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Wien –
Um sich einen richtigen Begriff von der hiesigen Regierung, wie sie itzt wirklich ist, zu machen, muß man sich drey Partheyen denken, die sehr von einander verschieden sind. Die erste und stärkste ist jene der Kaiserin. Sie besteht nebst der Hauptperson aus dem Kardinal Migazzi,Kardinal Migazzi – Christoph Anton Graf Migazzi, Erzbischof der Erzdiözese Wien und Kardinal, † 1803 hiesigen Erzbischoff, aus einigen Mönchen, besonders Kapuzinern, und einigen alten frommen Damen, die der Monarchin sogar mit Nachahmung der Trauerkleider derselben schmeicheln. Diese Parthey geht immerfort mit Keuschheitskommißionen, Bücherverbotten, Vertreibung gefährlicher Lehrer und Prediger, Beförderung von Heuchlern, Aufrechthaltung der päbstlichen Monarchie und Verfolgung der sogenannten neuen Philosophie schwanger. Ein grosser Theil des alten Adels, dessen Rechte mit jenen der Pfaffen auch wirklich in Verbindung stehn, dient dieser Parthey zum Rückhalt.
Die zweyte Parthey ist jene des Kaisers. Diese liegt mit der ersten in einem unaufhörlichen Kampf. Sie ist mit Verbesserung der Gesetzgebung, mit Beförderung des Ackerbaues, der Handlung und Industrie überhaupt, mit Untergrabung der Gewalt der Dummheit und ihrer Trabanten, mit Verbreitung der Philosophie und des Geschmacks, mit Beschneidung der unbegründeten Rechte des Adels, mit Beschützung der Niedern gegen die Unterdrückung der Grossen und mit allem dem beschäftigt, was Erdengötter thun können. Eine Hauptstütze dieser Parthey ist der Feldmarschall Lacy,Feldmarschall Lacy – Franz Moritz Graf von Lacy, österreichischer Feldherr und Heeresreformator, † 1801 dessen Art die Mönche und ihren Anhang zu bekriegen grade die nämliche ist, womit er vor einigen Jahren dem König von Preussen in Böhmen die Spitze bott; nämlich es ist die vertheidigende Art Krieg zu führen, die auch der Graf von Sachsen wohl kannte. Er legt dem Kaiser die Plane von verschanzten Lagern, Zikzakmärschen und vortheilhaften RetiradenRetirade – militärisch: Rückzug vor, und der General Migazzi mit seinen braunen, schwarzen, weissen, halbschwarzen und halbbraunen Truppen mußte oft schon das Feld räumen und das Winterquartier beziehn; ohne schlagen zu können. Diese zwey Partheyen, die offenbare Feinde sind, pflegen durch Vermittlung der dritten unabläßig Unterhandlungen mit einander.
An der Spitze der letztern steht Fürst Kaunitz,Fürst Kaunitz – Wenzel Anton Graf Kaunitz, leitete die österreichsche Außenpolitik, † 1794. Friedrich der Große über ihn: »... Ich halte ihn für einen Mann, der viel Geist hat. Er hat gesundes und klares Urteil, aber er ist so von sich eingenommen, daß er sich in der Politik für ein Orakel und die andern für Schüler hält, die er belehren will....« einer der größten Staatsmänner unsrer Zeit, der sich durch seine Verdienste um das kaiserliche Haus in das Vertrauen der Kaiserin und ihres Sohnes gesetzt hat, und würdig ist der Vermittler zwischen beyden zu seyn. Im Herzen mag er mehr der Parthey des Kaisers anhängen, als den Grundsätzen seiner Frau Mutter; aber es ist jener selbst darangelegen, an ihm einen Vermittler zu haben, der bey der Monarchin Ansehn genug hat, und bey derselben ihren philosophischen Operationen die Farbe von Religiosität zu geben, ohne welche sie ihren Zweck nie erreichen könnte. Er maskirt die Märsche des Kaisers und seines grossen Feldmarschalls, und so wachsam auch der Kardinal mit allen seinen vortreflichen Spionen ist, so mußte er doch öfters schon kapituliren, noch ehe er wußte, daß der Feind im Anmarsch sey. Fürst Kaunitz hat zwar einen Zug in seinem Karakter, der jeden, welcher ihn kennt, glauben macht, daß er eine wirkliche Anhänglichkeit an die Kaiserin haben müsse, so wenig er auch für die übrigen Grundsätze derselben eingenommen seyn mag. Von der Anhänglichkeit, welche jeder Minister seinem Hof schuldig ist, ist hier die Rede nicht. Ich betrachte hier bloß das Personelle. Dieser Zug ist seine grosse Liebe zur Pracht und zu einem starken Aufwand, welche der grossen Sparsamkeit des Kaisers so stark widerspricht. Choiseul,Choiseul – Étienne-François, duc de Choiseul d'Amboise, französischer Staatsmann, † 1785 der Herzensbruder des Fürsten Kaunitz, giebt keine prächtigeren Tafeln zu Paris, wo er doch so berühmt in diesem Punkt ist, als der hiesige Minister. Beyde haben eine Politik und eine Lebensart mit einander gemein. Bey dem Fürsten Kaunitz wird es gegen 11 oder 12 Uhr Morgen, die Mittagstafel beginnt um 4 oder 5 Uhr, und währt bis 7 oder 8 Uhr und noch länger, wenn er kein Schauspiel besucht, und bey den Soupers um Mitternacht findest du nebst den fremden Ministern, reisenden Standespersonen und hiesigen Hofleuten öfters auch die ausgesuchtesten Künstler, Gelehrten, Schauspieler und Schauspielerinnen. Er ist zum Theil gezwungen diesen Aufwand zu machen, denn er macht die Honneurs des Hofes, wofür ihm die Kaiserin 50.000 fl.fl. – Florin: Gulden Nebst seiner Besoldung jährlich ausgesetzt haben soll. Aber diese Honneurs sind dem Kaiser zu kostbar. Der Fürst, welchem es als einem alten gemächlichen Manne unmöglich ist, seine Lebensart zu ändern, kann es also auch mit der Kaiserin und dem Hofbanquier nicht ganz verderben; und ob er schon gewiß weiß, daß der Kaiser seine Verdienste zu hoch schätzt, als daß er bey einer Veränderung in Gefahr stünde, etwas von seinen ansehnlichen AppointementsAppointment – Festlegung zu verlieren, so können doch ausserordentliche Fälle kommen, wo eine freygäbige Freundin der Geistlichkeit einem sparsamen Philosophen, der mit seinem System harmonirt, die Waage hält.
Die Einschränkungen der Klöster, die neuen Schuleinrichtungen, die vielen Bücher welche ans Licht treten, und die Beförderungen zu geistlichen und weltlichen Ehrenstellen geben allen drey Partheyen vollauf zu thun. Der letzte Punkt giebt besonders viel zu streiten und zu vermitteln. Kaum ist eine Stelle ledig, so wird die Kaiserin augenblicklich von ihren Damen und Pfaffen mit Rekommendationen und SupplikationenRekommandation, Supplikation – Empfehlung, Bittgesuch bestürmt, und gemeiniglich kömmt der Kaiser, welcher seinen Mann immer nur nach dem Verdienste wählt, mit seinem Kandidaten zu spät. Der unglücklichen Wahl der Kaiserin nach Rekommendationen und Suppliken hat man hauptsächlich die Unthätigkeit zu verdanken, welche hier fast in allen DikasterienDikasterium – Gerichtshof herrscht. Gar viele Räthe und AssessorenAssesor – Beisitzer bei Gericht arbeiten platterdings nichts. Es ist hier grosse Mode, sich um ein kleines Geld einen SubalternenSubalterner – ein im untergeordneten Rang Stehender, Untergebener zu dingen, der die Geschäfte versehen muß. Sehr viele Staatsbedienten könnten nicht einmal arbeiten, weil sie sich zu den Geschäften, wovon sie den Titel haben, nie fähig zu machen suchten. Und doch giebt es eine Menge Hofräthe hier, die 6 bis 8 tausend Gulden ziehn. Einige, die besonders viel arbeiten wollen, bringen sich noch viel höher. Man nannte mir einen, der jährlich auf seine 18.000 Gulden kömmt, aber sie auch durch seinen unermüdeten, aber hier höchst seltenen Fleiß verdient. Unter dieser Klasse der Hofbedienten herrscht ein unbeschreiblicher Luxus. Der gnädige Herr, denn alle Räthe sind gnädige Herren, muß seinen Kammerdiener haben, und gar oft hat die gnädige Frau auch den ihrigen. Es ist hier nicht wie bey uns, wo der Kammerdiener fast die verächtlichste Person unter den Laquayen ist. Hier folgt er unmittelbar auf den Haushofmeister, und versieht gar oft die Stelle eines Sekretärs, dem er auch allzeit den Rang streitig macht. Wenn es nur äusserst möglich ist, so muß der gnädige Herr, dessen Geschäfte so unbedeutend als sein Titel sind, auch seine Equipage haben. Vielleicht ist ausser dem türkischen kein Hof in Europa, der, was die Bedienungen vom zweyten Rang betrift, seine Bedienten so gut bezahlt und doch dabey so schlecht bedient wird, als der hiesige. Der Kayser bekömmt mit der Zeit eine herkulische Arbeit, um seine Dikasterienställe zu reinigen.herkulische Arbeit um ... – eine der Aufgaben des Herakles war es, die total verdreckten Rinderställe des Augias an einem Tag zu säubern (daher: Augiasstall)
Seit mehrern Jahren hat die Kaiserin ihrem Sohn die Verwaltung des Kriegswesens uneingeschränkt überlassen. Das Militär ist also der einzige Stand, dessen Glieder bloß vom Kaiser abhängen, und beym ersten Blick sieht man, daß dieser Stand zu einer Vollkommenheit gebracht ist, die mit der Unordnung im Civilstand und Kirchenwesen stark absticht. Es ist schon lange bekannt, daß die Unterthanen des Hauses Oestreich von Natur vortrefliche Soldaten sind. Es fehlte der Armee meistens nur an aufgeklärten und patriotischen Kommandanten, an besserer Disciplin und an richtiger Zahlung. Die Finanzen des Hofes waren bis unter der Regierung des vorigen Kaisersvoriger Kaiser – Karl VI., † 1740 in der größten Verwirrung, und die Engländer und Holländer mußten immer das Meiste zur Unterhaltung der kaiserlichen Truppen beytragen. Kaiser FranzKaiser Franz – Franz I. Stephan, † 1765 legte durch Verbesserung des Finanzwesens den Grund zu der förchterlichen Grösse, worauf dieses Haus nun gestiegen ist, und die immer förchterlicher wird. Nun hat der hiesige Hof auch zu den größten Unternehmungen keine fremden Subsidien mehr nöthig. Zur Bildung der Armee fehlte es also nur noch an einem Mann, der so wol die ökonomische Einrichtung, als auch die gute Disciplin und die Theorie der grossen Operationen verstund. Diesen Mann fand der Kaiser an dem General Lacy, der ohne Zweifel eines der größten Genies unsers Jahrhunderts ist. Wie klein sind viele der gepriesenen grossen Geister neben einem Mann, der mit dem nämlichen philosophischen Blick die Regierung, die Staatswirthschaft, das Verhältniß des Staates gegen die übrigen europäischen Mächte, und dann eine Armee von ohngefähr 250.000 Mann so durchschaut, daß er für die allerkleinsten Kleidungsstücke des Soldaten Sorge trägt: der mit gleicher Anstrengung und mit gleich glücklicher Beurtheilungskraft in einer Stunde Plane zu Märschen und Lagern entwirft; in der andern den Schneidern Muster zu bessern KamisölernKamisol – Unterjacke vorlegt, und den Schustern einen bessern Schnitt von Soldatenschuhen vorschreibt, in der dritten mit dem Kaiser Verbesserungen des Justitzwesens und der grossen Staatsverwaltung entwirft, in der vierten die kleinsten Griffe der Handmannövers zu simpifizirensimplifizieren – vereinfachen sucht, in der fünften die Magazine durchschaut und besser anordnet, und dann in der nächsten Stunde über jeden Gegenstand der Weltweisheit, der ihm in den Wurf kommen mag, zu seiner Erholung sokratisirt.Sokrates – griech. Philosoph, † v.C. 399 Gewiß, wenn die Menge deutlicher Begriffe den Verstand eines Menschen ausmacht, so sind dem Feldmarschall hierinn wenige zu vergleichen. Wer weiß, was zur genauen Kenntniß der Artillerie,Artillerie – mit schweren Geschützen versehene Truppengattung KavalerieKavalerie – Kavallerie: Reitertruppe und Infanterie,Infanterie – Fußsoldaten zur Kombination dieser verschiedenen Massen und ihrer Bewegungen und zum lokalen Gebrauch derselben vonnöthen ist, der wird nicht begreifen können, wie ein Kopf, der alles das umfaßt, sich noch mit den Knöpfen an den Hosen der Soldaten beschäftigen könne. Und doch ist das alles zusammen nur ein kleiner Theil seiner deutlichen Begriffe. Seine geographischen, statistischen, kameralischen, landwirthschaftlichen und noch viele andre Kenntnisse erstrecken sich mit der nämlichen Deutlichkeit bis ins kleinste Detail. – Fast schäme ich mich es niederzuschreiben – dieser grosse Mann ist, aller seiner Verdienste ungeachtet, bey dem grossen Haufen, und auch bey der Armee, deren wahrer Vater er ist fast allgemein gehaßt. Er verlor die Liebe der Offiziers, weil er ihnen die Gewalt nahm, ihren Souverain zu betrügen. Ehedem lieferten die Kapitäns die Bedürfnisse für ihre Kompagnien, und sie waren durchaus gewohnt, sich bey dem Tuch, den Hüten, Schuhen u. dgl. wenigstens noch zweymal so viel zu machen, als ihr Sold betrug. Die höhern Offiziers standen gemeiniglich mit den Zahlmeistern in einem Vertrag, und stekten mit denselben einen Theil der Kriegskasse neben ein. Alles das hört nun auf. Ungeheure Magazine liefern auf Kosten des Kaisers dem Soldaten alles, was er nöthig hat. Er bekömmt seinen Sold richtig auf die Stunde, ist besser gekleidet, als kein Soldat in Europa, und wird zu einer MenageMenage – franz, Ménage: Haushalt, hier Ernährung angehalten, die seiner Gesundheit und seiner körperlichen Stärke sehr zuträglich ist. Der Lohn für diese vortrefliche Einrichtung des grossen Feldmarschalls ist Hohn und Spott. Die Pfaffen, welche wissen, daß er nicht ihr Freund ist, helfen ihn vollends in bösen Ruf bringen; aber er ist Mann dazu, den ganzen Schwarm der Elenden zu verachten, und das Vergnügen zu schmecken, auch Undankbaren Gutes zu thun.
Der schwarze Stand, an dessen Spitze der Kardinal Migazzi steht, ist unter sich getheilt. Der größte Theil denkt zwar wie sein Oberhaupt, das heißt, gut bellarminisch,Bellarmin – Robert Bellarmin, Heiliger, Jesuit, Kirchenlehrer, Sein Hauptwerk «Dispute über die Kontroversen des christlichen Glaubens«, machte ihn zum führenden Kopf der Gegenreformation, spielte als Inquisitor die Hauptrolle im Prozeß gegen Giordano Bruno, † 1621 und wo es nur möglich ist einen Exjesuiten anzubringen, da unterläßt es der Kardinal gewiß nicht; allein in diesem Stand ist die Verstellung unendlich leicht, und Migazzi kann es nicht hindern, daß nicht öfters ein Wolf unter einem Schaffell in seine Heerde einschleichen sollte. Es sind schon sogar einige Bischöffe da, von denen der Kardinal nichts weniger erwartet, als daß sie mit der Zeit selbst Hand an seine Hierarchie legen würden, und die doch gewiß nur den Wink des Kaisers dazu abwarten. Unterdessen thut er alles, was möglich, um wenigstens die öffentliche Lehre auf den Schulen und Kanzeln rein zu halten. Sein apostolischer Eifer wird öfters Kühnheit. Vor einigen Jahren unterstand sich ein hiesiger Mönch, ich glaube ein Jakobinerakobiner – Jakobiten, Anhänger des gestürzten englischen Königs Jakob II., der 1688 nach Frankreich ins Exil gehen mußte auf der öffentlichen Kanzel zu predigen: »Die Geistlichen seyen dem Landesherrn wie seiner übrigen Unterthanen, Gehorsam schuldig. Da sie mit denselben gleichen Schutz und gleiche Vortheile genössen, so wären sie verbunden, auch die Auflagen des Landes zu tragen. Die Kirche wäre durch ihren Uebermuth und durch die Schwäche der Regenten in den finstern Zeiten zu einem Ungeheuer geworden, welches die ersten Kristen nicht mehr erkennen würden. Jeder Landesherr sey verpflichtet, das Kirchenwesen nach dem Wohl seines Staates zu verbessern« u. dgl. m. Der Kardinal, dem gewiß keine Predigt entgeht, fiel wie gewöhnlich über den patriotischen Mönch her. Der Kaiser machte Mine, seine Parthey mit allem Nachdruck zu nehmen, um seinen Raub gewisser zu haschen. Der Kaiser verreiste, und nun bekam der gute Mönch seine Inquisition. Er ward als ein Gefangener in ein Kloster nach Oestreich gebracht, wo er sich noch befindet. Der Kaiser konnte bey seiner Zurückkunft nichts thun, als diesen Streich des Kardinals zu den vielen andern dieser Art in sein Souvenir zu schreiben.
Die Bücherzensur ist der glänzendeste Triumph der erzbischöflichen Parthey. Man muß alle die Thorheiten, welche dieses Kollegium begeht, nicht den Zensoren selbst auf die Rechnung setzen. Ich kenne verschiedene dieser Herren als sehr aufgeklärte und philosophische Köpfe. Sie sind bey jedem Werk, welches ihnen unter die Hände kömmt, unendlich schlimmer daran, als das Werk selbst. Alles, was geschrieben werden kann, ist nicht an sich selbst, sondern nur bezugsweise ärgerlich, und es ist eine platte Unmöglichkeit für die Zensoren, eine so bestimmte und vollständige Vorschrift abzufassen, daß nichts übrig bleiben sollte, woran sich nicht ein Theil des Publikums ärgern könnte. Nun schwitzen sie über den Manuskripten, die ihnen vorgelegt werden, daß es zum Erbarmen ist. Ich sah einige Manuskripte, welche die Zensoren, um alles Anstößige zu vermeiden, zu ganz neuen Werken umgearbeitet hatten. Sie glaubten ihre Sache recht gut gemacht zu haben. Das Buch tritt unter der Presse hervor, und nun kömmt eine alte Dame, oder ein Neider des Verfassers, oder ein halbverrükter Mönch oder sonst ein Narr oder Schurke, und beweist Aergerlichkeiten, die keinem vernünftigen und ehrlichen Mann auffallen konnten. Es ist bekannt, daß sich einer einmal an den Wörtern: »Vater unser,« sogar auf dem Todbette geärgert hat. Und nun bekömmt der Zensor seinen derben Verweis. Der Theaterzensor bekam schon öfters Verweise, daß er die Wörter »Teufel, Hure, Ehebrecher, Saperment, verflucht, Pabst« u. dgl. m. paßiren ließ: Oft findet ein Grosser eine Personalität in einem Werke, wovon dem Zensor nicht träumen konnte, und nun muß wieder der arme Zensor die Einbildung der Grossen büssen. Ein besonderer Stein des Anstosses für die zensoren sind die Bücher, welche über die östreichischen Staaten selbst geschrieben sind. Der Hof, nämlich jener der Kaiserin, scheint zur Beurtheilung dieser Schriften den Grundsatz angenommen zu haben, daß man alles, was Oestreich heißt, loben müsse. Wenigstens werden die meisten Werke, worinn etwas östreichisches getadelt wird, unterdrückt und verboten – So weit, Bruder, ist es bey uns doch nicht gekommen. Wir haben eine Menge mit königlichem Privilegium gedruckte Bücher aufzuweisen, worinn die Mißbräuche unserer Regierung gerügt werden – Das theologische Fach ist für die Zensoren das bestimmteste. Da haben sie nur alles, was dem Bellarmin, Suarez,Suarez – Francisco Suarez, Jesuit, schrieb die erste systematisch aufgebaute Gesamtdarstellung der scholastischen Metaphysik «Disputationes metaphysicae«, † 1617 Sanchez,Sanchez – Tomás Sánchez, spanischer theologischer Schriftsteller, † 1610 Molina,Molina – Luis de Molina, spanischer jesuitischer Theologe, † 1600 Busenbaum,Busenbaum – Hermann Busenbaum, Jesuit, Moraltheologe, † 1668, Sein Buch «Medulla Theologiae Moralis« wurde in Frankreich verboten, weil es den Königsmord rechtfertigte; man warf ihm auch die Jesuitenparole «Der Zweck heiligt die Mittel« vor. BaroniusBaronius – Caesare Baronius, Kardinal und Kirchenhistoriker, † 1607, schrieb eine 12bändige Kirchengeschichte und ihren Konsorten widerspricht, auszustreichen, und so ist die Sache geschehen. Wie das Reich der Wissenschaften in diesen Umständen hier bestellt seye, das will ich dir in meinem nächsten Briefe sagen.