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Wien –
Rousseaus gesellschaftlicher VertragRousseaus gesellschaftlicher Vertrag – »Du contrat social« (1762; deutsch »Der Gesellschaftsvertrag«), Rousseau spricht hier erstmalig vom politisch mündigen Bürger. Durch die Bindung aller an das Gesetz, das sie sich selbst gegeben haben, gewinnen sie eine höhere Art von Gleichheit und Freiheit. Das scharfsinnige Werk, im Gegensatz zum absolutistischen Machtstaat stehend ist ein Grundbuch der modernen Demokratie. enthält ohne Zweifel viel Schwärmerey. Das Schicksal, welches mit uns sein ewiges Spiel treibt, wirft uns in irgend eine gesellschaftliche Lage, die uns ankettet, ehe wir an einen Vertrag denken können. Der blinde Zufall und die eiserne Noth sind die Gesetzgeber, welche alle die Demokratien, Aristokratien, Monarchien und Despotien und das unendliche Gemengsel dieser verschiedenen Verfassungen geschaffen haben. Ohne Zweifel befinden wir uns auch, überhaupt genommen, besser unter der Leitung des launigten Glücks, als wenn wir uns in unsern verschiedenen Verhältnissen durch förmliche Verträge mit einander verbinden und gegen einander verwahren wollten. Die Faust des Stärkern bliebe doch immer die natürlichste Erklärung unserer Verträge, und unsere Bedingungen mögen noch so deutlich seyn, so findet der Stärkere doch eine Erklärung nöthig, so bald er seine Ueberlegenheit fühlt, und sein Interesse mit jenem der andern in eine Kollision kömmt.
Indessen ist es doch wahr, daß in den verschiedenen bürgerlichen Verkettungen, worin wir uns nun einmal befinden, das Wohl des Ganzen sich nicht deutlicher denken läßt, als wenn man zwischen den Gliedern der Gesellschaft einen Vertrag voraussezt, worin der vernünftige Willen aller oder der meisten Glieder zur Richtschnur der Gesetzgebung und gesellschaftlichen Verwaltung angenommen wird. Kein Sultan hat etwas von dieser Vorstellung zu beförchten, und wenn sie sich auch allen seinen Unterthanen von seinem VezirVezir – Wesir, der höchste Würdenträger des türkischen Sultans an bis auf seine Sklaven, mittheilen sollte. Der Souverän, er mag nur Einen oder hundert Köpfe haben, kann sein eignes Interesse nicht besser beobachten, als wenn er seinen Regenten=Willen als das Resultat des vernünftigen Willens aller oder des grösten Theils seiner Unterthanen betrachtet. Eine reelle Kollision zwischen dem Interesse des Regenten und seiner Unterthanen überhaupt läßt sich nicht denken. Sie ist allezeit nur eine Täuschung verworrener Begriffe. Die ganze Geschichte ist voll dieser Wahrheit, deren deutliche Erkenntniß auf Seiten des Regenten die Unterthanen gegen alle wirkliche Tyranney sicher sezt, wenn der Beherrscher auch als Privatmann noch grausam seyn sollte. Eben so kann sich der Regent gegen Meuterey, Verrath und Aufruhr nicht besser sichern, als wenn er seine Unterthanen überzeugt, daß ihr Interesse überhaupt die Richtschnur seiner Gesetzgebung und Verwaltung ist, und es seyn muß, wenn er sich selbst nicht schaden will. Das Interesse ist das heiligste Band der Menschen,Interesse als das heiligste Band ... vgl. auch die Nationalökonomie Adam Smiths und bloß von der deutlichen Erkenntniß desselben hängt ihr Glück ab. Die Bosheit hatte immer unendlich weniger Theil an dem Unglück der Völker, die in der Weltgeschichte auftretten, als der Irrthum der Regenten und die Verkennung ihres eigenen Interesse. Und was hat nun auch der uneingeschränkteste Beherrscher zu beförchten, wenn er öffentlich und feyerlich mit seinen Unterthanen den Vertrag eingeht, nichts thun zu wollen, als was in ihrem sämtlichen vernünftigen Willen eingeschlossen ist, oder, welches das nämliche ist, was ihr Interesse erfodert? Die Natur hat diesen Vertrag schon errichtet, noch ehe eine Monarchie war. Er ist der Grund der Ruhe und des Glükes jeder einzeln Familie, jeder auch noch so kleinen Gesellschaft, und auch das Recht des Stärkern widerspricht ihm nicht, wenn er selbst seine überlegne Stärke, sein natürliches Recht nicht zu seinem eignen Nachtheil verwenden will – Es ist wahr, der grosse Haufen verkennt gemeiniglich sein eignes gemeinschaftliches Interesse; allein die Geschichte hat kein Beyspiel, daß ein Regent, der sich mit Thätigkeit und Klugheit am Besten seiner Unterthanen verwendet, durch Schuld des grösten Theils derselben unglücklich geworden wäre. Die Natur ist Bürge dafür, daß die, welche ihre Gesetze befolgen, ihren Zweck erreichen und glücklich seyn werden – O Ihr, denen die Bildung künftiger Regenten anvertraut ist, wie leicht wäre es euch, eure Mitbürger überhaupt gegen Tyranney und Bedrückungen sicher zu stellen! Wir fodern keine Trajane,Trajan – römischer Kaiser, † 117 keine Antonine,Antonin – römische Kaiser, entweder Antonius Pius, † 161 oder Antonius Marcus, † v.C. 30 keine HeinricheHeinrich – gemeint ist der franz. König Heinrich IV., † 1610 von euch. Die Natur muß für Fürsten von der Art mehr gethan haben, als ihr thun könnt. Aber Eure Schuld ist es, wenn ihr uns Tyrannen gebt, die um so gefährlicher sind, wenn sie selbst nicht wissen, daß sie Tyrannen sind. Könnt Ihr nicht über die Leidenschaften eurer Zöglinge Meister werden; so könnt ihr ihnen doch deutliche Begriffe von ihrem eignen Interesse beybringen, und mehr braucht der Staat zu seiner Sicherheit nicht. Zeigt ihnen im Detail, wie unzertrennlich ihr Glück von jenem des Staates ist: wie z. B. eine unbezähmte Ruhmbegierde, die sie auf Kosten ihrer Völker, zu grossen lärmenden Unternehmungen hinreißt, sie ihren Zweck verfehlend macht, und bey der vernünftigen Nachwelt als Verheerer brandmarkt!
Der Aberglauben und besonders die Wollust der Fürsten haben die Politik erzeugt, deren Grundsätze Machiavell gesammelt aber nicht gut geheissen hat. Schon die AugusteAugust – der römische Kaiser Augustus, † 14 und NeronenNeron – der römische Kaiser Nero, † 68 hatten Gebrauch davon gemacht: aber erst in dem neuern Italien ward sie als einzige wahre Regierungskunst angenommen. Die Päbste, deren Gewalt auf dem Wahn des Volkes beruhte, die Ohnmacht der vielen kleinen Staaten, worin dieses Reich zerstückt war, ihre Zerrereyen unter sich selbst, der beständige Kampf mit überlegnen auswärtigen Feinden, das Genie der Nation und dann vorzüglich die Wollust und Verschwendung der Fürsten brachten diese unnatürliche Staatskunst in Aufnahme, die zwischen dem Interesse des Regenten und seiner Unterthanen, einen wesentlichen Unterschied macht, die letztre als Feinde der erstern behandelt, ihre Gewalt bloß auf List baut, alle Aufklärung und alle graden Wege verabscheut, sich in die finstern Kabinette verschließt und das Volk durch unverständliche Machtsprüche beherrscht.
Mit andern Künsten und Wissenschaften breitete sich auch diese menschenfeindliche Kunst aus Italien weiter über Europa aus. Die Minister verschiedener europäischen Höfe, die sich nach den italiänischen Mustern gebildet hatten, glaubten desto besser zu regieren, je feinere, listigere und verwickeltere Maaßregeln sie ergriffen. Ludwig XI.Ludwig XI. – franz. König, † 1483 RichelieuRichelieu – Armand-Jean du Plessis de Richelieu, franz. Kardinal, unter Ludwig XIII. erster Minister, † 1642 und MazarinMazarin – Jules Mazarin, ab 1642 Nachfolger Richelieus als erster Minister, † 1661 waren die größten Meister in dieser Kunst. Damals – die glücklichen Zeiten von Heinrich IV. ausgenommen – hätte man es an unserm Hofe für eine Thorheit gehalten, wenn man das Volk durch Aufklärung, Ueberzeugung, Liebe und Freymüthigkeit hätte beherrschen wollen, zwischen den Unterthanen und dem Regenten gewisse Verbindlichkeiten angenommen, und das Interesse derselben als Eins betrachtet hätte.
Die Pfaffen, besonders die Jesuiten, deren innere Ordensverfassung und Regierung mit den Grundsätzen dieser sogenannten feinen Politik vollkommen übereinstimmten, trugen das meiste dazu bey, sie an den Höfen geltend zu machen. Man behandelte diese Grundsätze als heilige Geheimnisse, die, wie der Stein der Weisen, ihre Besitzer zu Halbgöttern machten. Geblendet von den Trugschlüssen dieser politischen Goldmacherey entfernte man sich in der Regierung der Staaten von dem einfachen und geraden Gang der Natur, der allein zur Glückseligkeit führt, der in der Verwaltung jeder häuslichen Familie ebenso kenntlich ist als in der Beherrschung des größten Staates und wornach jeder Regent sich als ein guter Hausvater betragen muß, der kein andres Glück kennt, als woran alle seine Kinder, Knechte und Mägde Theil nehmen.
Durch die Jesuiten und einige italienische ParvenusParvenu – Parvenü: Emporkömmling, Neureicher schlich sich der sogenannte Machiavelismus auch an den hiesigen Hof ein. Ich weiß nicht, hat man es dem Nationalhumor,Nationalhumor – Nationalcharakter oder einer andern Ursache zu verdanken, daß er hier die greulichen Auftritte nicht veranlaßt hat, die zu einer gewissen Zeit die Höfe in Italien, Frankreich, Spanien und auch in England zu Mördergruben machten, wo der abscheuliche Mißbrauch der Religion, Freundschaft und Liebe unter dem Vorwand des Besten des Staats geheiligt ward und Verrätherey der innigsten Freunde, Bruder= und Vatermord das Spiel der Kabinete waren.
So wenig sich der hiesige Hof mit Verrätherey und dem Blut der königlichen Familie oder vorgeblich furchtbarer Unterthanen besudelt hat, so hat doch seine Staatsverwaltung, wenigstens in Rücksicht auf Hungarn, noch einen kleinen Zug von List und studirter Unterdrückung. Mißverstandne Religionsgrundsätze trugen ohne Zweifel das meiste dazu bey, daß ihn die Fürstin von dem besten Herzen, die Menschenfreundin Theresia, nicht ganz abstreifen konnte. Es ist für ihren liebenswürdigen Sohn aufbehalten, den keine Sophisterey der Pfaffen und Höflinge täuscht, und der Muth genug hat, seine Philosophie in Ausübung zu bringen.
Beym ersten Anblick sollte man glauben, die Verfassung dieses Königreichs erfodre eine gewisse listige Behandlung. Das Interesse des hohen Adels liegt mit jenem des ganzen Staats im Streit. Die Unterthanen desselben, welche den ungleich grössern Theil der Einwohner ausmachen, sind zwar keine wahren Leibeignen, aber auch keine Eigenthümer, sondern nur Pächter, die von ihren Lehnherren unter dem geringsten Vorwand von den Gütern vertrieben werden können. Der Adel trägt nichts zu den Staatsbedürfnissen bey, als freywillige Geschenke, ob er schon die Hälfte von dem ganzen Ertrag des Landes zieht. Er ist fast der einzige Stand des Reiches, denn die Häupter der Geistlichkeit, welche einen fast uneingeschränkten Einfluß auf die Mitglieder ihres Standes haben, werden aus dem Mittel des Adels genommen, und das Interesse dieser beyden Stände ist im Grunde Eins. Die Städte sind zu gering an Zahl und zu unbedeutend an sich selbst, als daß sie einer Klasse der übrigen Stände das Gleichgewicht halten, oder einen besondern wichtigen Körper bilden könnten. Kurz, die sogenannte ungarische Freyheit ist bloß ein Vorrecht des Adels und der mit ihr verwandten Geistlichkeit, welches beyde Klassen auf Kosten des Ganzen bisher zu erhalten gewußt haben.
Der Hof both bisher alle[n] Künsteleyen auf, um dem Adel das sehr nachtheilige Uebergewicht zu nehmen. Der Kampf zwischen dem Souverän und dem Adel, welcher eigentlich den Mittler zwischen dem Volk und der Souveränität vorstellen sollte, aber hier ausschließlich die eigentliche Nation ausmacht, indem man den ungleich grössern Theil des Volkes nur als Sklaven ansehen kann, brach schon in verschiedene Aufruhre aus, wodurch sich die ThökölyThököly – Emmerich Thököly, evangelischer ungarischer Adliger, führte 1678 mit türkischer Hilfe einen Aufstand gegen Habsburg (Kaiser Leopold I.) an. Bei der 2. Belagerung Wiens kämpfte er auf türkischer Seite, † 1705 und RäkocziRäkoczi – Franz II. Rákóczi, ungarischer Adliger, führte seit 1703 einen Aufstand der Ungarn und Siebenbürgen gegen das Haus Habsburg an bekannt gemacht haben. Die Hinrichtung der Grafen Zrinyi, Nädasdy, Frangipani und TertenbachZrinyi ... – Die Zrinski- und Frankopan-Verschwörung (1664-1670) kroatischer Adelsfamilien gegen Kaiser Leopold I. von Habsburg. Die Teilnehmer wurden 1671 enthauptet. führen einige als ein Beyspiel an, daß sich auch der hiesige Hof sultanische Expeditionen erlaubt habe, um sich reiche, angesehene, unternehmende und gefährliche Unterthanen vom Hals zu schaffen. Allein, ich glaube, sonstiges Betragen sollte ihn gegen diesen Vorwurf sicher setzen, und aus allen Umständen der Geschichte ergiebt sich, daß diese Hingerichteten wirkliche Verbrecher waren. Der Plan zum Sturz des übermäßigen Adels, welchen der Hof seit langer Zeit befolgt, ist auch viel zweckmäßiger, als diese angedichtete Grausamkeit, die nur dazu dienen würde, die Gemüther mehr aufzubringen und wilder und entschlossener zu machen. Man wußte nur zu wohl, welche Macht der Luxus und die Wollust über das menschliche Gemüth haben. Man lokte den stolzen Hungarn, der auf seinem Landsitz Freyheitsentwürfe brütete, an den Hof oder in die Stadt. Man gab ihm durch Ehrenstellen, Titel, Heyrathsvorschläge, und andere Gelegenheiten Anlaß, sein Geld auf eine glänzende Art zu verthun, Schulden zu machen, und bey der SequestrationSequestration – Zwangsverwaltung durch Gerichtsentscheid seiner Güter sich endlich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. Der verführte Hungar hielt es für eine Ehre, mit einem von den grossen deutschen Häusern, die überhaupt bey Hofe in viel grösserm Ansehn stehn und ungleich mehr Einfluß auf die Regierung der ganzen Monarchie haben als die hungarschen, verwandt zu seyn. Er holte sich seine Frau aus Wien, und legte sich durch diese Verwandtschaft Fesseln an. Seine Gemahlin führte in seinem Haus den hohen Ton und die feine Lebensart ein, und beschleunigte auf alle mögliche Art die Sequestration seiner Güter. Der ganze hohe hungarsche Adel ist mit dem deutschen zu Wien verwandt, und diese Verwandtschaft trug das meiste dazu bey, die sogenannten schönen Sitten unter demselben gängig zu machen, die ihn entnervten und dem Hofe unterthänig machten. Fast kein grosses Haus ist mehr schuldenfrey, und nach dem Beyspiel des Wiener Adels hält nun der Hungar seine Schulden für eine Ehre. Der Hof, welcher auf diese Art den mächtigsten Theil des ungarischen Adels zu Verschwendern, Wollüstlingen und Memmen umschuf, hat nun keinen Aufruhr mehr zu beförchten. Der misvergnügte Pöbel fände nun keinen Anführer mehr, der Ansehn und Macht genug hätte, um seine Rotte förchterlich zu machen – Die Verschwendung, wozu man dem Hungarn Anlaß gab, zog eine andre Kette nach sich, die ihn noch vester an den Hof band. Nun war es nicht mehr die Ehre allein, die ihn um eine Bedienung werben machte. Auch die Besoldung hatte nun Reiz genug für ihn, etwas von seiner Freyheit aufzuopfern, um seine so stark vermehrten Bedürfnisse bestreiten zu können – Ein andrer Kunstgrif, den Nationalgeist des hungarschen Adels zu schwächen und ihn geschmeidiger zu machen war, daß man die Vorrechte desselben feil both, und den deutschen Familien den Ankauf von Gütern in Hungarn erleichterte, oder gar die der Krone heimgefallnen denselben schenkte. Viele deutsche Häuser gehören nun zu der Klasse der reichsten hungarschen Edelleute und verstärken den Einfluß des Hofes. Beide Nationen vermischen sich; ihre Sitten gleichen sich ab; der Hungar wird desto gleichgültiger gegen seine Freyheit, je mehrere davon Theil nehmen, und desto gleichgiltiger gegen sein Vaterland, je weniger Eigenthümliches es behält – Die Beförderung zu den hohen geistlichen Ehrenstellen ist besonders ein wirksames Mittel, womit der Hof die mächtigen Häuser an sich bindet.
Die Kunstgriffe, die er außerdem noch zu diesem Endzweck anwendet, sind unzählig und hängen oft bloß von Zeit und Umständen ab. Einer der gewaltthätigsten ist die Belegung der ungarischen Produkte mit so ungeheuern Abgaben, wovon ich dir schon gesagt habe. Diese Bedrückung trifft freylich unmittelbar nur den Adel, dem die Erzeugnisse des Landes größtentheils zugehören, indem der Bauer kein Eigentum hat. Man glaubt, der ungarische Adel würde zu reich und mächtig werden, wenn er den Ertrag seiner Güter völlig geltend machen könnte; allein mittelbar leidet das ganze Land und besonders der Bürger in den Städten, der Künstler und Fabrikant unsäglich darunter, indem die Masse des zirkulierenden Geldes dadurch verringert wird. Die Auflagen auf die Ausfuhr der ungarischen Weine sind so groß, daß die Bergkroaten ihren Wein in dem venezianischen Dalmatien kaufen, da sie ihn sonst ebenso wohlfeil von ihren eignen Mitbürgern, den benachbarten Hungarn, haben könnten. Man läßt lieber Geld aus dem Lande fließen, als daß man den Hungarn reich werden ließe.
Fast alle Bedienungen des Reiches, die nicht verfassungsmäßig von Eingebohrnen müssen besetzt werden, übergibt man fremden Deutschen, die oft die abscheulichsten Despoten machen. In den illyrischen Staaten, die unmittelbar vom Hofkriegsrat abhängen und ganz militärisch verwaltet werden, sind fast alle Stellen mit Ausländern besetzt. Die Deutschen haben sich durch ihr tyrannisches Betragen daselbst so verächtlich gemacht, daß der Kroate keinen entehrendern Namen kennt als Schwab. «Er ist ein Schwab« – das drückt bey ihm alles aus, was verächtlich und hassenswürdig ist. Unter der Benennung von Schwaben begreift aber der Kroate, wie der Wiener, alle Deutsche, die keine Österreicher sind. Die gebornen Österreicher, welche in Hungarn angestellt werden, wirtschaften meistens nicht viel besser als die türkischen Paschas oder die mogulischen Nabobs. Aus ihrem angebohrnen Stolz wollen sie den Hungarn fühlen lassen, daß sie die vorzüglich herrschende Nation sind. Ihre gewöhnliche Verschwendung verleitet sie zu unerlaubten Erpressungen, und sie sind um so mehr geneigt, ihre Untergebnen feindselig zu behandeln, da sie in ihren Sitten, und besonders in ihrer Religion, oft so verschieden von ihnen sind. Durch das Betragen der Fremden, womit die Stellen besetzt werden, nahm der Illyrier das Tückische und Widerspenstige an, das seinem Charakter so unnatürlich ist.
So vortreffliche Männer nun auch an der Spitze der verschiedenen Departements stehen, so verwerflich ist der große Haufen der kaiserlichen Unterbedienten. Überhaupt genommen, hat er kein Fünkchen Vaterlandsliebe, keine Kenntnisse, keinen guten Willen und keine Thätigkeit. Stolz, Eigennutz, Hartherzigkeit und ein gewisses gebieterisches Wesen zeichnen ihn aus. Die Besoldung und der Titel sind für ihn das Wesentliche seiner Stelle, und die Geschäfte behandelt er als eine Nebensache. Glaube nicht, daß ich es übertreibe. Ich versichere dich auf meine Ehre, es ist – im ganzen genommen – dem Buchstaben nach wahr. Die gebornen Hungarn, welche bey der Verwaltung ihres Vaterlandes angestellt sind, haben ungleich mehr gesunden Verstand, mehr guten Willen und Wärme für ihre Geschäfte als die Österreicher. Und doch zieht man die letztern überall vor und gibt ihnen allen Anlaß, ihren dummen Stolz und Übermut gegen die andern auszulassen.
Unser großer Heinrich pflegte zu sagen: Glücklich ist der Edelmann, der seine 5.000 Livres Revenuen hat und mich nicht kennt. Wenn der hiesige Hof den ungarischen Edelleuten irgendeine Art von Glück zugedacht hat, so ist es diese gewiß nicht. Er hielt es für unumgänglich notwendig, sie zu Hofschranzen umzuschaffen und ihnen alles Gefühl von Freyheit und wahrer Ehre zu nehmen. Er tat alles, was möglich war, um ihren Nationalgeist zu unterdrücken. Er schien bisher die Ehre nicht zu kennen, ein freyes, gefühlvolles Volk zu beherrschen. Er glaubte die ganze Nation zu Sklaven machen zu müssen, um sie beherrschen zu können.
Die grausamsten Eingriffe gegen den allgemeinen gesellschaftlichen Vertrag und gegen die natürliche Freyheit waren die Religionsbedrückungen, welche die Hungarn seit zweihundert Jahren ausstehen mußten und wodurch sich der hiesige Hof selbst mehr geschadet, als er in den nächsten zweihundert Jahren wiedergutmachen kann. Es ist einer von den traurigen Widersprüchen, welche die Schwäche des menschlichen Verstandes beweisen, daß der hiesige Hof auf einer Seite die Bevölkerung und Industrie in Hungarn zu befördern suchte, und auf der andern den fleißigsten Theil seiner Unterthanen, dessen Religionsverfassung der Bevölkerung so günstig ist, auf alle Art verfolgte.
Die Katholiken machen ohngefähr den dritten Theil von den Einwohnern der gesammten hungarschen Lande aus, worunter Siebenbürgen und Illyrien mitbegriffen sind. Die Lutheraner und Reformirten zusammen betragen das zweyte, und die Griechen, Juden, Widertäufer u. a. das letzte Drittheil. Es wäre zu verzeihn, daß die Katholiken, ihrer geringen Anzahl ungeachtet, die herrschende Kirche ausmachen, weil sich die übrigen kaiserl. Erblande auch zu dieser Religion bekennen. Aber daß man den Protestanten über 300 Kirchen wegnimmt, indessen man den Juden erlaubt, Synagogen zu bauen; daß man sie nöthigt, oft 12 Meilen weit zu einer Predigt zu reisen, während daß viele Kirchen der Katholiken mehr den Mäusen, Ratzen und Nachteulen zur Wohnung, als zum Gottesdienst dienen; daß man den Protestanten nicht erlaubt Schulen anzulegen, und ihnen doch gestattet, ausländische Schulen zu besuchen; daß man das Land lieber von katholischen Kalmücken, Zigeunern, als von gesitteten und arbeitsamen Protestanten bewohnt sieht, und unterdessen zu Wien unendliche Projekten zur Beförderung der Industrie und Aufklärung unter den Unterthanen macht; daß die Regierung und die Unterbedienten gegen die fremden Juden und Türken toleranter und billiger sind, als gegen ihre protestantischen Mitbürger, daß man den Adel zu demüthigen sucht, und daneben auch dem bessern Theil der Bürger in den Städten durch unnatürliche Religionsbedrückungen vorsätzlich alle Vaterlandsliebe nehmen will, und er sich in seiner Heimath als einen Fremden muß behandeln lassen, alles das beweißt, daß die Regierung mit der guten Sache und mit ihrem eignen Interesse im Streit liegt, und mit einer Hand immer wieder niederreißt, was sie mit der andern baut.
Man hat sich also nicht zu wundern, daß der hiesige Hof mit seinen unzähligen Anstalten seit dem Anfang dieses Jahrhunderts nichts erhebliches an dem Zustand von Hungarn gebessert hat. Seine Vorkehrungen hatten keine andre Wirkung, als daß der freye und bessere Theil der Einwohner dieses Königreichs erst mürrisch, und dann gleichgültig gegen das Vaterland ward, indessen der grosse Haufen des Volks in seiner alten Knechtschaft blieb. Die Nation verlor ihren Karakter, ohne daß sich ihr gesellschaftlicher und physischer Zustand besserte. Die Regierung verfehlte ihren Endzweck auf dem krummen Weg, den sie einschlug, und wäre demselben in dieser langen Zeit gewiß näher gekommen, wenn sie den geraden und einfachen Gang der Natur befolgt hätte.
In allen Staaten ist die Religion der kürzeste und natürlichste Weg, das Volk über sein Interesse aufzuklären und für seine Pflichten warm zu machen. Sie vertritt bey dem grossen Haufen die Stelle eines allgemeinen Vordersatzes, dem sich nützliche und schädliche politische Schlußsätze anhängen lassen, je nachdem der Regent es versteht und sich Mühe giebt, wahre oder falsche Mittelsätze einzuschieben. Die Regierung mag wohl die Religion entbehren können, wenn der Staat einmal auf einen gewissen Grad von Kultur gebracht ist; allein, die ersten Schritte aus der Barbarey bis auf diese Stufe muß das Volk am Gängelband der Religion thun. Wir haben nicht nöthig in Aegypten, im alten Orient, oder bey den Griechen und Römern Beyspiele zur Bestätigung dieser Wahrheit zu suchen: Wir sehen in der neuern Geschichte, daß bey allen europäischen Völkern die Religion der Grund ihrer Kultur war. Sie waren immer desto glücklicher, je enger die Verbindung zwischen der Religion und dem Staatsinteresse war. Sie wurden stufenweis immer desto bessere Bürger, je mehr sich ihre Religionsbegriffe unter Begünstigung der Regierung vereinfachten; und zu der itzigen Verfassung und dem glücklichen Zustand von England hat die Religion den ersten Grund gelegt.
Die östreichische Regierung handelte in Hungarn nach den schnurstraks entgegengesetzten Grundsätzen. Sie gab sich alle Mühe, die populare und einfache Religion der Protestanten wieder in die unpolitische Möncherey zu verwandeln, und den aufgeklärten Theil ihrer Unterthanen aus dem Licht in die Finsterniß zurückzuführen. Zu gleicher Zeit, als sie dem Anschein nach mit ihren deutschen Unterthanen vorwärts schreiten wollte, suchte sie ihre protestantischen Hungarn von dem nahen Zweck zurückzustossen, den sie doch mit jenen schien erreichen zu wollen. Dort schien sie zu erkennen, daß das päbstliche Pfaffen- und Disciplin=Sistem der Industrie und dem Wohlstand des Volkes ebenso nachtheilig sey, als der Kasse des Landesfürsten. Sie schränkte die Uebermacht der Geistlichkeit ein, und machte Schulanstalten, deren Resultat doch über kurz oder lang mit den Grundsätzen der Protestanten übereinstimmen mußte, und hier suchte man die erwachte Industrie sammt der Religion zu unterdrücken, die ihre Mutter war. Welcher unerklärliche despotische Eigensinn!
Die hungarischen Protestanten sind zwar in Rücksicht auf Fleiß und Aufklärung noch weit hinter jenen in andern Staaten zurück; allein, ungeachtet sie nur den dritten Theil der Einwohner ausmachen, so tragen sie doch beynahe die Hälfte zu der Landeskasse bey und sind dem ungeachtet viel wohlhabender, als ihre katholischen und griechischen Mitbürger. Ein auffallender Beweis, wie sehr ihre Religion mit dem Wohl des Ganzen übereinstimmt, und wie sehr der Hof sein eigenes Interesse verkennt. Am meisten hat sich der Hof durch sein Betragen gegen die Griechen geschadet, die einen so ansehnlichen Theil der Einwohner dieses Reichs ausmachen. Anstatt die Pfaffen dieser Halbwilden, denen sie unbeschreiblich ergeben sind, zu tüchtigen Volkslehrern zu bilden, die durch ihr Ansehn, ihre Untergebenen aus der Barbarey führen und zu guten Bürgern umschaffen sollten, begnügte man sich damit, daß man von Zeit zu Zeit einen Ehr= oder Geldgeitzigen Prälaten bestach, der zu der Hofkirche übergieng. Der Schwarm, den ein solcher geistlicher Komplotmacher mit zur Desertion bewegte, veränderte nichts als den Namen. Aus griechischen Barbaren wurden sie katholische Barbaren, oder, wie sich ein ehrwürdiger kaiserlicher Officier ausdrückte: Man brennte den Schweinen nur ein anders Zeichen auf den H – rn. Uebrigens kümmerte man sich wenig um die Erziehung der katholischen und unirtenunirt – uniert: Verbindung von Religionsgemeinschaften. Hier die griechisch-unierte Kirche, die mit der römisch-katholischen Kirche in Kirchenunion verbunden ist und trotz eigener Liturgie die Oberhoheit des Papstes anerkennt. Geistlichen und noch weniger um jene der nichtunirten, woran doch der Regierung so viel gelegen seyn sollte und welche das sicherste Mittel gewesen wäre, den Anbau des Landes zu befördern und den Ertrag desselben zu vermehren.
Die griechischen Pfaffen in Hungarn und Illyrien sind ohngefähr in dem Zustand, worin die katholische Geistlichkeit unter Karl dem Grossen in Deutschland war, der auch durch die Religion den ersten Grund zur Kultur der Nation legte, und mit Bildung der Geistlichkeit den Anfang machte. Ich zweifle sehr, ob die meisten lesen und schreiben können; wenigstens weiß ich gewiß, daß sie 6 und 7, 8 und 9 oder irgendeine Zahl, die über 3 und 4 hinaufsteigt, nicht ohne Hilfe der Finger zusammenzählen können. Manche wissen noch nichts vom Gebrauch der Sacktücher, sondern haben noch die löbliche Gewohnheit aus dem Naturstand beybehalten, die Nase mit den Fingern zu putzen. Einer dieser Seelenhirten, ein Macedonier von Geburt, der sich mit seiner Kenntniß der griechischen Sprache großmachte, und viel vom Alexander, seinem berühmten Landsmann, mit einem lächerlichen Stolz zu erzählen wußte, wollte mir auch, als einem Neuling, von dem trojanischen Krieg mit aller Vertraulichkeit Nachricht geben. Er erzählte mir, ein trojanischer Prinz habe eine Prinzeßin von Frankreich entführt. Da wären der griechische und der römische Kaiser, der König von Frankreich und die 7 Kurfürsten nach Troja gezogen, und hätten die Stadt nach einer erstaunlich langen Belagerung mit Hülfe eines hölzernen mit Soldaten angefüllten Pferdes eingenommen und verbrennt. Der Mann hat die Geschichte offenbar durch Tradition in Saloniki oder einer andern Stadt seines unlitterarischen Vaterlandes erhalten, und nicht Einen alten Griechen, noch eine Geschichte gelesen. Dem ungeachtet wird er von seinen Kollegen für ein Wunder von Gelehrsamkeit gehalten. Bey all der schrecklichen Unwissenheit stehn diese Pfaffen doch bey dem Volk in grösserm Ansehen, als ehemals die Orakel von Delphi und Delos. Sie benutzen es aber zu nichts anderm, als auf Kosten desselben zu schwelgen. Sie sind wahre privilegirte Volksdiebe, die blos in den Kniffen und Pfiffen, womit sie den grossen Haufen um die Früchte seines Schweisses bringen, einige Funken von Vernunft zeigen, und so innig von der Giltigkeit ihres Anspruchs auf die Wolle ihrer Schaafe überzeugt sind, daß sie ihnen dieselbe samt der Haut vom Leibe reissen, wenn sie sich nicht gutwillig scheeren lassen.
Die katholischen Pfaffen, die etwas entfernt von grossen Städten sind, geben den griechischen in der Unsittlichkeit und Unwissenheit wenig nach. Die Wolle ist auch das Vornehmste, worauf sie beym Hüten ihrer Schafe ihr Augenmerk richten. Ihr BrevierBrevier – Gebetbuch der katholischen Kleriker ist ihre ganze Bibliothek, und die lateinische Sprache ihr einziges Studium. Wie weit es manche darin bringen, kannst du aus folgendem schliessen. Ich sprach mit einem derselben, der in seinem Revier in besonderrn Ansehen steht, und sich wirklich auch durch guten Willen, und etwas ausgebreitete[te] Kenntnisse vor vielen andern seines Standes auszeichnet. Die Rede war von den deutschen Kolonisten, die sich in Hungarn niederlassen. Ich fragte ihn, wie man es mit ihnen hielte, wenn sie die Witterung des Landes nicht ertragen könnten. Damus illis licentiam repatriandi, sagte er. »Man läßt sie wieder in ihre Heimath ziehn.«
Der Barbarismus dieses hungarschen Pfarrers ist mir zu gelegen gekommen, als daß ich diesen ungeheuern Brief schliessen könnte, ohne dir von diesen Kolonisten umständlichere Nachricht zu geben. Wenn man bedenkt, daß ein Drittheil der Nordamerikaner aus ausgewanderten Deutschen besteht, daß das Kap,Kap – Kap der Guten Hoffnung, Südafrika BataviaBatavia – Jakarta, Indonesien und SurinamSurinam – Republik Suriname in Südamerika mehr als zur Hälfte von Deutschen bewohnt werden, und immer noch Zufluß aus der unerschöpflichen Menschenquelle des deutschen Reiches erhalten, obschon die beyden letztern Plätze als sehr ungesunde Orte allgemein verschrieen sind, so kann man sich nicht genug wundern, wie sich diese Auswanderer so vielen Gefahren und Beschwerden aussetzen mögen, um jenseits des Weltmeers ein wüstes Land anzubauen, oder als Knechte und Mägde ihr Brod zu verdienen, während daß das nahe Hungarn noch für so viele Millionen Menschen Raum und Brod darbiethet. Der Hof sucht sie zwar dahin zu locken, allein die Hälfte von den Eingewanderten macht wieder von dem Barbarismus des Herrn Pfarrers Gebrauch, und man hat häufige Beyspiele, daß die zurückgewanderten sich nach der neuen Weltneue Welt – Amerika haben einschiffen lassen. Der Fehler muß an der Regierung liegen, und ich glaube, es würden wenige zurückwandern, wenn sie nicht grössere politische Barbarismos machte, als mein guter Pfarrer im grammatikalischen Verstand gemacht hat. – Ein Hauptfehler der Regierung ist, daß sie durch den Religionszwang den schätzbarern Theil der deutschen Auswanderer, nämlich die Protestanten, von ihren Gränzen abschreckt. Diese haben wenig Reitz, sich in einem Land anzubauen, wo sie oft einige Tagereisen machen müssen, um einen Pfarrer von ihrer Religion zu sehn, wo man ihnen nicht erlaubt, eine Kirche zu bauen, und wenn sie auch zu tausenden beysammen wohnen, und wo ihnen und ihren Kindern der Religionshaß im Weg steht, im Civildienst ihr Glück zu machen. Alle diese Hindernisse fallen unter der sanften Regierung der Engländer und Holländer weg, und diese ziehn also den bessern Theil der auswandernden Deutschen nach ihren Kolonien und lassen für Hungarn den schlechtern zurück. Die, welche in dieses Land ziehn, sind das liederlichste Gesindel aus Bayern, Schwaben, Franken und den Rheinländern. Sie versaufen bey ihrer Ankunft das bisgen Geld, welches sie aus ihren verkauften Häusern, Gütern und ihrem Hausgeräthe gelöset haben, und da die Regierung nicht Sorge genug für sie trägt, so sterben sie aus Kummer und Krankheiten, die mehr eine Folge von ihrer Liederlichkeit, als eine Wirkung des Klima sind. Ein Theil derselben bettelt sich wieder nach Deutschland zurück, und braucht die Witterung des Landes zum Vorwand seiner Zurückwanderung, die er zehnmal schädlicher beschreibt, als sie wirklich ist, und wodurch er alle diejenigen in seiner Nachbarschaft, welche noch irgend einen andern Weg zur Auswanderung für sich offen sehn, von Hungarn abschreckt. Die, welche also Geld genug haben, die Reise nach Amerika zu machen, ziehn dieses Land Hungarn vor, und nur die Ärmsten, die kaum einige Dukaten zur Donaufahrt übrig haben, sehen es als ihren einzigen Zufluchtsort an.
Für ein so Menschenarmes Land, als Hungarn ist, wäre dieses Gesindel immer noch Gewinn genug, wenn sich die Regierung mehr um ihr Schiksal intereßirte, und den Folgen vorzubeugen suchte, welche die Liederlichkeit und der Mangel an Kenntniß des Landes und an der ersten, zum Anbau einer Familie nöthigen Unterstützung nach sich ziehn müssen. Man müßte zu Wien oder Preßburg ein besonderes KomptoirKomptoir – Kontor, Büro, Behörde für diese Einwanderer errichten, wo sie die nöthigen Kundschaften einziehn könnten. Man mußte ihnen die Auskunft geben, an welchen Orten sich schon mehrere aus ihrer Gegend niedergelassen haben; denn einer der größten Reitze zum Anbau einer Kolonie ist, daß die Neuankommenden schon Leuthe finden, mit welchen sie Sitten und Sprache gemein haben, oder gar bekannt und verwandt sind. Nun sind aber die Deutschen unter sich selbst so verschieden, daß sie sich ausser ihrem Kreise für Fremde halten müssen. Die Bayern müssen in eine gewisse Gegend, und die Franken, Schwaben u. a. m. in die ihrigen gewiesen werden. Vor allem müßte man ihnen vorschreiben, wie sie sich bey der Witterung des Landes zu betragen haben. Das Klima von Hungarn ist an sich so wenig ungesund, als das von Italien, Spanien, Südfrankreich oder einem andern warmen Lande. Nur die Moräste sind es, wie überall. Der Abstich zwischen der Hitze der Täge und der Kälte der Nächte mag einem Deutschen sehr empfindlich seyn; allein ein natürlicher Instinkt lehrte den Hungarn, sich mit warmer Kleidung dagegen zu verwahren, und der Deutsche hat nichts zu thun, um gegen diese Wirkung des Klima sicher zu seyn, als die Landessitte nachzumachen. Die starken hungarschen Weine richten viele Fremden zu Grund, aber noch weit mehr der unmäßige Genuß der vortreflichen Früchte, besonders der schmackhaften, aber sehr schädlichen Melonen, wovon man an manchen Orten ein grosses und schönes Stück um einige Kreutzer haben kann. In der schmachtenden Sonnenhitze, wo der Körper durch die starke Ausdünstung ohnehin geschwächt ist, sind diese Früchte der Gesundheit um so nachtheiliger, da man sie hier zu Lande ganz ohne Brod zu essen pflegt. Gegen alle diese Gefahren müßten die Einwanderer nachdrücklich und umständlich gewarnt werden.
Mit dem kleinen Reisegeld, welches die Regierung denselben reichen läßt, ist ihnen wenig geholfen. Baares Geld sollte man ihnen so wenig als möglich in die Hände geben, weil sie es in einem ganz fremden Lande nicht wohl zu gebrauchen wissen, oder verschwenden, oder von eigennützigen Leuten leicht darum gebracht werden. Man müßte ihnen nach Beschaffenheit ihrer Bedürfnisse Holz zum bauen, Vieh, Saatkorn u. d. m. in natura geben, und es zu einer besondern Pflicht der Beamten und Pfarrer machen, auf alle Art für die leiblichen und geistlichen Bedürfnisse der Kolonisten Sorge zu tragen. Aber die hungarischen Beamten und Pfarrer überhaupt genommen, sind freylich jetzt noch keine Leute dazu. Sie würden von diesem Aufwand der Regierung mehr geniessen, als die Kolonisten. Der kaiserliche Hof äusserte auch bisher wenig Neigung, zum Anbau von Hungarn einen beträchtlichen Aufwand zu machen. Sein Grundsatz war von jeher, erndten zu wollen, ohne gesäet zu haben. Unterdessen hätte er mit dem Geld, das er auf die Eroberung des kleinen Stückes von Bayern verwendet, in kurzer Zeit wenigstens 10 mal so viel gewinnen können, wenn er es mit der nöthigen Klugheit zum Anbau von Hungarn verwendet hätte.
Der gröste Trost für einen hungarschen Patrioten ist, daß sein jetziger Königsein jetziger König – Joseph II. die Verbindung seines Interesses mit jenem des Landes vollkommen kennt, den Werth der natürlichen Freyheit und die Menschen zu schätzen weiß, von keinem Vorurtheil geblendet wird, sich von keinen verjährten Mißbräuchen die Hände binden läßt, und Muth und Stärke genug hat, die herkulische Unternehmung zu bestehn und diesen so wichtigen Theil seiner Besitzungen aus der tiefen Wildheit zu reißen. Lebe wohl.