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Es zogen nach der Schönheit Stern
Viel Gäste in die reichen Hallen,
Musik und heitre Weisen schallen. –
Am Abend war's – – doch tageshelle
Erglänzt das Schloß vom Thurm zur Schwelle;
Nur eine kleine arme Stelle,
Ein Fensterchen blieb dämmrig dunkel,
Als sei es fremd dem prächtigen Gefunkel.
Dort in der Kammer lag auf seinem Linnen
Ein Kindchen, weiß wie Winterflocken,
Wie Blüthen vor dem Frost erschrocken,
Die keinen Frühling mehr gewinnen.
Der Augen Sterne fest geschlossen,
Mit blauen Schatten übergossen.
Geduldig schützend diesen schweren Schlummer
Saß neben seinem Bettchen, ganz in Kummer,
Die derbe Amme, die es nährte –
Wie sorglich sie der Störung wehrte,
Die rauhe Hand, so zart es fassend,
Der schwere Schritt sich kaum noch hören lassend,
Sei's Tag, sei's Nacht, sie fehlte nimmer
In diesem kleinen Krankenzimmer.
Heut tritt Sever zu ihr herein –
Er flieht den frohen Schwarm mit Grauen,
Bei seinem Kind ist er allein,
Da kann er still und traurig sein.
Simplizitas mag er nicht schauen,
Die Lächelnde, die Lichtbeglänzte.
Ach! alle Anmuth, die sie kränzte,
Die gäb' er hin, sie hier zu sehn
In treuer Pflege stehn
Am Bettchen, mit verweinten Augen,
In Kleidern, die zu keinem Putze taugen,
Verwacht und müde, elend, bleich,
Und doch für ihn an Schönheit doppelt reich.
So sehnt er sich Simplizitas zu grüßen,
Und reuig dann zu ihren Füßen
Für jedes harte Wort zu büßen.
Ihm scheint die Kleine sterbend, nah heran
Tritt er zur Wiege – fährt die Amme zornig an:
»Wo ist die Mutter? sagt es ihr,
Ihr Platz ist hier!«
Die Wärt'rin weiß, es gilt für kein Verbrechen,
Von ihrer Herrin schlecht zu sprechen –
Sie bittet: »Laßt allein mich wachen!
Wollt ihr dem armen Kind noch mehr der Qualen machen?
Die Herrin weiß zu spielen und zu lachen,
Doch solch ein Krankes weiß sie nicht zu pflegen.
Erst gestern ... just in's Bettchen wollt ich's legen,
Da nahm sie's mir und scherzte mit der Kleinen,
Und wußte so das Kindchen aufzuregen,
Die ganze Nacht verlor es ihretwegen
Und blieb beim Schreien, blieb beim Weinen.
Für heute droht ihm nicht Gefahr,
Es ist nicht kränker, als es immer war.«
Er schwieg und sagte nichts dagegen,
Doch als die Worte in die Seele sanken,
Da sprachen zürnend die Gedanken:
»Ja, spielen kann sie nur und scherzen,
Doch vor dem Jammer, vor den Schmerzen,
Da weicht sie aus mit feigem Herzen.«
Ganz dunkel ward es, wo er stand,
Von seinem Kind hinweggewandt.
Doch leise öffnet sich die Thüre,
Als ob sie sich von selber rühre,
Und leuchtend steht, von Mondenlicht beglänzt,
Simplizitas im kleinen Zimmer.
Sie steht in zauberhaftem Schimmer,
Ihr Haar von Rosen voll bekränzt.
In ihren Händen trägt sie eine Leuchte,
Und als der Strahl die Dunkelheit verscheuchte,
Da regt sich träumerisch das arme Kleine.
Sie lächelt ihm, dünkt sich alleine,
Und flüsternd singt sie eine Weise,
So sanft, so heimlich und so leise,
Als ob sich auf des Baches Reise
Die Wellchen plätschernd necken, strecken,
Melodisch rauschend durch Gestrüpp und Hecken –
Doch waren's Schmerzen, waren's Schrecken,
Die Fieberträume oft verstecken;
War es das Licht, das sie vergaß zu decken,
Mit jähem Schrei, der aller Herzen traf,
So fuhr das Kind empor vom Schlaf.
Man sagt, daß es der Tropfen sei,
Von dem die Becher überquellen;
So schwach er klang, der kleine Schrei
Entfesselt wilde Zorneswellen;
Sever steht drohend da im Hellen.
Simplizitas ist schreckensvoll erblaßt,
So rauh hält er die zarte Hand gefaßt.
Er zieht sie zürnend von dem Bettchen fort,
Sein Ton klingt fremd und fremd sein Wort.
»Simplizitas!« sprach er zu ihr,
»Nimmst du dem Kinde heut die Ruh,
Wie du sie einst genommen mir?
Solls auch an deinen Küssen sterben?
Erretten werd ich's vom Verderben,
Auch mir gehört sein Leben zu.
Fort soll es, fort von hier!
Vor allem fort von dir!
Der Amme geb ich's, die an deiner Statt
Es mütterlich geliebt, gewartet hat;
Was hilft es, daß du reizend bist,
Dein krankes Kind, das du vergißt.
Es wird sich weinend von dir wenden,
Und mit den schwachen kleinen Händen
Die treue Pflegerin erfassen.
Die nimmer es verlassen.«
Bewegung schwellte ihm mit Thränen
Die Brust, so daß er stockend sprach,
Was ihm das Herz im Herzen brach.
Wie sein Gefühl die Bitterkeit verlor,
Da wuchs in ihm ein heimlich Sehnen,
Ein kühnes Hoffen stieg empor.
»Sie läßt das Kind sich nicht entreißen,
In ihren Schmerzen, in den heißen
Wird sich ihr Herz, ihr Mutterherz enthüllen,
Und selig wirst du's dann mit Wonne füllen.
Dann wird das Kind erst recht das Eure,
Dann ist sie wieder dein, die Theure.«
Doch schweigend, zitternd steht die Arme da;
Sie kommt dem Kinde nicht mehr nah,
Sie streift es nur mit scheuem Blick
Und sucht die Thür und weicht zurück.
Er aber, der die Furcht nicht kennt,
In einem Zorn entbrennt,
Den er gerecht und edel nennt,
Er läßt sie gehn ... er hält sie nicht;
Er blickt ihr nicht in's Angesicht,
Wo bittend, flehend für sie spricht,
Aus ihren holden Kinderaugen,
Die nur zum Strahlen, Lächeln taugen,
Ein irres, zitterndes Erschrecken,
Das ihr die Seele scheint zu decken.