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Freundlich erwachte der Mai auf der Erde,
Weckte der Vögel geschwätzige Heerde,
Weckte die Blumen, die bunten Gesellen,
Weckte die Bäche, die Fröhlichen, Schnellen;
Alle zur Freude, zum frohen Genießen,
Seht wie die Blüthen sich drängen und sprießen!
Hört wie den Vögeln die Lieder gelingen,
Saftige Quellen die Dürre durchdringen.
Jubelnder Mai! in der lockenden Weise,
Rede nur ja zu den Menschen recht leise!
Weckst du die Liebe mit Frühlings-Gedanken,
Bricht sie dir stürmend die irdischen Schranken.
All deine Wonnen, dein strahlendes Leben,
Reichen nicht hin, ihr den Frühling zu geben.
Die Alte war zum Walde heimgegangen,
Als sie ihr Kind gerettet und befreit,
Sie lächelt, streichelt ihr die bleichen Wangen.
»So recht mein Schatz, das Werk ist angefangen,
Ihr Elend bringt mir frohe Zeit.
Sie machten Hochzeit heut vor wenig Jahren,
Da bin ich nicht umsonst dabei gewesen,
Jetzt werden sie genugsam wohl erfahren,
Wie weh es thut vom Reichthum Brocken lesen
Und noch dazu verhöhnt und schwer gekränkt.
Den Hunden hätten sie es ehr geschenkt
Als mir ... Wenn ich bedenke, wie es war:
Solch glückliches, solch stolzes Paar!
Und ich ein Wurm im Staube kriechend,
Am Leibe krank und in der Seele siechend.
Jetzt ist's an euch und bitter wird es sein
Und mögt ihr Herzen finden, hart wie Stein!«
Schlaftrunken schlich Simplizitas daneben,
Mühselig ohne Acht zu geben.
Kaum brachten ihre müden Schritte
Sie nach der Hütte in des Waldes Mitte.
Von Schlaf bewältigt lag sie Tag und Nacht
Und als sie endlich ganz und voll erwacht,
Da ist ihr grad, als habe sie geträumt;
Die böse Zeit versank mit ihrer Plage
Wie eine grauenvolle Sage
Und drüber sproßt ihr Frohsinn wieder.
So schüttelt froh der Vogel sein Gefieder,
Strömt auch der Regen noch so wild hernieder,
Der Sonne bringt er immer neue Lieder.
So gingen Tage, gingen viele Wochen,
Die Alte hatte wenig nur gesprochen.
Doch endlich fing sie an sich zu beschweren,
Sie hab es satt Simplizitas zu halten und zu nähren,
Den Schmetterling, der nutzlos sie umgaukelt,
Sich sorgenlos auf allen Blüthen schaukelt,
Als könne er von Licht und Sonne leben,
Nicht einen Bissen will sie ihr mehr geben.
Das Kind soll fort,
Soll nützen seiner Schönheit Hort.
Verschlafen steht in Nebeldecken
Der Morgen dämmert kaum im Wald,
Da geht sie schon das Mädchen wecken.
Sie ruft: »Steh auf! – fort mußt du und das bald!«
In Eile nimmt Simplizitas ihr dürftig Kleid
Und fertig steht sie da zum Gang bereit.
Es gab nicht viele Abschiedsworte,
Die Alte öffnete der Hütte Pforte,
Und wie ein Vogel, seiner Haft entlassen,
Zieht sie dahin auf dicht begrünten Gassen.
Es grüßen sie mit thaubeschwerten Zweigen
Des Waldes Tannen, die sich beugen, neigen
Und Tropfen auf sie niederweinen,
Als wär's ein Schmuck von edlen Steinen.
Sie lacht und jauchzt dem blanken Regen,
Und findet Freuden allerwegen.
So lief sie spielend lange Strecken:
Doch ohne Jemand zu entdecken.
Und endlich setzt sie sich ermattet
Zum Felsenquell, von Laub beschattet;
Die wonnigliche Maienluft
Durchzogen rings von Waldesduft.
Da hört sie jammervoll, in lauten Klagen
Von ferne eine Drossel schlagen.
Die Jungfrau ging entlang am Bach
Und unter grünem Blätterdach
Da sah sie eine Drossel hangen,
Die war gefangen.
Darüber schreit das Männchen, flattert, schreit
Verzweifelt nahe bald, bald weit.
Sie nimmt das Thierchen ab, sie streichelts liebevoll,
Und meint, daß es die kleinen Krümchen fressen soll,
Die sie ihm reicht, mit Tropfen aus der Quelle;
Allein sein Köpfchen hängt zur selben Stelle,
Es zuckt und stirbt in ihrer ros'gen Hand. –
Sie legt es zitternd auf den weichen Sand.
Erschrocken steht sie abgewandt.
Auch hier ist wieder Tod und Leid? –
Doch von der Quelle nicht gar weit
Da stand ein Jüngling ganz in ihren Reiz versunken.
Die Sonne spielt in warmen Liebesfunken
Ihm um das Haupt, als wolle sie ihn zünden;
Sie weiß ein goldnes Strahlennetz zu binden
Von ihm zur Jungfrau, hin und wieder;
Es zieht ihn zu der Quelle nieder.
Und eh er sich's noch recht bedacht,
Steht er in ihrer holden Macht –
Ganz schüchtern hebt er seine blauen Augen,
Als könnten sie zum sehen kaum recht taugen
Und spricht: »Gott grüß euch! seid ihr hier allein?« –
Sie sieht ihn an so hell und rein,
Als säh' sie ihm ins scheue Herz hinein
Und fragt: »Wer sollte bei mir sein?
Die Mutter schickte mich mir Freunde zu erringen,
Doch ich versteh nicht viel von solchen Dingen.
Sagt mir durch welche böse Schlingen
Gerieth dies Vögelchen in Noth
Und sagt mir, ist das Thierchen wirklich todt?«
Erröthend wie ein Mädchen hört er sie erzählen
Und beichtet seine Schuld am Todesfall;
Wie er mit rothen Beeren für die Vogelkehlen
Die Sprenkel aufgerichtet überall.
Gar lieblich weiß er sich herauszureden,
Daß uns der Herr, seit wir nicht mehr in Eden,
Die Thiere schenkt zum Unterhalt.
Er hab ein Mütterchen zu pflegen,
Das sei schon schwach und sei schon alt,
Da fang er nun die Drosseln ihretwegen;
Viel blankes Geld bekäme er dagegen.
»Komm geh mit mir nach Haus zu meiner Mutter!
Dort zeig ich Vögel dir in Menge,
Von Amseln, Finken ein Gedränge.
Aus meinen Händen nehmen sie das Futter
Und kommen spielend mir um's Haupt geflogen,
Denn alle hab ich selber mir erzogen.« –
Da nickte sie ganz überzeugt,
Die Rede hat ihr mächtig schön gedäucht.
Und beide gehen lieblich schwätzend,
An Wald und Blumen sich ergetzend
Der Hütte zu, die durch die Tannen flimmert,
Als wäre sie aus purem Gold gezimmert.
Das Mütterchen stand vor der Thüre,
Erstaunt wen hier der Sohn zum Hause führe.
Simplizitas, vom Sonnenlicht umleuchtet,
Das volle Haar mit flüss'gem Gold befeuchtet,
Scheint Ihr ein Zauber, eine Elfe.
Sie schlägt ein Kreuz, daß Gott ihr helfe!
So schön – allein im Wald gefunden,
Das kann nichts Gutes wohl bekunden! –
»Seht Mütterchen«, begann der Sohn,
»Das was ihr suchtet, fand ich schon,
Ihr brauchtet Jemand euch zu pflegen,
Dies liebe Mädchen kam mir heut entgegen;
Das hat der Himmel so gewendet
Und seinen Engel euch gesendet.«
Doch heimlich zieht die Mutter ihn beiseit:
»Nimm dich in Acht! 's ist just die Geisterzeit!
Im Walde spukt der Elf, der Nix geht um,
Die Hexen reiten Nachts ums Haus herum;
Zu lieblich scheint sie für ein Menschenkind
Und anders als solch arme Jungfern sind.«
Er aber schlägt die Worte in den Wind,
Und seine siegsgewohnten Bitten,
Die haben bald den Platz erstritten,
Denn was sie geben kann, ist immer sein.
Wie glücklich führt er nun Simplizitas hinein.
So festlich ward noch keiner wohl empfangen,
Denn alle Vögel, die im Stübchen hangen,
Die fangen an mit Macht zu musiziren;
Sie fühlt ihr Herz mit ihnen jubiliren
Und freudig tritt sie in die neue Heimath ein.
Das Mütterchen hat immer noch Bedenken;
Doch Schönheit weiß so fromm zu reden,
Besiegt und fesselt einen Jeden.
Und sagt' sie euch, sie käm' aus Eden,
Ihr müßtet doch zuletzt ihr Glauben schenken.