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Wien –
Einige Provinzen des östreichischen Erbreichs werd ich nicht zu Gesicht bekommen. Du mußt dich also mit der allgemeinen Nachricht von ihrer Bevölkerung und ihrem Ertrag begnügen, die ich theils aus öffentlichen Blättern, theils aus ziemlich glaubwürdigen mündlichen Berichten zusammenbringen konnte, und um sie dir in ihrem gehörigen Verhältniß zu zeigen, will ich dich einen Blick über das Ganze thun lassen.
Herr Schlötzer, dessen sehr nützlichen Briefwechsel ich schon gedacht habe, und von dem ich an seinem Ort mehr reden werde, liefert eine Liste von der Bevölkerung der östreichischen Monarchie, nach welcher sich dieselbe auf 27 Millionen Seelen beliefe. Ich glaube, er ist nun selbst überzeugt, daß sein Korrespondent die östreichischen Unterthanen durch ein gläsernes Prisma gezählt hat. Einige Angaben dieser Liste sind durch neuere Zählungen offenbar widerlegt worden. So fand man z. B. in dem östreichischen Polen samt der Bukowina nur ohngefähr 2.800.000 Seelen, da besagte Liste die Volksmenge dieser Staaten auf beynahe 3.900.000 Menschen angiebt.
Im ersten Heft seiner politischen Korrespondenz befindet sich eine andere Liste, die ungleich reeller ist. Wenigstens kömmt die Summa aller östreichischen Unterthanen richtiger heraus; denn wenn gleich verschiedne einzelne Angaben übertrieben sind, so wird das Hauptfaktum doch durch einige ausgelassene Provinzen berichtigt, wie denn ganz Illyrien, die Bukowina und Vorderöstreich nicht auf der Rechnung stehn – Folgende Liste hab' ich größtentheils von der beßten Hand, und sie – nicht bloß nach meinem eignen Ermessen, sondern mit Berathung ziemlich glaubwürdiger Gewährsmänner – aus öffentlichen Nachrichten ergänzt.
Hungarn, samt dem nun einverleibten Temeswar | 3.600.000 | Seelen |
Illyrien | 1.400.000 | |
Siebenbirgen | 3.000.000 | |
Oestreich. Polen samt Bukowina | 2.800.000 | |
Böhmen | 2.100.000 | |
Mähren | 1.000.000 | |
Slesien | 200.000 | |
Ober und Unteröstreich | 1.800.000 | |
Steiermark | 700.000 | |
Kärnthen, Krain, Görz, Istrien | 1.000.000 | |
Vorderöstreich und Falkenstein | 300.000 | |
Tyrol | 600.000 | |
Niederlande | 1.800.000 | |
Lombardey | 1.200.000 | |
19.500.000 |
Ich lasse mich gern bescheiden, daß diese Liste von runden Zahlen nicht so genau seye, daß man die 20 Millionen nicht vollends ergänzen könne, ohne die Wahrheit in Gefahr zu setzen. Aber an eine Liste, deren Summa um ein beträchtliches über 20 Millionen steigt, glaube ich nicht, und wenn sie mir auch das ganze Korpus des kaiserlichen Staatsraths vorlegte.
Man braucht keinen andern Beweis, als den Augenschein, um sich zu überzeugen, daß die östreichischen Erblande überhaupt nicht so stark bevölkert seyen als Frankreich. Der Unterschied in der Grösse beyder Länder ist unbeträchtlich; und wie sollten sich die kaiserlichen Staaten in der Bevölkerung mit unserm Vaterlande, das kaum 24 Millionen Menschen zählt, messen können, da der größte Theil derselben ganz ohne beträchtliche Manufakturen ist, und ein grosser Theil von Hungarn und Polen nicht einmal die nöthigen Handwerker in hinlänglicher Menge hat? Der Ackerbau mag in einem Lande noch so gut bestellt seyn, so häuft er doch die Menschen nie so an, als der Kunstfleiß. Seine Sphäre ist eingeschränkt; aber jene des Kunstfleisses nicht. Mit den Menschen, die in einer von den vielen, grossen, mit Fabriken angefüllten Städten unsers Vaterlandes gedrängt beysammen wohnen, könnte man einen grossen Strich des platten Landes besetzen, der mit Dörfern angefüllt seyn würde. Nebstdem ist der Ackerbau in Hungarn und dem östreichischen Polen, welche Länder weit über die Hälfte der Grösse des kaiserlichen Erbreichs ausmachen, lange nicht so gut bestellt, als in den meisten Provinzen unsers Vaterlandes. In Frankreich wohnen wenigstens noch einmal so viele Menschen in Städten beysammen, als in den östreichischen Erblanden, und doch ist das platte Land (im ganzen) gleich stark besetzt. Nur die deutschen Staaten des Erzhauses lassen sich im Anbau und der Bevölkerung mit Frankreich vergleichen.
Einige Angaben auf der Liste, welche für die östreichische Monarchie 27 Millionen Menschen zusammenbringt, sind wirklich lächerlich. So rechnet der Korrespondent des Herrn Schlözers auf die östreichischen Niederlande über 4 Millionen Seelen, da doch die ungleich grössern, und so ausserordentlich bevölkerten vereinigten Niederlande nicht über 2.500.000 Menschen zählen. Der Umfang aller östreichischen Niederlande beträgt höchstens 500 deutsche Quadratmeilen. Nach diesem Anschlag kämen also auf eine Quadratmeile 8.000 Menschen, und da Luxenburg und der nördliche Theil von Brabant bekanntlich nur sehr mäßig bewohnt sind, so würde man auf die übrigen Provinzen im Durchschnitt wenigstens 10.000 Seelen auf die Quadratmeile rechnen müssen; eine Bevölkerung, die in keinem Land in Europa von gleicher Grösse zu finden ist, selbst in den Gegenden um London, Paris und Neapel nicht ausgenommen. Auf meiner Durchreise nach Holland hörte ich zu Brüssel von glaubwürdigen Leuthen, die Zahl aller östreichischen Unterthanen in den Niederlanden beliefe sich auf 1.800.000 Seelen. Eine sehr starke Bevölkerung für die Grösse des Landes; denn es kommen immer noch 3.600 Menschen auf eine deutsche oder geographische Quadratmeile.
Eine Tabelle von den Einkünften des Erzhauses, welche Herr Schlötzer mittheilt, ist ziemlich zuverläßig, aber nicht vollständig. Illyrien, die Lombardey und die Niederlande sind nicht auf der Rechnung, und der Ertrag von Hungarn und Siebenbürgen ist gegen die Art eines östreichischen Korrespondenten etwas zu gering angegeben. Folgendes ist beyläufig das Einkommen aus den verschiedenen kaiserlichen Erblanden.
Hungarn sammt dem einverleibten Bannat | 15.000.000 | Kaisergulden |
Siebenbürgen | 3.000.000 | |
Illyrien | 2.000.000 | |
Pohlen samt Bukowina | 12.000.000 | |
Böhmen | 11.600.000 | |
Mähren | 4.000.000 | |
Slesien | 400.000 | |
Alle östreichischen Kreislande, samt Falkenstein | 22.700.000 | |
Niederlande | 7.000.000 | |
Lombardey | 4.000.000 | |
82.000.000 |
Die 82 Millionen Kaisergulden betragen gegen 98.400.000 Gulden Rheinisch, oder nach unserm Gelde beynahe 215 Millionen Liv. Tournois,Livre tournois – seit Beginn des Jahrhunderts gab es nur diese eine Währung in Frankreich, vorher existierte noch eine zweite, L. parisis genannt. welches ohngefähr 145 Millionen Livres weniger ist, als das Einkommen unsers Hofes, die Kolonien nicht mitgerechnet, und beyläufig so viel als das ordentliche Einkommen von Großbrittanien. Wenn man bedenkt, daß Frankreich gegen 4 Millionen Menschen mehr hat, als das östreichische Erbreich, daß es demselben in der Handlung so erstaunlich überlegen ist, und Hungarn und Illyrien nach dem Verhältniß ihrer Grösse und Bevölkerung sehr wenig abwerfen, so wird man das Verhältniß des Ertrags beyder Reiche sehr wahrscheinlich finden.
Der Ueberschlag von der Ausgabe des hiesigen Hofes, welchen der Korrespondent des Herrn Schlözers seiner Liste von den Einnahmen beygefügt hat, ist grundfalsch. Die Unkosten der Armee werden auf 17 Millionen Gulden angegeben. Nun kostet zwar die Armee des hiesigen Hofes nach dem Verhältniß der Stärke kaum 2/3 so viel, als die unsrige; allein der ganze Aufwand des Kaisers für das Militäre, die ungeheuern Magazine und Werbungskosten mitgerechnet, beträgt jährlich beynahe 30 Millionen. Einige glaubwürdige Leute geben die Summe noch höher an. Die Pensionen setzt der Korrespondent des Herrn Schlözers auf eine Million. Man wird nun bald sehen, daß noch einmal so viel an Pensionen wird eingezogen werden, ohne daß jemand, der auf Gnade des Hofes leben muß, das Nothdürftige verliert. Der Anschlag der Ausgabe mußte grundfalsch werden, denn der Korrespondent läßt sie mit der Einnahme beynahe aufgehn, und hat doch bey dieser gegen 27 Millionen Gulden mangeln lassen.
Ich erinnere mich, in einer Parlamentsrede eines englischen Ministers voriges Jahr einen Ueberschlag von den Einkünften der vornehmsten europäischen Mächte gelesen zu haben, wornach derselbe das politische Verhältniß von Großbrittanien bestimmen wollte. Frankreich schätzte er auf 12, Großbrittanien auf 9, Rußland auf 7 und Oestreich auf 6 Millionen Pfund Sterling. Der Verstoß dieses Ministers ist doch nicht so arg, als jener des Herrn Linguet,Linguet – Simon Nicolas Henri Linguet, franz. Jurist und Schriftsteller, seine Polemik » Journal politique et littéraire« (1774) wurde verboten. † 1794 auf der Guillotine. welcher in seinen Annalen den Zweifel äussert, ob Oestreich Mittel genug habe, den Westen von Europa gegen einen Einfall der Türken sicher zu stellen, und deswegen den europäischen Mächten vorschlägt, diesem Haus zu irgend einem Stück von Deutschland oder der Türkey zu verhelfen, um dem Türken die Spitze biethen zu können. Oestreich ist ohne Widerrede jetzt die zweyte Macht in Europa. Rußlands Einkünfte betragen 32 Millionen Rubel, und diese machen nach dem jetzigen Werth des Rubels nicht über 64 Millionen Kaisergulden aus. In dem Umfang seines Reiches kann zwar der rußische Hof mit seiner Einnahme erstaunlich viel thun, weil der Preiß der Lebensmittel und der nothwendigsten Materialien daselbst so gering ist; allein er hat lange nicht so viele Hülfsmittel, grosse Operationen ausser den Gränzen seines Reiches zu souteniren,souteniren – soutenieren: sich behaupten als der hiesige Hof. Die Zeiten von Leopold und Karl dem Sechsten sind längst vorbey. Es ist seit 20 Jahren in den kaiserlichen Finanzen eine Veränderung vorgegangen, welche die Welt wird staunen machen, sobald der hiesige Hof Anlaß bekömmt, seine Macht zu zeigen. Ich glaube, er hätte nicht so viel Zeit gebraucht, als die Russen im letzten Krieg,im letzten Krieg – der Russisch-Türkische Krieg 1768 – 1774 um mit den Türken fertig zu werden – Da Großbrittaniens Einkünfte vor dem Ausbruch des jetzigen Kriegesder jetzige Krieg – der amerikanische Unabhängigkeitskrieg 1775 – 1783 jenen des hiesigen Hofes beynahe gleich waren, durch den Verlust von Amerika aber um etwas geschmälert werden; so hat Oestreich an innerer Stärke keinen Nebenbuhler mehr, ausser Frankreich. Seine Macht ist im Steigen, und in 50 Jahren sind beyde Kronen an Gewicht einander gleich – Wenn das rußische Reich auch einige Millionen Menschen mehr enthält, als die östreichische Monarchie, so sind unter diesen Menschen doch so viel Kamschatdalen,Kamschadalen – Bewohner der Halbinsel Kamtschatka im Nordosten Sibiriens Samojeden,Samojeden – das Volk der Nenzen im Norden Rußlands und Sibiriens LappenLappen – Lappländer u. dgl. m. die im politischen Betracht kaum so viel werth sind, als ihr Vieh. Beyde Mächte eilen mit gleich starken Schritten zu ihrer Grösse, und werden wahrscheinlich im künftigen Jahrhundert die Rollen spielen, welche Frankreich und England zu Ende des vorigen bis gegen die Mitte des jetzigen Jahrhunderts gespielt haben; nämlich die Ruhe und das Gleichgewicht von Europa werden von ihnen abhangen. Der hiesige Hof wird dem rußischen keinen Schritt voran thun lassen, ohne den nämlichen Schritt, oder vielleicht 2 auf einmal zu thun, wie bey der Theilung von Polen,Theilung von Polen – in der 1. Teilung Polens fielen große Flächen an die drei Länder. Es folgten 1793 und 1795 die 2. und die 3. Teilung Polens die, wie ich nun sicher weiß, eigentlich im hiesigen Kabinet ihren Ursprung genommen hat, wirklich geschehen ist. Rußland hatte die schweren Kosten des Türkischen – oder besser – des polnischen Krieges tragen müssen, und als es zur Theilung kam, gewann Oestreich so viel als Rußland und Preussen zusammen. Der östreichische Antheil von Polen nebst der den Türken abgenommenen Bukowina ist beynahe so groß, als das Land, welches Rußland in Besitz genommen; enthält aber mehr Menschen, und trägt fast um die Hälfte mehr ein, als der rußische und preußische Antheil zusammen genommen. In dem rußischen Antheil wurden nach sichern Nachrichten 2.100.000, und in dem preußischen nicht mehr als 650.000 Seelen gezählt. Nebst dieser stärkern Bevölkerung hatte Oestreich noch die so einträglichen Salzwerke von Wielizka voraus, und der größte Theil von Polen wurde in diesem so wesentlichen Bedürfniß von demselben abhängig gemacht – Oestreichs Stärke ist kompakt, die von Rußland aber ausgedehnt, und jenes wird über dieses immer den Vortheil haben, den ein untersetzter und behender Körper über einen bloß aufgedunsenen und schwerfälligen hat – Man spricht hier viel von einer Theilung der Türkey, die zwischen beyden Kaiserhöfen beschlossen seyn soll. Auch die öffentlichen Blätter fangen schon an davon zu murmeln. Ich glaube noch nicht daran, wenn gleich bekannt ist, daß beyde Höfe schon in den dreyßiger Jahren einen Plan von der Art unter sich gemacht hatten. Sollte aber wirklich etwas daran seyn, und unser Hof auf keiner Seite Einfluß genug haben, um das Gewitter, womit in diesem Fall die Pforte bedroht würde, zu zerstreuen, so würde das gewiß der letzte freundschaftliche TraktatTraktat – hier: Staatsvertrag zwischen Rußland und Oestreich seyn. So bald die Pforte gestürzt ist, und beyde kristliche Reiche an den Ufern des schwarzen Meeres zusammen gränzen, müssen sie nothwendiger weise auf einander eifersüchtig werden, und sie kommen dann in Rüksicht auf Handlung, und andre Gegenstände gegen einander in die nämliche Lage, worin Frankreich und Großbrittanien von je her gegen einander waren.