Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Fünfter Brief.

Augspurg –

Zur Strafe für deine fast unverzeihliche Trägheit im Briefschreiben ließ ich dich so lange auf Einen von mir warten. Da du dich aber in dem Briefchen, das ich gestern erhielt, reumüthig zeigest und Nannette für dich im Postskript um Verzeihung bittet, so will ich es dir so hingehen lassen und mein Taschenbuch wieder zu Handen nehmen.

Von Stuttgard aus that ich mit einem guten Freund, einem jungen Herrn von Stande, einen Einfall tief in den Schwarzwald. Die Bewohner des würtenbergischen Antheils sind lange nicht so schön, wohlgebaut und munter, als die am Necker und den angränzenden Thälern. Die Männer sind plump und die Weiber gelb, ungestaltet und gemeiniglich schon in den dreyßig Jahren runzlicht. Sie unterscheiden sich auch von ihren übrigen Landsleuten durch einen abscheulichen Geschmack sich zu kleiden und einen auffallenden Mangel an Reinlichkeit. KalbKarolina – Constitutio Criminalis Carolina, auch peinliche Halsgerichtsordnung (Strafprozeßordnung) Karls V. genannt. 1530 vom Reichstag in Augsburg beschlossen ist die beste Stadt in dieser Gegend; sie hat ansehnliche Manufakturen, und ihre Bürger äusserten bey den berüchtigten Streitigkeiten der Landesstände mit dem Herzog ungemein viel Muth, Freyheitsliebe und Anhänglichkeit an ihre Verfassung.

Ich konnte die Ursache der Häßlichkeit dieser Leute nicht ausfindig machen. Härte der Arbeit und schlechte Nahrung mögen etwas dazu beytragen; aber sie sind nicht die einzige Ursache, denn im fürstenbergischen und besonders im östreichischen Antheil dieses ungeheuern Gebirges sahen wir die schönsten Leute, ob sie gleich die harte Arbeit und die Nahrungsmittel mit den Würtembergern gemein haben. Vielleicht ist die Richtung und Tiefe der Täler und also die Luft oder vielleicht das Wasser daran Schuld.

Diese Bergreise hatte ungemein viel Vergnügen für mich. Es war mir wie in einer Feenwelt. Eine zauberische Aussicht übertraf immer die andere an Mannichfaltigkeit und Schönheit. Seltsame Gestalten und Verkettungen der Berge, Wasserfälle, Parthieen Waldung, kleine Seen in tiefen Schlünden, Abstürze, kurz, alles ist in so grossem Stil, daß ich es nicht wage ihn in einem Brief zu kopiren.

Ich rastete einige Tage bey meinem Freund zu Stuttgard aus, und machte mich sodann auf den Weg nach dem Bodensee, wornach sich mein Auge sehnte. Ich kam über eine andre Bergkette, die Schwabenland von Ostnorden nach Westsüden in der Mitte durchschneidet und die Alp genennt wird. Sie streckt sich noch von der schwäbischen Gränze an zwischen Bayern und Franken bis an den FichtelbergFichtelberg – das Fichtelgebirge hin und hängt mit dem böhmischen Gebirge zusammen. – Das merkwürdigste auf dieser Reise war mir das Stammhaus der Könige von Preussen.

Wer sollte glauben, daß Friederich der GroßeFriederich der Große – Friedrich II. von Preußen, König seit 1740, führte Preußen durch mehrere Kriege, besonders durch den Siebenjährigen Krieg zu einer europäischen Großmacht, † 1786, welcher gegen die vereinte Macht der mächtigsten europäischen Häuser standvereinigte Macht ... – im Siebenjährigen Krieg kämpfte Preußen, nur durch englisches Geld und die Ausplünderung Sachsens unterstützt, gegen die europäischen Großmächte Rußland, Frankreich und Österreich und das Gleichgewicht in Norden hält, der Abkömmling eines jüngern Astes des hohenzollerischen Stammes ist, des kleinsten fürstlichen Hauses in Deutschland, dessen zween noch lebende Aeste, Hechingen und Siegmaringen zusammen keine 70.000 Gulden Einkünfte haben! – Der jüngere Bruder eines unserer Marquis ließ sich das von einem Preußen erklären, schlug einen Schneller mit den Fingern und erwiderte: «Voilà un Cadet qui a fait fortune!« (Dieser jüngere Sohn hat mir ein Glück gemacht!)

Wir kamen quer durch das Fürstenthum Hohenzollern, und die Breite wird wenig über ein paar StundenStunde – Wegmaß: Die Strecke, die ein Fußgänger in einer Stunde zurücklegt, also etwa 5 km betragen. In die Länge soll es gegen 10. Stunden haben, in welchem Umfang aber, den abgerissenen Sigmaringen Theil mitbegriffen, nicht über 12.000 Menschen wohnen. Das Land ist sehr bergigt und waldigt, und die Fürsten waren von jeher als grosse Jäger bekannt. Die jetztregierenden Herrn sind, wie man mir sagt, sehr liebenswürdige Männer, und suchen beym König von Preussen das Andenken ihres gemeinschaftlichen Ursprungs zu erneuern, wie denn auch kürzlich ein Graf von Hohenzollern zum KoadjutorKoadjutor – Stellvertreter und designierter Nachfolger eines katholischen Bischofs von ErmelandErmeland – Ermland, eine Landschaft in Ostpreußen, kam bei der ersten Teilung Polens 1772 an Preußen, wenn ich nicht irre, ist ernennt worden.

Wir besahen das Schloß Hechingen, das auf seinem hohen Berg eine unbegränzte Aussicht in das Würtembergische und andre benachbarte Länder beherrscht. Einer der ehemaligen Regenten dieses kleinen Ländchens stand mit seinem Gefolge auf der Terrasse des Schlosses und weidete seine Augen in der weiten und schönen Gegend umher. Er nickte dann mit dem Kopf und sagte: Das Würtemberger Ländchen stünde unserm Land wahrhaftig sehr wohl an – Wenn auch die Anekdote nicht wahr seyn sollte, so ist wenigstens der Einfall nicht übel; denn das Ländchen Würtemberg ist wenigstens 30. mal so groß, als das Land Hohenzollern.

Beym Anblick des Bodensees war ich würklich entzükt. Ich will keine dichterische Beschreibung dieses herrlichen Anblicks versuchen. Das hiesse, das größte mannichfaltige und lebhafteste Gemählde dir mit einem Gesudel von Kohlen vorzeichnen wollen. Ich will dir nur meine philosophischen politischen Beobachtungen über die Gegend und die Bewohner derselben mittheilen; denn was meine Gefühle betrift, so weißt du, daß ich in Beschreibung derselben sehr unglücklich bin.

Auffallend ist vor allen, daß an diesem grossen Gewässer, welches auf eine beträchtliche Strecke die Gränzscheidung zwischen Deutschland und der Schweiz ist, keine einzige Stadt von Bedeutung liegt. Konstanz, die beträchtlichste an den Ufern desselben, zählt kaum 6.000 EinwohnerFußnote im Original: Wenigstens 5.000, und also doch um ein Beträchtliches mehr, als Koxe in seiner Schweitzerreise angiebt, um auf Kosten dieser Stadt einige in der Nachbarschaft derselben im Vergleich grösser zu machen. D. U.. Sie hat weder eine erhebliche Handlung noch die geringste Manufaktur. Da Schaffhausen, St. Gallen, Zürich und einige andere nicht weit entlegene Städte, welche die vortheilhafte Lage nicht haben, sehr blühende Handelsstädte sind. Augenscheinlich ist der Schwabe überhaupt lebhafter und reger von Natur, als der Schweitzer in den angränzenden Gegenden, und was das Landvolk betrift, so bemerkt man sowohl in Rücksicht auf Sittlichkeit als auf Fleiß einen auffallenden Unterscheid zum Vortheil des erstern, da sich hingegen die helvetischenHelvetisch – schweizerisch (Helvetien) Städte ebenso stark zu ihrem Vorteil vor den schwäbischen in ihrer Nachbarschaft auszeichnen.

In Konstanz wird man stark versucht, den Mangel an Kunstfleiß, die Vernachlässigung der Vortheile, welche die Natur darbietet, und die herrschende Liederlichkeit der Religion zur Last zu legen. Schon im Elsaß und in dem untern Schwaben fand ich unter den Protestanten mehr Gewerbgeist, als unter den Katholiken. Die Feyertäge, das häufige Kirchengehn, das Wallfahrten, die Möncherei u. dgl. m. tragen viel, und noch viel mehr die übertriebenen Lehren von Verachtung zeitlicher Dinge, und von Erwartung einer wunderthätigen Unterhaltung von Gott, die Leichtigkeit, in Klöstern und der Kirche Versorgung zu finden, und die Eingeschränktheit der Begriffe, die man zum Behuf seines Glaubens bey einem Katholiken im Vergleich mit dem Protestanten voraussetzen muß, dazu bey. Unter dem grossen Haufen der Bauern beyder hier zusammengränzender Völker gleicht sich das durch die natürliche Schwerfälligkeit und Wildheit des reformierten Schweitzers, worüber ich dir mit der Zeit in meinen Briefen über die Schweiz Erläuterung geben werde, ziemlich zum Vortheil des Schwaben ab. Aber in den Städten machen die mehrern Kirchen und Klöster nebst obigen Ursachen auf Seite der Katholiken und die grosse Aufklärung auf Seite der reformirten Schweizer einigen Unterscheid, welcher aber noch ausser der Religion durch eine Menge andre Ursachen unendlich vergrössert wird.

In Frankreich, in den östreichischen Niederlandenöstreichische Niederlande – auch österreichisches Belgien genannt, etwa das Gebiet der heutigen Länder Luxemburg und Belgien, dazu die heute deutschen Städte Echternach und Bitburg und verschiedenen italiänischen Staaten sieht man offenbar, daß die Religion an und für sich selbst dem politischen Leben eines Volkes eben nicht sehr gefärlich ist und daß sich Industrie und Aufklärung mit einer starken Dosis Aberglauben und Möncherey so gewiß vertragen können, als der Ritter aus der Mancha ausser dem Kreis seiner Donquixotterie ein kluger und brauchbarer Mann sein konnte. Die Religion ist also hier nicht so sehr die wirkende, als vielmehr die gelegenheitliche Ursache, und es hängt von den Lokalumständen ab, warum der deutsche Katholik nicht so aufgelegt zur Industrie ist als z. B. der Franzose oder Genueser.

Der Erziehungsart hat man das meiste zuzuschreiben. Du würdest staunen, wenn du den Unterschied zwischen der Erziehung der Jugend in den protestantischen Städten Deutschlands und den katholischen oder auch zwischen diesen und den unsrigen sehen solltest. Ich brauche dir hierüber nichts zu sagen, als daß die JesuitenJesuiten – Orden Jesu, ein 1540 von Ignatius von Loyola gegründeter Orden. Dieser wirkte als stärkste Waffe des Katholizismus in der Zeit der Gegenreformation. Aus dem Motto «Alles zur Ehre Gottes« leitete sich auch die Parole «Der Zweck heiligt die Mittel« ab. Daraus folgte dann logisch die Erlaubnis zum Königsmord. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erfolgte das Verbot des Ordens in verschiedenen katholischen Ländern. 1773 wurde der Orden vom Papst aufgehoben, aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder zugelassen. Er wurde von Bismarck 1872 in Deutschland verboten (bis 1917), auch in anderen Ländern erfolgten Verbote., denen wir in Frankreich so viel zu danken haben, und die unsre Patrioten wieder in die Schulen zurück wünschen, in Deutschland ausgemachte Idioten waren, rüstige Verfechter der Barbarey, die sich eben so sehr beeiferten, allen Schwung des Geistes zu unterdrücken, als die unsrige das Genie zu entwickeln suchten.

Ein anderes Hinderniß für den Kunstfleiß in diesen Gegenden ist der dumme lächerliche Stolz des Adels. Während daß die Kaufleute und Fabrikanten, in den benachbarten Städten Helvetiens Regenten sind, blickt der Domherr in Konstanz mit Verachtung auf den Bürger herab, der sein Vermögen nicht seiner zweifelhaften Geburt, sondern seinem Verstand und Fleiß zu verdanken hat, und bläht sich mit dem Register seiner 16. stiftmäßigen Ahnen, welches er beym Antritt seiner Pfründe beweisen muß, ohne zu bedenken, daß er vielleicht von einem LaquayenLaquay – Lakei, Diener, Jäger oder Stalknecht in die Familie unterschoben worden. Auf den Bürger macht das einen sehr schädlichen Eindruck. Anstatt sein Kapital durch seinen Fleiß zu vergrössern, kauft er sich Titel oder Güter, sucht dem Herrn Baron ähnlich zu werden und verhöhnt dann mit noch viel erbärmlicherem Stolz seine Mitbürger.

Nebstdem trägt die sparsame Lebensart des Schweizer Bürgers sehr viel zur Aufnahme seiner Manufakturen bey. Das alltägliche Essen eines etwas bemittelten Einwohners von Konstanz wäre für Einen von St. Gallen ein festlicher Schmaus. Aber freylich ist das zugleich auch die Ursache, warum der Schwabe einen bessern Humor hat, als der Schweitzer.

Uebrigens scheint Konstanz wegen seiner Entlegenheit vom Hof zu Wien vernachlässigt zu werden. Es sollen sich schon einige Schweizer anerbothen haben, Fabriken daselbst anzulegen. Ich weiß nicht, ob die Intoleranz des Hofes oder des Stadtrates, welcher immer noch etwas von seinem ehemaligen reichsstädtischen Ansehen zu behaupten sucht, oder der obbemeldte Adelstolz der Stein des Anstosses war, woran diese Projekte scheiterten.

Der Bischof residirt zu MörsburgMörsburg – Meersburg am Bodensee, einem kleinen Städtchen an dem entgegengesetzten Ufer des Sees, und hat ohngefähr 70.000 Gulden Einkünfte. Er besitzt sehr ansehnliche Güter auf helvetischem Boden. Die übrigen nennenswürdige Orte auf der deutschen Seite sind: Ueberlingen und Lindau, worinn man die Spießbürgerei im größten Glanz sieht.

Die helvetische Küste dieses kleinen Meeres ist scheinbarer, als die deutsche. Die schöne Mischung der nahgelegenen, zum Theil mit Weinstöcken bepflanzten Hügel, die zerstreute Lage der Bauernhöfe mit ihren vielen Fruchtbäumen umher, und die kleinen Parthieen von all den vielen Arten des Feldbaues geben derselben ein um so lebhafteres Ansehen, da die schwäbischen Dörfer enge, wie die Städte zusammen gebaut sind und oft ein grosses Getreidefeld oder weitläuftige Wiesengründe um sich her beherrschen. Im ganzen, glaube ich, sind beyde Ufer nach dem Verhältnis gleich stark bewohnt. Das helvetische ist steinigter und von schwererem Boden, als das Deutsche, und obschon das Thurgau unter die besten Gegenden der Schweitz gehört, so muß es doch einen guten Theil seines ersten Bedürfnisses, des nötigen Getraides, aus Schwaben beziehn, wogegen es etwas Wein und Obst vertauscht.

In Holland denkt man wohl wenig daran, was man dem Bodensee zu verdanken hat. Kaum kann man jetzt sich daselbst des Sandes erwehren, welcher durch die Aar und verschiedene andere Flüsse aus den Alpen in den Rhein geschwemmt wird, die Mündungen dieses Stroms zu verstopfen droht, und durch die grossen Bänke, die er schon weit über seinem Ausfluß ansetzt, in diesem tiefen Lande mit der Zeit gewaltsame RevolutionenRevolution – der Begriff wird durchweg im Sinn einer größeren naturbedingten Veränderung gebraucht erwarten läßt. Wenn nicht in diesem ungeheuren Behältniß die ungleich grössere Menge des Sandes aufgefangen würde, welche durch den reissenden Rheinstrom aus dem hohen Bündtnerlande herabgespült wird, so läge jetzt schon Holland unter neuem Sand begraben, und die gehemmte Ausflüsse des Rheines hätten dem Lande schon lange eine ganz andere Gestalt gegeben. Es ist wahr, diese Veränderung muß ohnehin mit der Zeit nothwendig erfolgen. So beträchtlich auch die Tiefe dieses Sees ist, denn an einigen Orten beträgt sie 300. Klafter, so muß er doch endlich und um so eher ausgefüllt werden, da der Strom von seinem Ausfluß bey Konstanz an durch die höheren Gegenden Deutschlandes immer sein Bette tiefer grabt, und der See also ebensoviel Wasser verliert, als er Sand gewinnt. Aber wenn man bedenkt, was ein so großer Umfang, wie der des Sees, fassen kann, wenn man seinen Inhalt, wie de la Torrede la Torre – ital. Archäologe, † 1717 jenen des Vesuvs, berechnet, so haben sich die Holländer noch freylich durch viele Generationen zu trösten; und wenn der jüngste TagDer Jüngste Tag – Der päpstliche Legat und Kardinal Pierre d'Ailly sagte 1419 das Weltende zunächst für 1692 voraus und dehnte später den Zeitraum bis 1789 aus. so schnell kömmt, als er von den erleuchtesten unserer Theologen angekündigt wird, so ist diese Berechnung vollends überflüßig.

Ich konnte diese Gegenden unmöglich verlassen, ohne den berühmten Rheinfall bey Laufen zu besuchen. Es war das schönste Schauspiel, das ich in meinem Leben gesehen. Da mir zuvor kein Gemählde und kein Kupfer von diesem prächtigen Auftritt der Natur zu Gesicht gekommen, und ich ihn bloß aus einem dunkeln Ruf kannte, so geschah mir, was vermuthlich allen geschieht, die nicht einen etwas bestimmtern Begriff davon mitbringen. Meine Einbildung hatte mich getäuscht. Ich dachte mir die weiteste [wildeste ?] Gegend, wo der Rhein vom Himmel herab in einen unermeßlichen Schlund stürzte. In dem Abstand zwischen der Wirklichkeit und meiner Idee war die Ueberraschung um so angenehmer, da es hier wie mit allen wirklich großen Natur= und Kunstwerken ist, deren wahre Grösse und Schönheit nicht beym ersten Anblick auffällt, sondern erst durch genaue Beobachtung und Vergleichung der Theile muß gefühlt werden. Ich fand den Fall lange nicht so hoch, aber viel schöner, als ich mir ihn gedacht hatte. Das Amphitheatralische der mit Bäumen besetzten Hügel drüber her, die 2. Felsen, auf deren Einem das Schloß Laufen, auf dem andern aber ein Dorf und vor demselben eine Mühle liegt, und die wie die Säulen einer Vorderbühne dem Fall selbst zur Seite stehen, die Breite des Falles und die schöne Vertheilung des mannichfaltig herabstürzenden Wassers, das herrliche Bassin unter dem Fall, die schöne und fast gekünstelte Mischung des Wilden mit dem Angebauten in der Gegend umher, kurz alles war anders und schöner, als ich erwartete.

Der Fall beträgt jetzt höchstens 50 Schuhe, die kleinen Abhänge mit gerechnet, die der Strom kurz vor seinem Hauptsturz zur Vorbereitung macht und die man nur von der Höhe herab sehen kann. Ehedem war er zuverläßig höher, und noch bey Mannsgedenken ist ein Stück des Felsen weggerissen worden, welcher dem Sturz mitten im Weg steht. Ich glaube an dem Fels, worauf das Schloß Laufen steht, beobachtet zu haben, wie der Strom stufenweis in die Tiefe gegraben. Es folgt also daraus, daß, wie ich dir oben sagte, der Bodensee immer nach dem Verhältniß schwinden muß, wie der Rhein sein Bette tiefer aufwühlt. Bey Lindau sah ich auch auf meiner Reise hieher offenbar neues Land. Er hat das mit allen hochgelegenen Seen gemein, und am Neufschatelersee soll diese Abnahme unter den helvetischen Gewässern am merklichsten seyn.

Ich machte eine kleine Lustreise nach der nicht weit von Konstanz gelegenen Insel Mainau, die eine KommentureyKommenturey – Komturei, Verwaltungsbezirk eines geistlichen Ritterordens des Deutschen OrdensDeutscher Orden – geistlicher Ritterorden, 1190 während des Dritten Kreuzzuges gegründet, eroberte später große Gebiete im Baltikum und in Ostpreußen, Sitz des Großmeisters war die Marienburg, 1409 wurde der Orden in der Schlacht bei Tannenberg (Grunwald) durch ein polnisch-litauisches Heer vernichtend geschlagen. ist. Die Wohnung des KommentursKommentur – Komtur, Leiter einer Komturei ist ein neues schönes Gebäude, welches die herrlichste Aussicht über den ganzen See beherrscht. KoxeKoxe – William Coxe, englischer Reiseschriftsteller und Historiker, †1828 hat auf seiner Schweitzerreise die Anlage des Gartens dieses Schlosses nicht begriffen. Er findet es abgeschmackt, daß man in demselben die freye Aussicht auf den See durch Busch=Alleen verdeckt hat. Allein diese führen den Spatzierenden unvermerkt auf den ausgesuchten Fleck, wo er von dieser Aussicht überrascht wird und den ganzen See samt seinem herrlichen Gelände, in voller Pracht vor sich hat. Die durchaus offne Aussicht auf das Wasser würde im Garten um so weniger interessant seyn, da man sie in den Zimmern des Pallastes ohnehin immerfort genießt.

Noch muß ich dich, ehe ich von Konstanz abgehe, eines Mannes erinnern, der vor einigen Jahren in den Zeitungen soviel Lärmen machte. In dieser Gegend fieng der berüchtigte GasnerGasner – kathol. Teufelsaustreiber, 1779 , welcher in kurzer Zeit einige Millionen Teufel austrieb und einige hundert Gläubige heilte, sein Spiel an. Der Bischof von Konstanz verbat sich solche Wunder in seinem Sprengel, und nun flüchtete sich der Mann unter den Schutz des Prälaten von Salmansweiler, der sich immer mit schwerem Gelde die ExemtionExemtion – Befreiung von allgemeinen Lasten von der bischöflichen Gewalt vom Pabst erkauft. Aus Eifersucht auf den Herrn Bischof nahm der Prälat die Parthey des Flüchtlings mit aller Hitze, und nun war sein Glück durch seine Verfolgung gemacht. Der Oekonom der Prälatur fournirtefourniren – furieren, liefern ihm einige Fässer verdorbenes Oel und ähnliche Sachen, die Gasner zur Heilung der Menschen weihte, und wobey der erstere seine Rechnung fand. Ich theile dir diese Anekdote mit, weil ich sie von guter Hand hab, sie wenig bekannt ist, und ich dir ein neues Beyspiel geben kann, daß MahommetMahommed – Mohammed, Begründer des Islam, † 623 und alle Propheten seiner Art ihren Ruhm der Hitze ihrer Verfolger und Patronen, die oft mit dem Prophetenthum dieser Männer in gar keiner Verbindung steht, zu verdanken haben. Lebe wohl.


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