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24. Kapitel

Adeline hatte nach dem verhängnisvollen Morgen, der ihr so erschütternde Ereignisse gebracht und eine ganz neue Gefahr drohend vor ihr aufsteigen ließ, in banger Sorge nach einem Rettungswege aus all diesen Wirrnissen gesucht, in deren Fäden sie sich eingeschlossen fand wie eine wehrlose Fliege im Netz der Spinne. Wohl hatte sie daran gedacht, sich an die Kaiserin zu wenden, ihr alles mitzuteilen und sie um ihren Schutz anzuflehen, aber wie sollte sie das möglich machen, wie sollte sie die Gelegenheit finden, die Kaiserin zu sprechen, wenn diese nicht zufällig wieder auf die Bühne kam und selbst die Schauspieler aufsuchte? Eine Bitte um Audienz wäre gewiß gar nicht in die Hände der Kaiserin gekommen; sie hätte mitten in der Vorstellung die Gnade Ihrer Majestät anrufen müssen, um sich Gehör zu verschaffen, und ein so außerordentlicher, das höchste Aufsehen erregender Schritt hätte die Kaiserin in die Lage versetzt, zwischen dem höchsten Würdenträger des Reiches, ihrem langjährigen Günstling, dem sie den Thron verdankte, und einer unbedeutenden fremden Schauspielerin zu entscheiden. Würde die Kaiserin dann nicht das arme Mädchen, das ihr so gar nichts bedeutete, dem hohen und mächtigen Würdenträger ihres Reiches schon um des äußeren Scheines vor der Welt willen geopfert haben! Und welche Anklage könnte sie gegen den Fürsten erheben? Er war bei ihr gewesen; aber Katharina selbst hatte ihn ja beauftragt, ihr seinen Schutz zu gewähren und die Angelegenheit ihres Geliebten zu untersuchen; er hatte ihr einen kostbaren Ring geschenkt, aber was bedeutete das bei einem Manne von Orloffs Reichtum mehr als eine kleine Aufmerksamkeit, die er dem Schützling der Kaiserin selbst erwies? Es lag keine Tatsache vor, welche eine Anklage gegen den Fürsten vor der Kaiserin begründen konnte, und die Gedanken, welche sie mit so qualvoller Angst erfüllten, waren ja hauptsächlich durch die Blicke und halben Worte des Fürsten sowie durch die Bemerkungen ihrer Mutter und Firulkins entstanden. So sehr sie diese Befürchtungen auch für begründet hielt, so wenig vermochte sie dieselben vor der Kaiserin zu beweisen, und selbst wenn sie bei Ihrer Majestät Gehör erlangte, so mußte, wie die Sache jetzt stand, der Fürst völlig gerechtfertigt vor einer Nachfrage der Kaiserin dastehen. Die Ungnade Ihrer Majestät war ihr dann gewiß, der Fürst mußte ihr bitterer Feind werden, und seine Rache würde sie und vor allem ihren Geliebten, der sich noch mehr als sie selbst ganz in seiner Gewalt befand, vernichtend treffen. Der Versuch eines solchen Rettungsweges würde also noch verderblicher für sie geworden sein als die verhängnisvoll drohende Gefahr selbst.

Sie gab daher den Gedanken daran vollständig auf, aber dennoch mußte sie um jeden Preis einen Weg der Rettung finden; denn wenn sie hier in einem fremden Lande eingeschlossen blieb zwischen den Absichten, welche sie mit erschreckender Deutlichkeit in Orloffs Blicken gelesen, der dienstfertigen Bereitwilligkeit, mit welcher ihre Mutter diesen Absichten entgegenzukommen geneigt war, und der rachsüchtigen Wut des alten Firulkin, so blieb ihr nur ein Ausweg übrig, und das war die Flucht aus diesem entsetzlichen Lande, in welchem sie hilflos der Willkür einer unumschränkten, rücksichtslosen Macht preisgegeben war. Gelang es ihr, mit ihrem Geliebten über die russische Grenze zu entkommen, so fand sie die Sicherheit und das Glück; sie fürchtete die Armut nicht; zwei junge, liebende und mutige Herzen würden ja die Kraft finden, sich einen Platz in der Welt zu schaffen, und Orloffs Diamant gab ihnen ja die Mittel, der ersten Not zu begegnen. Das junge Mädchen dachte kaum an die Schwierigkeiten und Gefahren, welche sich der Flucht eines Offiziers über die russische Grenze entgegenstellten; die Jugend und die Liebe sind ja so reich an Hoffnung und Vertrauen und so bereit, an schützende Engel zu glauben.

Sie blieb also bei der Flucht, als dem einzigen Rettungsweg, stehen; der feste Entschluß gab ihr neuen Mut und neue Kraft. Sie schrieb an Mirowitsch einen langen Brief, in welchem sie ihm offen alles Geschehene und all ihre angstvollen Befürchtungen mitteilte; sie bat ihn, zu glauben, daß eine schnelle Flucht allein die Rettung aus so vielen, von allen Seiten drohenden Gefahren bringen könne, und beschwor ihm bei ihrer Liebe, alle anderen Gedanken und Pläne für ihre Zukunft aufzugeben und alles aufzubieten, um eine schnelle Flucht möglich zu machen, zu der sie in jeder Stunde bereit sei, sobald er seine Vorbereitungen getroffen haben werde, indem sie ihm zugleich mitteilte, daß er sich um ihre künftige Existenz keine Sorge machen möge, da sie in der Lage sei, die Mittel dazu schaffen zu können, sobald sie nur erst jenseits der Grenze sich in Sicherheit befänden.

Mit Ungeduld erwartete sie Uschakoffs Besuch, um demselben die Botschaft an ihren Geliebten mitgeben zu können, und die Reden ihrer Mutter, welche nicht müde wurde, von den glänzenden Hoffnungen zu sprechen, die sie an den Besuch des Fürsten Orloff knüpfte, bestärkten sie immer mehr in ihrem Entschluß.

Endlich erschien Uschakoff wie gewöhnlich zu einem kurzen Besuch und drückte Adeline ein Billett ihres Geliebten in die Hand.

Madame Lemaitre empfing Uschakoff, dessen Besuche sie bisher mit Rücksicht auf die Kaiserin zwar innerlich widerstrebend, aber doch mit höflicher Zurückhaltung geduldet hatte, diesmal außerordentlich schlecht. Mit hochmütiger Kälte erklärte sie, daß die wiederholten Besuche eines jungen Offiziers bei ihrer Tochter dem Ruf derselben nachteilig wären und daß sie ihn deshalb bitten müßte, dieselben einzustellen. Da die Kaiserin befohlen habe, die Angelegenheit des Leutnants Mirowitsch noch einmal zu untersuchen, so wolle sie zwar keinen Druck auf den Entschluß ihrer Tochter ausüben, sie glaube indessen nicht, daß deren hochfliegende Hoffnungen sich erfüllen würden, und müsse, bis die Sache entschieden sei, jeden Verkehr des Leutnants mit Adeline abbrechen. Herr Firulkin sei zwar, wie sie sich überzeugt habe, durchaus kein Mann für ihre Tochter, aber diese müsse sich doch immerhin eine ehrenvolle und sichere Versorgung offenhalten und dürfe sich nicht wegen der zweifelhaften Hoffnungen des Leutnants Mirowitsch für die Zukunft kompromittieren.

Uschakoff war ein wenig erstaunt über diese plötzliche Veränderung in dem Benehmen der Madame Lemaitre; aber Adeline hatte bereits Gelegenheit gefunden, ihm zuzuflüstern, daß er sie um jeden Preis am Ausgang des Theaters erwarten möge.

So empfahl er sich denn, ohne auf die unfreundlichen und verletzenden Bemerkungen der Alten etwas zu erwidern, und fand sich zur Stunde der Beendigung der Probe pünktlich am Ausgange des kaiserlichen Hoftheaters ein, wo ihn Adeline schnell aus dem Kreise ihrer Kolleginnen fortführte und ihm den bereitgehaltenen Brief an Mirowitsch übergab. Da sie Uschakoff in gläubigem Vertrauen für einen zuverlässigen Freund ihres Geliebten hielt, so teilte sie ihm mit flüchtigen Andeutungen zitternd und errötend ihre Befürchtungen mit und beschwor ihn, daß er auch seinerseits alles aufbieten möge, um Mirowitsch von der Notwendigkeit einer Flucht zu überzeugen, und daß er ihm behilflich sein möge, die Mittel zur Ausführung derselben so schnell als möglich zu finden. Sie bat ihn, nicht mehr nach ihrer Wohnung zu kommen, sondern ihr stets nur hier vor dem Theater zu begegnen; sie werde ihrerseits bereit sein und Mittel finden, um an jedem ihr bestimmten Ort mit Mirowitsch zusammenzutreffen.

Schnell eilte sie dann davon; die Gefahr hatte ihr Mißtrauen erweckt, sie fürchtete, daß ihre Unterredung mit Uschakoff beobachtet werden könnte. Und in der Tat war dieselbe auch beobachtet worden, denn sowohl einer der Besucher des französischen Gelehrten als einer der jungen Studenten waren, unbefangen unter der Straßenbevölkerung heranschlendernd, dem Offizier gefolgt und bewegten sich auch in seiner Nähe, als er mit Fräulein Adeline sprach.

Uschakoff begab sich, nachdem er sich von dem jungen Mädchen getrennt hatte, in die Kaserne der Gardeartillerie, wo er über eine Stunde in dem Zimmer des Leutnants Tschewaridew blieb.

Es konnte niemand auffallen, daß während Uschakoffs Besuch nacheinander eine ganze Reihe von anderen Artillerieoffizieren das Zimmer ihres Kameraden besuchte und dort eine Zeitlang bei einem Glas Branntwein mit Uschakoff plaudernd sich aufhielten.

Es wäre unmöglich gewesen, in dem unbefangenen und heiteren Verkehr der jungen Leute irgendein außerhalb der kameradschaftlichen Geselligkeit liegendes Motiv zu suchen.

Eine Stunde später stand Uschakoff in dem Marmorpalais vor dem Fürsten Orloff.

»Alles ist vorbereitet und zur Ausführung reif«, schloß er seinen Bericht, welchen der Fürst aufmerksam angehört hatte; »der größte Teil der Offiziere der Artilleriekaserne ist gewonnen, die Mannschaften folgen blindlings ihrem Führer, und die Nichteingeweihten werden im entscheidenden Moment verhaftet werden; ebenso ist ein großer Teil der Mannschaften von Schlüsselburg bereit, mit Mirowitsch alles zu wagen, um den angeblichen Befehl des Senates, den er den Leuten gezeigt hat, auszuführen. Tschewaridew ist in jeder Nacht darauf vorbereitet, Mirowitsch mit dem entführten Gefangenen aufzunehmen, und man wartet nur auf das Verschwinden des Mondes, der sich schon dem letzten Viertel nähert, um das Wagnis auszuführen.«

»Gut, gut,« sagte Orloff, indem er sich zufrieden die Hände rieb, »alles geht vortrefflich; ich bin mit dir zufrieden. Die Maschine arbeitet ganz nach Wunsch, und wenn sie ihren Zweck erfüllt hat, so sollst du mit deiner Belohnung zufrieden sein.«

»Ich wage auszusprechen,« sagte Uschakoff ein wenig zögernd, »daß ich es nicht vermag, Eurer Durchlaucht Absicht zu verstehen.«

»Ist das deine Sache?« fragte Orloff hochmütig. »Begreift das Rad die Absicht des Meisters, in dessen Uhrwerk es mitwirkt?«

»Und doch«, fuhr Uschakoff fort, »kann ich eine bange Besorgnis bei so hochgefährlichem Spiel nicht unterdrücken. Wenn der Anschlag dennoch gelänge, wenn Iwan wirklich nach Petersburg gelangte, wenn die Artillerie dennoch imstande wäre, andere Regimenter mit sich fortzureißen; ich schaudere bei dem Gedanken an die Folgen einer solchen Möglichkeit.«

»Alles das könnte nur geschehen,« fiel Orloff streng und drohend ein, »wenn du mich betrogen hättest, wenn deine Berichte falsch wären oder nicht die volle Wahrheit enthielten, mit einem Wort, wenn du ein Doppelspiel gespielt hättest! Und dann, mein Freund, weißt du wohl, daß es die Knute, die Bergwerke und auch den Galgen gibt, um Verräter zu bestrafen!«

»Gott schütze mich davor,« rief Uschakoff entsetzt, »daß Eure Durchlaucht einen solchen Verdacht gegen mich fassen können! Was wäre ich ohne Eurer Durchlaucht gnädigen Schutz? Wäre es nicht dem Selbstmord gleich, wenn ich es unternehmen wollte, meinen gnädigen Beschützer, auf dessen Zufriedenheit allein alle meine Hoffnung beruht, zu betrügen?«

»Da hast du recht,« erwiderte Orloff, »und ich glaube dir, weil ich dich für einen klugen und gewitzigten Burschen halte. Du wunderst dich,« fuhr er dann, kurz nachsinnend fort, »daß ich ein so gefährliches Spiel, wie du meinst, zu spielen wage! Gibt es ein Spiel, das gefährlich sein könnte für Gregor Orloff? Bin ich nicht der Mann, um auszuführen, was anderen zu hoch und zu gefährlich wäre, wo es den Dienst der Kaiserin und die Sicherheit des Reiches gilt? Muß man nicht ein gefährliches Geschwür reif werden lassen, um es zu heilen? Ist es nicht nötig, daß die Kaiserin die Gefahr, welche ihr von jenem Gefangenen droht, klar erkennt, um dieser Gefahr für immer ein Ende zu machen?«

Uschakoff schauderte.

»Eure Durchlaucht«, sagte er, »sind in der Tat der unermüdliche Wächter am Thron unserer erhabenen Kaiserin, und ich danke Ihnen, daß Sie mir das Verständnis Ihrer Gedanken eröffnet, die so hoch hinaufsteigen über das Maß der gewöhnlichen Menschen. Aber noch eine Sorge erfüllt mich, Durchlaucht, eine Sorge, die mich selbst betrifft.«

»Was willst du noch?« fragte Orloff ungeduldig.

»Wenn die Verschwörung zum Ausbruch kommt,« sagte Uschakoff, »wenn das giftige Geschwür reift, damit Eure Durchlaucht es durch einen scharfen Einschnitt heilen können, werden da nicht die Verschwörer vielleicht dennoch bekennen, daß ich ihr Mitwisser, ihr Verbündeter war, und wird nicht die Strafe des Hochverrates auch mein Haupt treffen?«

»Du bist töricht«, sagte Orloff achselzuckend. »Hast du nicht nach meinen, Befehlen gehandelt? Bin ich nicht da, um dich zu rechtfertigen?«

»Und wenn Eure Durchlaucht mich vergäßen?« fragte Uschakoff; »wenn,« fügte er mit zitternder Stimme hinzu – »alle Menschen sind sterblich – wenn Eure Durchlaucht ein Unglück träfe, das Sie verhinderte, Zeugnis für mich abzulegen –«

»Was kümmert es mich,« rief Orloff, »was geschehen könnte, wenn ich nicht mehr da bin! Ich fürchte den Tod nicht, und wenn er mich trifft, so mögen die jämmerlichen Menschen auf dieser Welt sehen, wie sie miteinander fertig werden!«

»Gott wolle ein solches Unglück verhüten, was ja fast undenklich ist!« sagte Uschakoff. »Und doch, wenn Eure Durchlaucht mir einen schriftlichen Befehl zu geben die Gnade hätten, so wäre ich für jeden Fall gerechtfertigt.«

»Du bist ein Narr!« rief Orloff. »Schreiben, wo das mündliche Wort ausreicht! Wenn dir mein Wort nicht genügt, so mach', daß du fortkommst; ich will sogleich den Befehl unterzeichnen, der dich zu Romanzows Armee nach der türkischen Grenze schickt!«

»Verzeihung, gnädigster Herr, Verzeihung!« rief Uschakoff schnell. »Eure Durchlaucht werden begreifen, daß einen armen, unbedeutenden Menschen wie mich der Schwindel erfaßt, wenn er sich verstrickt sieht in so hochgefährlichem Spiel!«

»Ist dir das Spiel zu hoch, so gib es auf! Wer hohen Gewinn sucht, muß kühnen Mut und Vertrauen haben. Jetzt kein Wort weiter davon!«

»Freilich«, sagte Uschakoff, fast unwillkürlich seine Gedanken aussprechend, »würde ja auch Adeline beweisen können, daß –«

»Was sprichst du da von Adeline?« fragte Orloff aufhorchend; »was ist es mit ihr?«

»Die kleine Schauspielerin«, erwiderte Uschakoff, »ist in neuer Furcht und Sorge; sie fürchtet nicht mehr die Bewerbung des alten Firulkin, sie fürchtet –«

»Nun?« fragte Orloff.

»Sie fürchtet Eure Durchlaucht selbst«, sagte Uschakoff.

»Mich!« rief Orloff mit glühenden, finster drohenden Blicken. »Und warum?«

»Vielleicht hat sie unrecht«, antwortete Uschakoff ausweichend. »Doch ihre Furcht ist so groß, daß sie fliehen will, fliehen um jeden Preis, und daß sie mich beschworen hat, ihren Geliebten zur schleunigen Flucht mit ihr zu bestimmen.«

»Und sie hat dir einen Brief gegeben?« fragte Orloff. »Gib ihn her!«

Uschakoff erbleichte.

Orloffs Blicke ruhten gebieterisch und durchbohrend auf ihm, so daß sie bis in die Tiefe seiner Seele zu dringen schienen.

Mit zitternder Hand zog er Adelines Brief aus seiner Uniform und reichte ihn dem Fürsten.

Dieser öffnete denselben und durchflog hastig den Inhalt.

»Du weißt, was in diesem Brief steht?« fragte er dann.

»Gnädigster Herr,« erwiderte Uschakoff, »Eure Durchlaucht wissen, daß ich niemals die Briefe des jungen Mädchens gelesen, sondern dieselben stets uneröffnet Eurer Durchlaucht übergeben habe, wie es mein Befehl war.«

»Gut«, sagte Orloff; »so geh, verdoppele deine Wachsamkeit, damit dir nichts entgeht, ich bin mit dir zufrieden; mein Wort darauf, dir soll der Lohn werden, den du verdient hast!«

Er winkte gebieterisch, und Uschakoff entfernte sich mit militärischem Gruß, ohne daß der Ausdruck der Zufriedenheit des Fürsten und dessen verheißungsvolles Versprechen die düsteren Wolken zu verscheuchen vermochten, welche auf seiner bleichen Stirn ruhten.

»Einen schriftlichen Befehl will er haben«, sagte Orloff, ihm finster nachblickend. »Der Mensch ist gefährlich, da ein solcher Gedanke in seinem Kopf auftaucht, gefährlicher noch, da er zu viel weiß und zu viel sieht. Er hat sich verraten, als er von Adelines Zeugnis sprach; er hatte die Absicht, diesen Brief als eine Waffe zu behalten. Warum haben wir keine Maschinen zur Ausführung unserer Gedanken, die wir zerbrechen können, wenn sie ihre Schuldigkeit getan? Warum müssen wir uns der menschlichen Werkzeuge bedienen, die eigene Augen und eigene Gedanken haben? Aber ist nicht auch eine solche Maschine von Fleisch und Blut leicht zerbrochen? Ein Mensch, der zu viel weiß, ist gefährlicher als eine gefüllte Pulvermine; wir glauben ihn zu beherrschen, und er beherrscht uns; das darf nicht sein; nein, nein, das darf nicht sein. Ich werde dafür sorgen,« fügte er mit kaltem Lächeln hinzu, »daß die vorwitzige Neugier dieser menschlichen Maschinen nicht gefährlich wird, daß diese gefüllte Mine nicht unter meinen Füßen aufspringt!«

Der Abend war gekommen; er machte seine Toilette für die Soiree der Kaiserin, und während er dann mit seinen neuen Pferden, dem Geschenk Firulkins, von Vorreitern mit Fackeln begleitet, nach dem Winterpalais fuhr, wo sein Gespann die Bewunderung und den Neid aller kaiserlichen Stallmeister erregte, hatte Uschakoff im Hofe der Kommandantur sein Pferd bestiegen und den Rückweg nach Schlüsselburg angetreten.

Die beiden Männer, welche jeder für sich alle seine Schritte beobachteten, waren ihm, als er langsam durch die Straßen ritt, bis zu den letzten Häusern der Vorstadt gefolgt. Hier blieb erst der Student zurück, dann kehrte auch der andere Verfolger um, und beide begaben sich auf verschiedenen Wegen nach der Stadt.

Auch Uschakoff war durch sein heutiges Gespräch mit Orloff ernst und nachdenkend geworden.

»In seinen Blicken lag ein tückischer Hinterhalt«, sagte er vor sich hin, während er auf dem sandigen Wege in der immer tiefer herabsinkenden Dunkelheit dahinritt. »Und wer bürgt mir dafür, daß er mich nicht fortwirft in den Abgrund des Verderbens, nachdem er seinen Zweck erreicht hat, den ich immer noch nicht vollkommen verstehe? Sollte er wirklich daran denken, Iwan wieder auf den Thron zu heben? Jedermann weiß, daß, er die Liebe der Kaiserin verloren hat und daß deren ganze Gunst dem General Potemkin gehört. Er hat Peter Feodorowitsch vom Thron gestürzt; sollte er auch Katharina stürzen wollen, weil er fürchtet, seine Herrschaft nicht mehr unumschränkt wie bisher für seinen ungezähmten Ehrgeiz und seine unersättlichen Absichten ausbeuten zu können? Gelingt ihm dies, so wird er das Verdienst der Tat sich aneignen, und wenn es mißlingt, so wird er die Täter opfern und als der Retter des Thrones der Kaiserin dastehen. Wer vermag es, den finsteren Wegen eines so tückisch verschlagenen Geistes zu folgen? Es wäre entsetzlich, wenn ich Mirowitsch verraten hätte, der sich mir so vertrauensvoll hingibt und für den sich immer wieder das Mitleid in mir regen will, um endlich mit ihm in die grauenvolle Tiefe hinabzustürzen, die ich selbst unter seinen Füßen höhlen darf. Und wenn das die Absicht wäre, so gibt es keine Hilfe, keine Rettung. Ich stehe auf einem schmalen Brett, das über reißende Stromschnellen gelegt ist. Ehre, Glanz und Reichtum winken auf dem anderen Ufer. Aber werde ich das Ufer erreichen? – Orloffs Hand spann sich um den schwankenden Steg; er vermag es, die gebrechliche Stütze unter meinen Füßen fortzureißen, und auch die Umkehr ist unmöglich; ich muß vorwärts gehen, willenlos abhängend von seiner Gnade. Gnade und Mitleid aber hat dieser Mensch niemals gekannt; er hat mir einen schriftlichen Befehl verweigert, und ich habe keinen Beweis meiner Rechtfertigung in den Händen. Auch den Brief Adelines, der eine Anklage gegen ihn hätte bilden können, habe ich mir entreißen lassen!« – Er nahm, tief aufatmend, den Hut ab und trocknete den kalten Schweiß, der von seiner Stirn perlte. – »O ihr Mächte der Finsternis,« rief er grimmig in die Nacht hinaus, »ihr, denen ich mich ergeben habe im Dienste dieses Fürchterlichen, steht mir bei; duldet es nicht, daß er mich betrügt um den Lohn, dem ich den Frieden meiner Seele geopfert habe; zeigt mir einen Ausweg, gebt mir einen Gedanken, mich zu befreien aus den Schlingen, mit denen er mich umgarnt!«

Er gab seinem Pferde einen Schenkeldruck; er fühlte das Bedürfnis, in rascher Bewegung die innere Ruhe seines wilderregten Blutes wiederzugewinnen. In wildem Ritte jagte er durch die Nacht dahin.

An einer Biegung des Weges befand sich ein kleines Tannengehölz, das eine Uferwiese der Newa verdeckte. Zu langsamerem Schritt hielt er den schnellen Lauf des schäumenden Pferdes an, vorsichtig in der tieferen Dunkelheit des Schattens der Bäume vorwärts reitend; da plötzlich sprangen aus dem Gehölz mehrere Männer hervor; zwei derselben fielen in die Zügel des Pferdes, zwei andere standen in demselben Augenblick wie aus der Erde hervorgewachsen zu beiden Seiten des Reiters.

Uschakoff fuhr mit der Hand nach seinem Degen; aber ehe er die Waffe aus der Scheide gerissen hatte, richtete sich von jeder Seite der Lauf einer Pistole auf seine Brust, und eine drohende Stimme rief ihm zu:

»Macht keine Bewegung oder Ihr seid des Todes. Jeder Widerstand ist vergebens; Ihr seid einer gegen zehn!«

In der Tat sah Uschakoff noch mehrere dunkle Gestalten, welche, Gespenstern gleich, ihn im Schatten der Nacht umgaben. In der Verwirrung seines ersten Schreckens war ihm der Degen entrissen, so daß er sich völlig wehrlos den Angreifern gegenüber befand.

»Was wollt ihr von mir?« rief er. »Ich bin arm und führe keine Schätze bei mir; ihr täuscht euch, wenn ihr auf einen guten Fang hofft. Nehmt das Wenige, was ich bei mir habe, es ist keines Überfalles und keines Mordes wert!«

»Wir sind keine Räuber«, erwiderte einer der Männer, die unmittelbar neben ihm standen. »Und führtet Ihr alle Schätze der Welt bei Euch, sie wären Euch hier unter uns ebenso sicher als auf dem Altar der heiligen Mutter Gottes von Kasan.«

»Zum Teufel also,« rief Uschakoff, »was wollt ihr denn von mir? Warum versperrt ihr meinen Weg? Bedenkt, was es bedeutet, einen kaiserlichen Offizier im Dienst anzugreifen; bedenkt, daß ein solcher Überfall schwer gerächt werden wird!«

»Wir greifen Euch nicht an,« erwiderte der Mann, »Leutnant Pavjel Sacharjewitsch Uschakoff, wir nehmen Euch gefangen!«

»Gefangen!« rief Uschakoff. »Und wer seid ihr? Wer gab euch ein Recht zu so vermessenem Unternehmen?«

»Wir nehmen Euch gefangen,« rief der Mann, »auf Befehl und im Namen unserer allergnädigsten und großmächtigsten Kaiserin!«

»Im Namen der Kaiserin,« fragte Uschakoff bebend, »und weshalb?«

»Das ist nicht unsere Sache«, war die Antwort. »Wollt Ihr uns folgen und keinen Widerstand, keine Flucht versuchen, so bürge ich Euch für Eure Sicherheit; wagt Ihr den geringsten Widerstand, so seid Ihr verloren!«

Einen Augenblick senkte Uschakoff nachdenkend das Haupt auf die Brust: er fand keine Lösung dieses Rätsels, aber eine entsetzliche Angst schnürte sein Herz zusammen. Wenn Orloff jetzt schon das verderbliche Geschwür, von dem er gesprochen, für reif hielt; wenn er ihn als Mitverschworenen verhaften ließ, so gab es keine Hilfe für ihn. Knirschend fühlte er sich in der Hand eines unabwendbaren Verhängnisses. Aber was auch immer geschehen sein, was diese so außergewöhnliche Arretierung auch immer bedeuten mochte, er erkannte seine Wehrlosigkeit. Jede Flucht war unmöglich, jeder Widerstand nutzlos.

»Ich bin bereit, euch zu folgen, obgleich ich nicht begreife, warum Ihre Majestät meine Verhaftung befohlen haben könnte, und mir jeder Beweis fehlt, daß ihr einen solchen Befehl erhalten habt.«

»Der Beweis unserer Berechtigung wird Euch nicht vorenthalten bleiben«, erwiderte der Mann. »Steigt ab, wir haben keine Zeit zu verlieren!« Er winkte.

Hinter den Tannen hervor fuhr ein geschlossener Wagen, mit vier kräftigen Pferden bespannt, heran.

Uschakoff sprang vom Pferde; man öffnete ihm den Wagenschlag, und einer der Männer stieg zu ihm ein, immer den Lauf einer gespannten Pistole auf ihn gerichtet. Die übrigen bestiegen Pferde, welche ebenfalls hinter dem Tannendickicht verborgen gewesen waren. Einer von ihnen nahm Uschakoffs Pferd am Zügel. Schweigend setzte sich der finstere Zug in scharfem Trab in Bewegung.

Uschakoff versuchte während der Fahrt vergebens, ein Gespräch mit seinem Begleiter anzuknüpfen. Derselbe blieb allen Fragen und Bemerkungen gegenüber stumm wie das Grab; doch sollte die Ungeduld des Gefangenen auf keine zu lange Probe gestellt werden.

Nach der Fahrt von einer halben Stunde hielt der Wagen, dessen Fenster durch dichte Vorhänge verdeckt waren, an, und Uschakoff erkannte, auf den Befehl seines Wächters aussteigend, zu seinem Erstaunen und Schrecken, daß er sich vor einem Seitenflügel des Winterpalais befand. Sein Begleiter gab dem Posten die Losung und führte ihn über den Hof und durch verschiedene Korridore bis zu einem reich ausgestatteten und hell erleuchteten Vorzimmer, an dessen innere Tür er einigemal in wechselnden Zwischenräumen anklopfte.

Sogleich wurde diese Tür geöffnet.

Uschakoff trat auf einen stummen Wink seines Führers über die Schwelle und befand sich im nächsten Augenblick in einem prachtvollen Salon dem Generaladjutanten der Kaiserin, Grafen Potemkin, gegenüber, der in großer Uniform vor ihm stand und ihn mit strengen, forschenden Blicken betrachtete.

»Ich freue mich,« sagte Uschakoff, seine Furcht bemeisternd und alle seine Geisteskraft zur Abwehr der immer noch unbekannten Gefahr anspannend, »ich freue mich, daß ich die Ehre habe, hier vor Eurer Exzellenz zu stehen, denn ich sehe nun, daß ich nicht, wie ich fürchtete, in die Hände von Räubern gefallen bin, und ich darf hoffen, nun den Grund meiner Verhaftung zu erfahren, den ich mir nicht zu erklären vermag und die meine gnädige und gerechte Kaiserin nur infolge eines Irrtums oder einer falschen Anklage befohlen haben kann.«

Potemkin schien auf seine Worte nicht zu achten, sondern betrachtete ihn fortwährend mit durchdringenden Blicken, als ob er sich ein Urteil über seine Person bilden wolle.

»Ihr seid seit einiger Zeit ausschließlich zur Überbringung der Rapporte des Kommandanten von Schlüsselburg kommandiert gewesen?« fragte er.

»Zu Befehl, Exzellenz«, erwiderte Uschakoff, der immer noch vergebens die Veranlassung dieses seltsamen Verhörs zu begreifen suchte.

»Ihr habt bei Eurer Anwesenheit in Petersburg die Schauspielerin Lemaitre besucht?« fragte Potemkin weiter.

»Fräulein Lemaitre«, erwiderte Uschakoff, »ist die Geliebte meines Freundes, des Leutnants Mirowitsch, und da derselbe keinen Urlaub erhielt, so habe ich seine Grüße überbracht –«

»Ich weiß das«, unterbrach ihn Potemkin; »ich weiß auch, daß Fräulein Lemaitre unglücklich ist, da sie einen gewissen Firulkin heiraten sollte, und,« fügte er, Uschakoff stärker fixierend, hinzu, »und ich weiß auch, daß sie noch eine schwerere Sorge hat wegen der Nachstellung eines mächtigen, eines zu mächtigen Liebhabers.«

»O gnädigster Herr,« rief Uschakoff, »das ist nicht meine Sache, und wenn ich davon etwas gehört haben sollte, so wäre es eine Indiskretion, davon zu sprechen.«

»Und wenn ich nun eine Indiskretion von Euch forderte?« fragte Potemkin hochfahrend. – »Doch lassen wir das, es ist nicht das, was ich wissen wollte. Ihr habt bei Eurer Anwesenheit den Feldzeugmeister aufgesucht und seid lange in seinem Palais geblieben; auch habt Ihr viel in der Kaserne der Artillerie verkehrt; das hat keinen Zusammenhang mit Euren Besuchen bei Fräulein Lemaitre.«

»Die Festung Schlüsselburg steht unter der ganz besonderen Aufsicht des Feldzeugmeisters«, erwiderte Uschakoff zitternd; »ich hatte dienstliche Meldungen zu machen.«

»Ich frage nicht nach Euren dienstlichen Meldungen!« fiel Potemkin ungeduldig ein; »dienstliche Meldungen pflegt der Feldzeugmeister durch einen Offizier seines Stabes entgegenzunehmen. Was hattet Ihr im Marmorpalais zu tun?« fragte er mit lauter, drohender Stimme, indem er sich hoch aufrichtete und einen Schritt näher zu Uschakoff herantrat. »Antwortet, ich will die volle, rückhaltlose Wahrheit wissen; wenn Ihr sie bekennt, so dürft Ihr meines Schutzes und des Schutzes der Kaiserin gewiß sein; wenn Ihr sie verschweigt oder entstellt so werdet Ihr von hier in die Peter- und Paulsfestung gebracht, wo Ihr Euch überzeugen werdet, daß es Mittel gibt, den Hochverrat zu strafen und Widerspenstige zum Sprechen zu bringen.«

Potemkin hatte das Wort Hochverrat nur als Drohung und Einschüchterung ausgesprochen; er wollte um jeden Preis das Geheimnis durchdringen, dessen Dasein er vermutete.

Uschakoff aber wurde totenbleich und vermochte, am ganzen Leibe zitternd, sich kaum aufrechtzuerhalten.

»Nun redet!« rief Potemkin, welcher mit hoher Befriedigung die Wirkung seiner Worte bemerkte; »redet und bedenkt, daß Eure Aufrichtigkeit die Bürgschaft für Euer Leben ist, ja mehr als das; bedenkt, daß, wenn Ihr die ganze und volle Wahrheit gesteht, Eure Zukunft meine Sorge sein soll, und ich verspreche Euch, daß Ihr mit mir zufrieden sein werdet!«

Uschakoff stand einen Augenblick schweigend da. Als er sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, belebte sich sein bleiches Gesicht in hoffnungsvoller Freude. Wie durch einen plötzlichen Blitzstrahl erleuchtete sich sein Geist; er sah den Weg der Rettung vor sich, um die er vor kurzem noch in seiner Verzweiflung die Mächte der Finsternis angerufen hatte. Hier bot sich ihm die Hand, ihn aus den verhängnisvollen Schlingen zu befreien, in denen Orloff ihn gefangen hatte. Entschlossen richtete er sein Haupt auf und erzählte klar und ruhig alles, was er mit Orloff gesprochen, alles, was er in dessen Auftrag getan, was Mirowitsch und Tschewaridew vorbereitet.

Während er sprach, wurde Potemkins Miene immer freudiger, immer triumphierender.

»Und wißt Ihr,« fragte er, als Uschakoff schwieg, »daß alles das todeswürdige Verbrechen gegen die Kaiserin und das Reich sind, daß Ihr Euer Leben verwirkt habt, als Ihr Eure Hand zu so fluchwürdigem Unternehmen botet?«

»Ich habe nach dem Befehl des Feldzeugmeisters gehandelt,« erwiderte Uschakoff, »der mein Vorgesetzter ist und der die Verantwortung für seine Taten zu tragen hat. Ich kenne seine Absichten nicht und habe sie nicht zu prüfen, doch danke ich Gott, daß er mir die Gelegenheit gab, mein Gewissen von der schweren Last zu befreien, unter der ich fast zusammenbrach.«

»Ihr habt Grund, Gott zu danken«, sagte Potemkin; »Ihr wäret verloren, wenn ich Euch nicht verhaften und hierher führen ließ, da Euer Betragen meinen Verdacht erregt hat. Euer aufrichtiges Geständnis hat Euer Leben gerettet und sichert Euch eine glänzende Laufbahn, wenn Ihr genau und pünktlich meinen Befehlen gehorcht.«

»Und wie lauten Eurer Exzellenz Befehle?« fragte Uschakoff gespannt.

»Ihr werdet unsere Unterredung«, erwiderte Potemkin, »als tiefes, unverbrüchliches Geheimnis bewahren; Ihr werdet sodann unverändert fortfahren, zu tun, was Ihr bisher getan habt, und alle Aufträge des Feldzeugmeisters auf das pünktlichste ausführen.«

»O mein Gott,« rief Uschakoff, »wie kann ich das, nachdem ich weiß, daß das Treiben des Fürsten nicht dem Willen der Kaiserin entspricht, daß das, was mir bisher dunkel und unverständlich blieb, wirklich Hochverrat ist? Was soll aus mir werden, wenn der Plan zur Ausführung kommt, wenn ich dann als Mitschuldiger dastehe in der entsetzlichen Verschwörung?«

»Bin ich nicht da,« fragte Potemkin, »um zu bezeugen, daß Ihr auf meinen Befehl gehandelt? Habt Ihr nicht mein Wort, daß ich Euch schützen und belohnen werde?«

»So sprach auch er!« sprach Uschakoff grimmig mit bitterem Lachen. »O mein Gott, statt der Rettung, die ich hoffte, lege ich eine neue Schlinge um meinen Hals! Auch er vertröstete mich auf sein Wort, auch er verweigerte mir einen schriftlichen Befehl. Wie sich das alles auch wenden mag, nun bin ich in jedem Fall verloren!«

»Der Dienst der Kaiserin ist keine Schlinge,« sagte Potemkin, »und wenn Ihr meinen Befehlen gehorcht, seid Ihr sicher vor jeder Gefahr. Jene Verschwörung wird nicht zum Ausbruch kommen; die Unschuldigen sollen nicht leiden, nur der Urheber all dieser teuflischen Pläne soll die Frucht seiner finsteren Saat ernten, und in Eure Hand selbst will ich das Mittel legen, alles Unheil zu verhüten; aber merkt wohl, ich schwöre es Euch bei dem lebendigen Gott, ein falscher Schritt, ein Zögern, ein Hauch des Verrats nur schleudert Euch in die Tiefen der Bergwerke Sibiriens!«

»Oh, befehlen Sie, befehlen Sie, gnädigster Herr!« rief Uschakoff. »Nachdem ich alles bekannt habe, dürfen Sie an meinem Gehorsam nicht zweifeln.«

»Ich weiß, daß Ihr nicht zurück könnt,« sagte Potemkin, »und darum bin ich Eurer Treue und Eures Gehorsams gewiß. So hört denn: Ihr werdet nach wie vor die Aufträge des Fürsten Orloff ausführen; Ihr werdet der Vertraute der Verschworenen bleiben; Ihr werdet ihr Werk fördern und so schnell als möglich der Vollendung entgegenführen. Wenn dann alles reif ist, versteht Ihr wohl, am Abend vor der Nacht, in welcher der Gefangene entführt werden soll, werdet Ihr Euch bei dem Kommandanten von Schlüsselburg melden, Ihr werdet mit ihm den Leutnant Mirowitsch verhaften und in sicheren Gewahrsam schließen; die verführten Soldaten werden ohne ihn nichts zu unternehmen wagen, und sobald Ihr das ausgeführt habt, werdet Ihr hierherkommen und es mir melden. In meiner Hand werden dann alle Fäden zusammenlaufen, von mir wird es abhängen, welchen Gebrauch ich davon mache; jede Gefahr wird ausgeschlossen sein, und doch wird sich das finstere Werk vor den Augen der Kaiserin klar enthüllen.«

»Und wie kann ich Mirowitsch verhaften? Wird der Kommandant mir glauben, wenn ich ihm alles mitteile? Und wenn er mir glaubt, wird er mich nicht als Mitschuldigen behandeln?«

»Nichts werdet Ihr dem General Berednikow sagen, nichts, als daß Ihr den Befehl habt, Mirowitsch zu verhaften und über die vollzogene Verhaftung sofort hierher Meldung zu machen.«

»Und wird der General an einen solchen Befehl glauben? Habe ich, ein einfacher Leutnant, das Recht, einen Kameraden zu verhaften, ohne meinem General einen Grund dafür anzugeben?«

»Ihr werdet dieses Recht haben!« sagte Potemkin, indem er an seinen Schreibtisch trat.

Auf demselben lag ein Papier, welches nur den Namenszug der Kaiserin trug.

»Sie hat mir dies Papier gegeben,« flüsterte Potemkin vor sich hin, »um nach meinem Bedürfnis eine Anweisung an die Reichskasse über ihren Namen zu schreiben; es ist ein Schatz, den ich mit einem Federzuge heben kann. Doch ist es nicht ein größerer Schatz als alles Gold, den Feind zu stürzen, der mir im Wege steht, und die Bahn frei zu machen zur Höhe der Macht und Herrschaft?«

Er setzte sich nieder und schrieb über den Namen der Kaiserin einen Befehl zur Verhaftung des Leutnants Mirowitsch, und zugleich die Anweisung an den Kommandanten von Schlüsselburg, Uschakoff in der Ausführung dieses Befehls ohne jedes Zögern mit seiner ganzen Macht und Autorität zu unterstützen. – »Hier«, sagte er, Uschakoff das Blatt reichend; »genügt das?«

Uschakoff durchlas das Blatt; er erkannte den eigenhändigen Namenszug der Kaiserin und sagte, sich tief verbeugend:

»Es genügt, Exzellenz; Sie geben mir das Leben wieder, und mein Leben gehört fortan Ihnen. Mit diesem Papier in der Tasche halte ich alles in meiner Hand und bürge gegen jede Gefahr.«

»So geht denn, Ihr seid frei«, sagte Potemkin; »vergeßt nicht, daß mein Blick auf Euch ruht, daß ein falscher Schritt Euch in das Verderben führt und daß pünktlicher Gehorsam, Mut und Treue Euch eine Zukunft voll Ehre und Glück öffnen!«

»Der arme Mirowitsch«, seufzte Uschakoff halblaut, indem er das kostbare Blatt in seine Uniform steckte; »er wird das Opfer sein!«

»Auch er soll gerettet werden«, erwiderte Potemkin. »Ich habe Euch mein Wort gegeben. Vergeßt nicht, daß der Grund dieses Verhaftungsbefehls tiefes und unverbrüchliches Geheimnis bleibt; in der Hand der Kaiserin wird es dann liegen, Eurem armen Freunde ihre Gnade zuzuwenden.«

In tiefer Bewegung zuckte Uschakoffs sonst so kaltes Gesicht; er beugte sich schnell auf Potemkins Hand herab und zog dieselbe an seine Lippen. Dann ging er, militärisch grüßend, hinaus. Im Vorzimmer fand er den Mann, der ihn hierher geführt; derselbe geleitete ihn durch die leeren Korridore zum Hof hin. Hier führte ihm ein Reitknecht sein Pferd zu, das Ausgangstor öffnete sich und bald hatte Uschakoff zum zweitenmal den Weg nach Schlüsselburg erreicht. Aber diesmal schlug sein Herz leicht und frei, und die dunklen Schatten der Nacht erschienen ihm nur wie ein leichter Schleier vor den hoffnungsvollen Bildern einer lichten, glänzenden Zukunft.


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