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Buchschmuck

An einem hellen Wintertage
Da stand er neben ihr, im Geist die stete Klage,
Unschlüssig, thatenlos wie sie.
So einsam fühlte sich Sever noch nie,
Als hier an der Geliebten Seite.
Es saß der Staar auf ihrer schlanken Hand,
Dem sie ein Liedchen lehrte, das sie jüngst erfand.
Der Schüler schien nicht sehr gelehrig heute;
Doch unermüdlich summte sie ihm vor
Und half ihm ein, wo er den Text verlor.

Voll Unmuth rief Sever: »Wirst du nicht enden?
Hier kannst du die Geduld verschwenden
Und dennoch kommst du nicht an's Ziel,
Doch mir zu lauschen wird dir gleich zu viel!«

»Ich liebe ihn!« – begann sie zu erwidern,
Allein sie stockte, fühlte bang,
Daß die Entschuldigung nicht recht gelang,
D'rum fuhr sie fort in ihren Liedern.

Da nahm er heftig von der Wand
Das Jagdgewehr, das lang im Winkel stand,
Und ging hinaus und rief dem Hund, dem Troll;
Der kommt gesprungen wild und freudenvoll,
Geberdet sich vor Zärtlichkeit fast toll.

Wie lange war's, daß jagend beide
Den Wald durchstreiften und die wilde Haide.
Des edlen Thieres dunkle Augen glühen
Vor Lust dem Herren wiederum zu dienen –
Ein Wink genügt, ein Zug der Mienen.
Er scheut Gefahren nicht noch Mühen,
Und wie der Pfeil dem Bogenstrang entflogen,
So rasch ist der Befehl vollzogen.

Klein kam er auf das Schloß. Sever erzog ihn sich,
Und wenn das mächt'ge Thier gezähmt, demüthiglich
Nur seinem Wort, nur seinem Blicke wich,
Dann rief er stolz, der liebt nur mich!

So gingen beide fort – es sieht sie gehn
Simplizitas. Halb zürnend blieb sie stehn
Und denkt – das sind nicht gleiche Theile,
Vergnügen nimmt er sich und läßt mir Langeweile.
Er jagt im grünen Wald, mich sperrt er all die Zeit
Hier ein, mit staubiger Gelehrsamkeit.
Nie wird er mir mein Glück zurückerstatten
Und leben werd ich wie ein grauer Schatten.

Oft ging Sever; auch heut zur Jagd gerüstet
Ruft er ihr zu: »Daß Niemand wacht!
Im Jagdschloß bleib ich über Nacht.
Den Eber hol ich mir, nach dem mich's lang gelüstet.
Der Förster stellt ihm nach, weil er den Wald verwüstet;
Zur Nachtzeit tritt er aus – ich weiß die Stelle,
Da sucht er durstend sich des Waldes Quelle.
Der Mond erfüllt sich heut, bei solcher Helle
Erblick ich ihn gewiß und sicher trifft mein Schuß –

Sie bleibt allein. – – Sie durstet nach Genuß.
Des Schlosses reichgeschmückte Säle
Ist sie wer weiß wie oft durchgangen.
Was fängt sie an, daß sie dem Tage stehle
Die Stunden, jene ewig langen.
Dort liegt die Geige, die in schönen Zeiten
So wundervoll in Meisterhand geklungen.
Von Sehnsucht ist ihr Herz danach durchdrungen;
Behutsam fährt sie über alle Saiten,
Sie schauern wie im Geisterklang zusammen,
Und jene goldne Zeit, der sie entstammen,
Steht vor ihr gleich Morgana's Feenland. –
Verlockend taucht es auf ... nur zum Versinken.
Ach einmal noch aus dieser Quelle trinken!
Umsonst! ihr bleibt allein der Wüste öder Sand.

Da wird es plötzlich vor dem Schlosse laut;
Und als sie trüb hinunterschaut
Erblickt sie Einen von den Vielen,
Die damals, bei den festlich frohen Spielen
So munter ihr zur Seite standen.
Vergessen sind die Worte, die sie banden,
Sie ruft ihm zu; sie ladet ihn herein.
»Der Freunde Bote«, sprach er, »soll ich sein;
Soll Einlaß hier für uns begehren.
O holde Herrin! laß zurück uns kehren,
Wir können deine Nähe länger nicht entbehren.«

Sie lächelte vergnügt: »Weit mehr als ihr
Hab ich gebangt nach euch, als ihr nach mir.«
»Dann«, rief er, »will ich froh die Freunde hergeleiten,
Ihr seht die Harrenden im Thale reiten.«

Sie sah hinaus und sah den frohen Zug,
Der Pracht und Farben tausendfältig trug,
Wie Blumen bunt den grauen Weg bedecken.
Doch plötzlich fiel ihr ein, was sie versprochen, –
Drei Tage fehlen noch an jenen Wochen;
Sie hat Sever ihr Wort gebrochen. –
Es ist zu spät! – schon halten sie am Thor,
Und summend wie ein Bienenchor
Erfüllt der Schwarm die stillen Hallen,
Vertraute Stimmen klingen an ihr Ohr
Und trotz der Furcht beschleicht ihr Herz Gefallen.
Sie denkt, er wird die Freunde nicht mehr finden,
Denn vor der Nacht ziehn sie nach Haus,
Und da er selbst auf Lust und Freuden aus,
Mich meines Worts für heut entbinden.

Geschäftig fängt sich's an im Schloß zu regen,
Dem tollsten Plan ist Niemand hier entgegen.
Hergeben soll den letzten Ton die Geige,
Der Becher Lust geleert sein bis zur Neige.
Im Saal voll Licht, Simplizitas im Glanz
Erfüllt von Glück, berauscht vom Tanz.

Es schien Armin, als ob er träume,
Wie sich durch all die sonst so stillen Räume
Das Lustgeschrei in vollen Tönen zog;
Doch war's kein Traum, der ihn belog.
Er trat zur jungen Frau heran
Und sprach: »Du hast nicht Recht gethan.«

Sie schlug die Augen tieferröthend nieder
Und stammelte: »Erst morgen kommt er wieder.
Gewiß, ich wollte ihm mein Wort erfüllen,
Doch ich vergaß es wider Willen.«

»Vergessen!?« sprach Armin, – »Wo unser Herz verspricht,
Da kennt man das Vergessen nicht.«

Den Wald durchstreift indeß Sever beim Mondenlicht.
Da – früher als er dachte – bricht
Der Eber aus, – tritt plötzlich schwarz hervor
Und nimmt den Lauf durch Sumpf und schilfig Moor.
Es fällt der Schuß, – er streift den Flücht'gen nur,
Und hinter Felsgestein verliert sich seine Spur.

Verdrießlich senkt Sever das trügende Geschoß;
Doch wie vom Sturmwind fortgefegt
Verfolgt sein zottiger Genoß
Den Eber keuchend, wild erregt. –
Kein Rufen hilft, kein Pfeifen, Drohn,
Und wie im Augenblick die Funken
Zum Himmel auf in wilden Flammen loh'n,
So stürzt das Thier hinweg Begierde trunken.

Verstimmt beschließt Sever nach Haus zu kehren,
Noch nie sah er den Hund, wie heute hier,
Der Zucht und des Gehorsams ganz entbehren;
Und seltsam kränkt es ihn, daß die Begier
Doch stärker als die Treue war im Thier.

Von ferne sah er aus des Schlosses Zimmern
Befremdet helle Lichter schimmern.
Erst will er kaum den Sinnen trauen,
Doch immer tiefer falten sich die Brauen
Und ungehört verdammt, im Innersten verletzt,
Sein Herz die Heißgeliebte jetzt.

Er schleicht sich heimlich zu den alten Hallen,
Dort stehn im Mondlicht seiner Ahnen Bilder;
Kein Treubruch schwärzt den Glanz der Schilder
Und keiner ist dem Truge je verfallen.
Er fühlt sich stolz auf sein Geschlecht,
Ihr Adel war: – sie thaten Recht.
O daß er nie in diese edle Kette
Unächtes Glied gewoben hätte.

Nur Einer sah Sever .–. das war Armin;
Scheu sah er ihn die lichten Säle fliehn,
Ging ihm nicht nach, trat traurig hin zu ihr
Und flüsterte: »Simplizitas! Sever ist hier!«

Sie schrak zusammen bleich, er sprach ihr zu:
»Wer bitten kann wie du,
Dem wird der Fehle viel verziehn.«
Da ging sie hin und suchte ihn.

Ein eis'ger Wind blies ihr entgegen,
Und bei des Mondes kaltem Scheine
Erglänzten geisterhaft die Marmorsteine.
Die weißen Bilder schienen sich zu regen
Und schaurig fremd sie anzublicken.
Es schlägt ihr Herz bis zum Ersticken,
Doch wagt sie sich in seine Nähe.

Sever steht abgewandt, als ob er sie nicht sähe;
Er ruft dem Troll, der, von dem Mond beglänzt,
Im Schloßhof steht, wo Thor und Mauer grenzt.
Es zittert bang der Hund, doch kommt er nicht,
So oft Sever auch drohend zu ihm spricht.

Simplizitas, dem Zürnenden ganz nah,
Beginnt jetzt leise ihre Beichte.
Doch als der Klang sein Ohr erreichte,
Da ward er bleicher als der Schnee. –
Sie blickte furchtsam an ihm in die Höh
Und bettelt flüsternd vor des Herzens Thoren; –
Doch ihre Bitten sind verloren.
Es war, als ob sie nichts mehr galten;
Er sprach: »Du hast nicht Wort gehalten,
Und was du sagst kann ich nicht glauben,
Nicht länger will ich dir dein Leben rauben,
Ich gebe heut dein Glück zurück in deine Hände,
Nun kannst du Feste geben ohne Ende.«

Und wieder rief er streng dem Hund, zu kommen,
Der zitterte, erschreckt, beklommen.
Er ließ beschämt sein Haupt zu Boden hangen,
Des Fehlers eingedenk, den er begangen.

Doch wie das scheue Thier zurückwich, – ferne stand,
Da nahm Sever die Waffe rasch zur Hand
Und legte auf ihn an ... und schoß ihn nieder.
Zusammen stürzt der Hund, allein er reckt sich wieder;
Mit letzter Kraft erheben sich die Glieder
Und sterbend schleppt er sich zu seinem Herrn.
Des Auges halberloschner Stern
Erfleht Verzeihung schon von fern.

Da lag er, winselte und leckte
Den Fuß, den er mit Blut bedeckte.

Simplizitas steht stumm ... erschüttert,
Ihr ganzes Wesen bebt und zittert.
Sie blickt den Zürnenden nicht wieder an
Und schleicht sich fort, so sacht sie kann.

Vor ihrer Seele steht zu jeder Stunde
Das treue Thier, das todeswunde.
Und immer, nahte ihr Sever,
Ward ihr das Herz von Neuem schwer.

Buchschmuck

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