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Ein reicher Sommer war's – ein unerschöpflich Blühen.
Gar liebliche Verschwendung herrscht auf Erden;
Die Knospen drängen sich erlöst zu werden
Und jede will zuerst im Farbenglanz erglühen.
Wie manche stirbt als Keim in nutzlosem Bemühen,
Denn wo sie zu gedrängt und üppig stehen,
Da müssen oft die Lieblichsten vergehen. –
Die Tannen schau'n in langen Prachtgewändern
Wie weise Hüter auf die bunten Kleinen;
Doch wie sie auch gesetzt und dunkel scheinen,
Der Sommer weiß sie hurtig grün zu rändern
Und zwischen dichtbelaubten Aestchen,
Da schrein aus ihren warmen Nestchen,
Die ausgelassnen Vögelein.
Der Jüngling fing sich manchen Schreier ein,
Im Käfig singen sie ihr Liedlein weiter
Und pfeifen grad so übermüthig heiter,
Als pfiffen sie im dichtbegrünten Hain.
Zuletzt hielt nur noch Liebe seine Sänger
Und welche Kette schlösse enger,
Doch hat wohl Niemand je gefunden,
Daß Liebe ihn zu fest gebunden.
Simplizitas, der Jüngling war dein eigen!
Und wie die Winden nur an fremden Zweigen
Als bunte Blüthen in die Höhe steigen,
So wollen Wünsche und Gedanken
An dir allein sich aufwärts ranken.
Wie lieblich müht er sich, dein Leben
Mit Lust und Freude zu durchweben,
Wer dir so wohl gethan, du weißt es kaum;
Dir kommt das holde Glück im Traum
Und all die Wonnen, die des Tages Saum
Dir schmücken wie das Sonnenlicht den Baum.
Ja selbst des Mütterchens vertrocknetes Gemüth
War solcher Freude neu erblüht;
Allein ihr Mißtraun lag nur überdeckt,
Der Funke leicht zum Flammenmeer geweckt.
Ein Sommerabend war's. – Des Tages Gluthen
Erloschen sanft in linder Lüfte Fluthen,
Da saßen an dem Bach die Beiden.
Sie spielte wie ein Kind mit einem Zweig von Weiden,
Doch er war ernst und unbeachtet sanken
Die Blätter, die sie reichte, und ertranken.
»Simplizitas!« so hub er an und in dem Worte
Eröffnete die Liebe ihre heil'ge Pforte,
Und brachte ihr den ganzen Wundersegen
Mit holder Scheu entgegen.
Sie lächelte und sprach »Was willst du, sprich?«
Er aber schloß sie stürmisch fest an sich
Und rief »Simplizitas, dich will ich! dich!«
Sie sprach »das ist doch wunderlich!
Denn alle Tage hast du mich.«
»Ach!« rief er, »wirst du Liebe nie verstehn?
Wie doch vor Sehnsucht Herz und Seel vergehn,
Kann ich auch täglich die Geliebte sehn!
Mir frommt die Nähe nicht, mir frommt kein freundlich Wort,
Es treibt ein wilder Geist mich fort und fort,
Der mehr begehrt, je mehr du giebst,
Sprich aus, Simplizitas, daß du mich liebst!«
Simplizitas strich ihm das Haar zurück
Und sah ihn an mit ihrem Kinderblick
Und sprach »Ich liebe dich, sei ohne Sorgen,
Denn nur bei dir fühl ich mich wohl geborgen;
Wen hätt ich lieber nur als dich?
Gewiß, ich lieb dich sicherlich.«
Da faßt er glühend sie bei beiden Händen,
Sie kann die Augen nicht von seinen wenden.
»Simplizitas, sie nennen dich ein Kind
Und meinen, daß sie klug und weise sind;
Mir leuchtet deiner Einfalt heil'ger Schein,
Als könntest du der Engel Einer sein
Und plötzlich deine lichten Schwingen heben,
Um fort von hier der Heimath zuzustreben;
Ich aber kann nicht ohne dich mehr leben!
Du sagst, du liebst mich! sag's Simplizitas!
Mein Herz begehrt den Trost ohn Unterlaß;
Und sag mir zu, nie wirst du mich verlassen,
Für immer woll'n wir Hand in Hand uns fassen,
Verbunden wie zwei Blüthen einem Stengel,
Verbunden wie dem Himmel Gottes Engel,
Nichts kann uns scheiden, Nichts uns trennen,
Denn unsre Lebenslichter brennen
Wie heilig fromme Opferflammen
Für immer nun zusammen! –
Du sagst, du liebst mich, sag's Simplizitas!
Mein Herz begehrt den Trost ohn Unterlaß!«
Und schüchtern, wie ein Kind, das fremde Worte hört,
Halb hoch erbaut und halb verstört,
Erhebt sie ernst ihr holdes Augenlicht
Und spricht die Worte nach, die Liebe spricht.
Sie wagt kein Lächeln, sieht so heilig aus,
Als käme sie vom Kirchgebet nach Haus.
Da küßt er freudig ihren rothen Mund
Und fest geschlossen scheint der holde Bund.
Der eignen Liebe Ueberfülle
Dient fremder Dürftigkeit zur Hülle.
Ein schlechter Rechner bleibt die Liebe
Und wird gar oft am eignen Gut zum Diebe.
Das Mütterchen empfängt sie nicht erfreut,
Zum Gotteshause will sie heut.
Sie hört nicht gern, was ihr der Sohn erzählt,
Daß er Simplizitas zur Frau gewählt –
Erst sprach sie, »bittet Gott um Segen!
Ist Er dafür, bin ich auch nicht dagegen;
Doch nie, so oft auch Glocken klangen,
Ist sie zum Kirchgebet gegangen,
Kein heilig Sakrament hat sie empfangen.
Begleiten soll die Jungfrau mich zur Messe,
Daß sie mit mir vom Brod des Himmels esse.«
Froh rief der Sohn: »Gern geht sie – gern sogleich,
Der Einfalt eignet Gott sein heilig Reich.
Simplizitas, ich kann für heut nicht mit,
Allein dein reines Flehn vertritt
Uns beide dort, wo tief und hell
In ew'ger Klarheit fließt der Liebe Quell.«
Drauf drückt das Mütterchen den Rosenkranz
In ihre fromm gefalt'nen Hände.
Der Jungfrau ist, als ob geheimen Glanz
Das goldne Kreuz, das Leuchtende entsende.
Als Kind schon sah sie, sehnsuchtsvoll und scheu,
Durch bunte Scheiben in die Kirchenhallen
Und wagte nicht mit auf die Knie zu fallen,
Nicht ihr Gebet, das Kindische zu lallen
Und wußte nicht – weß Haus es sei.
Jetzt geht die Alte, hinter ihr das Kind,
Es hebt die Füßchen eifrig und geschwind;
Geht aller Lustbarkeit vorbei
Und schlägt die Augen nimmer auf,
Sehn gleich die Blumen oft genug herauf,
Und streift sie leicht in bunten Zügen
Der Schmetterling auf seinen Flügen.
Sie langen an beim alten Kirchenthor.
Gar viele Leute stehn gedrängt davor,
Die sehn sich um, bald dort, bald hier,
Simplizitas sieht nur allein,
Als ging es dort zum Paradies hinein,
Der Kirche graue kleine Thür.
Sie liegt in zauberhaftem Schein,
Die Abendlichter fallen durch die Scheiben,
Ein zitternd Spiel mit Stäubchen dort zu treiben.
Und wie die Strahlen sich dem Staub vermählen,
Da werden's Himmelsleitern für die Seelen.
Die dunklen Bilder fangen an zu leuchten,
Daß sie mit Gold gemalt den Augen däuchten
Und droben schweben über dem Gedränge,
Wie Gottes Engel, heilige Gesänge.
Simplizitas dünkt's wie ein Zaubergarten,
Kein Glück zu hoch, von hier es zu erwarten.
In einem Eckchen kniet sie nieder,
Ihr froher Blick schweift hin und wieder,
Und scheint die Strahlen tief hinein zu trinken,
Die tausendfach im Auge wiederblinken.
Die Alte murmelt ihren frommen Spruch
Und sieht nach ihr, wohl mehr als nach dem Buch;
Doch da Simplizitas so züchtig kniet,
Wie festgebannt nur nach dem Priester sieht,
So hofft sie, glücklich wird die Prüfung enden;
Der Sohn empfängt dann froh die Braut aus meinen Händen,
Und brünstig wendet sie jetzt himmelswärts
Ihr unruhvolles Herz.
Der Priester hebt den goldnen Kelch empor,
Voll Andacht singt der fromme Chor;
Da trifft Simplizitas ein Klingen,
So scharf und hell wie Silberglocken,
Sie weiß, nur einer kann so singen;
In's tiefste Mark fühlt sie die Töne dringen
Und lauscht und zittert ganz erschrocken.
Ein Knabe war's, in blonden Locken.
Mit seiner Mutter, wie es scheint,
Dabei ein Kindchen elend und verweint.
Doch wie Simplizitas die drei in's Auge faßte;
Stockt ihr das Blut, die Wange sie erblaßte,
Und zitternd, mühevoll den Schrei bezwingend,
Mit ihrer Glieder Ohnmacht ringend,
Entflieht sie all der Pracht – der Glocken Läuten,
Es scheint ihr Feuer, blut'gen Tod zu deuten;
Und drohend steigt die Nacht, die Schreckliche empor,
Nur davon, dünkt ihr, spricht der Priester, singt der Chor;
Das Volk, wie damals, drängt sich dicht und dichter,
Zu Höllenflammen werden heil'ge Lichter,
In wilder Flucht – erreicht sie todesmatt,
Der neuen Heimath sichre Statt.
Ganz still ist's rings umher.
Simplizitas erscheint die Welt wie leer
Und nur die eine Nacht ihr ganzes Leben.
Wie die Gedanken sich mit ihr verweben,
Als könn' es nichts als Tod und Elend geben.
Kann sie denn niemals mehr von ihnen los?
Sie legt die Hände rathlos in den Schooß,
Und drohend ziehen ahnungsvolle Schauer
Durch ihrer Seele halb bewußte Trauer.
Es war der Klaus, die Mutter und das Kleine,
Die sie in jener Kirche Dämmerscheine,
In jener heiligen Gemeinde
Mit Recht erkannt für ihre Feinde.
Und auch die Frau hat sie gesehn
Dort stehn,
Wohl nicht umsonst; doch traut sie nicht dem Volke,
Das abergläubisch, wechselnd wie die Wolke,
Die beiden neulich fortgelassen;
Sie traut nur ihrem eignen Hassen.
Sie merkt sich wohl, mit wem das Mädchen kam
Und sah wie ihr die Angst die Sinne nahm
Und sah wie sie so gut gekleidet,
Nicht Mangel oder Elend leidet
Und sah ihr Glück und schwur es zu vernichten;
Die Hexe selbst zu Grund zu richten. –
Das Mütterchen hat nichts gesehn;
Es war ihr heut, wie oft geschehn,
Daß sie der Schlaf ein wenig überwand.
Doch nimmt sie jetzt den Rosenkranz zur Hand
Und ihre alten Augen spähen,
Um mit Simplizitas nach Haus zu gehen.
Voll Unruh gehn sie hin und her,
Allein die Jungfrau finden sie nicht mehr.
Als sie am Kirchweg rathlos stand,
Weil sie ihr Kind nicht fand,
Da rief die Müllerin »ich will euch sagen,
Was sich mit eurem Schützling zugetragen!«
Und zitternd hört die Alte sie erzählen
Und weint und weiß kein Mittel recht zu wählen,
Die Hexe aus dem Haus zu jagen.
Hat sie ihr doch des Sohnes Herz entwendet,
Wer weiß, wo all der Jammer endet! –
»Laßt!« flüsterte die Frau, »die Flucht sei meine Sache!
Euch schaff ich Hülfe, mir die Rache.
Ihr saht nicht, wie sie feig zusammen brach,
Als ihr Gewissen sprach.
Mein Antlitz kann sie nimmermehr ertragen
Und, wo ich bin, zu bleiben niemals wagen.«
Sie treten ein. – Simplizitas voll Grauen,
Versteckt im letzten Winkel – läßt sich nicht mehr schauen;
Sieht ganz entsetzt, durch eine helle Spalte,
Am Feuer stehn die Fremden und die Alte. –
Wie kleine Vögel vor den Klapperschlangen,
Versteinert, durch den gift'gen Blick gefangen,
So blieb ihr Auge an den dreien hangen.
Doch heimlich sucht der Klaus Simplizitas,
Mit seinen Jahren wuchs sein Haß.
Er hat ihr nicht die grause Nacht vergessen,
Wie oft hat er im Bette wach gesessen
Und alles jammervolle Elend übermessen,
Das sich mit ihr in's Haus geschlichen,
Bis alle Lust daraus entwichen.
Und wie Simplizitas versteckt dort stand,
Da fühlt sie plötzlich eine Kinderhand,
Die faßt sie an des Kleides Falten
Und schaudernd fühlt sie sich gehalten.
Doch gleich der Fluth kehrt ihr die Kraft zurück.
Sie reißt sich los mit irrem Blick
Und stürzt hinweg wie damals, wild gejagt,
Wie einer, der nach keinem Ziele fragt,
Nur fort! nur fort – nur los von dieser Kette,
Die eisig sie umschlingt mit schlangengleicher Glätte.
Am Himmel thürmen sich gewalt'ge Schatten
Und Wolken jagen, Wolken ohn' Ermatten,
Bis alle sich in Nacht vereinigt hatten.
Der Sturm ergreift die jungen Tannenwipfel,
Sie richten ächzend aufwärts ihre Gipfel,
Allein er reißt an ihren Zweigen
Und die sich ihm nicht willig neigen,
Die fallen krachend und zersplittert,
Daß rings umher der Boden zittert. –
Der Jüngling kam nach Haus … o elend Wiederkommen!
Ward uns in dieser Zeit des Hauses Licht genommen,
Wenn leer die Stätte, wo uns sonst empfangen
Ein Liebesgruß, ein Kuß auf unsre Wangen.
Ach wem die Seele von dem Haus gegangen,
Der wird nach andrer Heimath bald verlangen.
Mag man auch noch so schwer Simplizitas verklagen;
Aus allem was die Frauen sagen,
Hört er nur eins ... Simplizitas ist fort!
Sein ganzes Elend faßt dies eine Wort.
Und stürmisch stößt er mit des Schmerzes Kraft
Die Hand hinweg, die ihn noch hält in Haft,
Und stürzt hinaus und ruft Simplizitas!
Simplizitas ohn Unterlaß! –
Die Alte hört den Ruf die ganze Nacht,
Die sie im Beten weinend zugebracht
Und zwischendurch das wilde Toben
Des grimmen Sturm's im Wipfel droben.
Und auch Simplizitas, die Bebende,
In Angst und Schrecken Schwebende
Vernimmt den Ruf, des Herzens Hülfeschrei,
Und ihres sagt ihr, wer es sei.
Allein sie flieht ihn, birgt sich schauernd,
Nur ihre Freiheit bang erlauernd
Durchstürmt sie triefend, müd verwacht,
Die wilde dunkle Regennacht.