Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Sechszehnter Brief.

s. a. die Berichtigung am Ende dieses Reiseberichtes

Salzburg. –

In PilatisPilati – Carlo Antonio Pilati di Tassulo, † 1802, Jurist und Historiker, verband die politische Philosophie Machiavellis mit den Ideen der französischen Aufklärung, entfaltete eine intensive publizistische Tätigkeit gegen die politischen Ansprüche der römischen Kurie und kämpfte im Sinne des aufgeklärten Josefinismus für Religionsfreiheit Reisen durch verschiedene Länder von Europa erinnere ich mich eine Anekdote gelesen zu haben, welche die Intoleranz der Salzburger schildern soll. Es ist wahr, man schreyt allen Leuten ohne Unterschied auf der Strasse zu, sich vor dem heil. Sakrament, wenn es in der Prozeßion oder zu einem Kranken getragen wird, nieder zu knien, und die persönliche Grobheit des jetzigen Küsters macht es etwas zu auffallend. Auch hörte ich einige gutherzige Mädchen von einigen Protestanten, die sich auf eine kurze Zeit hier aufhalten, und meine Freunde sind, mit dem Ton des innigsten Mitleids sagen: Schade, daß sie Lutheraner sind! Allein, das Niederknien vor dem Sakrament ausgenommen, welches jeder leicht vermeiden kann, weil man den Küster schon in grosser Ferne schällen hört, wüßte ich nicht, was hier ein Protestant zu beförchten hätte. Unter dem Adel, der Geistlichkeit und der Kaufmannschaft giebt es vortreffliche Gesellschaften, worin man ohne Unterschied der Religion sehr wohl aufgenommen wird. In mehrern Gasthäusern kann man um Geld und gute Worte auf die FesttägeFesttäge – Fastentage, eine Form der Askese für den Hausgebrauch: am Aschermittwoch und jeden Freitag ist kein Fleisch erlaubt, wohl aber Eier oder Fisch Fleisch haben, und der Pöbel, der besonders in kleinen Residenzen sehr leicht den Ton des Hofes annimmt, hat unter der jetzigen Regierung viel von der heiligen Grobheit verloren, woran ihn die Bigotterie des vorigen Fürsten gewöhnt hatte.

Unter dem Adel, besonders den Dohmherren, giebt es nicht nur sehr gute Gesellschaften, sondern auch Leute, die sich durch ihre ausgebreiteten Kenntnisse sehr ausnehmen. Der jetzige DohmprobstDomprobst – Leopold Ernst Graf von Firmian, regte die österreichische Schulreform an, † 1783, ein Bruder des berühmten Grafen von FirmianGraf von Firmian – Karl Joseph von Firmian, italienischer Politiker † 1782, Vicegouverneurs von Mayland, ist mit den besten italienischen, französischen, deutschen und englischen Schriftstellern sehr genau bekannt. Die Sammlung der letztern ist in seiner ausgesuchten Bibliothek fast ganz vollständig. Er ist ein sehr liebenswürdiger Herr, der von den 20.000 Gulden, die ihm seine Pfründe einträgt, den besten Gebrauch zu machen weiß. Der Obersthofmeister des Fürsten, ein andrer Bruder des berühmten Vicegouverneurs, ist ein grosser Liebhaber und Kenner von Gemählden. Seine reiche Sammlung von Porträten von Künstlern, meistens von ihnen selbst gemahlt, ist nach jener zu Florenz, einzig und giebt derselben wenig nach. Der Gram über einen der schrecklichsten Unglücksfälle, die einen Vater treffen können, hat seine Seelenkräfte sehr geschwächt, und die unbeschreibliche und fast kindische Güte, die aus seinen Gesichtszügen leuchtet, mit einem kleinen Gewölke überzogen. Sein erster Sohn, der Hoffnungsvollste Herr, war Dohmherr zu Passau, und die Familie konnte erwarten, in ihm mit der Zeit einen Bischof oder gar einen Erzbischof von Salzburg zu sehn. Der zärtliche Vater besuchte ihn und machte mit ihm eine Jagdparthie. Als sie auf einem Schlitten nach dem Gehölze fuhren, gieng dem Vater die Flinte los, und die unglückliche Kugel fuhr seinem Sohn durch die Brust. Wie ein Rasender sprang er ins nahe Gebüsche, raufte sich die Haare und wälzte sich im Schnee. Mit Gewalt mußten ihn die Jäger von der Stätte bringen – Ein Graf Wolfegg, Dohmherr, hat eine Reise durch Frankreich gemacht, um unsre Manufakturen und Handwerker zu studieren. Er ist mit allen unsern berühmten Künstlern bekannt und sein Lieblingsfach ist die Baukunst, worinn er wirklich vortreflich ist. Der Oberstallmeister, Graf von Küenburg, ist ein weitumfassender Kopf, äusserst gefällig, witzig und einnehmend im Umgang. Seine niedliche Bibliothek enthält alle unsere guten Schriftsteller, und bey ihrer Anlage ist kein Index librorum prohibitorumIndex – Index Librorum Prohibitorum, ein Verzeichnis der Bücher, die Katholiken bei Strafe der Exkommunikation nicht lesen durften. (populäre Autoren z. B. Giordano Bruno und Immanuel Kant), 1966 abgeschafft. zu Rathe gezogen worden. Der Bischof von Chiemsee, Graf von Zeil und noch viele andre vom hohen Adel, sind wegen ihrer Kenntnisse und ihrer guten Lebensart verehrungswürdige Leute.

Der hiesige hohe Adel besteht gröstentheils aus österreichischen Familien und zeichnet sich durch Herablassung, Weltkenntniß und Sitten von dem dumm=stolzen Trotz der bayrischen und schwäbischen Baronen auffallend aus. Aber der kleine hiesige Adel, der grosse Schwarm der kleinen Hofleute, macht sich durch seine erbärmliche Titelsucht und seinen elenden Stolz lächerlich. Du findest hier gegen 100 gnädige Herren, die von 3 bis 400 Gulden auf Gnade des Hofes leben und die du nicht gröber beleidigen kannst, als wenn du zu ihnen: Mein Herr, oder zu ihren Weibern: Madame, sagst. Man muß sich hier angewöhnen, immer über das dritte Wort, Euer Gnaden, zu sagen, um nicht für einen Menschen ohne Lebensart gehalten zu werden. Wegen der unbeschreiblichen Armuth unter diesem Theil der Einwohner findet man eine Menge gnädiger Fräulein, welche die Dienste der Haushälterinnen und barmherzigen Schwestern verrichten. Sie beklagen sich alle, daß ihnen der Hof keine hinlängliche Besoldung giebt, um ihrem Stand gemäß leben zu können. Ich hab aber nicht ausfindig machen können, was eigentlich ihr Stand sey. Fast alle haben weder Güter noch Kapitalien, und da sie es für eine grosse Erniedrigung halten, ihre Kinder zu Handwerkern, Fabrikanten, Künstlern oder Handelsleuten zu erziehen, so sieht sich der Hof genötigt, die Besoldungen so klein als möglich zu machen, um den vielen gnädigen und gestrengen Herren, von denen 2 Drittheile zu seiner Bedienung überflüßig sind, grade soviel geben zu können, daß sie nicht verhungern. Ihr Stand ist also nichts als der gute Willen des Hofes, eine grosse Menge unnützer Bedienten zu ernähren, und ihr kühnes Vertrauen auf diesen guten Willen. Wenn man ihnen übrigens die gehörige Titulatur giebt, so sind sie die artigsten geselligsten und dienstfertigsten Geschöpfe von der Welt. Sehr viele von ihnen beschäftigen sich auch mit der Lektur der deutschen und französischen Dichter, besonders jener, die für das Theater gearbeitet haben. Die Theaterwut herrscht hier so stark, als zu München, und man lechzt nach der Ankunft einer fahrenden Schauspielergesellschaft wie im äussersten Sibirien nach der Wiederkehr des Frühlings. Ein französischer Ingenieur, in Diensten des Fürsten, hat ihnen ein niedliches Bühnlein gebaut, mit einigen säuberlichen Statuen und Säulen, die aber nichts zu tragen, haben als ein dünnes Brett vor dem Vorhang, mit dem Wappen des Fürsten.

Im ganzen glaube ich hier mehr Aufklärung bemerkt zu haben, als zu München. Obschon der Landesherr ein GeistlicherLandesherr ein Geistlicher – Hieronymus Graf von Colloredo, seit 1772 Fürsterzbischof der Erzdiözese Salzburg, † 1812 ist, so giebt es hier nach dem Verhältniß der Grösse beyder Länder doch lange nicht so viele Klöster, als in Bayern, und die hiesige Geistlichkeit zeichnet sich durch gute Zucht, Demuth, Bestrebung ihrem Beruf nachzukommen und andre Tugenden von der bayrischen sehr aus. Man versteht hier die Regierungskunst unendlich besser, als zu München. In Rücksicht auf den Kopf kann man von dem jetzigen Fürsten nicht gutes genug sagen, aber – sein Herz kenne ich nicht. Er weiß daß er den Salzburgern nicht sehr angenehm ist, und verachtet sie daher und verschließt sich. Ich glaube die Vorwürfe, die man ihm macht, sind sehr übertrieben. Man will berechnet haben, daß er jährlich gegen 300.000 Gulden nach Wien an seine Familie schicke, und dem Land also einen guten Theil seines Markes entziehe. Ein Theil der Landesstände, nämlich fast das ganze Dohmkapitel hat beym Reichshofrath zu Wien einen Prozeß gegen ihn anhängig gemacht, und besonders die Beschwerde angebracht, daß er aus ihrer Kasse gegen Scheine vieles Geld genommen, und sie nun die Kisten anstatt klingender Münze voll Papier hätten, ohne abzusehn, wie es in baares Geld verwechselt werden könnte. Ich weiß nicht, in wie weit die Klagen des hochwürdigen Dohmkapitels gegründet sind, aber so viel ist gewiß, daß er in Rechtfertigung seiner selbst ungemein viel Feinheit und Verstand geäussert hat und daß einige Dohmherren gleich von Anfang seiner Regierung gegen ihn aufgebracht waren, weil sie sich Hoffnung zu der erzbischöflichen Würde gemacht hatten, die aber vom Hof zu Wien dem jetzigen Fürsten zugedacht war. Das, was er das Land geniessen läßt, so wenig es auch seyn mag, verwendet er wenigstens mit ungemein viel Verstand zum Besten desselben, und gemeiniglich zu guten Erziehungsanstalten. Er schont seine Geistlichkeit nicht, und hat den hiesigen Augustinern auf einmal gegen 100.000 Gulden weggenommen, und die eine Hälfte dieser Summe für sich, die andere aber zum Genuß des Publikums bestimmt. Er ist in allem, sogar auch in seiner einzigen Paßion, der Jagd, äusserst sparsam, und mit einem Bataillon wackerer Soldaten, einem der schönsten, die ich je gesehen, dessen Officiers ihm sehr zugethan sind, und welches ganz auf östreichischen Fuß gesetzt ist, kann er sich über alles Murren hinaussetzen.

Alles athmet hier den Geist des Vergnügens und der Lust. Man schmaußt, tanzt, macht Musiken, liebt und spielt zum Rasen, und ich habe noch keinen Ort gesehen, wo man mit so wenig Geld so viel Sinnliches geniessen kann – Seit einiger Zeit soll die VenusseucheVenusseuche – Syphilis stark eingerissen haben. Doch die vielen blühenden Gesichter der mannbaren Mädchen, deren Gürtel fast durchaus gelöset sind, macht mich glauben, daß bloß die Neuheit das Uebel so groß macht – Man spricht hier von religiösen und politischen Gegenständen mit einer Freyheit, die der Regierung Ehre macht, und in den Buchläden kann man wenigstens die deutschen Schriften fast ohne Einschränkung haben – Einer der Haupttummelplätze der öffentlichen Lustbarkeit ist der eine Stunde von hier entlegene fürstliche Garten Hellbronn, wo Bier und Wein geschenkt wird. Das Merkwürdigste in demselben – einige vortrefliche Statuen von Marmor ausgenommen – ist ein großer Park, in dessen Mitte sich ein waldigter Berg erhebt. Auf einer Seite bietet er eine schrofe Felsenstirne dar, die einer Heerde Steinböcke zum natürlichen Aufenthalt dient, und welche man wegen ihrer zunehmenden Seltenheit in den Gebirgen des Landes hier nachziehn will. Auf der entgegensetzten Seite enthält dieser Berg in einer Kluft ein in den natürlichen Felsen gehauenes Theater, und auf der Vorderseite desselben steht im Schatten bejahrter Eichen und Buchen ein kleines Schloß, welches über einen Theil des Parks, den Garten und die Gegend umher bis zu den hohen Granitgipfeln gegenüber eine prächtige Aussicht beherrscht. Am Fuß des Berges weidet eine ungeheure Heerde Damhirsche, und in verschiedenen Nebenabtheilungen werden andre Gattungen von Gewilde aufbehalten. Auf der andern Seite stossen an den Garten eine kostbare Fasanerie, Teiche für Biber und verschiedene Behältnisse für seltsame Thiere. Alles ist für jedermann offen.

Die hiesige Universität erhält sich durch die Kongregation der Benediktiner=Klöster, welche sie mit Lehrern besetzen. Den studierenden Unterthanen der schwäbischen Reichsprälaten, die mit im Bund sind, dient es zu einer Empfehlung, wenn sie zu Salzburg absolviert haben, und ausser diesen und den Eingebohrnen findet man wenig Studierende hier, obschon der größte Theil der Lehrstüle mit ausnehmend wackern Männern besetzt sind. Der Fonds der Universität ist zu klein, als daß alle die Fächer, worüber sich in unsern Zeiten das Reich der Wissenschaften ausgebreitet hat, gehörig besorgt werden könnten. Die sämtlichen Einkünfte derselben belaufen sich nicht viel über 5.000 Gulden.

Zu dem Nationalstolz, welcher unter diesem Völkchen herrscht, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Mir ist alles, was zum Glück der Menschen etwas beiträgt, gewissermassen ehrwürdig, so gering und unbedeutend es auch seyn mag. Wie unglücklich wären wir, wenn man uns die Spiele und Täuschungen unserer Einbildung nehmen wollte? Die Einwohner dieser Stadt ärgern sich höchlich darob, wenn man sie Bayern heißt. Ich dachte, weil ihr Land im Kreis dieses Namens läge, so wären sie so gut Bayern, als die Würtemberger Schwaben sind. Aber man belehrte mich sehr umständlich, daß die Vergleichung mit Schwaben nicht statt hätte, weil kein einzler Theil desselben ausschließlich Schwaben hiesse, daß der bayrische Kreis seinen Namen von dem Herzogthum hätte, weil es der größte Theil desselben sey, daß aber dieser Kreis im Grunde eben so gut der salzburgische heissen könnte. Man will hier mit den Bayern gar nichts gemein haben, und sezt sie sehr tief unter sich. Etwas mehr Geschmak, und gute Lebensart, und etwas weniger Bigoterie muß man den Salzburgern vor den Bayern einräumen; aber daß man den Abstand so groß macht, und die Bayern gar unter die Thiere herunter setzt, das muß man der mächtigen Fee Phantasie zu gut halten. Wenigstens sollten aber die hiesigen Herren und Damen bedenken, daß, wenn es jezt hier zu Lande etwas heiterer ist, als unter dem bayrischen Himmel, sie es bloß dem jetzigen Fürsten zu danken haben, der die magischen Dünste des Aberglaubens mit seinem geheiligten Stab aus seinem Gebiete verscheucht. Eine ebenso schnelle Revolution kann in kurzer Zeit die Bayern weit über ihren jetzigen Zustand hinaus sezen. Man hat hier noch Denkmale genug von der Finsterniß, die vor 15 und 20 Jahren sich über den hiesigen Horizont gelagert hatte. Im hiesigen Gefängniß der Geistlichen sizt noch ein Pfarrer, der um seiner Gemeinde einen starken Haß gegen die Sünde und eine lebhafte Forcht vor der Hölle einzujagen, seinen Schulmeister als einen Teufel ankleidete, ihn unter der Kanzel verstekte und auf seinen Ruf mitten in der Predigt neben ihm erscheinen ließ, um Zeuge der Wahrheit zu seyn.

Für einen Mineralogen und Botaniker wäre dieses Land äusserst interessant; es hat aber das Unglück, wenig bekannt zu seyn, wenn das Geräuschmachen zum Glück der Menschen unumgänglich nöthig ist. Dieser Schaz ist der Zukunft aufbehalten, wenn einmal das Land ein Genie erzeugt, das seine Aufmerksamkeit auf diese Gegenstände wendet, oder der Schwarm der müßigen Reisenden, welcher wechselsweise die Alpen, die Appeninen, den Aetna, die Pirenäen u. s. w. gleich den Heuschrecken überzogen hat, endlich einmal auch seinen Flug in dieß Gebirge nimmt, und durch sein Geschrey ein ausländisches Genie zur Untersuchung reizt. Das Zillerthal ist besonders reich an verschiedenen Steinarten, und in verschiedenen Gegenden des Gebirges findet man von den seltensten europäischen Pflanzen. Ueber den Bau der Berge, über die Wirkungen und Produkten des Wassers in denselben und über ihre zu erwartende Revolutionen ließen sich hier herrliche Hypothesen spinnen.

Ich muß dir noch von einem Fürstenthum des heiligen römischen Reichs Nachricht geben, von dessen Daseyn schwerlich ein Geograph bey uns etwas weiß. Es ist das Fürstenthum Berchtoldsgaden, welches ich dir auf der Spitze des Unterberges, der seine nördliche Gränze ist, zu einem flüchtigen Ueberblick schon gezeigt habe. Es besteht in einem kleinen, engen, mit den steilsten Felsen ringsum vermaurten Thale, welches kaum 3.000 Seelen enthält. Einige Seen nehmen den Boden des Thales ein, und eine ungeheure Waldung bedekt die niedern Abhänge der Berge. Auf einer Insel des grösten Sees hielten wir vor einigen Tagen ein herrliches Mahl mit Fischen aus demselben, einigen niedlichen Fleischgerüchten und kostbarem Tyroler Wein. In den tiefsten Schlünden und Klüften fehlt es hier an guten Köchen nicht. Die Natur des Landes ist weder dem Ackerbau noch einer einträglichen Viehzucht sehr günstig. Die Einwohner haben daher ihre Zuflucht zum Kunstfleiß genommen, der die Menschen in keinem Winkel der Erde darben läßt, und sinnreich und mächtig genug ist, alles auch die härtesten Steine in Brod zu verwandeln. In diesem unbekannten Thale, Bruder, wird der gröste Theil der Quinqualerie verfertigt, womit Nürnberg und Augspurg einen so ausgebreiteten Handel treiben. Die Steckenpferde, Raspeln, Guguck, hölzerne Männchen, Weibchen, Ratten, Mäuse und all das Spielwerk für kleine Kinder; die Kruzifixchen, beinerne Spielzeichen in den so niedlichen Strohkästchen, die Puder und Pomadebüchsen, und all das Spielzeug für die grossen Kinder, und kurz der größte Theil der Artikel, die man bey uns unter dem Titel der deutschen Waare begreift, kömmt aus diesem verborgenen Schlund. Es ist ein angenehmes Schauspiel, 2 bis 3 Familien, von den fast unmündigen Kindern an bis zu den Greisen in einer engen Hütte mit so seltsamen Produkten beschäftigt und die kleinsten Arbeiten von den plumpsten Bauernhänden verfertigen zu sehen. Wegen des erstaunlich geringen Preises ihrer Waaren können sie zwar keine Reichthümer sammeln, aber sie nähren sich alle redlich und haben genug. Die guten Leute wissen nicht, daß ihre Produkten bis zu uns, und mit grossem Gewinn von den Spaniern nach Amerika und den Engländern nach Ostindien geführt werden. Ein kleiner Theil derselben beschäftigt sich mit dem Salzsieden; aber da sie diesen Artikel bloß durch Bayern ausführen können und dieses Land so überflüßig damit versehen ist, so müssen sie es um einen Spottpreiß weggeben. Auch empfinden sie den Druck eines mächtigern Nachbars von der salzburgischen Seite. Salzburg soll seine Salzminen schon weit über die Berchtoldsgadner Gränze fortgesetzt haben, ohne daß man auf die Klagen dieses bedrängten Fürstenthümchens achtet. Außer diesem Thal, welches die unmittelbaren Reichs= und Kreislande der gefürsteten Probstey ausmacht, besitzt sie noch einige Güter in Oestreich und Bayern, und ihre sämmtlichen Einkünfte mögen sich auf ohngefähr 60.000 Gulden belaufen. Durch die Verschwendung einiger ehemaligen Pröbste ist sie in drückende Schulden gerathen.


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