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Buchschmuck

Was regt ihr die sterbenden Kronen,
Ihr Eichen, ihr niedergebeugten?
Wie im Sturz sich die Aeste verzweigten,
Die sonst sich wohl nimmer erreichten!
Kein Vogel wird mehr in euch wohnen
Und schmetternd das Obdach euch lohnen,
Kein Bienchen mit duftigen Lasten
In schattiger Herberge rasten. –
Jetzt könnt ihr kein Glück mehr bereiten.
Ach hättet ihr damals bei Zeiten
Die Wurzeln so tief eingesenkt,
Daß nicht euch das Bächlein, das kleine,
Aus dem schützenden Boden gedrängt;
Wie fänden euch sonnige Scheine
Mit Blüthen und Früchten behängt,
Denn es war euch vor allen im Haine
Ein liebliches Dasein geschenkt.

Das Mädchen nahm das Kind, das lächelnd wie der Tag
In seiner kleinen Wiege lag,
Und führte sorglich durch den Wald
Die arme wankende Gestalt. –
Den Ort erreichten beide bald,
Die Schenke war's am Waldesrande,
Ein Ort des Spiel's, ein Ort der Schande.

Schon hörte man die Zecher schreien,
Und ihre Lustbarkeit schien wie ein wildes Dräuen.
Da stand die Arme still – und wurde leichenblaß.
»Wenn er das Kind erkennt, ... wenn er in tollem Haß
Sich rächt am Kinde der Simplizitas!«
»Sei ruhig, Mutter, ich will draußen warten,
Es spielt das Kind indeß am Brünnlein dort im Garten.«
Sie bringt die Blinde bis zur Schwelle
Und sucht sich dann des Brünnleins Stelle. –

Lang steht die Frau dort an der Thüre
Und wartet, daß sie Einer führe;
Sie steht und wartet, steht und fragt,
Doch keine Antwort wurde ihr gesagt.
Und nah und näher hat sie sich gewagt –
Sie lauscht gespannt nach allen Seiten,
Wird denn kein Ton sie zu ihm leiten?
Er ist's! jetzt hat sie ihn gehört!
Von heißer Sehnsucht ganz verzehrt
Schreit sie nach dem, den ihre Brust genährt.
Er steht ihr nah, doch abgekehrt,
Vom Wein erhitzt, vom Spiel bethört. –
Sie aber, wie das Eisen dem Magnet,
Folgt seiner Stimme, findet wo er steht
Und faßt ihn mit dem welken Arme.
Da ist's, als ob er ihrer sich erbarme;
Er nennt sie Mutter, spricht: »Wir müssen scheiden,
Doch eh ich gehe, straf ich deine Leiden;
Geschworen hab ich's wohl zu tausend Malen,
Die Hexe soll mir jeden Tag bezahlen,
Den ich gesessen dort in Noth und Qualen!«
Und bebend hört die Mutter, was er spricht,
Simplizitas, der blinden Augen Licht,
Soll leiden unter seinen rohen Händen!

Ach könnte sie wie sonst das Herz ihm wenden,
Wie sonst, als er noch klein an ihren Knieen stand
Und sie die Kinderseele mit der eignen Hand
Den bösen Mächten frevelnd zugewandt. –
Sie sprach: »Mein Sohn, was frommt mir deine Rache
Und daß mein Leid noch andre elend mache;
Ich habe viel erfahren, viel gelitten
Und immer um mein Recht gestritten.
Kein Glück hab ich darin gefunden,
Nur Herzensqual und tiefe Wunden.
Zum Fluch ward dir mein böser Segen ...
Ich möchte neu auf's Haupt die Hand dir legen,
Nicht rächen sollst du dich – vergessen,
Daß ich zur Rache dich geweiht vermessen.«

»Vergessen, Mutter! Hat es doch indessen
Sich in das Mark des Lebens mir gefressen.
Hab ich's nicht täglich mit dem Brod gegessen,
Nicht als mein Ziel gesehn, für das ich ward erzogen?
Nein, um mein Leben würd ich dann betrogen
Und ihr und alles hätte mir gelogen.«

Die Mutter aber ließ nicht ab mit Flehn. –
Sie sprach: »Wenngleich uns Unrecht ist geschehn,
Simplizitas verarmt, vertrieben,
Mit ihrem Kinde krank allein,
Nicht stillen könnend seines Hungers Schrei'n,
Ist das dir nicht genug der Pein? –«

Er aber schwieg verstockt, – da wandte sie ihr Haupt
Zum Himmel zweifelnd, trostberaubt. –
»Warum erhörte Gott da droben
Den bösen Wunsch und nicht den guten!
Und gelten alle Thränenfluthen
Und alle Hände im Gebet erhoben
Nicht hoch genug, ein Wort zu lösen,
Gesprochen in dem Augenblick, dem bösen!«

Im Kreise standen liederlich, zerrissen,
Des wilden Burschen wildere Genossen.
Sie waren alle schon verdrossen
Ihn in der Mutter Näh zu wissen,
Und Einer rief: »Sie mag schon flehn!
Sie wird sich nicht im Lichte stehn!
Wir wissen's wohl, sie nahm das Gnadenbrod,
Das ihr Simplizitas, die Hexe, bot! –«

Da ward die Blinde bleicher als der Tod;
Es faßt sie an der Sohn mit Schrei'n:
»Um meines Vaters Seel sag nein!«
Sie aber stand als wie von Stein.

Nun fiel der Sohn mit wildem Hohne ein:
»Jetzt ist die Rache recht erst mein!
Verflucht die Wohlthat, die du nahmst,
Und jeder Bissen, den du dort bekamst,
Er möge dir zum Schaden werden!«

Die Kinder hatten während dessen
Vertraulich an dem Born gesessen;
So recht behaglich, wo in Heerden
Maasliebchen, Glocken, Tausendschön
Bedeckten rings die grasbewachsnen Höh'n.
Die Kleine reckt die Händchen, rupft und rupft
Und hebt die Beute, noch so sehr zerzupft,
Als Sieger jauchzend sie zu zeigen;
Wie welk die Blumen auch die Köpfe neigen,
Das ist wohl manchem Siegeskranze eigen. –

Doch von der Schenke, unheilschwer,
Wälzt sich der wilde Haufe zu den Kindern her,
Die Blinde halten sie mit Lachen
Und drohn: »Wir werden dich schon sagen machen,
Wo du die Hexe birgst! wir weichen nicht von hier,
Du führst uns denn zu ihr!«

Und jubelnd ziehn sie jetzt die Kleinen vor,
Sie brüllen auf sie ein in zügellosem Chor. –
Es schreit der Bursche lauter noch hinein:
»Das Kleinste wird die Hexenbrut wohl sein!«
Die Blinde ruft: »Das arme Kind ist mein!«
Er aber lacht: »Und wär es dein,
Die Hexe hat es großgezogen!
Ich aber weiß, du hast gelogen!«
Und vorwärts drängt der rohe Haufen, –
Erschreckt versucht das Mädchen zu entlaufen,
Es birgt das kleinere im Röckchen,
Es sucht umsonst ein stilles Eckchen –

Jetzt fassen sie's! – – es ist vorbei!
Da tönt ein scharfer wilder Schrei,
Die Luft mit seinem Weh durchdringend. –
Die Mutter ist es, hülfebringend –
Und Antwort giebt das Kind dem Ton.
Simplizitas ist da! – – sie hält es schon. –
Verzweifelnd flieht sie mit der theuren Last
In wilder, unbedachter Hast;
Es an sich drückend stets auf's Neue,
Daß sie sich seiner holden Gegenwart erfreue.
Verfolgt vom tollen Schwarm der Bösen,
Die Steine von dem Boden lösen,
Sie werfend »Hexe! Hexe!« schreiend,
Doch die Gefahr, ihr Flügel leihend,
Und der Verfolger trunkne Schwere
Dient ihr zur Hülfe und zur Wehre.

Sie klimmt die Felsen an, die sonst kein Fuß betrat, –
Sie findet Weg, wo Keiner sah den Pfad,
Ihr goldnes Haar, es flattert durch die Luft,
Oft scheint's, sie schwebe über Spalt und Kluft.

Gerettet scheint sie jetzt – wer wird erreichen
Die Hexe bei den Zaubereichen? –
Aufathmend steht sie still und spricht,
Zum Kind gebeugt das liebliche Gesicht: –
»Geh, weine nicht, du bist bei mir!
Geschützt und sicher bist du hier;
Es hört mich Gott, er hört mein Schrei'n,
Er weiß, ich möchte dich befrei'n
Und sollt es selbst mit meinem Leben sein!«

Doch nah und näher wie ein brüllend Meer
Schwillt die Gefahr jetzt wieder um sie her,
Und wieder muß sie gegen Todesschrecken
Ihr Kind mit ihrem Körper decken. –

Es traf sie nur ein einz'ger Stein –
Und an der schönen reinen Schläfe
Hängt eines Tropfens rother Schein,
Ein Tropfe Bluts allein. –

Verloren ist sie jetzt, – schon naht des Volkes Hefe, –
Doch wie auch die Verfolger brüllen,
Ihr Fuß gehorcht nicht mehr dem Willen. –
Sie sucht ihr Kind noch sterbend zu verhüllen
Und neigt ihr Haupt ... und sinkt ... und fällt. –

Da bricht aus dem Gestrüpp der Eichen
Ein Retter, der sie faßt und hält,
Er küßt die Wangen ihr, die bleichen,
Mit wilden, heißen Liebeszeichen; –
Allein zu spät nur konnt er sie erreichen.

Was sollen ihr die bittren Thränen nützen? –
Wo warst du heut dein Kind zu schützen? –
Wo warst du, als sie traf der Stein?
Was hast du ihr gelobt? war sie nicht dein?
Wie schnell ist deiner Liebe Kraft versiegt!
Hat doch dein Kind des Herzens Born erschlossen,
Wie kam's, daß dir, in dessen Arm sie liegt,
So holder Segen nie geflossen?

Von fern und nah hört man jetzt Stimmen,
Man sieht das Volk die Höh'n erklimmen;
Sie stehen da mit bleichen Angesichtern,
Wie Schuldige vor ihren Richtern.
»Wer that's? – wer warf den bösen Stein?
Verfolgt ihn, schlagt ihn, fangt ihn ein!«

Umsonst, sie werden ihn nicht greifen,
Doch mag er Land auf Land durchstreifen
Und frei sein; – schleppt er bis zum Todtenbette
Sich nach doch seiner Sünden Kette.
Gestützt von ihrer Tochter steht die Blinde da,
Sie weint und klagt, – wagt sich nicht nah. –
»Die Mutter«, rief sie, »nahm er von der Kleinen,
War sie nicht fromm, nicht von den Reinen, –
Wem giebt er Glück, wenn nicht den Seinen?«

Da regt im Volke sich ein Flüstern –
»Sie war verflucht – sie war gefeit
Von ihrer Mutter seit der Kinderzeit,
Geweiht der bösen Macht, der düstern!«

Da faßt am faltigen Gewand
Die Müllerin der alten Hexe Hand,
Die wild vor Zorn die Worte schrie:
»Ich sagt es ihr! ich warnte sie!
Jetzt hat sie selbst das Glück erkannt,
Das sie in solcher Liebe fand!
Mein war sie einst – ich zog sie auf mit Müh,
Allein es scheint Gott habe mich vergessen,
Als er das Glück den Andern zugemessen;
Weshalb ward mir Simplizitas geraubt
Und nicht auch dir der Sohn! da du wie ich im Grolle
Der Rache gabst sein junges Haupt,
Das unbewußte, unschuldsvolle!
Gehört für mich allein das Leid?
Ihr nennt's am Ende noch Gerechtigkeit
So Gott die Hexe straft und jener dort verzeiht.«

Die Blinde rief: »Was preist ihr mein Geschick!
Denn gegen mich habt ihr noch Glück!
Lag hier mein Kind so schuldlos wie das eure,
Und könnt ich einmal noch das Haupt, das theure,
Wie in den Kindertagen segnen, küssen!
Mir ward der Sohn auf immer heut entrissen!
Verloren mir für hier und dort.
Verloren durch mein eigen Wort!«

Und leise ging von Mund zu Munde
Der oftgehörte Fluch jetzt durch die Runde.

Sever vernimmt's – des Schmerzes Bitterkeit
Sagt ihm, auch du hast einst in schwerer Zeit
Simplizitas dem Untergang geweiht,
Allein sie stirbt erlöst – befreit.
Den Fluch, der auf ihr lag, sie wußte ihn zu wenden.
Denn selbst der Stein in solchen bösen Händen,
Er mußte ihr des Glückes Höchstes senden;
Mit ihrem Herzblut durfte sie die Liebe färben
Und in der Rettung für ihr Liebstes sterben.

Auf seinem Schooße lag sie mit der Kleinen,
Das Kind getröstet – hörte auf zu weinen.
Es küßt der Mutter bleichen Mund,
Der lächelte, als thät er kund,
Daß ihre Seele nun den Himmel finde
Und jenen tiefen Liebesgrund,
Der Erd und Himmel, Freud und Leid verbinde;
Denn wie auch murren mag der Schlechte
Und spotten der getreuen Knechte,
Er wird sie um ihr Ende doch beneiden
Und wünschen so wie sie zu scheiden.

So lag Simplizitas auf des Geliebten Knieen,
Erschüttert sucht er eng sein Kind heranzuziehen;
Allein es ist ihm fremd und wehrt sich scheu,
Ist ihm doch alles an ihm unbekannt und neu.
Da sah er plötzlich jenes kleine Zimmer,
Simplizitas, im Mondenschimmer,
Von ihres Kindes Bettchen gehn;
Er hört sie wieder – hört sein hartes Wort:
Es wendet sich dein Kind einst von dir fort.
Ihm war das Gleiche nun geschehn,
Und als er sie im Geist sah zitternd stehn,
Da lösten sich die bitteren Gedanken
In Thränen auf und schwere Tropfen sanken
Auf sie, die Mutter und das Kleine ...
Das Kind sah auf, weshalb er weine,
Und plötzlich schlang es fest wie junge Ranken
Die Aermchen um den tief in Schmerz versenkten.

Doch wie sich Beide aneinander drängten,
Da öffnete mit lichtem Strahl
Simplizitas das Auge noch ein Mal
Und sah ihn an und sah ihr Kind geborgen
Und sah der Liebe neuen Morgen.
Ihm schien, als ob die holde Seele
Sich heut zum zweiten Mal ihm anvermähle. –

Es war ein kurzer, letzter Blick,
Doch nicht nach Stunden zählt das Glück,
Das ewige; – die Zeit wird es besiegen
Und seine höchsten Wonnen liegen
Oft zwischen wenig Athemzügen.

Buchschmuck

 

 

Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) in Berlin N.


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