Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Dritter Brief.

Stuttgard den 14. April. 1780

Von Karlsruhe wanderte ich zu Fusse hieher, durch ein romantisches und zum Theil sehr schön angebautes Land.

So wie man aus Champagne in Lothringen tritt, sieht man schon einen merklichen Unterschied zwischen dem Zustand des altfranzösischen Bauers und jenes in den neueroberten Landen; wiewohl die letztern Gouverneurs diese Provinz schon ziemlich auf altfranzösischen Fuß zu setzen gewußt haben. Aber im Elsaß ist dieser Unterschied auffallend. Im Vergleich mit einem Altfranzosen ist der elsaßische Bauer ein Freyherr. Zwar hab' ich in der Gegend von Straßburg auch schon über ungewohnte Bedrückungen klagen gehört; aber wenn die Elsasser den Zustand ihrer Landsleuthe in den innern Provinzen des Reiches kennten; sie würden selbst ihre Klage für ungerecht erklären.

In dem Strich von Deutschland, den ich bisher gesehen, befindt sich der Bauer noch viel besser als im Elsaß. In verschiedenen Ländern, wie z. B. im Würtembergischen, ist er durch Regierungsverfassung gegen allzugrosse Despotie gesichert, und in kleinern Staaten schaft wohl auch das kaiserliche Ansehn Rath, wovon ich dir in der Folge einige Beyspiele zeigen werde. Auf dem Wege von Karlsruhe hieher konnte ich den Wohlstand der Landleute nicht genug bewundern.

Ehe ich dir meine Ausfälle in die benachbarten Gegenden von Schwabenland beschreibe, muß ich dich erst mit dem hiesigen Hof bekannt machen. Ohne Zweifel erwartest du Beschreibungen von prächtigen Festen, Bällen, Beleuchtungen, Opern, Balleten, Jagden, Konzerten u. dgl. Mit allem dem kann ich dir nicht aufwarten. Man gräbt nun keine Seen mehr auf Bergen, und läßt sie frohndenweise durch die Bauern mit Wasser füllen, um einen Hirsch darin zu jagen. Man beleuchtet keine Wälder mehr, und läßt mitten in denselben aus künstlichen Grotten ganze Heere von FaunenFaun – altrömischer Feld- und Waldgott und Satyren springen, um zur Mitternachtsstunde ein wohllüstiges Ballet zu tanzen. Man baut keine blühende Gärten mitten im Winter unter ungeheuern Dächern, worunter die Oefen den Trieb der Natur ersetzen müssen, und man durch den Duft der Blumen wie im Frühling spazieren kann, dabey aber von der heissen Luft fast erstickt wird. Das berühmte Opernhaus, worin NoverreNoverre – Jean Georges Noverre, franz. Tänzer und Choreograph, auch Theoretiker, † 1810 sich in seiner Grösse zeigt, steht nun öde da. Du staunst über die Veränderung – Ich kann sie dir nicht besser, als durch die eigne Worte des Herzogs erklären.

Im Jahre 1778 ließ der liebenswürdige Herzogder liebenswürdige Herzog – Carl Eugen, Herzog von Württemberg † 1793 bey Gelegenheit seines Geburtstages ein Manifest ergehen, wovon folgendes Auszüge sind – »Da Wir ein Mensch sind, und unter diesem Wort von dem so vorzüglichen Grad der Vollkommenheit beständig weit entfernt geblieben, und auch inskünftige bleiden [bleiben] werden; so hat es nicht anderst seyn können, als daß theils aus angebohrener menschlicher Schwachheit, theils aus unzulänglicher Kenntniß und andern Umständen sich viele Ereignisse ergeben, die, wenn sie nicht geschehen, sowohl für jtzt [itzt] als für das künftige eine andere Wendung genommen hätten. Wir bekennen es freymüthig; denn dieß ist die Schuldigkeit eines Rechtschaffenen, und entladen uns damit einer Pflicht, die jedem Nachdenkenden, besonders aber den Gesalbten der Erde, immer heilig seyn und bleiben muß. Wir sehn den heutigen Tag (Es war sein 50ster Geburtstag) als eine zweyte Periode unsers Leben an – Wir geben unsern lieben Unterthanen die Versicherung, daß alle die Jahre, die Gott uns noch zu leben fristen wird, zu ihrem wahren Wohl angewendet werden sollen – Würtembergs Glücklichkkeit soll also von nun an und auf immer auf der Beobachtung der ächtesten Pflichten des getreuen Landesvaters gegen seine Unterthanen und auf dem zärtlichen Zutrauen und Gehorsam der Diener und Unterthanen gegen ihren Gesalbten beruhen – Ein getreuer rechtschaffener Unterthan bedenke, daß das Wohl einen ganzen Staats oft dem Wohl eines Einzeln vorausgehen müsse, und murre nicht über Umstände, die nicht allemal nach seinem Sinn seyn können – Wir hoffen, jeder Unterthan wird nun getrost leben, daß er in seinem Landesherrn einen sorgenden, getreuen Vater verehren kann. Ja, Würtemberg muß es wohl gehen! Dies sey in Zukunft und auf immer die Losung zwischen Herrn, Diener und Unterthan.«

Der Herzog ist nun ganz Philosoph; stiftet Schulen, und besucht sie fleißig; treibt Landwirtschaft, und ist sogar oft beym Melken der Kühe; schüzt Künste, Wissenschaften und HandlungHandlung – Handel und Gewerbe, errichtet Fabricken, und lebt wirklich bloß, um das wieder gut zu machen, was er allenfalls verdorben hat.

Sein feuriges Genie riß ihn zu dem Aufwand für Pracht und Sinnlichkeit hin, wodurch er sich in ganz Europa berühmt gemacht. Der Ton der damaligen Zeiten, die Beyspiele andrer Höfe, als das sächsischen und pfälzischen, der italiänische Geschmack, den er auf seinen Reisen annahm, die Verführung seiner Bedienten, worunter sich unsere Landleute besonders hervorthaten, und verschiedene andere Umstände gaben diesem Genie vollends eine falsche Richtung. Die Schulden häuften sich. Man suchte Hilfe in neuen Auflagen. Die LandständeLandstände – ein Parlament, welches allein die Steuern bewilligen darf sträubten sich dagegen, und ertrozten endlich eine Kommißion vom kaiserlichen Hof. Man soll gegen 12 Millionen Gulden Schulden vorgefunden haben. Die bösen Rathgeber werden vom Herzog entfernt. Unterdessen wird aus den meisten deutschen Höfen ein gewisser philosophischer und wirtschaftlicher Ton herschend. Sogleich entscheidet sich das Genie des Herzogs mit eben der Wärme, womit es zuvor an dem wohllüstigen Pracht hieng, für die gute Sache. Die Gräfin von Hohenheim, ehemals Frau von * * , ist unter der Menge Frauenzimmer, die der Herzog kennen lernte, das einzige, das mit ihm sympatisieren und ihn fixieren kann; und so geschah die Verändrung, worüber die Patrioten im Würtembergischen entzückt sind, und die noch die spätesten Enkel segnen werden – Wehe dem Mann, der darüber witzeln und spotten kann!

Nun könnte ich dich lange mit den Schulanstalten des Herzogs, besonders mit seiner berühmten Militär=Akademie unterhalten, wenn ich nicht glaubte, daß sie dir schon zum Theil bekannt wären, und ich nicht wegen dem gezwungenen Wesen an unsern Schulen überhaupt, und besonders an den hiesigen einen unüberwindlichen Eckel hätte. Ich gebe zu, es ist gut, vortrefflich, sogar bey den heutigen Staatsverfassungen nothwendig, daß man die jungen Leuthe voll Gelehrtheit pfropft, noch ehe ihre Körper und Sinnen ausgebildet sind; aber ich kann mir nicht helfen; ich möchte allezeit ausspeyen, wenn ich einen Jüngling von 16 – 18 Jahren sehe, der wie ein Magister spricht und sich wie derselbe gebehrdet. Meine Buben, wenn Gott mir einige schenken sollte, müßten bis in diese Jahre wie die jungen Kosaken aufwachsen – Doch meine Gedanken über die Erziehung will ich dir auf ein andermal versparen. Nun etwas vom Land Würtemberg.

Der größte Theil des Herzogthums ist ein grosses Thal, das gegen Osten von einer Bergkette, die Alp genannt, gegen Westen vom Schwarzwald, gegen Norden von einem Theil der Berge des Odenwaldes und einem Arm des Schwarzwaldes, und gegen Süden von den zusammenlaufenden Armen der Alp und des Schwarzwaldes eingeschlossen ist. Im ganzen ist es gegen Norden abhängig, und wird in der Mitte vom Necker durchströmt. Eine Menge kleinere Arme laufen von den verschiedenen Bergketten umher gegen die Mitte zu, kreutzen sich auf die mannigfaltigste Art, und bilden kleinere Thäler, die von unzähligen Bächen gewässert werden. Diesen kleinen Bergästen, welche die Thäler gegen die rauhen Winde decken, und zwischen denen sich die Sonnenhitze anfängt, hat das Land seine grosse Fruchtbarkeit zu danken. Auf der sonnigten Seite sind die meisten Berge und Hügel bis eine gewisse Höhe mit Weinreben bepflanzt; oben sind vortrefliche Waiden und Waldungen, und in den Tiefen liegt eine leichte, lockere, graue Erde, die alle Getraidearten, besonders aber den Dinkel, in erstaunlicher Menge zurückgiebt. Im Ganzen hat das Land viele Aehnlichkeit mit dem mittleren Theil von Lothringen, ist aber lange nicht so steinigt und hat viel bessere Erde. Es hat an allen Lebensbedürfnissen einen grossen Ueberfluß, das Salz ausgenommen, wovon es den grösten Theil zu seiner Konsumtion aus Bayern bezieht. Der Ueberfluß von Getraide wird meistentheils in die Schweitz, und der Wein jetzt bis in England verführt.

Die Grösse des Landes beträgt nicht mehr als ohngefehr 200 deutsche oder 266 französische QuadratmeilenMeile – meist ca. 7,5 km, in dieser Abhandlung wird sie zu ca. 10 km gerechnet, und in diesem Umfange wohnen 560.000. Menschen, also im Durchschnitt 2.800 Seelen auf einer deutschen Quadratmeile. Ausser den Gegenden um die Hauptstädte, und einigen Bezirken in Italien und den Niederlanden sind gewiß wenige Länder in Europa nach dem Verhältniß der Grösse so stark bevölkert, und doch trägt das Land so viel Getraide, daß es noch einmal so viel Menschen nähren könnte.

Die Einkünfte des Herzogs sollen beynahe 3 Millionen Gulden betragen. Ich finde das sehr wahrscheinlich, obschon verschiedene gedruckte Nachrichten eine viele kleinere Summe angeben. Es sind wenige Länder in Deutschland, wo von den jährlichen Einkünften nicht 5 Gulden im Durchschnitt auf den Kopf kommen sollten. Nach der Vergleichung, die ich aus öffentlichen Nachrichten hierüber angestellt habe, fallen in der Vertheilung der RevenüenRevenüen – Einkommen, Einkünfte in vielen Ländern noch mehr als 5 Gulden auf einen Kopf. Warum sollte es in Würtemberg, einem der ergiebigsten Länder von Deutschland, wo der Unterthan eben auch um nichts mehr geschont wird, nicht auch so seyn?

Der Herzog ist nach den Kurfürsten ohne Vergleich der mächtigste Fürst Deutschlands. Der Landgraf von Hessenkassel hat nicht viel über 2 Drittheile von den Unterthanen und den Einkünften desselben, ob er schon wegen seiner Verbindung mit England mehr Aufsehens macht.

Die Verwaltung des Herzogthums ist lange nicht so einfach, als jene der baadischen Lande. Hier wimmelt es von Räthen, Schreibern, Prokuratoren und Advokaten, wovon wenigstens die Hälfte überflüßig, aber durch die Landesverfassung zum müssigen Genuß ihres Gehaltes berechtigt ist. Ein Theil davon gehört zu dem Parlament, welches die herzogliche Gewalt einschränken soll – Aber auch der Hofstaat des Herzogs ist, der ansehnlichen Reduktionen ohngeachtet, noch übermäßig zahlreich.

Die herzogliche Armee bestand ehedem aus 14.000 Mann. Wenn die übrigen Ausgaben eingeschränkt würden, und die Schulden bezahlt wären, so könnte man diese Anzahl Truppen immerfort auf den Beinen halten. Sie wäre der Bevölkerung und dem Ertrag des Landes ziemlich angemessen. Bey der grossen, oben berührten Veränderung wurde sie aber bis auf ohngefähr 5.000 Mann reduziert, und diese scheinen keine von den besten deutschen Truppen zu seyn.

Stuttgard zählt ohngefehr 20.000 Einwohner. Seitdem der herzog wieder hier residirt, nimmt die Bevölkerung von Jahr zu Jahr zu. Während des Streites mit seinen Landständen, wobey Stuttgard den Mund besonders weit aufthat, verlegte er seine Residenz nach Ludwigsburg. Stuttgard fühlte bald, was es dadurch verloren. Die Stadt gab sich alle erdenkliche Mühe, um den Herzog wieder zu gewinnen. Es war alles umsonst. Nach der allgemeinen Aussöhnung zwischen dem Landesherrn und Landesständen ward endlich der Wunsch der Stuttgarder erfüllt.

Die Stadt ist wohl gebaut, und wird von einem schönen und starken Schlag Leute bewohnt. Das Frauenzimmer ist groß, schlank und rund. Seine Farbe ist Milch und Blut. Der Reichthum des Erdreichs und die Leichtigkeit, bey Hofe oder vom Lande Unterhaltung zu finden, sind Ursache, daß man hier sehr wohl lebt. Was man bey uns für 12 Personen aussetzt, reicht hier kaum für 6. hin. Dem Stuttgarder ist es daher zu Hause so wohl, daß er in einer Entfernung von 6 – 8 Meilen das Heimweh bekömmt.

Obschon das Land durchaus protestantisch und nur der herzog katholisch ist, so herrscht doch noch viel Aberglauben und Bigoterie. Die Geistlichkeit gehört zu den Landständen, hat eine Art von eigner Jurisdiktion, und ist sehr begütert. Sie weiß, was sie bey einer Veränderung zu verlieren hat, und hält daher strenge auf Orthodoxie. Die Sitten sind dadurch nicht gebessert.

Sehr merkwürdig ist die Liebe der Würtemberger zu ihrem Landesvater. Auch zu der Zeit, wo das größte Talent bey Hofe war, neue Auflagen zu erfinden, hatt' es nichts von dieser Liebe verloren. Der Fluch des VolksFluch des Volkes – gemeint ist der Jude Joseph Süß Oppenheimer, der 1738 einem Justizmord zum Opfer fiel fiel auf die , die ihn verdienten, auf den Schwarm des Projekteurs, die den guten Herzog irre führten. Seitdem diese von ihm entfernt sind, ist er der Abgott seiner Unterthanen, und er verdient es zu seyn. Leb wohl.


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