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Das Schloß stand hoch, vom kant'gen Fels getragen,
Mit grünen Schluchten, wo in Sommertagen
Die Sonnenstrahlen lustig spielten,
Bis Schatten sie gefangen hielten.
Und durch die Schluchten schlang sich silberhell
Ein Quell,
Ein frischer, fröhlicher Gesell.
Doch alles, was im Lenz so lieblich lachte,
Den finstren Herbst noch doppelt finster machte –
Der Bach, geschwellt von Regenströmen,
Will keinem Bette sich bequemen.
Getrübt und sprudelnd rast er durch die Schlünde,
Zum Abgrund wandelnd holde Wiesengründe;
Und jene Eichen, die die Alte nannte,
Er war's, der tückisch mit gewalt'ger Wuth
Der Wurzel Heimathgrund entwandte
Und ihre stolzen Kronen erdwärts sandte;
Er gab den Stürmen erst den Muth.
Doch wer die Stolzen sah in ihrer Pracht
Zu Fall gebracht,
Der hätte an das Bächlein nie gedacht,
Das fröhlich wie ein Kind, das lacht,
Durch Blumen schlüpft geheimnißvoll und sacht.
Schon gegen Abend kam erschreckt ein Bote,
Dem Schloßherrn meldend, Ueberschwemmung drohte,
Die Wasser tobten mit so wildem Schwalle,
Daß jede Grenze wiche und die Dämme alle. –
Verloren, wer sich auf des Waldbachs Seite
Im Dunkeln, ohne Fackeln und Geleite
Zum Thal hinabwärts heute wage,
Geborsten sei der Pfeiler, der die Brücke trage.
Zum Glück hat Niemand viel zu suchen dort,
Denn einsam und verrufen ist der Ort;
Die Aeste jener halbverdorrten Eichen,
Sie galten fast als Zauberzeichen,
Und heimlich weiß das Volk sich zu erzählen,
Alljährlich müsse hier der Tod sein Opfer wählen.
Die Nacht brach an mit Finsternissen,
Mit Schattenmauern, jäh vom Licht zerrissen.
Auf ihrem Lager saß Simplizitas;
Vor ihr ein Lichtchen, klein und blaß,
Und leuchtend doch zu tausend Malen,
Sich spiegelnd mit den zarten Strahlen
Im Golde, in den edlen Steinen,
Die sich in ihrem Schooß vereinen.
Sie freut sich ihrer reichen Fülle,
Und spielend sucht sie aus und sichtet;
Doch endlich hat sie alles lieblich eingerichtet.
Sie nimmt des Mantels weite Hülle,
Sie birgt der Haare goldnen Schein
Und leise tritt sie in die Nacht hinein.
Doch nicht Simplizitas allein
War draußen in den Finsternissen,
Noch Zweie hat das Dunkel bergen müssen,
Die nicht zu schlafen, nicht zu ruhen wissen.
Sie gehen Beide in der Irre,
Begleitet von der Fledermaus Geschwirre;
Wer wird aus ihren düstren Kreisen
Den armen Geist zum Lichte weisen,
Daß ihn das Dunkel nicht verwirre?
Es folgt Simplizitas Sever mit bösen Blicken.
Nicht ihre Schönheit kann ihn mehr erquicken,
Grad ihre Reize werden heut Verbrechen,
Die ihr ein unerbittlich Urtheil sprechen.
Er sieht den Bruder nicht, – er fühlt nur: er ist da; –
Doch als er ihn von Angesicht nun sah,
Da überstieg der Schmerz die Schranken
Der wildesten Gedanken.
Von Weitem folgt er nun den Beiden;
Er kann sie schwer im Dunkeln unterscheiden,
Er hört nur ihr geheimes Flüstern
Und ihre Schritte sich verschwistern.
Bei jenen Eichen stehn sie stille, –
Er lauscht, – doch machtlos bleibt sein Wille,
Denn wild und wilder tobt sein Blut.
Er fühlt es steigend sich empören,
Es hindert ihn ihr Wort zu hören,
Vor seinen Ohren braust die Fluth; –
Umsonst versucht er mit den Augen
Es von den Lippen fortzusaugen.
Gefangen lag der Mond, der bleiche
Im dunkelschwarzen Wolkenreiche, –
Doch plötzlich wird er licht und frei
Und zieht in vollem Glanz vorbei. – –
Ein Augenblick nur war's, doch war's genug;
Er sah das Gold, das sie im Kleide trug,
Den reichen Schmuck, Sever so wohlbekannt,
Er band ihn selbst ihr einst um Hals und Hand.
Wie lächelnd sie bei dem Geliebten stand!
Weshalb hat sie ihn hier getroffen,
Wenn Beide nicht zu fliehen hoffen?
Rasch tritt er aus der Dunkelheit in's Freie –
Jetzt zeichnet grelles Licht die Dreie.
Doch als er dräuend vor dem Paare stand,
Entsank die Waffe seiner starken Hand,
Sein Zürnen ward ein traurig Klagen.
»Ist das die Liebe, die du mir getragen?
Die du der Mutter in den Todestagen
Einst zugesagt, Armin, – und mehr als Leben
Der armen Waise einst damit gegeben,
Einst lieben lehrtest meine junge Seele? –
Allein was nützt es, daß ich dir erzähle,
Was du mir warst; – hast du's vergessen,
Wirst du mein Elend nie ermessen?«
Der Bruder hört ihn an, bleich wie der Tod,
Doch endlich färbt ein tiefes Roth
Die Wange ihm, sein edel Antlitz nahm
Die ungewohnte Farbe an der Scham.
»Halt ein Sever und sprich mich frei,
Hat sich dein Herz in mir betrogen;
Ist alle Liebe nur erlogen
Und keine mehr auf Erden treu, –
Geschützt von heil'gen Engelschaaren
War sie bei mir, – denn sie war dein –
Ich aber litt allein.
Durch alle Adern fühlt ich schleichen,
Mit ihren Gluthen mich erreichen,
Verbrecherischer Liebe Zeichen.
Und das Gefühl für dich, den Meinen,
Hat sie vergiftet, daß mir wollte scheinen,
Ich liebte dich nicht mehr.
Wie oft und schwer
Hab ich mit ihr, der Mächtigen gerungen;
Gewiß ich hätte sie bezwungen,
Ich wäre wieder zu dir durchgedrungen;
Doch seit du ungestüm in freventlicher Hast
Der Seele Schleier weggerissen hast,
Daß jeder ihre Wunde sieht und faßt,
Weiß ich, daß wir uns trennen müssen.
Umsonst werd ich von Treue sagen,
Du kennst des Herzens unruhvolles Schlagen,
Der Blick, das Wort, sie sind verdächtig
Und nicht mehr sind wir ihrer Deutung mächtig. –
Hier brennt der Boden unter meinen Füßen,
Heiß sehn ich mich, entfernt von euch zu büßen,
Und erst geheilt will ich dein Haus begrüßen.
So laß mich gehn, verbannt und heimathlos,
Ich weiß Sever, du denkst zu groß,
Als daß du mich noch könntest hassen,
Wenn ich so einsam lebe und verlassen. –«
Er wandte sich und ging – kein Licht auf seinem Wege,
In tiefer Dunkelheit die bösen Wege.
Der Mond verhüllt, der Abgrund ihm zur Seite,
Verderben drohend, wenn der Fuß ihm gleite,
Wie dort zerstört der Steg, zerstört jedwede Brücke,
Die ihn noch führen kann zur Freude und zum Glücke.
Der Bruder hält ihn nicht – in seines Herzens Kammer
Da ringt der Zorn sich mit dem Jammer.
Verzweifelnd wirft er sich zur Erde nieder,
Armin hat seine Liebe wieder,
Doch zwischen ihnen welche Kluft!
Ein Abgrund tief und trostlos wie die Gruft.
Sie sind getrennt – getrennt auf immer –
Simplizitas steht zitternd bei dem Armen,
In ihren Händen noch des Goldes Schimmer.
Ihr kindisch Herz ist voll Erbarmen,
Doch ihn zu trösten wagt sie nimmer –
Ist das der Fluch, der auf ihr ruht?
Der Thränen fordert heiß wie Blut?
Was kann sie thun, ihn abzuwenden?
Mit ihren schwachen, ungeschickten Händen?
So steht sie hülflos lange Zeit,
In Kälte und in Dunkelheit,
Vergessen neben ihm und seinem Leid.
Doch horch, welch Brausen dringt jetzt an ihr Ohr.
Die Wasser sind's, sie steigen jäh empor;
Wer dort des Weges ging, der ist verloren,
Als Opfer hat ihn heut der Tod erkoren.
Wild fährt Sever aus seinem Jammer auf;
Zum Schlosse stürzt er athemlos herauf,
»Daß dort die Brücke fiel, weiß es Armin?
Wird er die böse Stelle fliehn?«
Es weiß es Keiner ihm zu deuten.
Blitzschnell bedecken sich von Fackeln und von Leuten
Die unheilvollen grausen Schluchten.
Sever voran – durch Gräben und durch Buchten –
Er fürchtet nicht, wo andre scheuten,
Er zaget nicht, wo andre zagten,
Er klaget nicht, wo andre klagten.
Minuten werden ihm zu Stunden
Und endlich hat er selbst den Wunden,
Den Sterbenden gefunden. –
Er hält so sorglich auf den Knieen
Das Haupt, um das die Todesschatten ziehen,
Er ruft ihn an mit Schmeichelnamen,
Die aus den Kinderzeiten kamen –
Reibt er sich auf in nutzlosem Bemühen?
Kann dieses treue Herz für ihn nicht mehr erglühen? –
Verzweifelnd blickt er auf, – blickt um sich her,
Sein Auge düster – thränenleer, –
Und sieht Simplizitas im Mondenflimmer,
Und sieht der Haare goldnen Schimmer,
Und sieht die Wangen voller Leben
Und den Geliebten gleichwie todt daneben. –
Da strömt sein Leiden aus in Droh'n,
Er nennt sie schuld am Tod, er spricht ihr Hohn.
Solch bittres Elend sei der Lohn
Für jeden, der ihr treu gesonnen,
Für jeden, der sie liebgewonnen.
Und wahr gesprochen hätten Jene,
Die sie verflucht in ihrer Schöne.
Und zeugend fielen alle, die da standen,
In seine Drohung ein und schrie'n:
»Verflucht die Hexe, die mit Höllenbanden
Umstrickt und in den Tod gejagt Armin!«
Simplizitas hob bittend ihre Hände,
»Sagt mir, wie ich den Jammer ende
Und welcher Sünde ihr mich zeiht?
Wem that ich Uebles je? – wem that ich je ein Leid?
Ist's Unrecht, wenn man sich des Lebens freut?
Ist Keiner da, der für mich spricht?
Und selbst dies liebe Angesicht,
Für mich so freundlich sonst, so licht,
Ruft ihr heut auf mir zum Gericht!«
Da faßt die Alte, die sie Hexe schalten,
Simplizitas an ihres Mantels Falten.
»Ihr Thoren!« ruft sie, »ja sie ist gefeit
Und euch zum Unglück ist das Kind geweiht.
Ich war zum lieben euch zu schlecht,
Durch sie bin ich an euch gerächt.
Komm schönes Liebchen! laß sie trauern,
Dein Glück wird alles überdauern!
Es öffnet sich auch anderwärts
Vor solchem Zauber jedes Herz!«
Armin hat jedes Wort vernommen,
Noch einmal sucht die Seele heimzukommen
In Angst um sie, die Heißgeliebte;
Er kann nicht sterben, ohne sie zu retten.
Es ringt sein Geist in Todesketten
Nach Worten, die kein irdisch Sehnen trübte,
Die mit den lichtgebornen Flammen
Schon halb vom Himmel stammen.
Er ruft: »Simplizitas!« und lächelt ihr,
»Simplizitas, komm her zu mir!«
Doch stürmisch schreit das Volk: »Was soll sie hier?
Was soll die Schuldige bei dir?
Das wehren wir!«
Er aber hebt die Augen, die kaum sehen,
Zum Bruder auf in stillem Flehen. –
Da heißt Sever die Leute gehen –
Und läßt Simplizitas heran;
Doch finster sieht er sie und neidisch an.
Ganz nah dem Sterbenden kniet sie sich nieder,
Gesenkten Haupt's, gesenkt der Augen Lider.
»Simplizitas, du darfst uns nicht verlassen,«
Begann er, »Reue wird dich fassen!
Und wehe dir, lernst du statt lieben hassen!«
»Die Reue!« fiel der Bruder ein,
»Vor Reue weiß sie sich zu scheu'n
Und Andre läßt sie für sich leiden. –
Vergessen sind wir bald, wir beiden,
Vergessen wie die Nacht voll Jammern;
Die Kinder, die sich an den Vater klammern,
Vergessen wie der Arme, der sie rief,
Als er zum frühen Tod hinüberschlief.
Vergessen wie ihr Kind, das kaum geboren,
Der Mutter Liebe schon verloren.«
»Verwirf sie nicht!« begann Armin betrübt,
»Errette sie, du kannst es Heute!«
»Dafür hab ich zu heiß geliebt!«
Rief rauh Sever, »mein Herz ward ihre Beute,
Und schien sie einst mir hold,
Hab ich dafür gezahlt zu hohen Sold.
Für immer soll sie meine Nähe meiden
Und anderwärts sich suchen ihre Freuden.«
Da sprach Armin: »So solltet ihr nicht scheiden,
Die Liebe ist von Göttlichem Geschlechte
Und immer wohlthun muß die Echte,
O daß sie euch das Wort der Sühne brächte!«
Und hoffend blickt Simplizitas herauf;
Es steigt ein feuchter Glanz in ihren Augen auf.
»Kann ich die Liebe finden, die du meinst?
Mit der du Trost und Glück vereinst?«
Er aber zog sie hin zu sich
Und frug: »Was fürcht'st du dich
Zu lieben und zu leiden?
Denn in den Beiden
Ist Schmerz und Wonne so verbunden,
Daß oft die Wonne ward im Schmerz gefunden,
Gott weiß das Glück oft wunderbar zu kleiden.
Sieht aus wie Elend oder Leid
Und ist doch lautre Seeligkeit. –«
Die Alte aber rief: »Mein Kind!
Ihr Glück ist rauh wie Winterwind
Und wird dir nur das Recht erwerben,
Für Andre hier zu leben und zu sterben!
Komm fort, was soll ihr Schelten, Klagen,
Ihr Bußethun, ihr nüchternes Entsagen;
Bist du doch schuldlos wie die Blüthe,
Geschmückt durch der Natur verschwenderische Güte.«
»Nicht schuldlos bist du wie die Blume,
Simplizitas!« begann Armin nun wieder,
»Sie giebt nur Freude Gott zum Ruhme.
Wie aber du? es liegen ganz danieder
Die Herzen, die dir angehangen,
Durch deinen Zauber wie gefangen.
Gesündigt haben sie, gelitten,
Vernichtung folgte deinen Schritten.
Denn keiner ist, in dessen Leben
Nicht Segen oder Fluch gegeben. –
Ja lieblich glänzt dein schönes Haupt,
Zur Freude und zum Glück geschmückt;
Nie hab ich an den Fluch geglaubt,
Der deine reine Stirne drückt;
Allein du wardst auch mir zur Sünde.
Ach hättest du nur deinem Kinde,
Nur meinem Bruder mehr gehört;
Nie hätte irrend und bethört
Mein Herz sich ihnen abgewendet
Und nur zu dir sich hingekehrt.
Simplizitas, mein Leben endet. –
Wo ist dein Kind? wo sind die Herzen,
Die Gott in Liebe dir verbunden?
Geh, suche sie mit heißen Schmerzen,
Und wenn das Deine sie gefunden,
Dann lächelt dir die Lust, die echte,
Und deiner Schönheit Zaubermächte,
Sie werden segnend dich begleiten
Und dir und andern Glück bereiten –«
Noch einmal legte er die Hand, die bleiche
Auf ihres Hauptes Haar, das reiche –
Es standen weinend um Armin
Die Leute, die ihm dienten und ihn liebten.
Er reichte Jedem seine Hand noch hin
Und tröstete die Tiefbetrübten.
Doch als er sich zum Bruder wandte,
Da war es nur der Name, den er nannte;
Der aber, der sein Herz darin erkannte,
Er bog sich bebend zu ihm nieder,
Ob auch der Tod sie trennt – er hat den Treuen wieder.
Vor ihnen lag auf ihren Knien
Simplizitas und lauscht den Liebesreden.
Es öffnete der Herr sein heilig Eden
Vor ihrer halbbewußten Seele
Und zeigte, welch ein Glück ihr fehle;
Dem Engel gleich, der ausgestoßen schmachtet,
Weil er des Himmels Seligkeit verachtet.
So liegt sie da, von Sehnsucht heiß umweht
Nach jener Liebe, die sie oft verschmäht. –
Sie kann jetzt gehn, wohin sie mag,
Und keiner wird mehr nach ihr fragen,
Sich keiner freun an ihrem frohen Tag
Und keiner sich um ihren bösen plagen. –
Die Alte sucht sie wild hinwegzuziehn. –
Allein sie bleibt auf ihren Knie'n,
Den Blick zum Sterbenden gewandt,
Wie angewurzelt – festgebannt. –
Umsonst wird sie ihr Glück versprechen,
Für jede Unbill sie zu rächen.
Sie bleibt und spricht kein Wort
Und blickt auf Jene fort und fort.
Da rafft die Alte Schmuck und Gold zusammen,
Die Augen leuchten ihr wie Flammen. –
»So bleib Simplizitas zurück,
Ertrag dein elendes Geschick
Und lerne, wie die Menschen lieben.
In Schmerzen wird dein Glück erscheinen;
Die Augen füllt es dir mit Weinen,
Dann ist's zu spät, denn bist du heut geblieben,
Ist dir der frohe Sinn für immerdar vertrieben. –«
Sie ging, – und als der Mond den Schein verlor,
Da stieg ein grauer Tag empor. –
Und nach dem Schlosse zog ein düstrer Zug;
Sever fast bleicher als der Todte, den man trug,
Ein Schein, ein Schatte nur des Lebens,
Ihr rieft ihn an; ihr spracht vergebens. –
Die Seele schien dem Bruder nachgezogen,
Von Erdenfesseln frei zum Himmelsbogen.
So lag er lange krank und ohne nur zu wissen,
Daß ihm der Theure sei entrissen –
Er ahnte nicht einmal, an welchem Tage
Man ihm den einz'gen Freund zu Grabe trage.