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Lieblich steigt der junge Tag empor,
Lichtumstrahlt und glanzumflossen,
Lieblich weiß Natur gelinde
In dem kleinen Blumenkinde
Mütterlich sich euch zu zeigen,
Wiegt es sanft auf grünen Zweigen;
Aber lieblicher als in dem allen
Wird Natur, die Reizende gefallen,
Wo mit frommbewegtem Herzen
Junge Mütter zärtlich scherzen
Mit dem Kindchen, mit dem Ersten,
Halb noch selber Kind die Mehrsten;
Halb noch Kind und doch so ernst geweiht,
Sorgend helfend, wenn das Kleine schreit,
Eng vertraut mit seinem Leid,
Kennend nur ein einziges Entzücken,
Fest sein Kind an's Herz zu drücken. –
Da saß Simplizitas, ihr Kindchen auf den Knien,
Sie lächelt froh ihm zu, allein es hat geschrien;
Die Thräne netzt ihm noch die Wange
Und um das Mündchen zuckt der Schmerz.
Das war kein Kindchen für den holden Scherz;
Ein armes Leben, scheu und bange,
Unschlüssig zitternd auf des Daseins Grenzen;
Fremd allen Festen, die den Frohen glänzen,
Erschreckt vom Licht, geblendet von den Freuden,
Der Welt verbunden nur durch Noth und Leiden.
Und wie ein Räthsel sieht es Stund um Stunde
Die Mutter an, die Lebensvolle,
Und lächelt, daß es lächeln solle
Wie sie, die Fröhliche, Gesunde.
Es lebte eine Sage bei den Leuten,
Als würde mit Sever der Name sterben;
Drum harrte sehnlich alles auf den Erben,
Allein ein Mägdlein war's, das sie nach schweren Zeiten
Ihm auf den Arm gelegt als Seines,
Ein armes, schwaches, krankes, kleines.
Da fing er heimlich an zu sorgen;
Der Fluch, vergessen und verborgen,
Jetzt wacht er auf, als sei's sein Morgen.
In düstrem Sinnen stand er oft verloren
Vor ihr, Simplizitas der Schönen,
Und sah das arme Kind, das sie geboren,
Und kann sich mit den Beiden nicht versöhnen;
Das Elend schien ihm doppelt mißgestalten,
Auf ihrem Schooß, von ihrer Hand gehalten; –
Nur wo die Seelen mit einander theilen,
Kann eins das andre heilen;
Da gilt Empfangen gleich dem Geben,
Und lieblich werden sich verweben
Das reiche und das arme Leben.
Er sah die Mutter scheu ihr Kind bedienen,
Mit trüben, halb verlegnen Mienen;
Nie konnte sie sein Weinen stillen
Und nie errathen Wunsch und Willen.
Kommt sie, so birgt's das Köpfchen in dem Pfühle.
Das frische Kindchen damals aus der Mühle,
Mit dem ja ließ sich's lustig leben,
Wie fröhlich wußt es nach ihr hinzustreben, –
Hier aber stand sie rathlos trüb daneben.
Der Amme wird es überlassen,
Da sieht sie's nicht vergehn, erblassen;
Hört kaum mehr, wenn es klagt und schreit
Und kann, der bösen Last befreit,
Genießen wieder Lust und Fröhlichkeit.
Doch mit dem Kinde soll die Mutter leiden,
Verlangt Sever; – er fühlt sein Herz sich scheiden
Von ihr und dieser ungetrübten Schöne,
Die in dem Glanz der Augen strahle
Mit lachender Gesundheit prahle,
Als ob sie Schmerz und Elend höhne.
Die Liebe geht, – es kommt die Klarheit
Und eine herbe ungerechte Wahrheit.
Sie sieht den Keim und kennt nicht mehr
Den Boden, der ihn trug, die Luft, die ihn erweckte;
Und arme Seelen, die ihr Schelten schreckte,
Empören sich und setzen sich zur Wehr.
Denn ungerecht und viel zu hart und schwer
Ist jedes Urtheil, das von Liebe leer.
Er spricht mit ihr in rauhen Worten,
Er findet Fehler aller Orten.
Sie scheu und stumm vermeidet die Begegnung,
Und wagt kein Wort der Reue, der Entgegnung.
Der Glanz erlischt in ihren schönen Blicken,
Wenn sie nach ihm die Strahlen schicken; –
Nicht mehr dieselbe scheint sie ihm geblieben,
Und er im Recht, sie nicht wie sonst zu lieben –
Doch rings umher erwachen tausend Stimmen,
Die Funken nährend, die da glimmen.
Und heimlich heißt's, der Fluch wird wahr,
Seht nur das Elend, das sie ihm gebar.
Er hört es nicht; doch weiß er, daß sie's sprechen.
Er sucht sich an Simplizitas zu rächen;
Und unter seines Hauses Dach
Da rief er selbst das Unheil wach,
Und zieht es auf und wird es füttern,
Bis daß es, wachsend nach und nach,
Das Haus von Grund aus wird erschüttern.