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Wien –
Unsere neuern Philosophen sind durchaus gegen die grossen GesellschaftenGrossen Gesellschaften – gemeint ist das Leben in Großstädten. Der Anstoß geht auf Rousseau zurück (»Zurück zur Natur!«). Ich meines Theils nehme die Sachen gerne wie sie sind, und bin mit jeder Einrichtung herzlich zufrieden, wenn eine Veränderung gefährlich oder unmöglich wäre. Es ist wahr, es schauert der Menschheit, wenn man die grossen Städte auf ihrer Schattenseite betrachtet. Setze sich aber einer dieser Herren, die so viel mit der besten Weltmit der besten Welt – Leibniz' Lösung des Theodizee-Problems, über die viel gelacht worden ist: Gott war in der Schöpfung nicht frei, so schuf er nur die beste von allen möglichen Welten. in der Luft zu schaffen haben, nur einmal hin, und löse das Problem auf, wie Paris, London oder Wien kleiner zu machen seyen, ohne den ganzen Staat zu erschüttern, und ohne einen grossen Theil der wirklichen Einwohner dieser Städte unglücklich zu machen. Diese zahlreichen Gesellschaften bestehen bloß durch ihre Mängel, durch den ungeheuern Luxus, der sie mitten im Ueberfluß arm macht, durch eckelhafte Sklaverey des einen, und durch Uebermuth und Stolz des andern Theils, durch Aufopferung der Gesundheit und des Lebens so vieler tausend Menschen, deren Schiksal unser Philosoph bedauert, daß sie nicht zerstreut wohnen wollen, wie die Schotten im Hochland, und die Helvetier in den Alpen oder gar wie die Illinois und Irokesen in den Wäldern von Nordamerika oder die Afrikaner in ihren Sandwüsten.
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Der Mensch überhaupt genommen, ist überall mehr gut als bös, und wenn das Böse des abstrakten Menschen in grossen Städten sichtbarer ist, als in den zerstreuten Hütten der Berge, Wälder und Wüstenbewohner, so ist es meistentheils deßwegen, weil dort die natürlichen Anlagen des zweybeinigten Thieres ohne Federn mehr Gelegenheit haben, sich zu entwickeln, weil man die zusammengetragne Masse des Bösen so vieler Menschen auf einmal übersehen kann, welches bey dem zerstreut wohnenden nicht statt hat, weil dieses gehäufte Böse mit dem Guten um so stärker absticht, weil die Polizey mehr Neigung hat das Böse zu ahnden, als das Gute zu belohnen und das erstere also ruchbarer ist als das letztere, weil unsere Philosophen, die hierüber deklamiren, mehr Spleen als gute Laune haben und lieber Schwarz als Weiß sehn, und weil es den meisten mit ihren Deklamationen so wenig Ernst ist, daß der sehr ernstliche Herr Hans JakobHans Jakob von Genf – Jean Jaques Rousseau, s. Fünf und zwanzigster Brief. von Genf doch lieber zu Paris wohnte als unter den Savoyarden und Wallisern,Walliser – Einwohner des Wallis, ein Schweizer Kanton am Genfer See deren Lobredner er war.
Man sagt von London, daß man daselbst Himmel und Hölle beysammen sehe. Dieses gilt für jede grosse Stadt, nur die kleine Modifikation des Guten und Bösen ausgenommen, womit der starke Karakter des Britten seine Handlungen schattirt. Käme doch einer dieser Herren Denker auf dem sechsten Stockwerk auf den Einfall, die Gemählde von heroischen Tugenden, wovon der Halbwilde keinen Begriff haben kann, aus der täglichen Geschichte grosser Städte zu sammeln, und wenn es doch einmal des lieben Brodtes wegen geschrieben seyn muß, sie mit der gehörigen Brühe für das Publikum zu appretiren.appretiren – appretieren: einem Gewebe durch Bearbeitung ein besseres Aussehen geben Das Gute des Menschen entwickelt sich in gedrängten Gesellschaften eben so leicht als das Böse, und hat in den Augen eines wahren Menschenfreundes unendlich mehr Werth, als das Gute des Halbwilden, weil es nicht wie bey diesem die Wirkung eines fühllosen Instinktes, sondern mit mehr Bewußtseyn und einem lebhaftern Gefühl begleitet ist. Die Schilderung des Taglöhners in St. Marcel zu Paris, den ein Mönch auf dem Todesbette damit trösten wollte, daß er froh seyn müßte, aus diesem Jammerthal in das Paradies überzugehen, aber die unerwartete Antwort bekam: »Lieber Vater! Keine Sünde nagt an meinem Gewissen. Meine Tage flossen sanft und in ununterbrochener Freude dahin, und mir war die Welt kein Jammerthal. Willig unterwerfe ich mich der Fügung des Schicksals, und ich sterbe ohne Seufzer; aber fristet mir der Schöpfer noch das Leben, so verschaffe ich mir mit meiner Holzsäge und meiner Axt noch mehr vergnügte Tage! [«] ... Das Gemählde des jungen Menschen, der sich ums Geld so oft zur Ader ließ, um einem angehenden Wundarzt zum Studium zu dienen, und mit seinem Blut seiner Familie auf einige Zeit Brod verschaffte ... Das Mädchen in St. Jakob zu Paris, welches taub gegen alle Beredsamkeit der Wollust, grosse Reichthümer ausschlug, die der Preis ihrer Entehrung seyn sollten, und mit der ekelhaftesten und härtesten Arbeit, die seine Schönheit und Gesundheit aufzehrte, seiner kranken Mutter und ihren kleinen Geschwistern Unterhalt verschafte, und noch tausend Beyspiele von dieser Art, welche die Geschichte von Paris liefert, sind Beweise genug, daß der Mensch in der gehäuften Gesellschaft in eben dem hohen Grad gut als bös seyn kann, und daß der natürliche Stand des Menschen mit seinen Vorzügen an Tugend und Glück meistens nur ein schöner Traum müßiger Denker ist. Ich, Bruder, fand den Menschen auf nakten Felsenwänden, wenn er Anlaß dazu hatte, so bös und gewaltthätig, als den Bürger in der Stadt. Der Hang zur Unterdrückung seiner Nebengeschöpfe kann sich bey dem ersten nicht so leicht entwickeln, weil er nicht so oft und so stark in Kollisionen kömmt, als bey dem letztern; aber wenn dieser gut ist, so ist er es gewiß in einem höhern Grade als der Halbwilde.
Es ist wahr, eine gewisse Erziehungsart, gewisse Gebräuche, und eine verderbte Regierung können den Menschen in der gedrängten Gesellschaft leichter unter seine Natur erniedrigen, als da, wo er einsamer lebt. Aber alle Halbwilden, die wir kennen, sind auch diesem zufälligen Einfluß der Erziehung, der Gebräuche und der Regierung ausgesetzt, und die ganz wilden, oder die Urmenschen lernen wir nicht eher kennen, als bis die Länder jenseits des Mondes entdekt seyn werden. Dagegen ist aber der Mensch in der zahlreichen Gesellschaft biegsamer und, wenn er verdorben ist, leichter wieder zu bessern, als der Halbwilde, der sein Leben für seine Gebräuche und Sitten setzt. Auch die schwärmerischesten Verehrer der Schweiz konnten doch nur in einigen Thälerchen von Wallis das Urbild der Unschuld finden, dessen Züge vielleicht in der nächsten Generation unerkenntlich seyn werden, und sie müssen gestehn, daß das Verderben, welches unter den einsamen Bewohnern der Graubündtner Berge und durch einige demokratische Kantons herrscht, alle Vorstellung übersteigt, die man sich ausser diesen Gebirgen davon machen kann, und daß das Uebel hier platterdings unheilbar ist, dahingegen der Pariser, Londner, Wiener u. a. m. in einigen Generationen gebessert werden kann.
Ich fand diese Vorerinnerung nöthig, um dir einigermassen begreiflich zu machen, daß mir die Wiener, wenn ich auch gleich nicht soviel Gutes von ihnen sagen kann als ich wünsche, doch sehr liebe Leute sind und daß ich ihnen deßwegen nicht rathen möchte, aus einander zu laufen, und wie die Zigeuner hinter den Hecken zu leben, um ihren Zustand zu bessern und dem Stand der Natur näher zu kommen. Ich finde den Menschen, an dem sich mein Herz wärmen kann, überall, und habe nicht nöthig, mit unsern neuern Rittern in die Thäler von Piemont, Savoyen und der Schweitz zu laufen, um Menschen zu suchen. Ich weiß nicht, ob diese Herren die Menschen, die sie suchen, dort finden; aber das ist bekannt, die [daß] sie alle sehr bald wieder zurückkommen.
Das hiesige Publikum sticht mit dem von Paris durch eine gewisse Grobheit, einen unbeschreiblichen Stolz, eine gewisse Schwerfälligkeit und Dummheit und durch einen ausschweifenden Hang zur Schwelgerey erstaunlich ab. Die Gastfreyheit, wodurch es sich bey vielen Reisebeschreibern einen so grossen Ruhm erworben, ist meistens nur ein VehikulumVehiculum – Vehikel: Hilfsmittel seines Stolzes. Seit den 4 Wochen, als ich hier bin, konnte ich kaum 3 oder 4 mal nach meiner Gemächlichkeit bey einem Traiteur speisen. Es ist Sitte, wenn man in ein Haus eingeführt wird, einen Tag zu bestimmen, an welchem man wochentlich Gast im Hause seyn muß. In dem Haus, worin ich zum erstenmal eingeführt ward, fand ich sehr artige Leute, deren Gastfreyheit ich für wahre Gefälligkeit nehmen konnte. Aber da waren so viele Bekannte und Verwandte zu Tische, die mich gleichfalls einluden, und bey diesen bekam ich wieder so viele Einladungen, daß ich, wenn ich auch keine neuen mehr annehme, in den ersten 4 Wochen noch nicht damit zu Ende bin. Den meisten stand über den Augen die Frage an mich auf der Stirne geschrieben: «Nicht wahr; wir sind andre Leute als die Pariser?« Einige konnten sich auch nicht enthalten, in ziemlich platte und grobe Spöttereyen über uns auszubrechen. Es ist wahr, man ißt und trinkt hier ungleich besser und mehr als zu Paris. Die tägliche Tafel der Leute vom Mittelstand, der geringern Hofbedienten, der Kaufleute, Künstler und bessern Handwerker besteht aus 6, 8 bis 10 Gerichten, wobey 2, drei 3 bis 4 Gattungen Wein aufgesezt werden. Gewöhnlich sizt man 2 Stunden am Tisch, und man nahm es für eine Unhöflichkeit auf, daß ich mir manche Gerichte verbat, um mir die IndigestionenIndigestion – Verdauungsstörung zu ersparen, womit ich anfangs einigemal geplagt war. Aber so sehr nun auch für die Nahrung deines Leibes hier gesorgt ist, so sehr hungert es deiner Seele nach den freundschaftlichen Dines und Soupes zu Paris, die mehr zur Mittheilung der gegenseitigen Empfindungen und Beobachtungen als zu Indigestionen und Blähungen angelegt sind.
Platter Scherz und Spott sind fast das einzige, womit sich die Gäste bey der Tafel zu unterhalten suchen. Die, welche den ersten Rang unter dem Mittelstand behaupten, haben gemeiniglich einen München und öfters auch einen Komödianten an der Tafel, deren sehr verschiedener Wiz die ganze Gesellschaft belustiget. Den Ehrwürdigen sezt man zwischen das Frauenzimmer, welches er unablässig neken muß, und der andere Komödiant nimmt diese Neckereyen zum Stoff der seinigen. Nun dreht sich der ganze Spaß um Zweydeutigkeiten herum, die alle Bäuche und Lungen erschüttern. Nimmt das Gespräche eine ernsthaftere Wendung, so fällt es gewöhnlich auf das Theater, welches die ganze Sphäre der hiesigen Kritik und des hiesigen Beobachtungsgeistes ist, Die hiesigen Schauspieler scheinen nicht, wie die unsrigen, die besten Gesellschafter zu seyn. Auffallend war mirs, daß die, welche ich bisher kennenlernte, nicht einmahl ihre Muttersprache gut sprechen können. Man würde es zu Paris einem Akteur nicht verzeihen, wenn er in einer Gesellschaft das PatoisPatois – Mundart, Sprechweise der Fischerweiber spräche wie die Herren vom hiesigen Theater, die ich kenne, und sich, wie diese, in seinen Gebehrden, seinen Beobachtungen und seinem Witz nicht einmal über das tiefste Pöbelhafte erheben würde.
Ueberhaupt herrscht hier im alltäglichen Umgang nichts von der Munterkeit, dem geistigen Vergnügen, der uneingeschränkten Gefälligkeit, der lebhaften und zum Interesse des Umganges unumgänglich nötigen Neugierde, wodurch auch die Gesellschaften vom niedrigsten Rang zu Paris beseelt werden. Kein Mensch macht hier Beobachtungen über die Leute, die den Hof ausmachen. Niemand versieht das Publikum mit Anekdoten und Neuigkeiten du jour.du jour – vom Tage Du findest unzälige Leute von Mittelstand, die von ihren Ministern, Generälen und Gelehrten kein Wörtchen zu sagen wissen, und sie kaum dem Namen nach kennen. Alles hängt hier ganz an der Sinnlichkeit. Man frühstücket bis zum Mittagessen, speißt dann zu Mittag bis zum Nachtmal; und kaum wird dieser Zusammenhang von Schmäussen von einem trägen Spaziergang unterbrochen, und dann gehts in das Schauspiel. Gehst du den Tag über in ein Kafeehaus, deren es hier gegen 70 giebt, oder in ein Bierhaus, welche unter den öffentlichen Häusern die reinlichsten und prächtigsten sind – ich sah eines mit rothem Damast tapeziert und mit vergoldeten Rahmen, Uhren und Spiegeln à la grecquea la grecque – griechisch-antike Imitation und mit Marmortischen – so siehst du halt das ewige Essen, Trinken und Spielen. Du bist sicher, daß dich kein Mensch ausforscht oder dir mit Fragen lästig ist. Kein Mensch redet da, als nur mit seinen Bekannten, und gemeiniglich nur ins Ohr. Man sollte denken, es wäre hier wie zu Venedig, wo sich alle Leute in den öffentlichen Häusern für Spionen halten.
Ich stund einigemahl gegen Mittag auf dem Graben, um welche Zeit das Gedränge am stärksten ist, um die Wiener in ihren Physionomien zu studieren. Ihre Gesichtsbildung nimmt sich dadurch aus, daß überhaupt genommen, die Knochen unter den Augen ein wenig weit vorstehen, und das Kinn längst den Wangen her, platt und unten spiz zuläuft. Ausser einigen Zügen von grobem Stolz konnt' ich nichts auf diesen Gesichtern lesen. Entweder ist das erste Axiom der Physionomik, nämlich daß sich die Seele in den äussern Linien des Körpers abdrucke, grundfalsch, oder die Wiener haben wenig Seele. Nos numerus sumus et fruges consumere nati;Nos numerus ... – »Wir sind nur Nullen, geboren die Früchte der Erde zu essen.« (Horaz) das ist alles, was sich da lesen läßt. Ich sah bisher ausserordeu[n]tlich wenig bedeutende, geistige Gesichter.
Ich schränke meine Beobachtungen bloß auf den Mittelstand ein, der den grossen Haufen, oder im wahren Verstande des Wortes das Volk ausmacht. Der grosse Adel in Europa sieht sich zu unsern Zeiten – einige kleine Nüanzen ausgenommen – fast überall gleich, und die ganz untere Klasse des Pöbels gehört kaum zur Gesellschaft. Die Mannichfaltigkeit und Verschiedenheit der Nationen ist nur in der Sphäre des Mittelstandes zu suchen.
Wenn ein Fremder, wie es dem Engländer MooreMoore – ... Moore, englischer Reiseschriftsteller, † 1802 begegnet seyn mag, das Glück hat, in gewisse grosse Häuser hier zu kommen, so findet er freylich einige Gesellschaften, die die besten zu Paris und London übertreffen. Es giebt hier unter den Damen vom ersten Rang AspasienAspasien – Aspasia: geistvolle Kurtisane im antiken Athen – ausser dem Bette, versteht sich –, die ihren griechischen Urbildern Ehre machen, deren Zirkel aus den besten Köpfen, den grösten Helden und Staatsmännern bestehn, und selbst von einem der grösten, besten und weisesten Monarchen mit einer sich ganz mittheilenden Herablassung besucht werden, die den Kreis an AugustsAugust – der Römische Kaiser Augustus Hofe versetzt. Aber hier lassen sich keine Gemählde von Volkssitten und Nationalkarakteren sammeln, die uns Herr Moore auf dem Titel seines Werks zu geben verspricht.
Die Geselligkeit, der Geschmack und die schönen Sitten, welche nun den grösten Theil des hiesigen hohen Adels so liebenswürdig machen, sind eine Folge des hinreissenden und entzückenden Beyspiels des jetzigen Kaisers. Sein Herr Vater stimmte den sultanischen Ton des hiesigen Hofes schon etwas herunter, aber JosephJoseph – Joseph II., 1765 deutscher Kaiser und Mitregent seiner Mutter Maria Theresia in den österreichischen Ländern. Er war der Aufklärung verbunden, während seine Mutter durch den Einfluß der Pfaffen noch im Zeitalter der Gegenreformation lebte, † 1790 ist der erste seines Hauses, der für alle Menschen Mensch ist, der seine Kron und seinen Zepter für ein unbedeutendes Gepränge der Eitelkeit hält, die Kaiserwürde bloß im Wohlthun sucht, und sich bloß durch den grössern Wirkungskreis, wohlzuthun von seinen Unterthanen unterscheidet. Der hiesige Adel war ehedem das Gepräge des Hofes. Einer vom hohen, alten Adel hielt es für eine Entehrung, wenn ihm ein Bürgerlicher nur gerade in die Augen sah. Der kleine Adel ward unter dem Titel des LeonischenLeonischen – leoninisch: ein Vertrag, bei dem der eine Partner allen Nutzen hat, (nach einer Fabel Äsops) nach spanischer Art ganz von der Gesellschaft ausgeschlossen, und man hat Beyspiele, daß sogar Feldmarschällen von niederer Gebuhrt der Zunge [Zugang ?] versagt wurde. Das ganze Reich der Wissenschaften ward unter dem Titel der Pedanterie begriffen, und die Künste, die ohne Wissenschaften geschmaklos sind, durften nur im bunten Gewand des Harlekins erscheinen. Kaiser LeopoldKaiser Leopold – Leopold I., Kaiser seit 1658, gründete die Universitäten Innsbruck und Breslau, begabter Musiker, † 1705 war ein grosser Verehrer der Musik, und man hat noch Aufsätze von ihm, die aber nach Aussage der Kenner wenig Geschmack haben. Denke dir diesen Cäsar, wie er mit der Krone auf dem Haupt zum Fenster seines Pallastes herausschaut, um sich an den Harlekinaden einiger damaligen Schauspieler zu ergötzen, die im Hofe des Pallastes herumtanzten, sangen und ihre Schellenkappen gegen die Kayserkrone aufschwangen, so hast du das wahre Bild des damaligen Hofes, der mit dem gleichzeitigen von Ludwig XIV. stark genug absticht. Der erstickende Dunst der affektirten Hoheit verscheuchte die Musen und Grazien weit von Hofe und aus dem ganzen Lande. Nach dem Getümmel der langwierigen Kriege, worinn er so viel Lorbeer sammelte, weihte zwar der grosse Eugen von SavoyenEugen von Savoyen – s. Zwanzigster Brief, »Türken ... vor der Hauptstadt« seine Ruhe den schönen Göttinnen. Alles, was von ihm noch übrig ist, spricht von einem Geschmak, der auf die alte, finstere Masse Wiens Licht wirft. Er war der erste, der der französischen Lektüre hier den Eingang zu öfnen suchte. Er stand mit den größten Gelehrten und Künstlern seiner Zeit in Verbindung, und wäre hier für die Wissenschaften eben das geworden, was er für die kayserliche Armee war, wenn der Aberglaube und die Dummheit so leicht zu besiegen wären, als die größten Kriegesheere. Die Mönche, besonders die Jesuiten, hemmten seinen wohlthätigen Einfluß und vereitelten seine patriotischen Bemühungen, wie sie auch das meiste dazu beytrugen, daß seine politische Gegenparthey immer bey Hofe über ihn siegte. Unter Karl dem sechstenKarl dem sechsten – Karl VI., Österreichischer Erzherzog, der letzte Habsburger im Mannesstamm, Vater von Maria Theresia, die er zur Thronfolge bestimmte. Er wurde 1711 Deutscher Kaiser, † 1740. Vgl. auch Zehnter Brief »Bayrischer Krieg« stand kein Fach der Wissenschaften in Ansehn, als die, welche sich auf das Finanz= und Handlungswesen beziehn, die subtile Gelehrsamkeit ausgenommen, die sich mit dem ächten Schnitt einer Kapuze, mit der Berechnung, wie viel Geister auf einer Nadelspitze zu tanzen Raum hätten, mit der Untersuchung, wie sich die einfachen Wesen vervielfachen und wieder vereinfachen können, u. dgl. m. beschäftigen. Vor einigen Tagen fiel mir hier von ohngefähr ein Buch in die Hände, welches ohne Zweifel das beste inländische Produkt ist, welches Karls des Sechsten Zeiten aufweisen können. Es handelt von den Staats= und besonders von den Finanzwissenschaften, und die vortreflichen Grundsätze, die in einem sehr barbarischen Deutsch darin vorgetragen werden, hat bisher noch kein Monarch genau befolgt, als der König von Preussen,König von Preußen – Friedrich II. von Preußen, s. Fünfter Brief »Friedrich der Große« der dadurch groß geworden. Der Verfasser nennt sich Schröder,Schröder – Wilhelm Freiherr von Schröder, veröffentlichte 1686 ein Buch »Fürstliche Schatz- und Rent-Kammer. Nebst einem Tractat vom Goldmachen«, in dem er das Wirtschaftsprogramm des Merkantilismus auf der Grundlage des absolutistischen Staates entwickelte. Dieses Buch stand bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bei den Ökonomen im höchsten Ansehen und wurde als »das beste, so wir von Cameralsachen haben« bezeichnet. und stand in kayserlichen Diensten. Aber ausser dem Fach der Finanzen war alles dicke Finsterniß. Alles, sogar die Predigen, waren Hanswursterey, und erst spät unter der Regierung des verstorbenen Kaysers kommen einige Spuren von einem gereinigten Geschmak zum Vorschein. Die Kaiserin Maria Theresia Maria Theresia – Erzherzogin Maria Theresia von Österreich, † 1780, war eine der mächtigsten Herrscherinnen ihrer Zeit. Sie war die Ehefrau des römisch-deutschen Kaisers Franz I. Stephan und Mitregentin ihres Sohnes, Kaiser Josephs II. Der Titel «Kaiserin« war eine Anmaßung, sie war die Frau des Kaisers, hatte jedoch zweifellos mehr Macht als dieser. konnte sich nie entschliessen, ihrem Gemahl die Zügel des Staats ganz zu überlassen, sonst wäre es hier schon viel heller. Diese in jedem andern Betracht so grosse Fürstin hat eine schwache Seite, die den Pfaffen, welche die Schwäche der Regenten immer am besten zu benutzen wissen, freyes Spiel gestattet. Sie sieht alles, Künste, Wissenschaften, Sitten und Gesellschaften, im Licht ihrer persönlichen Religion und Frömmigkeit, und möchte gern alle ihre Unterthanen mit Gewalt zu Engeln machen. Ich werde dir hierüber ein andermal weitläuftigere Nachricht geben. Sie hat auch die alte spanische Etiquette ihres Hofes noch nicht ganz vergessen können und hält noch viel auf alten reinen Adel. Dieß ist Ursache, daß auch der bessere Theil der hiesigen Einwohner nur in so weit geändert ist, als er es durch den persönlichen Umgang des Kaisers werden konnte; denn dieser hat als Mitregent auf die Regierung seiner Erblande noch gar wenig Einfluß. Die Frömmigkeit der Kaiserin gestattet zur Aufnahme der Wissenschaften und Künste und zu einem frohen Genuß der geselligen Freuden zu wenig Freyheit, und der Zug von Stolz und Herrschsucht, der die natürliche Güte ihres Herzens ein wenig schattirt, theilt sich noch einem Theil des Adels und der Hofleuthe mit.
Bey den unbeschreiblich vielen Anstalten, welche die Kaiserin zur moralischen Besserung ihrer Unterthanen macht oder doch zu machen glaubt, muß doch der Hof noch ganz allein hier die frommen Stiftungen unterhalten und das meiste für die Hausarmen thun. Hier ist kein Pfarrer von St. Sulpice, der zur Verpflegung der Nothdürftigen von subscribirtensubskribieren – sich zu einer regelmäßigen Zahlung verpflichten, meist im Buchhandel bei Bestellung mehrbändiger Werke gebraucht Wohlthätern jährlich gegen 300.000 Livres einnimmt. Der hiesige Erzbischof, Migazzi,Migazzi – Christoph Anton Graf Migazzi, † 1803, katholischer Erzbischof in Wien, 1785 von Joseph II. zur Abdankung gezwungen. hat zwar die Bigoterie und die Anhänglichkeit an die päbstliche Hierarchie mit unserm BeaumontBeaumont – Christophe de Beaumont, französischer Prälat und Jansenistengegner, † 1781 gemein; aber er vertheilt nicht wie dieser jährlich gegen eine Million Livres unter verschämte Arme und Nothleidende. Ich zweifle, ob hier eine Kollekte von 10.000 Gulden gemacht werden könnte. Und doch giebt es Häuser hier, mit denen sich die reichsten zu Paris nicht messen können. Pracht, Verschwendung und Schwelgerey macht hier fast alles gegen die sanftern Gefühle der Menschlichkeit, gegen die reine Wohllust, seinen Nebengeschöpfen gutes zu thun, und gegen die wahre Grösse des Menschen stumpf und fühllos. Die meisten der reichen Häuser haben sich durch ihren übertriebenen Aufwand mit Schulden belastet, und doch haben es noch wenige gelernt, sich vernünftig einzuschränken. Sie würden es für eine Schande halten, wenn sie ihrer Schulden wegen eine bessere Oekonomie einführen sollten. Die vom Mittelstand verzehren alles von Hand zu Mund, und sind froh, wenn sie auch bey einem beträchtlichen Einkommen keine Schulden haben, wenn das Jahr zu Ende ist. Oekonomie ist hier eine unbekannte Sache. Alles schwelgt, und lebt bloß für seine Sinnlichkeit. Ich muß abbrechen, und die Fortsetzung dieses Briefes auf die nächste Post versparen.