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O glücklich alle Mütter, deren Pflichten
An ihres Kindes Seite liegen,
Die nur nach ihm sich dürfen richten,
Es warten dürfen, pflegen, wiegen
Zu ihres Herzens völligem Genügen –
Der blinden Müllerin und ihrer Kleinen
Hat heut Simplizitas ihr Liebstes anbefohlen.
Sie muß das Heu der fernen Wiese holen
Und Futter, wachsend an des Waldes Rainen.
Es schläft, so gern sie's herzt – heut thut sie's nicht;
Liegt doch auf seinem lieblichen Gesicht
Die Thräne noch, weil sie es von sich legen müssen;
Nein, lieber will sie es nie wieder küssen,
Soll es den Kuß mit Kummer büßen?
Ach wie Simplizitas sich trennen mußte!
So trennen tausend Mütter sich in Schmerzen
Von ihren Kleinen, sehn sie kaum
Und dürfen sie kaum herzen. –
Es liegt allein, das Unbewußte,
Oft ganz allein in kaltem Raum;
Des Kindes Freuden lernt es niemals kennen,
Der Mutter Name kaum im Flehen nennen,
Denn sie ist fern und kann ihm nichts hier geben. –
Nichts geben! giebt sie doch ihr Leben!
In Sorgen, die sich stets erneu'n,
In harter Arbeit, schweren Plagen,
Und darf in all den herben Tagen
Sich kaum ein Stündchen ihres Kindes freu'n.
Es ist so still und dämmrig in dem Stübchen,
So recht zum Schlafen für ihr Liebchen.
Die kleinen Sänger schweigen, zugehangen,
Und viele sind der Alten nachgegangen,
Und vieler Lied ist scheu verhallt;
Sie wurden stumm, sie wurden alt.
Die Blinde sitzt am Bett und denkt an ihren Sohn,
Sie nennt den Namen nie und denkt an ihn doch immer,
Doch ihm das Wort zu reden, wagt sie nimmer.
Heut fragt sie ihre Tochter: »Sag, wie geht die Zeit?
Weißt du, welch einen Tag wir haben heut? –«
Das Mädchen nannte ihn – da seufzt die Blinde,
»Das ist der Tag, an dem man ihn befreit –
Ich ahnt es wohl – – ach wär ich nicht so weit!
Ich arme Mutter, fern dem eignen Kinde,
Und blind, daß ich den Weg nicht finde!«
Da wirft das Mädchen sich in ihren Schooß –
»Kommt heut der Bruder wieder los? –
Laß mich ihn suchen, mich dein Auge sein!
Gewiß ich finde ihn, o sag nicht nein!«
Erst zögert sie, – – allein
Des Herzens Sehnsucht ist zu groß.
Sie läßt das Mädchen gehn,
Sie spricht: »O ruf ihn her, kann ich ihn auch nicht sehn,
Möcht er nur einmal noch an meinen Knieen stehn.«
Wie einsam bleibt die Müllerin zurück,
So tiefe dunkle Nacht rings um sie her;
Dem eigenen Geschick traut sie nicht mehr
Und glaubt für sich nicht mehr an Glück.
Sie weiß, es zu erlangen
Ist sie den falschen Pfad gegangen ...
O bitter ist es, wenn die Lebensmüden
Am letzten Ziel nicht finden Frieden,
Wenn sie, trotz ihrer wunden Glieder
Den Weg noch einmal machen möchten,
Den schweren Weg – den einzig rechten, –
Allein umsonst erheben sie sich wieder.
Es ist zu spät, um zu beginnen,
Sie können keinen Tag zurückgewinnen
Und nicht dem selbstgewählten Loos entrinnen.
So saß sie da und starrte in die Weite
Mit ihren Augen, die, in Nacht gefangen,
Sich nach dem Lichte bangen;
Die Sorge und die Reue ihr zur Seite.
Doch athemlos, verstört und bleich
Stürzt jetzt ihr Kind zu ihren Füßen nieder,
Es kann kaum reden, weint zugleich.
»Den Bruder, Mutter, bringt uns Niemand wieder!
Nie wird er uns hinfort begegnen,
Willst du ihn lassen, ohne ihn zu segnen?
In fremde Länder will er gehen
Und nie wirst du ihn wiedersehen!«
»Mein Kind! mein Sohn!« so schrie die Mutter auf,
Und bittre Thränen drangen heiß herauf
Aus ihres Herzens tiefer Wunde.
»Nur heute noch, in dieser Stunde!«
Begann das Mädchen, »bleibt er in der Nähe;
Heut wär es möglich, daß er dich noch sähe. –
Ich bat ihn lange um die kleine Frist,
Denn nicht mehr scheint's, als ob er unser ist;
So wild, so ruhelos blickt er umher,
Sein Auge hart und liebeleer.
Bei deinem Anblick wird sein Herz erwachen!
Er liebte dich, er folgte dir, –
Du konntest, was du wolltest, aus ihm machen;
Vielleicht bleibt er bei uns dann hier!«
Und jedes Wort in ihrer Tochter Jammern
Fand Echo in der Mutter Herzenskammern.
Sie streckt die Hände suchend vor
Nach dem, den sie auf immer jetzt verlor;
Doch wird die Hand ihn nimmermehr erreichen;
Die Wiege faßt sie mit Erbleichen,
Nicht von dem Kinde darf sie weichen. –
Es richtet eben sich empor,
Vom Lärm geweckt, vom Schlaf erquickt
Und hat sie lächelnd angeblickt –
Mit bittrem Tone sprach die Arme:
»Was hilft es, daß ich seiner mich erbarme,
Wie soll ich zu ihm, wie ihn finden
Mit meinen Augen, mit den blinden?
Und beide können wir nicht gehen,
Was würde mit dem Kind geschehen?«
»Wir nehmen's mit«, so bat die Kleine,
»Ich bracht es oftmals schon alleine
Zur Mutter nach dem Wiesenraine.«
»Doch wenn Simplizitas das Kind nicht fände,
Das wär ihr Tod! das wär ihr Ende! –«
So rief die Frau und rang die Hände.
»Die Schenke, bat das Mädchen, liegt nicht weit,
Doch weit die Wiese, wo sie heu't.
Wir kommen wohl noch lange Zeit
Vor ihrer Heimkehr hier zurück;
Sie würde nicht wie du ihr Kind verlassen!
Sie gönnte ihm dies letzte Glück –«
Da sucht die Blinde ihren Rock zu fassen,
Die welken Züge zittern im Erblassen.
»Geh, führ mich hin, den Sohn zu segnen,
Mag was da will indeß begegnen!«