufnahme.

Die Böhmen gehn häufig ausser Landes, theils als Glashändler bis nach England und Italien, theils als Korb= und Siebmacher, in welcher Qualität ich sie Karavanen=weise am Oberrhein und in den Niederlanden umher ziehen sah. Sie kommen größtentheils wieder mit einem hübschen Geldchen nach Hause, und halten alle in der Fremde wie Brüder zusammen.

Ueberhaupt haben sie ungemein viel Vaterlandsliebe, und eine gewisse Vertraulichkeit unter sich, die sie oft in den Augen der Fremden zu einem tükischen und groben Volk macht, welches sie aber in der That nicht sind. Seit den Zeiten des Hans HusHans Huß – Johann Huß, tschechischer Theologe und Reformator, auf dem Konzil zu Konstanz 1415 wortbrüchigerweise lebendig verbrannt. Papst J.-P. II. drückte 1999 sein tiefes Bedauern über diesen grausamen Tod aus. haben sie einen heimlichen Groll gegen die Deutschen den man nicht einem bösen Humor, sondern wirklich ihrem Nationalstolz zuschreiben muß. Die Bauern welche an den Landstrassen wohnen, sprechen gröstentheils deutsch; allein ohne Noth lassen sie sich mit einem Fremden nicht gerne in ein Gespräche ein. Sie thun, als wenn sie kein Wörtchen Deutsch verstünden, holen die Durchreisenden aus, und haben unter sich ihr Gespötte mit ihnen. Man wollte sie zwingen, ihre Kinder in deutsche Schulen zu schicken; allein bisher war diese Mühe vergeblich. Sie haben einen unbeschreiblichen Abscheu gegen alles, was deutsch heißt. Ich hab hier junge Leuthe von den Siegen, die ihre Voreltern unter ZiskaZiska – Ziska von Trocnov, hussitischer Heerführer, † 1424 über die Deutschen erfochten haben, mit einer Wärme und einem Stolz sprechen hören, die sie in meinen Augen sehr liebenswürdig machten, die aber freylich einem Deutschen die Galle ein wenig hätten angreifen müssen. Sie erinnern sich noch, daß die Residenz des Hofes zu Prag ehedem das Land blühend machte, und äussern ein kleines Mißvergnügen, daß Oestreich in Rücksicht auf die Residenz den Vorzug vor ihnen hat, und jährlich eine so beträchtliche Summe Geldes theils vom Hof, theils vom Adel nach Wien gezogen wird. Die verstorbene Kayserin soll von jeher gegen diese Widerspenstigkeit der Böhmen sehr empfindlich, und dieses Königreich von ihren alten Erbländern das einzige gewesen seyn, welches sie nicht besucht.

Die Hußiten sind im Lande noch sehr zahlreich. Einige behaupten sogar, der sechste Theil der Bauern hienge heimlich dieser Lehre an. Auch in Mähren ist sie noch sehr ausgebreitet. Es sind erst 4 Jahre her, daß daselbst gegen 14.000 Bauern einen kleinen Aufstand erregten, ihre Gewissensfreyheit zu behaupten; allein man brachte sie bald wieder zur Ruhe, ohne daß die Sache auswärts einiges Aufsehn erregte.

Voltäre und einige andre Geschichtschreiber haben den berühmten Hans Hus und seine Lehre sehr verkennt. Sie setzen bey diesem Reformator einen sehr eingeschränkten Verstand voraus, und meinen, seine Absicht wäre nicht weiter gegangen, als um dem Volk den Genuß des Kelchs beim Abendmahl, und allenfalls den Geistlichen Weiber zu verschaffen. Sie belieben mit ihm ihr Gespötte zu treiben, daß er das unbegreifliche Sakrament noch unbegreiflicher habe machen wollen, und nicht die geringste Ahndung gehabt habe[n], wie sehr der Menschenverstand durch solche Mysterien aufgebracht werde. Sie sprechen ihm daher den philosophischen Geist seines Lehrmeisters, des Wikleffs,Wikleff – John Wycliffe, englischer Theologe, bekämpfte das Papsttum, die weltliche Macht der Kirche, das Zölibat u. a. Er trat für die Besteuerung der Kirchengüter ein. † 1384 und seiner Nachfolger, nämlich des Luthers, Zwinglis und Kalvins, ab. Ich hatte ehedem den nämlichen Begriff von diesem Mann; allein seitdem ich seine und seiner Anhänger Geschichte studierte, habe ich eine größere Meinung von ihm gefaßt. Ich suchte in der Bibliothek zu Wien alle Urkunden auf, die auf diese interessante Geschichte Bezug haben. Bey MenckenMencken – Johann Burchard Mencke, deutscher Historiker und Jurist, † 1732 fand ich eine Erklärung der Hussiten an den Reichstag zu NürnbergReichstag zu Nürnberg – im Jahr 1431 in einem Deutsch, das ich erst verstehen konnte, als ich es 6 bis 7 mal durchgelesen, und auch bey verschiedenen Bekannten Erläuterungen gesammelt hatte. Diese merkwürdige Erklärung und Auffoderung enthält das ganze Lehrgebäude der Hussiten. Sie greifen die ganze römische Hierarchie mit ihren Ablässen, dem Fegfeuer,Fegfeuer – eine der größten Schwindeleien der Catholica: Die Seele muß erst im Fegefeuer gereinigt werden bevor sie in den Himmel kommen kann. Durch Geld erhält man einen Ablaß und damit die Verkürzung der Leidenszeit dem Fasten, dem ganzen Mönchswesen und allen Attributen und Modifikationen an, und man sieht offenbar, daß sie nur einen Schritt hinter Kalvin zurück waren. Die Sprache dieser Erklärung hat den Ton der Entschlossenheit, der innern Ueberzeugung und der gesunden Vernunft; nur fällt sie nach der Art der damaligen Zeiten, so wie bey Luther, manchmal ins Grobe und Pöbelhafte. Gewiß hatten die nachfolgenden Reformatoren nichts von Huß voraus, als den Vortheil, daß durch den seit Hussens Zeiten in Aufnahm gekommenen Bücherdruck die Wissenschaften sich dem Volke mehr mitgetheilt hatten, und durch dieses Hilfsmittel ihre Lehre sich schneller ausbreiten konnte. Hussens Lehre verlor sich in den Kriegen,Kriegen – die Hussitenkriege: 1419 bis 1437 (nur ein Orientierungswert), die Hussiten gingen in Österreich, Schlesien, Polen, Sachsen, Brandenburg und der Pfalz mit grausamer Gewalt gegen alles Katholische vor die eine Folge seines Todes waren. Sie mußte durch die Barbarey, welche sich auf einmal wieder über Böhmen ausbreitete, und wo das Volk keine tüchtigen Lehrer mehr, sondern nur wüthende Anführer zum Blutvergiessen hatte, verunstaltet werden.

Ich fand noch Spuren genug, daß Huß, ungeachtet seines Starrsinns und seiner Verwegenheit, ein aufgeklärter und philosophischer Kopf war, der freylich auch etwas von dem unausgefeilten Gepräge seines Zeitalters trug. Es juckt mich verflucht in den Fingern, Bruder, mich hinter seine Geschichte herzumachen, die meines Erachtens noch lange nicht genug behelligtbehelligt – hier: erhellt ist. Ich will dazu sammeln was ich kann, und wenn ich einmal hinlängliche Muse habe, einen Versuch machen, ob ich zum Geschichtschreiben einigen Beruf habe. Wenigstens fühl ich einen starken Reiz dazu.

Die noch lebenden Hußiten machen sich grosse Hoffnung, der jetzige Kaiser, dessen tolerante Gesinnungen längst schon bekannt sind, werde ihnen um so eher Gewissensfreyheit gestatten, da er den Böhmen vorzüglich hold ist; allein, man glaubt hier allgemein, sie betrögen sich in ihrer Erwartung; denn da sie von den Grundsätzen der Lutheraner nicht sehr entfernt sind, so würde es wohl nicht rathsam seyn, eine ganz neue Sekte, die bey ihrer Entstehung fast allzeit eine Gärung unter dem Volk veranlaßt, in Aufnahme kommen zu lassen.

Die Böhmen sind ein vortreflicher Schlag Leute. Dubravius,Dubravius – Johannes Dubravius, Bischof von Olmütz, † 1553 einer ihrer Geschichtschreiber und Bischof zu Olmütz im 16ten Jahrhundert, vergleicht sie mit den Löwen. Da das Land, sagt er, nach der Art seines Zeitalters, unter dem Einfluß des Löwengestirnes liegt, so haben sie alle Eigenschaften dieses edlen Thieres. Ihre hohe Brust, ihre funkelnden Augen, ihr starker Hals, ihr dickes Haar, ihr vestes Knochengebäude, ihr Muth, ihre Treue, ihre Kraft und ihre unwiderstehliche Wuth, wenn sie gereizt werden, beweisen offenbar, daß der Löwe ihr Stern ist, den sie auch mit Recht in ihrem Wappen führen. Der gute Mann trift die Schilderung seiner Landsleute, wenn er gleich die Züge des Originals über dem Monde sucht. Sie sind schön, stark und ziemlich lebhaft, und man erkennt noch deutlich genug, daß sie von den Kroaten, einem der schönsten Völker der Erde, abstammen. Ihre Köpfe sind im ganzen etwas dick; allein das Mißverhältniß ist in Rücksicht ihrer breiten Schultern und ihres übrigen sehr untersetzten Körpers eben nicht sehr auffallend. Sie sind ohne Vergleich von allen kaiserlichen Unterthanen die besten Soldaten. Sie können alle Mühseligkeiten des Soldatenlebens am längsten aushalten, ohne stutzigstutzig – hier: widerspenstig zu werden. Besonders können sie dem Hunger, der den andern kaiserlichen Völkern ein so schröcklicher Feind ist, lange Trotz biethen.

Auf meiner Reise durch die östreichischen Erblande bin ich in einer Beobachtung bestärkt worden, die ich schon in verschiedenen andern Ländern gemacht hatte; nämlich daß die Bergbewohner überhaupt keine so gute Soldaten sind, als die Bewohner von ebenen Ländern. Die Tyroler, Kärnthner, Krainer und Steiermärker sind von Körper eben so stark als die Böhmen; allein sie sind doch bey weitem keine so guten Soldaten, als diese, und ohne Vergleich unter allen kaiserlichen Unterthanen die schlechtesten. Auch in der Schweitz sind nach dem Geständniß der erfahrensten Officiers dieses Landes, die Züricher, und der Theil der bernerischen Unterthanen, welcher nicht die höchsten Gebirge des Kantons bewohnt, ungleich bessere Soldaten, als die Graubündtner und andre helvetische Völkerschaften, welche die hohe Alpenmasse bewohnen. Ohne Zweifel kömmt der Unterschied daher, daß die Bewohner der Berge an eine zu eigenthümliche, und von den andern Völkern zu entfernte Lebensart gewöhnt sind, als daß sie ausser ihrem Lande, wo der Abstich mit ihrer Mutterrede sehr auffallend ist, nicht mißmuthig werden sollten. Bekanntlich sind auch alle Hirtenvölker weicher und zärtlicher von Natur, als die Ackersleute, welche durch Arbeit und Witterung mehr abgehärtet werden. Die Bergleute, die größtentheils Hirten sind, vertheidigen nach dem Zeugniß der ganzen Geschichte ihre Mutterrede mit mehr Hartnäckigkeit, als die Bewohner von Ebenen, weil sie wegen den Eigenthümlichkeiten ihres Landes überhaupt mehr Liebe zu demselben haben, und dann muß man bedenken, daß ihnen die Natur die Vertheidigung ihrer oft unübersteiglichen Berge sehr erleichtert. Allein ausser ihrem Lande sind sie so förchterlich nicht, und bekommen gerne das Heimweh, wodurch die Schweitzer bey unserer Armee so bekannt sind.

Die Verfassung und die Sitten des Landes tragen viel dazu bey, daß die Böhmen zum Soldatenstand so viele Vorzüge haben. Die Bauern leben in einer Armuth, die viel wirksamer als alle Prachtgesetze, den Luxus und die Weichlichkeit von ihm entfernt hält. Die Leibeigenschaft, welche hier in ihrer ganzen förchterlichen Stärke herrscht, gewöhnt sie von Jugend auf zu einem unbedingten Gehorsam, der größten militärischen Tugend unserer Zeiten. Die athemlose Arbeit für ihre Despoten und ihren eignen kümmerlichen Unterhalt macht sie hart, und sie finden das Soldatenleben einträglicher, als das Bauen der Felder ihrer Herren.

Es ist unbegreiflich, daß ein Volk in einem so bedrängten Zustand so viel Karakter habe. Sie haben ihre Freyheitsliebe schon nachdrücklich bewiesen, und in keiner Stadt der östreichischen Erblande fand ich so viele wahre Patrioten als hier. Man schildert die böhmischen Bauern gewöhnlich als dumm und fühllos; allein im ganzen genommen haben sie sehr viel Gefühl und natürlichen Verstand. Ich habe mit vielen gesprochen, die mir ihre Verhältnisse und ihre Lage deutlich genug beschrieben, und mit aller Wärme die Grausamkeiten ihrer Herren geschildert haben. Sie lieben den Kaiser bis zum Entzücken und rechnen mit aller Zuversicht darauf, er werde ihre Ketten zerreißen.Ihre Ketten zerreißen – das Leibeigenschaftsaufhebungspatent Joseph II. von 1781 wandelte die Abhängigkeit der Bauern in eine gemäßigte Erbuntertänigkeit. 1848 erfolgte die vollständige Aufhebung

In dem Hussitenkrieg legten sie Proben von Muth und Dapferkeit ab, welche die berühmten Thaten der Helvetier in den Augen der Welt verdunkelten, wenn eben so viel davon geschrieben und gesungen würde. Ohne einigen Vortheil des Terreins, auf ebenem Boden, schlugen sie oft mit einer Handvoll Mannschaft die zahlreichsten Armeen, die mehr geübt und besser bewafnet waren, als sie. Ihr Angriff war unwiderstehlich, und sie hätten sich die Freyheit, deren sie so würdig sind, gewiß errungen, wenn nicht gegen das Ende des Krieges unter ihnen selbst, größtentheils durch Verhetzungen der Pfaffen, Religionsirrungen und Partheilichkeiten entstanden, und sie von ihrem Feinde durch Traktaten nicht wären betrogen worden.

Ich konnte nicht ohne die innigste Rührung die schönen jungen Baurenbursche ansehn, die baarfuß, mit zerrissenen leinenen Hosen, in blossen, durchlöcherten, doch reinlichen Hemden, ohne Halstuch, zum Theil auch ohne Hut, Getreide oder Holz für ihre Herren zu Markt führen. Ihre gute Gesichtsmiene und Munterkeit stach mit ihrem Aufzug sonderbar ab. Einer, dem ich vor 3 Tagen auf einer Spazierreise zu Fuß nach dem hübschen Flecken Brandeis meinen Ueberrock (den ich gegen einen allenfalls zu erwartenden Regen mitgenommen, aber wegen der Hitze, die jetzt schon hier herrscht, nicht tragen konnte) auf seinen leeren Wagen warf, war der drolligste und beste Junge von der Welt. Er hatte nichts auf seinem Leibe, als Hemd und Hosen; doch zeigte er mir mit einer Art von Prahlerey einen leinenen Kittel, den er auf den Wagen liegen hatte, und der in seinem Umfang fast so viel Löcher als Zeug hatte. Das † und – des Rockes gieng beynahe gegen einander auf, und doch versicherte er mich in seinem gebrochenen Deutsch, daß er sich um alle Wind und Wetter in der Welt nicht kümmerte, so daß ich sehr philosophische und politische Betrachtungen über den Luxus meines abgeworfenen Ueberrocks anstellte. Er war die Gesundheit und Munterkeit selbst. Seine volle Backen und Waden, von der Sonne stark gebräunt, wollten mich mit aller Gewalt mit der Leibeigenschaft, der ich so gram bin, aussöhnen. Ich dachte, man lärmt so viel über den Luxus, empfiehlt den Bauern so sehr die Nüchternheit und Abhärtung des Körpers, und kann man wohl den Luxus und die Weichlichkeit von ihnen entfernt halten, wenn man ihnen die Thür zum Reichthum öffnet? Der Lehnsherr muß doch seinen Bauern das Nothdürftige geben, wenn er sich nicht selbst zu Grunde richten will, und wenn sie also kein Eigenthum haben, so sind sie doch sicher, daß sie nicht in den Fall kommen, ihr Brod vor den Thüren betteln zu müssen. Es kann ihnen kein Brand, kein Hagelwetter, keine Mißerndte, kein Krieg, noch sonst irgend etwas so viel Schaden thun, daß sie sich nicht in dem nämlichen Jahr wieder in ihren vorigen Zustand setzen könnten. Allein die Betrachtung, daß ihre Frugalität und Härte keine Folge ihres freyen Willens ist, und sie im Grunde ihren Herren nicht viel mehr als das Vieh sind, welches seine Felder pflügt, warf den Vertrag, den ich mit der Leibeigenschaft schliessen wollte, auf einmal um – Unterdessen akkompagnierteakkompagniren – akkompagnieren: einen Gesangsvortrag auf einem Instrument begleiten mein Reisegefährte meine Betrachtungen mit Pfeifen und Singen. Pausenweise sprach er viel mit seinen zwey sehr schönen Pferden, deren vortrefliches Geschirre mit seiner schlechten Kleidung stark abstach. Er schien die Pferde sehr lieb zu haben, streichelte und küßte sie, und doch waren sie nicht sein, sondern gehörten einem Prälaten zu, dessen Sklave er war. Ich konnte keine grosse Idee von einem Prälaten fassen, der das Geschirre seiner Pferde mit Messing verzieren, und seinen Knecht in Lumpen gehen läßt. Aber kann man auch von einem Prälaten Konsequenzen erwarten? – Mein guter Bauernjunge gab mir eine Probe von körperlicher Stärke, die mich staunen machte. Nicht weit von dem Flecken, wo ich übernachten wollte, fuhr er von der ordentlichen Strasse ab, und seine muthigen Pferde wollten Reißaus nehmen. Allein der Wagen stürzte in einen Graben, verlohr ein Rad, und sie mußten stehn. Der Junge lichtete die hintere Axe, wo das Rad fehlte, und glaubte die Pferde würden das übrige thun, aber die Vertiefung des Grabens war zu gähe.gähe – jäh, steil Ich wollte ihm helfen; er protestirte gar höflich, stemmte sich mit Macht an den Wagen an, und in einem Schub war er oben, ohne daß die Pferde viel gethan hätten – Das kleine Trinkgeld, das ich ihm geben wollte, nahm er mit aller Gewalt nicht an, und den ganzen Weg über, so oft ich von seiner Blösse oder dergleichen Umständen sprach, lachte er mich unter die Nase aus, und wurde wirklich auch einmal darüber ungehalten, daß ich glaubte, es fehlte ihm irgend etwas. Vielleicht ersetzt sein Herr durch Essen und Trinken das, was er ihm an der Kleidung abgehen läßt.

Ich sahe durchaus bey den Bauern vortrefliche Pferde. Der Kaiser und viele Edelleuthe haben vor mehrern Jahren Stuttereyen mit moldauischen, tartarischen und siebenbürgischen Hengsten angelegt, welche die Pferdezucht in kurzer Zeit sehr verbessert haben. Um einen Gulden kann auch jeder von den kaiserlichen oder verschiedenen adeligen Stuttereyhengsten seine Pferde belegen lassen. Böhmen liefert schon einen großen Theil der kaiserlichen Dragonerpferde, und die Zucht wird immer besser und ausgebreiteter.


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