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39. Kapitel

Gregor Orloff war unmittelbar von der Kaiserin nach seinem Sommerschloß Gatschina gefahren; er hatte seinen Kutscher zur höchsten Eile angetrieben und legte den Weg von einigen Meilen mit den schnellen Pferden, welche Herr Firulkin ihm ausgesucht hatte, in einer unglaublich kurzen Zeit zurück.

Das Schloß war bereits hell erleuchtet, als er mit den schaumbedeckten Pferden durch das Gittertor des Hofes einfuhr; denn er hatte für diesen Abend eine Anzahl von Offizieren der Garde zum Souper eingeladen, wie er es in der letzten Zeit fast täglich zu tun pflegte, teils um seine Aufregung in der lustigen Gesellschaft zu betäuben, teils um die Offiziere der Garderegimenter an sich zu fesseln, da er es erprobt hatte und genau wußte, welche Macht die günstige Stimmung der Truppen in der Residenz für den Notfall in seine Hände legen konnte.

Die Zeit hatte seinen Zorn noch nicht besänftigt, sein kochendes Blut war durch die schnelle Fahrt vielmehr noch wilder erregt worden. Er stürmte in sein Zimmer, ließ sich einen großen, silbernen Humpen voll eiskalten Champagners und eine Karaffe voll Arrak bringen und schlürfte dieses scheinbar kühlende Getränk in mächtigen Zügen, das die in seinem Innern lodernde Glut immer mehr anfachte.

Er befahl, ihm sogleich zu melden, wenn die eingeladenen Gäste ankommen würden und blieb allein in seinem Zimmer, bald mit großen Schritten auf und nieder stürmend, hier und da mit wuchtigem Faustschlag eine Vase zu Boden schleudernd oder einen Spiegel zertrümmernd, bald wieder ermattet auf ein Ruhebett niedersinkend, immerfort aber in abgebrochenen, unzusammenhängend herausgestoßenen Worten mit sich selbst sprechend und in furchtbaren Verwünschungen seinem Grimm Luft machend.

Lange schienen seine Gedanken sich nicht zu geordneter Klarheit fügen zu wollen. Endlich aber, nachdem er eine Zeitlang ruhig und schweigend, nur schwere Atemzüge aus seiner keuchenden Brust hervorstoßend, auf seinem Diwan dagelegen hatte, sprang er auf und rief:

»Ja, so soll es sein, das wird gelingen, das ist ein Schlag, der treffen muß, wenn er klug vorbereitet wird! Und ich werde klug sein, ich werde vorsichtig sein, bis ich die Rache in meiner Hand halte. Ja,« fuhr er fort, »ich bin meiner Sache gewiß; schon habe ich durch die Offiziere, die mir anhängen, in allen Regimentern Unwillen und Haß gegen diesen verfluchten Potemkin gesät, der sich im Palast unter dem Schutz der Kaiserin verbirgt und Ehre und Gunst denen vorweg nimmt, die durch ihren schweren Dienst den ersten Anspruch darauf haben. Ja, ich werde sie dazu bringen, daß sie alle in einer gemeinsamen Bitte die Entfernung dieses Feiglings verlangen, der von mir einen Stockschlag in das Gesicht erhalten und noch nichts getan hat, um für diese Schmach Rechenschaft zu fordern. Ich habe das Gerücht verbreitet, daß die Kaiserin seiner überdrüssig ist, und das wird auch die Zögernden und Furchtsamen bestimmen, sich der Bitte anzuschließen, und dann, dann ist der Augenblick gekommen, wo sie meine Macht fühlen wird. Gibt sie der Forderung nach, dann ist sie vernichtet und auch ihre übermütige Selbstherrlichkeit hat einen schweren Stoß erhalten; antwortet sie mit einer Weigerung, dann stehe ich hier an der Spitze der Garden als der Vertreter der militärischen Ehre ihr gegenüber; und dann – nun«, rief er mit wild blitzenden Augen, »dann mag sie empfinden, wie es tut, wieder auf dem Weg herabzusteigen, auf dem ich sie einst zum Thron hinaufführte. Sie hat mir hochmütig ihre Hand versagt, vielleicht bedarf ich derselben nicht, um das höchste Ziel zu erreichen, vielleicht kann ich die Freiheit bewahren und dennoch die Krone gewinnen!«

Seine mächtige Brust dehnte sich weit aus, er hob die Arme empor, als ob er schon das schimmernde Ziel seiner ehrgeizigen Träume über seinem Haupte schweben sehe; dann füllte er seinen Kelch von neuem und leerte ihn in durstigem Zuge.

Hufschläge ließen sich auf dem Pflaster des Hofes vernehmen.

»Ah,« sagte Orloff lauschend, »sie kommen; ans Werk denn! Sie hat den Kampf gewollt, indem sie mir diese tückische Falle stellte; sie soll ihn haben, sie soll empfinden, was es heißt, Gregor Orloff zum Feinde zu haben, dessen Arm sie aus dem Staub emporgehoben hat!«

Der Kammerdiener trat ein und meldete, daß die ersten Gäste angekommen seien; aber kaum hatte er diese Meldung gemacht, als der Graf Alexis Orloff ihn, schnell eintretend, zurückdrängte und die Tür fest hinter sich verschloß.

»Ah, du bist da, mein Bruder!« rief Gregor. »Das ist recht, daß du kommst; du kannst mir helfen in meinem Vorhaben, du wirst dich überzeugen, daß auch ich gute Pläne zu fassen und auszuführen verstehe; doch du bist erregt, dein Gesicht glüht. Hast du es schon gehört, was man gegen mich gewagt hat?«

»Ich habe nur gehört,« erwiderte Alexis mit gedämpfter Stimme, »daß eine heftige Szene im Palais stattgefunden, daß du im Zorn davongestürmt seist; und dann, mein Bruder, habe ich noch Ernsteres gehört: Tschernitschew ist lange bei der Kaiserin gewesen, die Wachen im Palais sind verdoppelt, die Truppen sind in den Kasernen konsigniert.«

»Ah,« rief Gregor Orloff, »sie fürchtet sich also, und in der Verblendung ihrer Furcht tut sie gerade das, was meinem Plan günstig ist!«

»Und was willst du tun? – Ich beschwöre dich, sage mir alles«, rief Alexis; »von den nächsten Stunden hängt vielleicht unser aller Schicksal ab!«

»Ja,« erwiderte Gregor, »du hast recht; unser Schicksal hängt von den nächsten Stunden und von unserem Mut und unserer Willenskraft ab. Sie haben es gewagt, mich – hörst du wohl – mich, den Feldzeugmeister, den Fürsten des römischen Reiches, mit unverschämten Fragen in das Verhör des Rebellen Pugatschew hineinzuziehen, und das in Gegenwart jenes elenden Potemkin, der mit ihr, der Undankbaren, der Verräterin, hinter einem Vorhang versteckt war!«

»Oh,« sagte Alexis, den Kopf senkend, »wenn sie das gewagt haben, werden sie auch mehr wagen.«

»Sie möchten es wohl«, rief Gregor hohnlachend; »aber darum müssen wir ihnen zuvorkommen!«

Mit kurzen Worten teilte er seinem Bruder den von ihm gefaßten Plan mit, während man immer von neuem Pferdegetrappel und Wagengerassel vom Hofe heraufschallen hörte.

»Hörst du wohl, sie kommen!« rief er. »Sie alle sind mir ergeben; das Feuer meiner Weine wird das übrige tun, und ehe der Morgen anbricht, wird die gebieterische Forderung der Truppen, welche die Stadt beherrschen, sie zwingen, ihren geheimen, tückischen Galan preiszugeben!«

»Du rasest, mein Bruder!« sagte Alexis. »Was gegen Peter Feodorowitsch möglich war, können wir heute nicht mehr ausführen, wir werden die Truppen nicht zu solchem Wagnis gewinnen; die Macht der Kaiserin steht fester als jene Peter des Dritten und der siegreiche Romanzow, dem das ganze Volk zujubelt, ist ihr ergeben!«

»Romanzow!?« rief Gregor achselzuckend. »Er steht weit unten an der Donau und sie ist hier in unseren Händen –«

»Oder wir in den ihren!« sagte Alexis. »Ich beschwöre dich, mein Bruder, gib diesen wahnsinnigen Plan auf; folge meinem Rat, fahre sogleich nach Petersburg zurück, geh' zur Kaiserin, noch wird sie es nicht wagen, dich zurückzuweisen, unterwirf dich ihr; die Erinnerung und die Dankbarkeit, die sie noch immer bewiesen hat, werden mächtig genug sein, sie alles vergessen zu lassen. Auch du hast unrecht gegen sie gehabt; glaube mir, ich sehe klarer als du, dein trotziger Sinn verblendet dich! Unterwirf dich ihr und wäre es nur in dem Gedanken, deine Zeit abzuwarten.«

»Niemals,« rief Gregor wild auffahrend, »niemals! Du täuschest dich; komm mit mir, du selbst wirst dich überzeugen, welche Macht hinter mir steht und wie töricht ich wäre, wenn ich sie nicht in diesem Augenblick gebrauchte, um mit einem einzigen geschickten und kräftigen Schlag alle boshaften Ränke niederzuschmettern!«

Vergebens suchte Alexis ihn zurückzuhalten. Er stürmte aus dem Zimmer fort und beide betraten wenige Augenblicke später eine glänzend erleuchtete Galerie, welche an den Speisesaal stieß und in welcher bereits zahlreiche Offiziere von allen Garderegimentern versammelt waren.

Mit lautem Hurrarufen wurde der Fürst begrüßt; er drückte den Nächststehenden die Hand und führte dann die ganze lachende, fröhliche und sporenklirrende Gesellschaft in den Speisesaal, wo man sich sogleich an der reichgedeckten Tafel niederließ.

Gregor Orloff schien vollkommen ruhig und heiter, nur seine Hände zitterten in nervöser Unruhe und seine Blicke schweiften unstet umher, während er bald dem einen, bald dem anderen der Offiziere zutrank. Unablässig winkte er den Lakaien, die Gläser wieder zu füllen.

Noch war kaum eine halbe Stunde vergangen, als die ganze Gesellschaft sich in einer hoch angeregten Stimmung befand. Der Fürst brachte das Gespräch auf die siegreiche Armee Romanzows; er leerte unter jubelnden Zurufen sein Glas auf das Wohl der tapferen Kameraden, welche die Türken geschlagen, und rief dann wie von plötzlichem Unwillen erfaßt:

»Ist es nicht eine Schmach, daß, während die Türken vor den russischen Fahnen zerstäubt sind, während ganz Europa vor unseren Waffen zittert, ein Adjutant an der Seite unserer erhabenen Kaiserin unsere Uniform erniedrigt, den ich mit einem Billardstock gezüchtigt habe wie einen Schulbuben?!«

Eine tiefe Stille trat ein. Alle erschraken bei diesen Worten. Bald aber ließen sich hier und da zustimmende Rufe vernehmen und schnell wurden die Äußerungen des Unwillens gegen Potemkin immer lauter.

Alexis, der neben seinem Bruder saß, legte die Hand auf dessen Arm und suchte ihn zurückzuhalten.

Orloff aber stürzte noch einen großen Kelch schweren Rheinweins hinunter und rief:

»Ja, meine Freunde und Kameraden, es ist in der Tat eine Schmach, daß ein solcher Mensch noch die Uniform der russischen Armee trägt, und es ist nur die Güte und der Großmut unserer Kaiserin,« sagte er mit einem Klang bitteren Hohnes, »welche ihn noch in seiner Stellung erhält; aber auch diese edle Eigenschaft des Mitleids wird in ihrem Übermaß zum Verbrechen an der Ehre der russischen Waffen, die eben neue, herrliche Lorbeeren erkämpft haben. An uns ist es, der Kaiserin zu dem Entschluß zu helfen, den ihr gutes Herz ihr so schwer macht; an uns ist es, an allen euren Kameraden von den Garderegimentern im Namen der ganzen Armee die Bitte auszusprechen, daß sie jenen Potemkin entlassen möge, da er unwürdig sei, die russische Uniform zu tragen!«

»Ja, ja, so ist es!« riefen einige der jüngeren Offiziere, welche sich der besonderen Gunst des Feldzeugmeisters erfreuten. »Wir müssen von der Kaiserin verlangen, daß sie den entehrten General entlasse; sie hat nicht das Recht, ihrer Armee eine solche Schmach anzutun!«

»Ich wußte es,« rief Orloff, »daß ihr alle denken und fühlen würdet wie ich. Sogleich wollen wir die Bitte an die Kaiserin aufsetzen, ihr alle sollt sie unterzeichnen, diese Nacht noch soll sie unter allen euren Kameraden verbreitet werden; auch den Soldaten sollt ihr ihren Inhalt mitteilen und in der nächsten Morgenfrühe soll eine Deputation der ganzen Garde der Kaiserin die Bitte ihrer getreuen Regimenter überbringen, denen die ganze Armee Dank wissen wird!«

Er ließ Papier und Schreibzeug herbeibringen und schrieb hastig eine kurze, gebieterische, in fast drohenden Worten gehaltene Erklärung nieder, welche er sodann zur Unterschrift dem Nächstsitzenden gab, der das Papier dann wiederum den anderen, immer lauter sprechenden und immer schärfer trinkenden Gästen weiter reichte.

Alexis hatte vergebens nochmals seinen Bruder zurückzuhalten versucht; trübe und nachdenkend saß er unter der lärmenden Gesellschaft da, von welcher sich keiner auszuschließen wagte, obgleich manchem trotz des Genusses der starken Weine dennoch die Hand zitterte, während er seinen Namen unter das Dokument setzte.

Plötzlich aber fuhr er lauschend auf. Trotz der lärmenden Stimmen im Speisesaale hatte er den Klang von Pferdehufen und von klirrenden Waffen im Hof vernommen; er sprang auf und drängte sich durch die Gruppen zu einem Fenster hin; aber kaum hatte er die Vorhänge auseinander geschlagen und einen Blick durch die Scheiben in den Hof geworfen, als er erbleichend zurückfuhr.

Im nächsten Augenblick war er zu einer Gruppe von Offizieren hingeeilt, welche gerade an einer Ecke des Tisches das verhängnisvolle Papier unterzeichneten, indem einer dem anderen die Feder hinreichte. Er zog das Papier gewaltsam unter den Händen des Unterzeichnenden fort, zerriß es in kleine Stücke und warf dieselben nach allen Seiten auseinander.

»Alexis,« rief Gregor, starr vor Erstaunen und Zorn, »was tust du da? Du willst den Elenden verteidigen, du willst dich der ganzen Armee entgegenstellen, welche für ihre Ehre eintritt? – Er ist toll, drängt ihn zurück; gebt mir ein anderes Blatt, und wenn er nicht gehorcht, sperrt ihn ein; ich befehle es, ihn zu verhaften, ich, der Feldzeugmeister, der erste General des Reiches!«

Eine peinliche Stille trat ein, erschrocken standen die Offiziere umher. Der Großadmiral war fast ebenso gefürchtet wie sein Bruder; niemand wagte, in diesem Streit Partei zu nehmen.

»Ergreift ihn,« brüllte Gregor, »bindet ihn, er ist wahnsinnig; man muß ihn unschädlich machen zu seiner eigenen Rettung!«

»Denke an deine Rettung, mein Bruder, wenn es noch Zeit ist,« sagte Alexis traurig, indem er die Hand nach der Tür ausstreckte.

Aller Blicke wendeten sich dorthin. Die Tür hatte sich geöffnet. Graf Tschernitschew in großer Uniform trat ein.

Auch Gregor Orloff hatte sich der Tür zugewendet; ein maßloses Erstaunen zeigte sich in seinem Gesicht.

»Was führt Euch hierher, Graf Sachar Gregorjewitsch,« fragte er, »zu so später Stunde? Seid willkommen und nehmt Platz an meiner Tafel; ich habe Euch nicht eingeladen, weil ich nicht wußte, daß ich Euch zu meinen Freunden rechnen dürfte. Ihr habt eine Bedeckung mitgenommen auf Eurem nächtlichen Wege«, fügte er, erbleichend, mit dumpfer Stimme hinzu, indem er auf die geschlossenen Glieder der Grenadiere deutete; »aber was sollen die Soldaten in meinem Hause? Ich bedarf keiner Wache, ich bin sicher genug unter meinen tapferen Freunden.«

Graf Tschernitschew grüßte kalt und stolz und antwortete unter atemlosem Schweigen der ganzen Versammlung:

»Ich komme nicht, Eure Gastfreundschaft zu suchen, Fürst Gregor Gregorjewitsch; ich bin hier, um Euch einen Befehl der Kaiserin, unserer allergnädigsten Gebieterin, mitzuteilen, und jene Soldaten stehen hinter mir, wie es sich ziemt, da ich die Ehre habe, im Namen und Auftrag der ruhmreichen Herrin des russischen Reiches und Heeres zu sprechen.«

»Ah,« sagte Orloff mit wild drohendem Lachen, »die Kaiserin hat einen sonderbaren Boten gewählt, um mir ihre Wünsche aussprechen zu lassen, die ich sonst auf anderem Wege zu erfahren gewöhnt war; doch redet!«

»Meine Botschaft ist nur für Euch allein«, sagte Graf Tschernitschew mit einem Blick auf die Offiziere, welche sich ängstlich an dem einen Ende des Saales zusammengedrängt hatten. Einige von ihnen hatten durch die Fenster hinabgeblickt und mit Entsetzen gesehen, daß der ganze Hof von Grenadieren zu Pferde besetzt war.

»Redet!« rief Orloff. »Was die Kaiserin mir durch Euch zu sagen hat, können meine Freunde hören!«

»Ihr wollt es!« sagte Tschernitschew kalt und ruhig. »Nun denn, die Kaiserin will, daß Ihr allen Euren Ämtern und Würden im Reich und am Hof entsagt, da Ihr dieselben nicht zu ihrer Zufriedenheit geführt; hier ist das Schreiben, das die von Euch geforderte Erklärung enthält. Ich bitte Euch, dasselbe zu unterzeichnen, damit ich es sogleich in die Hände Ihrer Majestät legen kann.«

Sprachlos und zitternd standen die Offiziere da. Alexis ließ traurig das Haupt auf die Brust sinken.

Gregor wurde bleich wie der Tod, dann aber schoß ein Blutstrom in sein Gesicht, ein Schwindel schien ihn zu erfassen; er taumelte einige Schritte rückwärts, sogleich aber richtete er sich wieder drohend auf. Er schleuderte den Kelch, den er noch in seiner Hand hielt, vor Tschernitschews Füßen klirrend auf den Boden nieder, und rief mit einer Stimme, welche schauerlich durch die tiefe Stille im Saale klang:

»Das wagt Ihr mir zu sagen in meinem Hause, Verwegener? So wagst du heute zu mir zu sprechen, du, den ich gestern noch in meiner Hand zerdrücken und unter meinen Füßen zertreten konnte wie einen Wurm? Hört ihr's alle, meine Freunde, welche schmachvollen Ränke geübt werden sollen von jenem elenden Potemkin gegen euren Feldzeugmeister? Kommt heran, schart euch um mich, zur Kaiserin geht unser Weg; sie soll die Sprache des Stolzes und der Ehre hören; sie soll uns den Elenden ausliefern, der ihren Namen mißbraucht, um Gericht über ihn zu halten, wie er es verdient!«

Tschernitschew winkte den Grenadieren auf dem Korridor, diese traten bis zur Schwelle des Saales heran und streckten die auf ihren Karabinern aufgepflanzten Bajonette vor. Die Stille im Saal wurde noch tiefer; alle kurz vorher noch so lärmenden und aufgeregten Offiziere standen bleich und in dienstlicher Haltung da, kein Muskel ihres Gesichts regte sich.

»Ich bedaure, meine Herren,« sagte Tschernitschew, »daß ich Ihr Souper habe unterbrechen müssen; Sie sehen, daß hier nichts mehr für Sie zu tun ist, und ich bitte Sie, sich sogleich nach Ihren Kasernen zurückzubegeben!«

Die Offiziere verließen einer nach dem andern, den Kriegsminister militärisch grüßend, den Saal; die Wachen an der Tür ließen sie ungehindert hinausgehen und bald war der letzte von den Gästen dieses verhängnisvollen Abends verschwunden, ohne daß auch nur einer es gewagt hätte, seinem Wirt ein Wort des Abschiedes zu sagen.

»Die Elenden,« rief Gregor, »die Elenden, sie verlassen mich, sie beugen sich unter die Sklavenpeitsche in der Hand dieses treulosen Weibes, sie verdienen nichts anderes! O mein Gott, warum bin ich der einzige Mann in Rußland!?«

Eine furchtbare Wut erfaßte ihn; er zerriß sein Kleid in Fetzen und zerwühlte sein Haar, indem er, hin und her stürmend, gräßliche Verwünschungen ausstieß.

Tschernitschew betrachtete ruhig diesen Paroxismus. Alexis versuchte seinen Bruder zu besänftigen und drückte den Tobenden endlich, mit seiner gewaltigen Kraft ihn überwältigend, auf einen Stuhl nieder.

Der Wutausbruch schien Gregors Kräfte erschöpft zu haben; er brach zusammen, stützte den Kopf in die Hände und dann begann er laut zu schluchzen.

Es war ein trauriger, peinvoller Anblick, diesen stolzen, hochfahrenden, auf seine Kraft trotzenden Mann jammern und weinen zu sehen wie ein schwaches Kind.

»Gehorche, mein Bruder, gehorche,« sagte Alexis, »wie es die Notwendigkeit gebietet und wie es deine Pflicht als Untertan verlangt, damit du nicht durch Ungehorsam und Widerstand dem harten Befehl der Kaiserin recht gibst zur Freude deiner Feinde. Unterschreibe,« fuhr er fort, indem er das Papier aus Tschernitschews Händen nahm und es vor Gregor auf den Tisch legte, »unterschreibe, was die Kaiserin verlangt; Ihre Majestät ist zu erleuchtet und zu gerecht, um nicht dennoch endlich deine Unschuld zu erkennen.«

Er reichte seinem Bruder die Feder, welche bestimmt gewesen war, die hochmütige, aufrührerische Forderung der Offiziere zu unterzeichnen, und Gregor schrieb willenlos mit zitternder Hand seinen Namen unter das Papier; dann ließ er abermals den Kopf matt auf seinen Arm niedersinken und man hörte nur das leise Wimmern und Schluchzen aus seiner schwer arbeitenden Brust.

»Hier, Graf Sachar Gregorjewitsch,« sagte Alexis, indem er Tschernitschew das Papier reichte, »nehmen Sie das Entlassungsgesuch meines Bruders, die Kaiserin kann über seine Würden verfügen; möge sie die Dienste nicht vergessen, welche sie einst so hoch anerkannt.«

»Würde Ihre Majestät sich dieser Dienste nicht erinnern,« erwiderte Graf Tschernitschew, indem er das Papier in seine Uniform steckte, »so würde sie wahrlich nicht diesen milden und rücksichtsvollen Weg gewählt haben, um sich und das Reich vor dem Mißbrauch der zu hoch angewachsenen Macht eines Untertanen zu schützen.«

»Und wohin haben Sie Befehl, meinen Bruder zu führen?« fragte Alexis.

»Mein Auftrag ist zu Ende«, sagte Tschernitschew. »Wohl glaubt die Kaiserin, daß es den Wünschen Ihres Bruders entsprechend und seiner persönlichen Würde geziemend sein würde, wenn er auf eine Zeitlang in das Ausland reisen wollte, und die Gesandten Rußlands werden Befehl erhalten, ihn an den Höfen Europas mit aller seinem Rang und seinen früheren Verdiensten gebührenden Aufmerksamkeit zu empfangen; doch will Ihre Majestät auch in dieser Beziehung keinen bestimmten Befehl aussprechen, der dem freien Entschluß des Fürsten Zwang antun könnte, dem die äußeren Ehren aller seiner bisherigen Ämter und Würden ungeschmälert verbleiben sollen.«

Alexis sah ihn erstaunt an.

»Sie fühlt sich stark, bei Gott!« flüsterte er leise vor sich hin. »Sie ist stark, da sie durch einen Federzug Gregor Orloff zu beseitigen vermochte! – Und für mich habt Ihr keine Befehle?« fragte er dann.

»Durchaus keine!« erwiderte Graf Tschernitschew verbindlich. »Ich bin gewiß, daß Ihre Majestät glücklich sein wird, die so ausgezeichneten und erfolgreichen Dienste ihres Großadmirals sich für lange Zeit zu erhalten!«

»Sie ist stark; in der Tat, sie ist sehr stark,« flüsterte Alexis, »stärker als Peter der Große!«

»So erlaubt Ihr, daß ich hier bleibe,« sagte er dann, »um für meinen Bruder zu sorgen, der, wie Ihr seht, der Pflege bedarf?«

»Ihr werdet tun, was Euch gefällt, Graf Alexis Gregorjewitsch. Lebt wohl; ich muß eilen, um zur Kaiserin zurückzukehren.«

»Und jene Soldaten?« fragte Alexis.

»Sie begleiten mich und kehren nach ihrer Kaserne zurück; hier sind sie überflüssig, da der Befehl Ihrer Majestät den schuldigen Gehorsam gefunden.«

Tschernitschew grüßte verbindlich und stieg, von den Soldaten gefolgt, die Treppe hinab.

Wenige Augenblicke später ritt er, von den Grenadieren gefolgt, zum Hoftor hinaus, um in scharfem Trab nach Petersburg zurückzukehren, während in dem einsamen, stillen Schloß der Graf Alexis seinen Bruder von Dienern in sein Schlafgemach tragen ließ, wo er seinen Platz neben dem Lager des bald in den Schlummer der Erschöpfung Versinkenden einnahm und einen Eilboten nach der Stadt sendete, um dessen Leibarzt holen zu lassen.


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