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Grau war der Tag – war's Nebel oder Regen,
Schwer lag die Luft, kein Leben, kein Bewegen,
Die Tannen, schwarze Trauerzeichen,
Verdorrt die vielgezackten Eichen.
Im kleinen Stübchen, hell und warm gehalten,
Saß eine Frau, sehr alt nach ihren Falten,
Und doch so nah sie war dem Sterben,
Der junge Sohn war trotz dem frischen Roth
Und trotz der Augen, die sich glänzend färben,
Wohl näher noch dem Tod.
Er weiß es nicht – er träumt noch immer
Von Lebenslust in diesem Krankenzimmer.
Die Mutter aber leidet in Gedanken
Wohl tausend Mal die letzte Stunde
Und wieder hofft sie, er gesunde,
Und leidet doppelt durch das Schwanken.
Wir leben nicht nur unser eignes Leben,
Ein jedes Schicksal ward uns mitgegeben,
Das die Geliebten trifft, sei's Lust, sei's Schmerz,
Erlebt hat es das eigne Herz.
Seit jenem Tag, an dem Simplizitas verschwunden,
Hat er die Ruhe nirgends mehr gefunden;
In jedem Wetter irrt er wild umher,
Auf bösen, unwirthbaren Wegen;
An seinem Leben ist ihm nichts gelegen,
Nein! alles war am Leben ihm gelegen,
Sie war's, Simplizitas! sie hält's in Händen,
Sie kann allein den Tod noch von ihm wenden.
Den theuren Namen auf den Lippen
Erklimmt er rauhgezackte Klippen,
Durchwacht die Nacht;
Und wenn der Morgen Licht gebracht,
Dann schleicht er heim, allein und sacht.
Jetzt war es anders – kam der Tag,
So war er froh, zu liegen, wo er lag,
Und jeder Schritt ermüdet ihn zum Sterben;
Nichts helfen kann er mehr und nichts erwerben.
Die Mutter thut's, er merkt es kaum.
Er lebte wie ein armer Baum,
Dem das Verderben an der Wurzel frißt,
Er siecht und krankt, bis er verdorret ist.
Die Mutter pflegt ihn, wie sie sonst den Kleinen,
Der hülflos lag auf ihren Knieen,
Gepflegt mit namenlosen Mühen,
Die niemals ihr zu groß erscheinen.
Wie damals that sie's ohne Klage,
Und auch wie damals nahm er's hin,
Nahm ihre Nächte, ihre Tage
Und niemals kam wohl je die Frage,
Wie es die arme Mutter trage,
In ihres Kindes kranken Sinn;
Denn solcher Liebe schwere Leiden
Sind eigensücht'ger noch als ihre Freuden.
Ein Sonntag kam und lieblich klangen
Die Glocken, die ihr Festlied sangen.
Viel Leute kamen durch den Wald gegangen,
Und frohe Kinderstimmen drangen
Zu ihm heran wie Lebenslaute –
Ihm aber war, als ob ihm graute,
Die Welt, die lärmende, zu hören;
Er sucht sich matt ihr abzukehren,
Damit sie seine Ruh nicht stören.
Von denen war er, die der Geist nicht trägt,
Und die der erste Schmerz erschlägt;
Doch ihre Liebe, scheint sie gleich so fest,
Daß sie den Armen dafür sterben läßt,
Ist schwach und nicht der mächt'gen gleich,
Die selbst verlassen und verachtet,
In Ohnmacht stark, in Armuth reich,
Nie elend stirbt und nie verschmachtet.
An ihren tiefen Schmerzenswunden
Habt ihr sie selten wohl gefunden;
Denn gleich des Lebens frischer Quelle
Erhebt sie neu die heil'ge Welle,
Um müde Herzen zu erquicken;
Denn echte Liebe muß beglücken.
Es dunkelt ... und gespenstisch schwirrend,
Am hellen Fenster sich verwirrend,
Streift durch die nachtbedeckte Luft
Die Fledermaus, der Uhu ruft;
Und horch, jetzt klopft es an das Fenster. –
Ach, seit die wahren Leiden kamen,
Da sieht das Mütterchen nicht mehr Gespenster. –
Zwei dunkle Augen sah sie, sah, es war der Klaus,
Der wartete am Haus.
An jenem Sonntag trieb im Zorn
Der Jüngling alle Drei aus seiner Hütte,
Sie waren seinen Augen gleich dem Dorn;
Nichts half der Mutter flehentliche Bitte.
Verläumder sind sie ihm geworden,
Die tückisch durch die Worte morden;
Nicht solchen wird er Glauben schenken –
Wer wird an Schuld bei der Geliebten denken.
Geräuschlos schlich die Alte vor die Thüre
Und schloß behutsam, daß der Sohn nicht spüre,
Für welchen Gast das Pförtchen heut sich rühre.
Der Knabe zieht sie nah an sich heran,
Vertraut ihr leise flüsternd an
»Ich fand die Hexe, weiß den Ort,
Simplizitas ist bei den Nonnen dort!«
Die Alte zittert, bis in's Herz getroffen. –
So nah Simplizitas, so nah das Hoffen.
Es faßt sie bald wie Freude, bald wie Leid,
Ist es zu spät? ... Ist es noch Zeit? –
Den Sohn zu retten, schreckt sie kaum der Böse –
Ob ihn ihr Anblick noch vom Tod erlöse?
Es schließen, öffnen sich die alten Lippen,
Die zitternd aneinander nippen
Und nun dem Wort, nach dem ihr doch so bange,
Den Klang nicht geben können, lange – – lange! –
»Geh!« sprach sie endlich ... »bring sie her!
Nichts hat sie hier zu fürchten mehr.
Und sag ihr, schlecht versteh' sie sich auf's Lieben,
Mich hätte Nichts von ihm hinweggetrieben,
Und ob sie gleich dem Haus ein Fluch gewesen,
Die Zauberin! kann nur mein Kind genesen,
So will ich ihre Schritte segnen,
Ihr zärtlich thun, ihr fromm begegnen,
Des Abends für sie beten, Tages schaffen,
Durch schwere Arbeit Geld zusammenraffen.
Nur eines soll sie mir dawider geben,
Des theuren Sohnes schwer bedrohtes Leben,
Soll meinen Sohn mir wiederschenken.
Mein Alles sei's, das solle sie bedenken.«
Der Bube zwinkert mit den schlauen Blicken,
»Nur ungern läßt sie sich ins Elend schicken;
Sie sucht nur Spaß und Heiterkeit,
Glaubt mir, die hat stets frohe Zeit.
Als ich das schöne Hexchen sah,
Ich war ihr heimlich nah, ganz nah,
Da lachte sie; ja, ja, sie lachte.
Sie sah nicht aus, als ob sie Eurer dachte;
Sie blühte wie die Rose, die sie hielt.
Mit Eures Sohnes Herz hat sie gespielt.« –
Sein Ohr geschärft durch langes Leiden
Rief jetzt der kranke Sohn den Beiden.
Denn in der Knabenstimme klang
Ein Ton, der ihm zur Seele drang. –
Wie fest die Mutter ihn umschlang,
Als sie ihm sagte »Lebe wieder!
Sie ist gefunden! ist gefunden!
Nun mußt du leben und gesunden!«
Erst sank er wie zum Tod getroffen nieder;
Dann faßt ihn unruhvolles Treiben,
Auf keinem Lager will er bleiben,
Bald weinend, bald mit zorniger Geberde
Begehrt er, einmal nur auf dieser Erde,
Simplizitas zu sehn.
Da sprach die Mutter »Sohn, ich werde gehn;
Auf meinen Knien will ich flehn,
Bis deinem Wunsche Recht geschehn.«
Wie lieblich lächelt er sie an,
So hat er oft als Kind gethan,
Wenn sie, die Kinderhände füllend,
Manch thörichtes Verlangen stillend,
Sein kleines Herz ihm abgewann.
Das war schon Glück! – denn auch der kleinste Schein
Fällt er in solche tiefe Nacht hinein,
Wird uns zum Stern, der uns erhellt
Für kurze Zeit die dunkle Welt.