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Augsburg –
Unter allen Kreisen des deutschen Reiches ist der schwäbische am meisten zerstükt. Er zählt nicht mehr als 4 geistliche und 13 weltliche Fürstenthümer, 19 unmittelbare Prälaturen und Abteyen, 26 Graf= und Herrschaften und 31 freye Reichstädte. Die sogenannten Kreisausschreibende Fürsten sind der Bischof von Konstanz und der Herzog von Würtemberg, welcher letztre aber allein das Direktorium der zu verhandelnden Kriegssachen hat.
Das Gemische dieser vielen Regierungsarten und Religionssekten, der Druck der Grössern auf die Kleinern, die Dazwischenkunft des kayserlichen Hofes, welcher viele zerstreute Stücke Landes unabhängig vom Kreise in Schwaben besitzt und zufolge eines dem Erzherzogthum Oestreich eigenen Privilegiums seine Besitzungen in demselben auf verschiedene Arten erweitern kann: alles das giebt der Wirthschaft des Landes und dem Charakter der Bewohner eine sonderbare Gestalt. In vielen Gegenden sieht man auf einigen Poststationen die höchste Kultur mit der äussersten Verwilderung, einen ziemlichen Grad von Aufklärung und Zucht mit der tiefsten Unwissenheit und Bigoterie, Spuren von Freyheit mit der tiefsten Unterdrückung, Nationalstolz mit Verachtung oder Gleichgültigkeit gegen das Vaterland, und alle gesellschaftlichen Verhältnisse auf die auffallendste Art miteinander abstechen.
Offenbar sind die grössern Länder in Schwaben, wie das Würtembergische, Oestreichische und Baadensche am besten gebaut. Das ganze Schwabenland mag in der Grösse beynahe 900 deutsche Quadratmeilen betragen, in welchem Umfange ohngefähr 2 Millionen Menschen wohnen, von denen über die Hälfte den 3 bemeldten Häusern zugehöret, ob sie schon bey weitem nicht die Hälfte des ganzen Landes besitzen.
Wenn sich die kleinen deutschen Herren vernünftig wüßten einzuschränken, wenn sie nicht grösser scheinen wollten, als sie sind, wenn sie mehr Liebe zu ihren Unterthanen hätten, und nicht so fühllos gegen die sanftern Empfindungen der Menschlichkeit und gegen die Reitze der Musen wären, so könnte die Kleinheit dieser Staaten selbst ihr Glück seyn. Wenn gleich ein kleiner Bauernstaat für manche Bedürfnisse Geld muß ausfliessen lassen, so kann doch, wenn der Herr nicht übermäßigen Luxus liebt, ein guter Theil des Landesertrags, in Betracht des kleinen Kreises, in einem viel engern, und also vortheilhaftern Umlauf erhalten werden, wenn das Höfchen seinen und den von dem seinigen unzertrennlichen Vortheil seiner Unterthanen versteht, und die Einnahme wieder in die gehörigen Kanäle zurückgießt. Da die meisten Herren dieser Gegend katholisch sind, und ihren jüngern Söhnen die reichen StifterStift – Stiftung, Altersheim der Nachbarschaft offen stehn, so haben sie sich wenig um AppanagenAppanage – die Bezüge der Mitglieder eines Fürstenhauses zu kümmern. Viele derselben sind selbst geistlich und können also durch ihre gesetzliche Leibesprodukten ihren Unterthanen niemals zur Last fallen. Aber hier, wo vom Glücke der Völker die Rede ist, kommen diese Herren doch nicht in Anschlag. Wegen Mangel der Familienbande betrachten sie sich bekanntlich nie als angehörige ihres Landes, sondern als Kommandanten, die da sind, um das Volk zu brandschatzen ... Die Entbehrlichkeit des Soldatenstandes, die Leichtigkeit, das Ganze zu übersehen, die Entfernung von dem politischen Gezerre der grössern Staaten, die Sicherheit, daß ihre Regenten keine grosse Eroberer spielen können, und noch viele andre Verhältnisse könnten diesen kleinen Völkerschaften zu statten kommen, wenn ihre Häupter gesünder wären.
Allein, die Höfe von Stuttgard und Karlsruhe ausgenommen, hab' ich zu meinem grossen Leidwesen keinen in Schwaben gefunden, der das Glück seiner Unterthanen als seinen Beruf betrachtete. Die andern scheinen im Wahn zu stehn, daß die Völker wegen ihnen und nicht sie wegen dem Volk geschaffen seyen. Die KameralistenKameralistik – Finanzwissenschaft, Frühform der Volkswirtschaft dieser Herren, deren ich einige sehr genau kennen lernte, machen einen sehr wesentlichen Unterschied zwischen dem Interesse des Hofes und jenem des Volkes, und wenn gleich der Unterthan, wie ich dir schon gesagt, gegen die gröbste Tyranney sicher ist, so ist er es doch nicht gegen die feine Beutelschneiderey der Finanziers.
Die Erziehung der meisten dieser Herren ist zu abscheulich, als daß es besser seyn könnte. Sie ist fast durchgehends in Händen von Pfaffen, theils Mönchen, deren Kenntnisse in ihre Kapuzen eingeschränkt sind, theils jungen AbbésAbbé – Weltgeistlicher (im Gegensatz zum Mönch) in Frankreich, die so eben von der Schule gekommen, und durch die Familie ihres ElevenEleve – Zögling, Schüler ihr Glück machen wollen. Und worinn besteht nun die Moral des jungen Herrn? Der Mönch gewöhnt ihn die Verehrung des heiligen FranziskusFranziskus – Franz von Assisi, 1209 Gründer des Franziskanerordens, † 1226, BenediktusBenediktus – Benedikt von Nursia, Begründer des abendländischen Mönchstums, † 547 oder IgnaziusIgnazius – Ignatius von Loyola – gründete 1540 den Jesuitenorden, † 1556., die öftern Bestellungen von Messen, die SkapuliereSkapulier – Übermantel mancher Mönchsorden, Rosenkränze, Allmosen für Klöster u. dgl. m. für die wesentlichsten Pflichten zu halten, und zu wähnen, man könne damit eine Menge Vergehungen andrer Art wieder gutmachen. – Und der Abbé? Dieser ist gemeiniglich ein junger Mensch, der auf der Schul seine ganze Philosophie und Moral von Mönchen geholt hat, ans Kriechen gewohnt ist, sich zum Schuheputzen gebrauchen läßt und aus Forcht, beim Regierungsantritt des jungen Herrn seyn gehoftes Brod zu verlieren, in den kritischesten Jugendjahren ihm gerne durch die Finger sieht. Beyde vergessen natürlich nicht, dem heranwachsenden Regenten zu sagen, daß es Sünde sey, die Menschen wie die Fliegen todtzuschlagen, auf offener Strasse zu rauben, die Weiber ihrer Unterthanen durch Jäger oder HusarenHusaren – leichte Reiterei in ungarischer Tracht aus den Betten auf das Schloß holen zu lassen u. dgl. Aber das feinere sittliche Gefühl, Achtung für jedes Geschöpfe, das ihnen ähnlich sieht, Empfindungen für höhere Tugenden, als die in den Legenden zum Muster dargestellt werden, weiß keiner dieser Herren in dem Zögling rege zu machen. Und sind die Klöster und Schulen auch der Ort, die Welt, die zarten Nüanzen der menschlichen Pflichten, und besonders die Erfordernisse zu einem guten Regenten, kennen zu lernen?
Ich hatte Gelegenheit, einer Prüfung beyzuwohnen, die der Hofmeister von den Söhnen eines ansehnlichen schwäbischen Herrn mit denselben sehr feyerlich angestellt. Die Eltern, welche sich wenigstens durch den Eifer, ihre Kinder gut zu erziehen, vor vielen andern schwäbischen Häusern auszeichnen, nahmen viel Theil daran und hatten alle Verwandten und Freunde dazu gebeten. Der Hofmeister, ein Benediktiner, bot alle Prälaten und PriorenPrior – Klostervorsteher oder dessen Stellvertreter in der Gegend auf, um den Triumph seiner Erziehungskunst glänzender zu machen, die dann um so zahlreicher sich einfanden, als bey diesem Anlaß ein fetter Schmaus zu erwarten stand. Die Zöglinge waren so zwischen den 14 und 18 Jahren. Der Anfang wurde mit der lateinischen Sprache gemacht, und der ältere dieser Jünglinge las eine lateinische Rede ab, die er nach dem Vorgeben verfaßt haben sollte, die aber offenbar das Werk seines Lehrers war, welches dieser auch in seinen Blicken und Mienen während des Ablesens zu gestehen schien. Die Rede war durch alle die bekannte Figuren durchgearbeitet, und alle Fragen, Ausrufungen, InvektionenInvektion – Schmährede u. s. w. waren gegen die neuern Philosophen gerichtet, die der Religion und der menschlichen Gesellschaft überhaupt den Untergang androhen. Ich war sehr aufmerksam, weil ich einigemal den VoltairiusVoltarius – Voltaire, s. Zweyter Brief und RousseauviusRousseauvius – Jean Jaques Rousseau, s. 25. Brief mit aller rhetorischen Wuth bestürmen hörte. Ich konnte nicht begreiffen, was z. B. Rousseau, dessen Moral im ganzen, besonders für Regenten, vortreflich ist, und der, auf der guten Seite genommen, in diesen Gegenden zum Besten der Menschheit wichtige Revolutionen machen könnte, einem jungen schwäbischen Herrn oder seinem Hofmeister, die ihn zuverläßig weder in Person noch in seinen Schriften kennen, Leids gethan haben sollte. Einer unserer Landsleuthe, der Sprachmeister der jungen Herren, durch den ich Eintritt fand, half mir aus dem Traum, und sagte mir, daß es seit mehrern Jahren unter den Geistlichen dieser Gegenden Mode sey, dem Voltaire und Rousseau allen erdenklichen Unsinn aufzubürden, und auf den Kanzeln und bey jeder öffentlichen Gelegenheit ihren Witz an denselben zu schärfen ... Nachdem die Rede gehörig beklatscht und die Komplimente und Gegenkomplimente verhallt waren, schritt man zu der Geschichte. Da giengs durch die 4 Universalmonarchien, und die jungen Herrn nennten eine Menge babylonischer, assyrischer, kaldäischer, ägyptischer, persischer und andrer Regenten der Vorwelt, von denen sich nichts weiter sagen läßt, als daß ihre Asche mit der Erde, die wir bewohnen, vermischt ist. Und alle die Monarchien drehten sich um das Alte Testament herum, und wurden auf den Salomonischen Tempel aufgehaspelt. In Griechenland wußte man nichts als die 7 Weisen mit ihren Sprüchen aufzufinden, und hier wie in dem republikanischen Rom war weder von den grossen Tugenden noch von der Kultur, noch von den Ursachen des Steigens und Fallens dieser Völker die Rede. In den Augen eines Mönchen kann ein Heide keine Tugend haben, und die Aufklärung, die Philosophie dieser berühmten Nationen war eben der Gegenstand, gegen den die Rede mit ihrem Feuer spielte. Dafür schien der Hofmeister als Lehrer der Geschichte gar keinen Sinn zu haben. In der Kaisergeschichte war weiter nichts zu melden, als die zehn oder zwanzig Verfolgungen der Kristen. Ich weiß nicht, ob es noch mehrere waren, ob ich schon der römischen Geschichte, wie du weißt, eben nicht fremde bin. Man nennte alle nennbare Märterer, die unter diesen Kaysern litten. In der neuen Geschichte spielten natürlicher Weise die Ahnen der jungen Herren die Hauptrolle; wie sie Klöster gestiftet und begabet, die Kreuzzüge mitgemacht u. s. w. Hierauf kam man zur Geographie, und da wußte man von Arabien, Abyssinien, MonomotapaMonomotapa – sagenumwobenes mittelalterliches Großreich im Süden von Simbabwe und Mosambik, Nubien, MonömugiMonömugi – Königreich in Ostafrika und den Ländern, die wir am wenigsten kennen, am meisten zu sprechen. Nachdem man zur Prüfung einige wohlgeübte Exempelchen der Rechenkunst auf eine Tafel gekrazt hatte, kam endlich die Reihe an die Glaubens= und Sittenlehre. Es wurde in Behandlung des erstern Gegenstandes so viel von den untrüglichen Kennzeichen der alleinseligmachenden Kirche gesprochen, daß ich bald davongelaufen wäre. Ich hatte in einem Lande von vermischter Religion wie dieses, solche harte Ausdrücke um so weniger erwartet, da die Toleranz der herrschenden Sekten ein Reichsgrundgesetz ist. Die moralische Prüfung war folgende: Hofmeister. Welches sind die Haupttugenden? Erster Eleve. Glaub, Hofnung und Liebe – Hofm. Erwecken Sie mir den Glauben, Graf Karl! Graf Karl. O mein Gott, ich glaube alles u. s. w. Hofm. Graf Max, erwecken Sie mir die Hoffnung! Graf Max. O mein Gott, ich hoffe alles u. s. w. Hofm. Graf August, erwecken Sie mir die Liebe: Graf August. O mein Gott, ich liebe alles u. s. w. Es war recht herzbrechend für die guten Eltern anzuhören, wie ihre Kinder den Glauben, die Hoffnung und die Liebe so hübsch nach dem Katechismus auswendig gelernt hatten – Hofm. Welches sind die Hauptlaster? Neid, Zorn, Unkeuschheit, Füllerey u. s. w. Da fielen mir die Prälaten mit ihren rothen, dicken Köpfen auf, besonders einer, der mit einer faunischenFaun – nach dem altrömischen Feld- und Waldgott ein lüsterner, geiler Mann Miene die Hand auf dem Schoos der gnädigen Frau liegen hatte – Hofm. Welches sind die schweren Sünden in den Heiligen Geist? An einer erkannten Wahrheit zweifeln: in einem erkannten Irrthum verharren, u. s. w. – Hofm. Wieviel gibt es gute Werke, Graf Karl? Graf Karl: «Sieben; Erstens die Hungrigen speisen; zweytens, die Durstigen tränken; drittens die Nackenden bekleiden; viertens die Gefangenen erlösen u. s. w. Und das war nebst den 10 Geboten Gottes und den 5 Geboten der Kirche alles, was die Sittenlehre anbelangt – Also nur 7 gute Werke, Herr Graf! – Also für einen Herrn Grafen von 50.000 Gulden Einkünften ist es ein gutes Werk, keine Pflicht, den Hungrigen zu speisen! – Also tut der Herr Graf ein gutes Werk, wenn er seinen Spitzbuben die Gefängnisse öffnet! – Es war alles buchstäblich so, Bruder, wie ich dirs niederschreibe, es ist nichts übertrieben, nichts verkleinert. Von Pflichten der Grössern gegen die Kleinern, von dem wohllüstigen Geschäfte, andre glücklich zu machen, von sündlicher Verschwendung des mit Schweiß und Thränen benezten Geldes der Unterthanen, von Großmut, Sanftmut und ähnlichen Dingen war so wenig die Rede, als in dem wissenschaftlichen Theil der Prüfung von landwirthschaftlichen und statistischen Kenntnissen.
Der Hofmeister führte sodann seine Zöglinge triumphierend zu dem Schwarm der Zuhörer, die ihn und die jungen Herren mit einem verwirrten Gemurmel von Glückwünschen empfiengen. Der Zug gieng hierauf sehr feierlich zur Tafel, wo ich im Punkt der schönen Sitten meine Bemerkungen über die Erziehungsart der jungen Herren fortsetzen konnte. Eine gewisse grimaßierende Steifheit war mir in ihren Bewegungen schon beym ersten Anblick aufgefallen; aber der Sprachmeister machte mich erst bey Tische auf das Detail ihrer schönen Manieren aufmerksam. Da wußten sie alle die Löffel, Messer und Gabeln gar methodisch zu beyden Seiten der Teller auszutheilen, die Servietten, einer wie der andre, fein durch das oberste Knopfloch zu ziehn, gerade eine Spanne weit vom Tisch, mit steifen Rüken und die Hände züchtiglich neben die Teller gelegt da zu sitzen, und wenn sie die Nase putzen wollten, es gar unsichtbar mit dem Schnupftuche unter der Serviette zu thun. Die Kaffeetassen nahmen sie mit dem Daumen und dem Zeigefinger und strekten die übrigen Finger, alle gleich, sehr artig neben aus. Keiner durfte den Mund aufthun, als wenn er angeredet wurde. Wenn sie standen, so mußten die Füße fein vest auf einem Flek, und nicht gar weit aus einander stehn, und die eine Hand in der Weste und die andre in der Rocktasche stecken. – Der Sprachmeister sagte mir, die ganze Familie und der Hofmeister wären innig überzeugt, daß kein Mensch zu Paris anderst bey Tische sässe, anderst die Tasse nähme oder anderst die Nase puzte. Er werde oft versucht, dem Benediktiner bey seinen Lektionen von der Art unter die Nase zu lachen, wenn er ihm nicht subordinirtsubordiniert – untergeordnet, untergeben wäre.
Wenn nun auch diese junge Herren auf die Universität oder auf Reisen gehn, so geschieht es unter der Aufsicht ihres jetzigen Hofmeisters, der ihnen alles, was sie sehen, durch seine alte Mönchsbrille zeigt, und alle Kenntnisse, die sie ebenfalls [allenfalls ?] sammeln, auf den dürren Stamm seiner ehemaligen Lehren einpfropft. Welche Vorbereitung wird nicht erfodert, um mit Nutzen reisen zu können? – Und wenn nun endlich der junge Erbherr die Regierung seines Landes antritt, kann es besser werden, als es ist?
Dank dem allweisen Schiksal oder der allgütigen Vorsicht, die in den Regierungen der Länder nur gar zu sichtbar die Hände hat! Wenn man den Anbau dieser Gegenden des Schwabenlandes betrachtet, und weiß, wie wenig von den Herren desselben für sie gethan wird, so muß man glauben, es wache immer ein mächtiger Genius über ihnen, der allezeit das, was die Regenten verderben, zum Theil wieder gutmachen muß. Lebe wohl.