Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Zweyter Brief.

Stutgard den 8. April 1780

Ich hoffe, du hast meinen Brief vom 3. dieses richtig erhalten. Er sollte eine Art von Einleitung in die Korrespondenz seyn, womit ich dich einige Jahre durch zu plagen gedenke. Ich weiß wie sauer dir das Briefschreiben wird; aber wenigstens muß ich auf 6. Briefe eine Antwort haben. Kannst du dich platterdings nicht zum Schreiben entschliessen, so bitte die Nanette, es nur in wenig Zeilen zu tun. Ich weiß, sie thuts gerne, und ich will dann den Brief tausendmal küssen. – Nun zu meinem Tagebuch.

Wie ich am Gasthof in Straßburg auf dem Postwagen sitzen wollte, kam H. B. = = in starkem Trott mit vieren daher gefahren. Ohne Zweifel hast du ihn bey Madame H. = = zu Paris gesehen. Auf seine Frage: wohin? Sagte ich ihm: die Kreuz und Quere durch Deutschland. O, erwiederte er, ich habe eben das Hundeland durchreißt. Beym Henker, es lohnt sich der Mühe nicht. Er wollte mich bereden, mit ihm nach N. = = zurückzureisen. Anfang dacht' ich, er habe wirklich, wenigstens durch einen einen ansehnlichen Theil Deutschlands, eine Reise gemacht, fand aber bey genauer Untersuchung, daß er auf seiner Schweitzerreise nur einen flüchtigen Ausfall auf das ebne Land von Schwaben und Bayern bis nach München gethan habe, und von da über Augspurg, Ulm und Freyburg nach Frankreich zurückgekehrt sey. Da eben eine deutsche Postkarte an der Thüre des Gastzimmers hieng, so nahm ich meinen Degen unter dem Arm hervor, und fuchtelte mit der Spitze der Scheide auf derselben herum, um ihm begreiflich zu machen, daß er, weit entfernt, Deutschland durchreißt zu haben, so gut als nichts von Deutschland gesehen. Er achtete nicht darauf. Gehen Sie, sagte er; ich hätte den Henker vom ganzen Lande.

Meine Reisegesellschaft bestand aus einem Weinhändler von Ulm, mit einer melankolischen Fratze, der immer die Lippen verzog, als wenn er so eben sauern Wein gekostet, und einer alten runzlichten, holaugigten Kreatur, vermuthlich einer ausgedienten Venuspriesterin von Strasburg, die, wie sie sagte, als Gouvernante in ein grosses Haus nach Wien berufen worden. Beyde waren mir platterdings ungeniesbar. Auf der langen Rheinbrücke machte ich also meine Betrachtungen über den Begrif, den man in der grossen Welt bey uns mit dem Wort: le Nordle Nord – der Norden verbindet. Die GaskonadeGaskonade – Prahlerei, Aufschneiderei der H. B. = = und die deutsche Postkarte hatten mich darauf gebracht. Ich durchlief in Gedanken all das weite Land, das sich von unseren Gränzen an, über die ich eben fuhr, bis an das Eismeer hinauf erstreckt. Ich zählte mir die vielen, mächtigen Völker vor, die in diesem Nord mit unsterblichem Ruhm aufgetretten sind. Da sind in alten Zeiten die ZimbrerZimbern – gemeint sind die Kimbern, die zusammen mit den Teutonen und den Ambronen um v. C. 100 das Römische Reich in schwere Bedrängnis brachten., die Gothen, die Franken, die Sachsen, die Schwaben, die Allemannen, u. a. Und in der neuern Geschichte die Schweden, Preussen und Russen; und dies ganze ungeheure Land, und alle die schrecklichen Völker zwängen wir in einen Begriff ein, der um nichts grösser ist, als den wir mit les Pays basles Pays-Bas – die Niederlande, verbinden. les Pays-bas und le Nord sind in dem Kopf eines Franzosen so kleine Anhänge an dem grossen, allmächtigen Frankreich – »Da läßt sich nichts bessers darüber sagen, spricht Herr Tristram SchandyTristram Shandy – »Leben und Ansichten des Gentlements Tristram Shandy«, Roman von Laurence Sterne, 1759 bey einem ähnlichen Anlaß, als: die Franzosen haben eine lustige Art, alles, was groß ist, zu behandeln. Ich nußte innerlich lachen, wie mir diese Bemerkung zu Sinne kam, und der Anblick der ganz verfallenen Vestung Kehl gab diesem innerlichen Gelächter einen neuen Schwung. Ich dachte mir unsern grossen Ludwig, wie er in seinem grossen Vorhaben, die kleinen Anhänge von Pays-bas und Nord samt dem bisgen Italien, Spanien u. s. w. Unter den französischen Zepter zu bringen, diese Vestung zum Schlüssel seiner Eroberungen jenseits des Rheins anlegen ließ. Bey meiner Treu, das war doch lustig, sagte ich zu mir, wie ich die Kasernen und Spuren der ehemaligen Vestungswerke betrachtete. – Noch lustiger ist, das BeaumarchaisBeaumarchais – franz. Schriftsteller und Theaterdichter (»Figaros Hochzeit«), † 1799 seinen VoltaireVoltaire – Francois Marie Aronet, franz. Philosoph und Schriftsteller. Einer der allerersten Geister, die die Menschheit je hervorgebracht hat. Als Aufklärer unf tätiger Menschenfreund bekämpfte er die katholische Kirche, er prangerte Mißstände des Absolutismus und der Feudalgesellschaft an, † 1778. Die Überführung seiner 1778 verscharrten Leiche 1791 in das Pantheon war ein Triumphzug ohnegleichen. 1814, als die kriminelle Organisation katholische Kirche wieder Aufwind hatte, wurde sein Grab von katholischen Fanatikern geschändet. in diesen Kasernen will drucken lassen. Zum Henker, sagt' ich, (und mein innerliches Gelächter brach zugleich äußerlich aus): Ist denn das grosse Frankreich seit Ludwig XIV. für ein Dutzend Druckerpressen zu klein geworden?

Den kleinen Schleichhandel mit der Stadt Straßburg abgerechnet, hat Frankreich von der sogenannten Vestung Kehl nichts zu beförchten. Der Ort ist in jedem Betracht unerheblich, und gehört nebst einigen nahgelegenen Dörfern dem Markgrafen von Baden. Ueber die verschwundenen Vestungswerke aber behauptet das gesamte Korps des heiligen römischen Reiches seine Gerechtsame.

Auf dem Weg nach Karlsruhe hatte ich mancherley Empfindungen. Bey dem Anblick des Schlosses zu Rastadt, worinn 1714. der Friede zwischen uns und den Oesterreichern geschlossen wardFriede zu Rastatt – beendete den Spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714) um den Besitz Spaniens, fühlt' ich mit aller Wärme, daß ich ein Franzos bin. Alle die Helden und die grossen Staatsmänner, die durch das vorige Jahrhundert bis zu dieser Epoche unsern Namen verherrlichten, und uns weit über alle übrigen Nationen erhoben, stellten sich meiner Einbildungskraft dar. Ich stand einige Zeit unbeweglich da, entzükt durch die Erinnerung all der herrlichen Thaten. Aber wie gedemütigt, wie niedergeschlagen ward ich auf einmahl durch den Gedanken, daß das zugleich die Endepoche unserer Grösse war; daß mein Vaterland seit dieser Zeit keinen der grossen Männer wieder hervorbringen konnte; daß seit dem der Ruhm jener Völker, die wir damals so tief unter uns hatten, in ebendem Maaß stieg, wie der unsrige sank. Ich wollte nun vergessen, daß ich ein Franzos bin; suchte als Weltbürger Trost in der Betrachtung, wie viel ganz Europa seitdem gewonnen, sogar durch unsern Verfall gewonnen. Aber es war umsonst. Die Spuren der entsetzlichen Verwüstungen, welche eben jene grosse Helden in diesen Gegenden zurückgelassen, machten mich vollends schamroth, daß ich einen Augenblick so stolz auf sie war.

Zu Karlsruhe hielt ich einige Ruhetäge. Ich war so glücklich, gleich in den ersten Stunden meines Aufenthalts daselbst mit einem vortreflichen Mann bekannt zu werden, der mit dem besten Herzen die Feinheit eines ausgebildeten Weltmannes, und mit einer unermüdeten Thätigkeit für den Dienst seines Fürsten viel Geschmak und Kenntniß sowohl unserer, als auch der italianischen, englischen und deutschen Litteratur verbindet. Der Hof von Karlsruhe hat mehrere Männer von der Art. schon zu Straßburg lernte ich einige derselben kennen.

Ich mußte mit ihm eine kurze Spazierreise nach Speyer machen, um einen seiner Bekannten zu besuchen. Unser Weg gieng über Bruchsal, der Residenz des Bischofs von Speyer durch ein waldigtes, mit kleinen angebauten FleckenFlecken – ein Dorf unterbrochenes Land. Das Holz macht einen ansehnlichen Theil der Einkünfte sowohl des Karlsruher als auch des Bruchsaler Hofes aus. Es wird auf dem Rhein nach Holland geflösset, und allda sehr theuer verkauft. Die Waldung, wodurch wir kamen, ist ein auffallender Beweis von der Vorzüglichkeit einer Erbregierung gegen die Staatsverwaltung eines Wahlfürsten. Die Badensche Holzung wird mit der sorgfältigsten Oekonomie benuzt und gepflegt, weil dem Fürsten daran gelegen ist, daß diese Quelle von Einkommen für seine Nachkommenschaft in ihrem Stand erhalten werde; da hingegen zu Bruchsal, wo des Fürsten Nachkommenschaft keine Ansprüche auf das Holz zu machen hat, der augenblickliche Genuß desselben mehr für die Benutzung, als für die Erhaltung dieses Schatzes spricht. Mit den Menschen verhält es sich, wie mit dem Holz, es ist auffallend.

Bruchsal ist ein artiges Städtchen, und die Residenz des Fürsten ein merkwürdigesMerkwürdig – das Wort wird im gesamten Text im Sinn von »bemerkenswert«, nicht von »seltsam« gebraucht Gebäude. Der jezige Fürst-BischofDer jezige Fürst-Bischof – Damian August Philipp Karl Reichsgraf von Limburg-Stirum, † 1797 soll, einige Anwandlungen von böser Laune abgerechnet, kein schlimmer Regent seyn. Sein Humor äussert sich besonders gegen das Frauenzimmer auf eine seltsame Art. Man versicherte mich, wenn er es könnte, er würde alle Mädchen zu Nonnen machen, und die Männer kastriren. Er soll kein Frauenzimmer ansehen können ohne in Versuchung zu kommen auszuspeyen. In seiner Jugend soll er über diesen Punkt anders gedacht haben. Ueberhaupt hat er seine ganz eigene Sittenlehre. Er ließ einen Geistlichen seiner Diozes zu einem Ketzer erklären, weil er lehrte, Selbstliebe wäre einer der ersten Grundtriebe der menschlichen Handlungen; arbeiten sey besser als Nichtsthun; nemmen besser als geben u. dgl. m. Seine jährlichen Einkünfte belaufen sich, wie man sagte, beynahe auf 300.000 Gulden, oder etwas über 600.000 Livres, und er ist bey weitem keiner der reichsten Bischöfe Deutschlands.

Speyer ist eine kleine freye Reichstadt, die ehedem ungleich ansehnlicher war, als sie jetzt ist. Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts ward sie von der französischen Armee gänzlich zerstört, lag eine Zeit lang wüste, und ist nun kaum zur Hälfte wieder erbaut. Sie war eine der ersten römischen Kolonien an den Ufern des Rheines. Man findet in der Gegend sehr viele römische Münzen.

Hier, Bruder, stand ich mitten auf dem Schauplatz des Schreckens, den unsere Truppen im vorigen Jahrhundert längst dem Rhein hinab bis an die Mosel hinab verbreiteten, wo MelacMelac – franz. General, der im Pfälzer Erbfolgekrieg (1688 – 97) auf brutalste Weise große Teile Südwestdeutschlands verwüstete (Heidelberg, Speyer, Worms u. v. a. niedergebrannt). Seine Name wurde zum Inbegriff des Mordbrenners, da Wort »Lackel« geht auf ihn zurück. mit seinem Heer nicht als Feldherr, sondern als das Haupt einer Mordbrenner=Bande handelte, über 60. blühende Städte und unzälige Dörfer in Asche legte, und eins der schönsten Länder des Erdbodens zu einer Wüste machte; wo TurenneTurenne – Marschall von Frankreich, ein großer Logistiker, † 1675, der gröste Feldherr des grösten Königs zu der Zeit, dem wehrlosen Kurfürsten von der Pfalz, der bey dem Anblick der Verheerung seines Landes in eine edle Wuth gerieth, sein Leben für sein Volk setzen wollte, und den Turenne auf einen Zweykampf herausfoderte, mit dem Bon MotBon Mot – treffender geistreich-witziger Ausspruch antwortete: Seitdem er die Ehre habe, dem König von Frankreich zu dienen, schlage er sich nur an der Spitze von 20.000 Mann. Wie klein steht in meinen Augen der grosse Turenne da, wie er dem gefühlvollen Fürsten mit kaltem Witz ins Gesicht trotzt: Sieh, diese 20.000 Franzosen berechtigen mich, dein Land zu verwüsten!

Mein Freund führte mich an die Kathedralkirche, die noch halb im Schutt liegt. Hier sah ich die entweihte Ruhestädte der alten Kayser, deren Särge unsere Soldaten plünderten, und deren Gebeine sie zerstreuten. »Das geschah in Ihrem goldnen Zeitalter, sagte mir mein Freund, unter Ludwig XIV. wo Sie die grösten Dichter, Redner, Tänzer, Philosophen, u. dgl. m. hatten; wo Ihre Verbesserung auf den höchsten Grad stieg; und wir Deutsche in Ihren Augen nicht viel mehr als IrokenIroken – Irokesen, nordamerikanischer Indianerstamm waren. – Fast, Bruder, hatte ich mich geschämt, ein Franzos zu seyn. –

Sowohl zu Speyer, als zu Bruchsal fand ich in den wenigen Häusern, worin wir unsre flüchtigen Besuche abstatteten, mehr Geselligkeit und guten Ton, als ich erwartete. Ich bemerkte, daß man in diesen Gegenden sehr für die Fremden eingenommen ist.

Die wenigen Tage, die ich zu Karlsruhe zubrachte, gehören unter die vergnügtesten meines Lebens. Ich sah einen FürstenFürst – Karl Friedrich von Baden, Markgraf von Baden, † 1811, der wirklich bloß für seine Unterthanen lebt, und nur in ihrem Glück das seinige sucht; dessen aufgeklärter, thätiger Geist den ganzen Staat belebt, und durch seinen Einfluß alle, die an der Staatsverwaltung Theil haben, zu warmen Patrioten gebildet hat; der ohne Anspruch auf äussere Scheingrösse blos für sein Volk und nur durch stille Wirksamkeit für das Wohl desselben groß seyn will. Erziehungsanstalten, Polizeyverordnungen, Ermunterungen zum Landbau und zur Industrie, kurz alles athmet den Geist der Philosophie und warmen Menschenliebe. – O daß er nicht viele Millionen Menschen glücklich machen kann, als er seine 200.000 macht!

Nach den Kurfürsten und den Häusern Würtemberg und Hessenkassel ist der Markgraf von Baden einer der mächtigsten Fürsten des deutschen Reiches. Nur die Fürsten von Bayreuth und Darmstadt können sich mit ihm messen. Seine Einkünfte belaufen sich beynahe auf 1.200.00 Gulden, oder 2.600.000 Livres.

Die markgräflichen Lande liegen von Basel längst dem rechten Ufer des Rheines herab bis nahe an Philipsburg, und von da durch einen Theil des Elsasses bis zur Mosel hin zerstreut. Wenn sie rund beysamen lägen, so würden sie noch mehr eintragen. Sie haben einen Ueberfluß an Getreide, Vieh, Holz und Wein, welcher besonders in dem nahe bey Basel gelegenen Theil vortreflich wächßt. Man bricht auch Marmor im Lande, und thut ihm die Ehre an, ihn mit dem florentinischen und kararischenkararischer Marmor – in Carrara (Italien) gebrochener Marmor zu vergleichen; aber gewiß ist man zu höflich gegen seinen Landmann – Die sanfte Regierung gewährt den Einwohnern einen ruhigen Genuß der Güter, womit die Natur ihren Fleiß so reichlich lohnt. Da die Eingeschränktheit der Einkünfte und die kluge Oekonomie des Hofes keine Aussichten zu übermäßigem Reichthum öffnet, sie aber zugleich gegen drückende Armuth geschützt sind, so leben sie fast alle in dem glücklichsten Mittelstand. Die Sicherheit ihres Eigenthums und Erwerbes, und der durch die Schiffahrt auf dem Rhein erleichterte Absatz macht ihren Kunstfleiß eege [rege]. Die Manufakturen mehren sich von Jahr zu Jahr, und einige derselben, z. B. des FayenceFayence – Keramik mit farbiger Zinnglasur, die mehrmals gebrannt wird von Durlach nehmen sich vorzüglich aus. Auch mit dem Seidenbau hat man schon glückliche Versuche gemacht.

Der Markgraf ist als Privatmann eben so liebenswürdig und glücklich, als er es als Fürst ist. Er und seine Frau Gemahlin, ein Prinzeßin von Darmstadt, lieben die Musen und Grazien, und der Hof ist die beste Gesellschaft zu Karlsruhe. Man braucht wenig Titel, um Eintritt zu finden.

Der Hof ist wegen seiner Oekonomie in den benachbarten Gegenden sehr verschrieen. Sie mag wirklich in einigen Stücken übertrieben werden; aber der Fürst selbst hat keinen Theil daran. Seine Frau Mutter fand etwas Kärglichkeit nöthig, um ihr Haus von der alten schweren Schuldenlast zu befreyen. Als der Fürst im Jahre 1771 die Regierung der Lande des ausgestorbenen Hauses Baaden=Baaden antrat, fand man zu Rastadt fast so viele Schulden, als die ganze Erbschaft werth war. Mätressen, Pfaffen, Jäger und Köche hatten seit langer Zeit gewetteifert, diesen Hof zu Grunde zu richten, und unter der letzten Regierung war man in der Wirtschaft zum Theil aus Vorsatz nachläßig, weil man sah, daß ein anders und zwar ein protestantisches Haus nachfolgen würde. Auch das alte Erbe des Markgrafen war durch Kriege und starke ApanagenApanage – Zahlung an Adelige, um ihnen ein standesgemäßes Leben zu ermöglichen mit Schulden beschwert. Noch hat man sich eben nicht sehr zu wundern, wenn die Fürstin Mutter nicht gerne sieht, daß die Blumen in dem Hofgarten, womit, so wie mit Obst ein kleiner Handel getrieben wird, von den Prinzen zu Sträussen gebrochen werden. Ohne die äusserste Sparsamkeit wäre der Hof verloren gewesen. Die Schulden hätten sich von selbst immer mehr gehäuft; nun sind sie aber größtentheils schon getilgt. Auch fand ich bey genauer Untersuchung, daß das Geschrey hauptsächlich durch einige Schöngeister entstanden war, die sich durch Verbreitung solcher Anekdötchen rächen wollten, daß ihnen der Hof zu Karlsruhe nicht den Hunger gestillt.

Karlsruhe ist ein artiges, nach einem sehr eigensinnigen Plan von Holz neuerbautes Städtchen, das mitten in einem grossen Wald, einem Rest des ungeheuern Gehölzes liegt, welches zu TacitusTacitus – Publius Cornelius Tacitus, röm. Politiker und Historiker, † 116 Zeiten ganz Deutschland deckte. Damals zogen Auerochsen und ElendthiereElendthiere – Elen, ein anderer Name für Elch, im Mittelalter in Deutschland ausgerottet, die sich nun in die diksten Wälder von Rußland verkrochen haben, heerdenweise umher. Der Abstich eines so verfeinerten Hofes und Volkes mit der ehemaligen Wildnis hatte viel Vergnügen für mich – Durch dieses Holz hat man nach den 32 Winden 32. Alleen gehauen, und auf 9 derselben die Stadt in Gestalt eines Fächers erbaut. Aber das siehst du mit einem Blick auf den Grundriß der Stadt und Gegend, den du ohne Zweifel in deiner Sammlung von Landkarten hast, besser als ich es dir beschreiben kann. aber eine Anekdote von dem Erbauer des Orts kann ich nicht übergehn. – Ein durchreisender Kavalier äusserte vor ohngefehr 40 Jahren seine Befrömdung darüber, daß das Schloß von Holz und wenigstens nicht von Backsteinen erbaut wäre. »Ich wollte nichts als ein Obdach haben, antwortete der Fürst und meinen Unterthanen durch einen kostbaren Bau nicht lästig fallen. Ohne einen harten Druck derselben könnte ich nicht prächtiger wohnen. [«] – Bruder; hätte man bey der Erbauung vom Louver, von Versailles, von MarlyMarly – ein Lustschloß Ludwig XIV. in der Ile de France bei Paris so groß auch der Abstand zwischen einem König von Frankreich und einem Markgrafen von Baden seyn mag, nicht ähnliche Betrachtungen machen sollen? Lebe wohl.


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