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Tief im Schlafe lag die Erde,
Ahnend, daß der Winter kommen werde.
Im Hause war's nicht anders – langsam schlichen
Die Tage gleich Gespenstern grau vorüber,
In langen Stunden schlichen sie hinüber,
Und ihre Pracht war wie das Laub verblichen.
Simplizitas vernimmt der Stürme Wehn,
Doch kann sie nur Sever, dem Zürnenden entgehn
Und neben seinem sanften Bruder stehn,
Ist sie zufrieden und es reut sie nimmer,
Daß keiner sonst sich freut an ihrer Schönheit Schimmer.
Doch zwischen beiden Brüdern war's nicht gut,
Und nicht wie früher hielten sie zusammen,
Der Eine strafte mit des Zornes Flammen,
Der Andre trug's mit stillem Muth.
Er trug's! doch kann die Seele nicht vergessen,
Wie tief der scharfe Dorn gesessen,
Und immer wieder wird sie danach messen.
Denn Worte gibt es, die so giftig ätzen,
Daß sie die Herzen mitverletzen,
Die sie gebrauchen um zu kränken,
Und niemals stirbt ihr Angedenken;
Will Liebe fromm die Spur verwischen,
So drängt ihr Klang sich geisterhaft dazwischen;
Nicht mehr des Friedens können wir uns freuen,
Uns bleibt allein ein bittres Reuen.
Im Spätherbst war's ... doch glühend rief die Sonne
Noch einmal alles auf zu neuer Lebenswonne.
Sich sonnend saß Armin auf dem Gemäuer
Der Treppe, die zum Thal hinunter führte,
Und über ihm erglänzt in rothem Feuer
Die Jungfernrebe, wenn ein Strahl sie rührte.
Wie schön sie ist! doch ach ihr Glanz
Ein Todtenkranz.
Und als ringsum in goldnen Schauern
Die Blatter sinken, faßt ihn Trauern.
Er sah hinunter in das weite Land,
Da war kein Baum, der laublos stand,
Kein welker Fleck, kein dürrer Sand,
Das nicht dies Licht in unbarmherz'ger Klarheit fand.
Doch plötzlich ward sein Blick erhellt,
Vergessen ist das Laub, das sterbend fällt,
Und fröhlich ward für ihn die Welt. –
Simplizitas erscheint! ihr Fuß betritt die Stufen,
Und seine ganze Seele fühlt er nach ihr rufen;
Und wie sie näher kommt und wie sie steigt,
Da ist's, als sei ihm heut sein Herz gezeigt
Im scharfen Strahl, wie dort das Land ... er schweigt,
Er zagt ... welch glühendes Gefühl
Durchdringt ihn heut? – – ihn, der sonst ruhig ist und kühl!
Was hemmt der Seele stürmendes Verlangen,
Sie zärtlich zu empfangen?
Ist er nicht tausend Mal gegangen
Sie liebevoll zu trösten, zu begrüßen?
Doch heute liegt's wie Blei in seinen Füßen.
Wie kommt's, daß heute ihn ihr Blick versehrte,
War er ihr doch ein täglicher Gefährte,
Dem sie den holden Gruß ja nie verwehrte?
Den Blumenstrauß, im Walde noch gefunden,
Den schüttet sie nun lächelnd auf ihn nieder
Und spricht: »Den hab ich dir gebunden;
Du sprachst, im Frühjahr kämen sie erst wieder,
Im Walde standen tausend um mich her,
Ein warmer Strahl! was brauchen sie auch mehr.«
Er sah sie an – sie war so rasch gegangen,
Daß ihre holden Kinderwangen
In frischer Rothe prangen.
Doch an den Augen sieht er hangen,
Von dunkler Wimper aufgefangen,
Zwei lichtbeglänzte Thränenspuren
Wie Thau auf sonnenhellen Fluren.
Warum ergreift ihn heut ihr kindisch Weinen
Und läßt den Bruder doppelt hart erscheinen?
»Du hast geweint?« so fragt er bebend,
Allein sie lacht, ihm fröhlich Antwort gebend:
»Ja wohl, er schalt mich und ich weinte,
Ich glaube kaum, daß er so bös es meinte;
Du weißt, er liebt die Blumen nicht, die kleinen,
Nicht Farben, die so fröhlich scheinen,
Das Lachen nicht, nicht lustige Gesichter,
Doch du, du liebst die Sonnenlichter,
Dir darf ich all die Blüthen schenken,
Die sonst beschämt die Häupter senken.«
Doch als sie ihm der Blumen Fülle
So lieblich bot,
Ist ihm, als hielte sie den Tod,
Wie dort der Herbst in Blättern gelb und roth.
Von seinem Herzen fiel die Hülle,
Es zuckte schmerzlich auf, das arme,
Als drüber strich der Sonnenstrahl, der warme;
Und aus den ungeahnten Tiefen
Erwachten Stimmen, die da riefen,
Du liebst sie! ja du liebst Simplizitas!
Es ist auf dich nicht mehr Verlaß.
Dein Mitleid blieb nicht rein und deine Hand,
Die zitternd nun die Ihre fand,
Kann nie zur Stütze ihr gereichen. –
Simplizitas sieht sein Erbleichen,
Treuherzig und erstaunt blickt sie ihm in die Augen.
»Heut«, sprach sie, »scheinst du auch nicht viel zu taugen,
Komm, lächle nur ein einzig Mal,
Sieh, heute lächelt rings das Thal;
Obgleich gar böse Zeiten kommen,
Ist es noch einmal ganz in Lust entglommen.«
Er aber schwieg und sah den Strahl
Mit seinem Licht ihr Haupt umsäumen,
Und auch die Blumen, die er nahm im Träumen,
Und sah das Land, das dürftige, entlaubte.
Sie sprach: »Ich glaubte,
Du wärst mir gut und hättest Freude gern,
Doch bist du auch von jenen finstren Herrn,
So bleib ich fern.«
Da blickt er nach ihr auf, als wie nach einem Stern
Und rief: »Komm! banne du die bösen Geister,
Daß nicht der Trübsinn werde meiner Seele Meister!
Nie will ich deine Blumen schelten,
Was sollen es die Fröhlichen entgelten,
Daß anderwärts die Freude selten.«
Sie sprach: »Was wollt ihr nur? ist denn die Welt
Zum Jammerthal für uns bestellt.
Ich liebe sie, ich liebe Athmen, Leben,
Glück kann mir schon die kleinste Knospe geben;
O freue dich mit mir, ich lieb auch dich, Armin.«
Da fing er langsam an das Haupt zu heben
Zum Glanz, der sich in ihrem Blick zu fangen schien,
Mag auch die holde Sonne scheiden,
Sie weiß den Abschied selbst in hohe Lust zu kleiden.
Doch in den einsam stillen Stunden,
Da prüft der Arme wie ein Arzt die Wunden,
Um wieder zu gesunden.
Wie kann er sich von seinem Bruder wenden,
Vom Kinde, das er selbst erzogen?
Hat ihn der böse Zauber auch betrogen?
Ihm eine falsche Freundschaft vorgelogen?
Kann so die Liebe für den Theuren enden?
Und doch mit reichgefüllten Händen
Muß er sie anderwärts verschwenden!
Muß fordern fremdes Glück, als Seines,
Als wär es seiner Rechte eines –
Wie kämpft er mit den tückischen Gewalten,
Die ihm den Bruder umgestalten
Und ihm sein liebes Bild vernichten,
Das Heilige, das wir aus Lieb und Treue,
In langen Jahren immerdar auf's Neue
Den Unsrigen errichten –
O wäre sie nicht einsam, nicht verlassen!
Scheint doch Sever sie fast zu hassen,
Hätt er ihr nur ihr Kind zum Schutz gelassen!