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Schon früh am nächsten Morgen war alles lebendig in Saratschowskoi, und in höchster Spannung erwartete die Bevölkerung die bevorstehenden Ereignisse. Die überreizte Erregung, welche die jungen Leute am Abend vorher mit ausgelassener Heiterkeit erfüllt und sie lange bei ihrem nationalen Vergnügen wach gehalten hatte, war gewichen. Jeder dachte nur daran, daß er nun bald vielleicht seine Heimat auf lange Zeit verlassen sollte; und die Aussicht, bei der von dem Vater Julian vorhergesagten Erhebung des Zaren Ruhm, Ehre und Freiheit zu erlangen, lag in so weiter, unberechenbarer Ferne, daß sie kaum die schmerzliche Bitterkeit der Trennung von allen teuren Lebensgewohnheiten mildern konnte. Zwar dachte nach den Mahnungen des Sätnik und des Vater Julian, welche aus so verschiedenen Gründen in ihren praktischen Resultaten übereinstimmten, niemand mehr an Widerstand oder Flucht; jeder war entschlossen, sich der Gewalt zu unterwerfen, die Zukunft geduldig zu erwarten und sich für dieselbe bereit zu halten; aber trübe und traurig schlich ein jeder umher, die Geschäfte seiner Wirtschaft mit der wehmütigen Empfindung besorgend, daß dies heute vielleicht zum letztenmal geschehe.
Xenia war schon früh am Morgen auf; sie hatte, ehe ihr Vater sich erhob, schon die Stuten gefüttert und gemolken, damit nur der Sätnik nicht den Stall zu betreten nötig habe und damit das Roß Pugatschews und die Ankunft des Geliebten, wie dieser ihr befohlen, verborgen bleibe. Ihr Herz schlug in banger Unruhe; es bewegte sie nicht nur die Freude, daß der langersehnte und fast schon verloren geglaubte Geliebte wieder da war, sondern sie hatte die ganz bestimmte Empfindung, daß etwas Unerhörtes, Überwältigendes, wunderbar Großartiges sich zutragen würde, ohne daß sie dafür eine bestimmte Form zu finden vermochte; doch drängte sie mit Macht ihr unruhig wogendes Gefühl in die Tiefen ihres Herzens zurück, so daß der alte Matfeji Skrebykin, der ohnehin von ernsten Sorgen über den Verlauf des Tages erfüllt war, nichts Außerordentliches bemerkte.
Früh schon hatte sich der Sätnik nach der Wiese am Schilfufer begeben, auf welcher die Gemeindeversammlungen stattzufinden pflegten und auf welcher auch heute die Aushebung vorgenommen werden sollte.
Allmählich langten dort auch die übrigen Männer des Dorfes an, finsteren Blickes und nur leise miteinander sprechend. Auch der Vater Julian war gekommen, von einem seiner Mönche begleitet; er trug ein vergoldetes Kreuz in der Hand, seine Miene war ernst und feierlich, aber er sprach nur wenig, und denen, die in ihrer ängstlichen Unruhe um Rat fragten, erklärte er mit kurzen Worten, daß sie nicht die heilige Pflicht vergessen möchten, sich dem Dienste des rechten Zaren zu erhalten; daß sie keinen Widerstand gegen Gewalt versuchen sollten, bis der Augenblick gekommen, in dem Gott sich offenbaren werde, um das Werk der Rache und Befreiung zu vollenden.
Von der Festung her tönte rasselnder Trommelschlag, vermischt mit schmetternden Fanfaren. Bald rückte auf dem vielfach überbrückten Wege, der durch das Schilfgewächs nach Saratschowskoi führt, ein Bataillon Infanterie mit aufgepflanztem Bajonett heran und stellte sich auf der Wiese in einem Viereck auf, aus dessen innerem Raum alle Männer außer dem Sätnik und dem Vater Julian entfernt wurden. Ein Tisch und einige Stühle wurden herbeigeholt und in der Mitte des Ringes in dem von den Grenadieren umgebenen Raume aufgestellt. Unmittelbar darauf folgte eine Batterie von Feldgeschützen; die Kanoniere hielten brennende Lunten in der Hand, die Munitionswagen waren gefüllt, und die Geschütze wurden neben dem von der Infanterie gebildeten Viereck mit den Mündungen nach dem Dorfe hin aufgestellt.
Kaum waren diese militärischen Vorbereitungen, welche alle Männer mit finsterem Schreck erfüllten, beendet, als von Gurjew her der General Traubenberg mit den Offizieren seines Stabes heransprengte.
Der General, einer livländischen Familie entstammend, und höchstens vierzig Jahre alt, war eine vornehme, elegante Erscheinung. Er schien mehr des Parketts als des Feldlagers gewohnt zu sein; doch aber hatte er sich in den Feldzügen durch kecken, tollkühnen Mut ausgezeichnet und es war ihm deshalb das schwierige Kommando zuteil geworden, die trotzigen Kosaken des Orenburger Gouvernements zur Unterwerfung zu zwingen. Sein Gesicht zeigte den blonden Typus der Livländer, deren Adel meist von den deutschen Rittern abstammt, die nach Aufhebung des Ordens dort blieben; seine Züge waren offen und frei, aber es lag in denselben ein unbezähmbarer, verletzender und abstoßender Hochmut, so daß er mit einem stolzen Blick und einem Lächeln voll Verachtung von seinem schnaubenden Rappen auf die Kosaken herabsah, indem er rücksichtslos durch ihre Gruppen zu dem Karree hinsprengte, was in dem Herzen eines jeden dieser Männer grimmigen Zorn hervorrief.
Der General sprang mit seinen Offizieren vom Pferde und trat in den inneren Raum des Karrees.
»Du bist der Sätnik?« fragte er Matfeji Skrebykin, und als dieser, ehrerbietig grüßend, bejahte, befahl er:
»Laß die jungen Leute bis zu fünfundzwanzig Jahren herantreten; wir wollen sehen,« fügte er, spöttisch lächelnd hinzu, »ob wir unter ihnen brauchbare Rekruten für die Husaren Ihrer Majestät unserer allergnädigsten Kaiserin finden!«
Durch die schmale Öffnung des Karrees, welche immer nur einem Mann auf einmal Raum gab, traten, von dem Sätnik aufgerufen, ungefähr zwanzig junge Leute, der ganze Bestand an waffenfähiger Mannschaft des kleinen Dorfes, heran.
Der General nahm an einem Tische Platz; ein streng blickender Wachtmeister setzte sich an seine Seite und legte ein aufgeschlagenes Buch vor sich hin, um das Protokoll zu führen und die Namen der Ausgehobenen zu notieren.
Da trat der Pater Julian vor.
»Gnädiger Herr!« sagte er, »es ziemt sich wohl, bei einer so wichtigen Handlung, welche über das Leben von vielen Söhnen des Vaterlandes und der heiligen Kirche entscheidet, Gott und die Heiligen um Beistand und gnädige Erleuchtung in frommem Gebet anzurufen. Zur würdigen Vorbereitung und demütigen Unterwerfung unter Gottes Ratschluß und Willen biete ich Euch hier als Diener der Kirche das heilige Kreuzeszeichen; küßt es mit Inbrunst, damit das Licht und die Gnade des Heiligen Geistes sich über Euch ausgieße.«
Er trat an den Tisch heran und bot das Kreuz in seiner Hand dem General dar.
Dieser sprang auf; zornige Röte flammte auf seinen Wangen und heftig schlug er das Kreuz, das der Vater Julian vor sein Gesicht hielt, zurück, so daß dasselbe den Händen des Priesters entfiel.
»Unverschämter Mönch!« rief er. »Wie kannst du es wagen, eine Handlung des militärischen Dienstes hier durch deine Zeremonien zu unterbrechen und aufzuhalten? Pack dich zum Teufel, was schert mich dein Kreuz; hier handelt es sich um den Dienst und nicht um die Kirche!«
Ein Schrei des Entsetzens tönte aus den hinter den Gliedern stehenden Gruppen. Schrecken und Wut malte sich auf den Gesichtern der Rekruten; sie schienen zu glauben, daß auf einen solchen Frevel der rächende Blitz des Himmels herabfahren müsse, und auch in den Reihen der Grenadiere und der Artilleristen flammte manches Auge zornig auf und manches Gewehr zitterte in der Hand der vor Schreck erbebenden Soldaten.
Der Vater Julian aber sank auf die Knie nieder; er hob das zu Boden geschleuderte Kreuz auf, küßte es inbrünstig und hielt es dann zum Himmel auf, als wollte er in stummer Anklage die Strafe für die Entweihung des heiligen Zeichens herabrufen.
»Hinaus!« befahl der General Traubenberg; »hinaus mit dem Mönch! Er hat hier nichts zu suchen und wir haben keine Zeit zu verlieren!«
Der Vater Julian floh, als ob die Flammen der Hölle um ihn aufschlügen, aus dem Viereck.
Er trat unter die Männer, welche bleich wie der Tod dastanden, und flüsterte:
»Er ist ein Ketzer, ebenso wie seine Gebieterin, über deren Haupt schon die rächende Hand des Allmächtigen schwebt!«
Dann wendete er sich nach der hinter dem Dorfe liegenden Kirche, hob dreimal das Kreuz in die Höhe und kniete dann nieder, in stummem Gebet die Lippen bewegend und auf nichts mehr achtend, was ringsumher vorging.
Auch Matfeji Skrebykin war erbleicht und hatte sich entsetzt bekreuzigt, als der General den Pater zurückwies.
Er trat zu dem General heran und sprach mit leiser Stimme:
»Ihr habt nicht wohl getan, gnädiger Herr. Wenn Ihr den Mönch und das heilige Zeichen der Kirche beleidigt, so macht Ihr wahrlich das Volk nicht geneigt, sich dem Willen der Kaiserin zu unterwerfen.«
»Schweig', vorlauter Sätnik!« rief der General zornig; »deine Pflicht ist es, zu gehorchen und die deinigen zum Gehorsam zu bringen. Bist du etwa auch angesteckt von dem Geist der Rebellion, der hier schon zu lange geduldet ist? – Nimm dich in acht, daß ich dich nicht in Ketten schließen und in die Kasematten von Gurjew werfen lasse!«
Matfeji neigte schweigend das Haupt, aber sein Gesicht ward noch bleicher, seine Hände zitterten und seine in düsterem Feuer glühenden Augen senkten sich zu Boden.
Die Aushebung begann. Einer nach dem andern von den jungen Leuten trat heran; der Wachtmeister prüfte dieselben, indem er ihre Glieder betastete und hin und her bog und ihre Zähne ansah, wie man es bei einem zum Kauf angebotenen Pferde tut.
Der General sah mit hochmütiger Gleichgültigkeit zu; er schien es nicht der Mühe wert zu halten, sich selbst von der Richtigkeit des Urteils seines Wachtmeisters zu überzeugen.
Auch Adam Tschumakow trat heran; der Wachtmeister machte einige Bewegungen mit seinen Armen, klopfte auf seine Brust und sagte dann:
»Untauglich, ganz untauglich! Geh' zurück nach deiner Hütte; du magst wohl die Herden weiden und die Stuten melken, aber du bist nicht stark genug, im Dienste unserer allergnädigsten Kaiserin die Waffen zu tragen.«
Obgleich die Worte in wegwerfendem und verächtlichem Tone gesprochen waren, so zuckte doch über Tschumakows Gesicht freudige Bewegung, und schnell eilte er aus dem Karree hinaus, während ein Murmeln des Erstaunens und Unwillens sich in der Reihe der übrigen Rekruten vernehmen ließ.
Noch zwei bis drei ganz junge Leute wurden von dem Wachtmeister ebenfalls als untauglich erklärt und aus dem Karree entlassen.
»Ihr werdet also mit mir gehen!« sagte der General Traubenberg zu den Ausgehobenen. »Ihr könnt stolz auf die Ehre sein, die euch zuteil geworden; zuvor aber sollt ihr tauglich gemacht werden für den Dienst, denn so wie ihr da seid, seht ihr Wilden ähnlicher, als Soldaten unserer allergnädigsten Kaiserin!«
Er winkte.
Der Profos trat hervor und stellte einen Stuhl in die Mitte des Karrees; ihm folgte ein Soldat mit einem großen kupfernen Barbierbecken, ein anderer trug eine Schere und ein Messer herbei.
»Setz' dich da nieder!« befahl der General dem ersten der Rekruten, und dieser gehorchte, verwundert und ohne zu wissen, was mit ihm geschehen sollte.
Sobald er sich niedergesetzt hatte, faßten ihn zwei Gehilfen des Profosen bei dem Arm; der eine der Soldaten trat heran und schnitt ihm den dichten krausen Bart ab, während der andere schnell das kurze Haar mit Seifenschaum überstrich.
Das alles war so schnell geschehen, daß der Kosak kaum zur Besinnung gekommen war; dann aber wurde ihm klar, was mit ihm geschehen sollte: der Bart, diese edelste Zierde des Mannes, welche die Söhne der Steppen für eine von Gott verliehene geheiligte Auszeichnung, für ein Symbol der Kraft und Würde hielten, sollte ihm abgenommen werden. Das war zu viel. Ein Schrei der Wut klang aus seinen Lippen hervor; er sprang auf und rang sich los, während zugleich alle übrigen Rekruten die geballten Fäuste emporhoben und drohende Rufe ausstießen. Aber die Gehilfen des Profosen hielten den Ringenden fest; zwei andere sprangen zu ihrer Hilfe herbei. Man bog ihm die Arme hinter den Rücken zurück und fesselte schnell sein Handgelenk mit starken, handfesten Stricken. Zugleich senkten sich die Gewehre der Grenadiere, die Hähne knackten und jeder der Kosaken sah aus den Mündungen der auf ihn gerichteten Läufe den sicheren Tod sich entgegendrohen.
»Wagt es, ein Glied zu rühren!« rief der General Traubenberg hohnlachend; »wagt es, ein Wort zu sprechen, ihr frechen Rebellen, so werde ich euch niederschießen wie die Hunde, und der Dienst Ihrer Majestät wird nichts dabei verlieren!«
Die Rekruten standen still; sie erkannten, daß sie bei jedem Versuch des Widerstandes verloren seien; aber Schaum trat auf ihre Lippen, ihre Augen färbten sich blutig, und furchtbare Verwünschungen drangen aus ihren bebenden Lippen.
Der erste war inzwischen rasiert worden; er stieß einen verzweiflungsvollen Jammerruf aus, als man ihn losließ, und laut weinend wie ein Kind, warf er sich auf die Erde nieder, als wolle er sein geschändetes Gesicht vor dem Lichte der Sonne verbergen.
»Ihr tut nicht wohl, gnädiger Herr,« sagte Matfeji Skrebykin, »indem Ihr tapfere Männer entehrt. Das kann der Wille der Zarewna nicht sein; sie kann in ihrem Heere nur mutige und stolze Soldaten brauchen, aber keine geschändeten Sklaven!«
»Ha, frecher Sätnik,« rief der General Traubenberg, »zum zweiten Male wagst du dich einzumischen! Meine Langmut ist zu Ende; dein schmutziger Bart soll fallen wie derjenige der anderen, und dann soll der Profos dich mit der Knute kitzeln, bis du mürbe wirst. Vorwärts, faßt ihn und rasiert ihn; es ist billig,« höhnte er, »daß der würdige Sätnik den übrigen mit gutem Beispiel vorangeht!«
Der Wachtmeister flüsterte dem General einige Worte ins Ohr.
»Recht!« rief Traubenberg, »das hatte ich vergessen; gut, daß der Unverschämte mich selbst daran erinnert. Ich weiß, pflichtvergessener Sätnik,« fuhr er fort, »daß in deinem Dorfe sich ein fahnenflüchtiger Deserteur befindet; in deinem eigenen Hause hat er Schutz gefunden; du mußt ja die Gesetze kennen, du mußt wissen, daß ein solches Verbrechen des Todes würdig ist.«
»Ich weiß nichts davon«, erwiderte Matfeji Skrebykin; »auch ist es unmöglich, daß solches geschehen sei; niemand ist in das Dorf gekommen – niemand ist in meinem Hause verborgen!«
»Du lügst, Elender!« rief der General Traubenberg. »Das konnte ich freilich von dir erwarten; doch gut, ich habe keine Zeit, in der elenden Höhle nach dem Flüchtigen zu suchen; du wirst Zeit haben, dich in dem Kerker von Gurjew zu besinnen, und die Knute wird dein Gedächtnis auffrischen.«
Abermals flüsterte der Wachtmeister dem General einige Worte ins Ohr.
Traubenberg nickte und sagte, indem er den in finsterer Verzweiflung dastehenden Sätnik höhnisch ansah:
»Du hast eine Tochter; die wird vielleicht besser wissen als du, was in deinem Hause vorgeht. – Sende eine Patrouille nach dem Hause dieses trotzigen Burschen,« befahl er dem Wachtmeister, »und laß die Dirne hierher holen; sie soll nach Gurjew gebracht werden und dort als Geisel in Haft bleiben, bis sie bekennt, wo der Deserteur verborgen ist, von dem sie vielleicht mehr wissen mag als der Alte da!«
»O Herr,« rief Matfeji Skrebykin, »das werdet Ihr nicht tun; Ihr werdet Gott fürchten, der den Unschuldigen schützt; Ihr werdet den Namen der Kaiserin nicht durch eine solche Gewalttat beflecken.«
»Bindet den Unverschämten und setzt ihn auf den Stuhl, damit er rasiert wird!« rief Traubenberg; »und du,« befahl er dem Wachtmeister, »laß sofort die Patrouille nach dem Dorfe abgehen, um das Mädchen zu holen!«
Während der Wachtmeister die Leute auswählte, erhoben die draußen vor dem Viereck stehenden älteren Männer ein wildes, drohendes Geschrei. Das Maß ihrer Geduld war erschöpft; sie drängten gegen die Linien der Grenadiere und versuchten dieselben zu durchbrechen.
»Heda, Kanoniere,« rief Traubenberg, »an die Geschütze! – Und ihr verruchten Aufrührer, seht dorthin nach euren Häusern; im nächsten Augenblick werden meine Kugeln sie vom Erdboden weggefegt haben!«
In der Tat wendeten sich alle Blicke entsetzt nach dem Dorfe hin. Da sah man, wie auf dem Wege daher eilig zwei Mönche kamen; sie hatten schon fast die Aufstellung erreicht – in der Mitte schritt ein Mann in Kosakentracht, eine purpurne Schärpe um die Hüften gewunden.
Die Profosgehilfen warfen sich auf Matfeji Skrebykin, der sich in gewaltsamem Ringen gegen sie verteidigte.
Das Viereck öffnete sich, um die Patrouille hinausschreiten zu lassen; in demselben Augenblicke aber drang Yemelka Pugatschew, dem die beiden Mönche unmittelbar folgten, die Soldaten zurückstoßend, in den inneren Raum.
»Halt!« rief er mit lauter Stimme, welche weithin alles übertönte. »Halt, verfluchter Ketzer, halt! Genug der Gewalttat! Gott ist da, zu richten und zu strafen; er hat den rechten Zaren erweckt, um die Betrügerin zu zerschmettern, die den Thron Rußlands entweiht. Dein Maß ist voll; du sollst das erste Opfer der rächenden Gerechtigkeit sein!«
Tiefes Schweigen herrschte ringsum; jeder stand wie angewurzelt auf seinem Platz; selbst der General Traubenberg fand kein Wort der Erwiderung auf diese Drohungen.
Aber nur eine Sekunde dauerte das Schweigen; denn im nächsten Augenblicke schon hatte sich Pugatschew mit einem mächtigen Sprung auf den General gestürzt, sein Arm schwang einen langen Dolch, den er aus seinem Gürtel gerissen – die Klinge blitzte in der Sonne und verschwand im nächsten Augenblick in der Brust des Generals.
Ein Blutstrahl spritzte hoch auf; Traubenberg stieß einen gellenden Wehruf aus, dann fiel er zuckend zu Boden. Krampfhaft griff er mit den Händen in das Gras, seine Augen brachen; man hörte nur noch einen röchelnden Laut aus seinem Munde.
Pugatschew setzte den Fuß auf seine Brust.
»So«, rief er laut, »soll es allen Ketzern ergehen – allen Schergen der Betrügerin und allen Feinden des heiligen Rußland!«
Ein einziger Schrei durchzitterte die Luft, in dem sich Entsetzen, wilde Drohungen und jubelnde Freude mischten.
Vor Schrecken erstarrt standen die Soldaten; die Kosaken durchbrachen die Linien und scharten sich um Pugatschew.
Der Vater Julian war aufgestanden und trat mit hoch erhobenem Kreuz zu Matfeji Skrebykin, hinter dem die Schergen des Profosen im Schrecken über die ungeheure Tat standen.
Auch die Offiziere hatten sich in eine Gruppe zusammengedrängt und ihre Degen gezogen.
»Ergreift den Mörder!« rief der Adjutant des gefallenen Generals. »Nieder mit den Rebellen! Gebt Feuer auf sie, gebt Feuer!«
Die Soldaten schlugen an – von allen Seiten starrten den Kosaken die Gewehrläufe entgegen; aber keiner wagte noch abzudrücken, denn bei einer allgemeinen Salve hätten die im Karree aufgestellten Soldaten sich gegenseitig treffen müssen.
Der Adjutant trat vor und gab das Kommando, das Viereck zu öffnen und die Grenadiere in eine Front zusammenzuziehen; aber sein Kommando wurde von Pugatschews Stimme übertönt, der, die Hand hoch erhebend, ausrief:
»Grenadiere, Kanoniere, ihr seid Söhne der heiligen Kirche, ihr seid Kinder des großen Vaterlandes; haltet an, befleckt euch nicht mit dem unsühnbaren Verbrechen des Hochverrats gegen den rechten Zaren, den Gesalbten von Gott. Die Herrschaft jener frechen, verfluchten Ketzerin, die sich Katharina Alexiewna nennt, ist zu Ende; ihr sollt eure Waffen nicht mehr tragen im Dienste der Betrügerin; ihr seid von Gott auserwählt, voranzuschreiten an meiner Seite zu dem Werke der Befreiung. – Ehrwürdiger Vater Julian, frommer und erleuchteter Diener der Kirche, der du das heilige Zeichen der Erlösung in deiner Hand trägst, sage den Verblendeten, wer es ist, der zu ihnen spricht, gegen dessen Brust sie ihre Waffen richten.«
Der Adjutant wiederholte sein Kommando, aber niemand hörte auf ihn, denn der Vater Julian war vorgetreten; er hob das Kreuz gegen Pugatschew und sagte:
»Gott hat ein Wunder getan; er hat den rechten Zaren aus dem Kerker befreit, in dem man ihn gefangen hielt, während man die Lüge von seinem Tode im Lande verbreitete; er hat ihn hierhergeführt zu den treuen und tapferen Kosaken am Yaik, mit denen er ausziehen wird, sein Reich wiederzugewinnen und die entweihte Krone wieder auf sein gesalbtes Haupt zu setzen. – Heil dir, Peter Feodorowitsch, Gesalbter des Herrn, großer Zar des heiligen Rußland! Heil dir! Sieg und Segen ergießen sich über dein Haupt!«
Er beugte sich tief vor Pugatschew; dann bot er ihm das Kreuz.
Pugatschew sank auf die Knie nieder und küßte inbrünstig das heilige Zeichen.
Die Kosaken standen einen Augenblick in stillem Erstaunen da.
»Hört ihr nicht, was ich euch verkündet!?« rief der Vater Julian. »Wollt ihr die Gnade Gottes von euch weisen? Hat die Zauberkunst der Hölle auch euren Sinn verblendet? Ruft mit mir: ›Heil dem Zaren! Heil Peter Feodorowitsch, dem Gesalbten des Herrn!‹«
Zitternd sanken die Kosaken auf die Knie; und zögernd erst, dann aber immer lauter und vollstimmiger klang es ringsumher:
»Heil Peter Feodorowitsch! Heil dem Gesalbten des Herrn!«
»Feuer!« kommandierte der Adjutant – »Feuer auf die Rebellen!«
Aber die Soldaten hatten die Gewehre abgesetzt; unschlüssig standen sie da.
Neben Pugatschew stand der Vater Julian das hoch erhobene Kreuz in der Hand.
»Seht ihn an!« rief er; »Soldaten, seht ihn an. Ist niemand unter euch, der unter ihm gedient hat? Niemand, der ihn erkennt?«
»Ja,« rief eine Stimme aus den Gliedern, »ja, er ist es! Der Bart hat ihn verändert, aber ich erkenne ihn wieder; ich habe ihn gesehen, als ich mit der Armee gegen die Dänen marschierte; er ist es, das ist Peter Feodorowitsch, den wir tot glaubten, den uns Gott wiedergegeben!«
Ein alter Soldat drängte sich durch die Reihen.
Er sank vor Pugatschew auf die Knie nieder, legte sein Gewehr zu dessen Füßen und küßte den Zipfel seines Kaftans.
»Ja, ja, er ist's, wir erkennen ihn!« riefen andere Stimmen, und sofort hatten die Glieder sich gelöst, alle Soldaten drängten sich heran; die Kanoniere verließen ihre Kanonen, und im nächsten Augenblick lag alles ringsumher auf den Knien, und brausend erscholl der Ruf über das Feld hin:
»Es lebe der Zar! Es lebe Peter Feodorowitsch!«
Die Offiziere standen in einer Gruppe zusammengedrängt finster da.
»Ergreift sie, legt ihnen Fesseln an!« befahl Pugatschew. »Auch ihnen soll verziehen sein, wenn sie meine Gnade anrufen und in mein Heer treten; wenn sie aber in ihrem Trotz verharren, so werden sie morgen die Strafe des Aufruhrs und Hochverrats erleiden. – Euch aber, meine Kinder,« fuhr er, die Hände ausbreitend, fort, »begrüße ich als freie Männer; aufgehoben sei in meinem Reiche für immer die Dienstbarkeit, welche die Menschen an die Erdscholle fesselt und der Willkür eines andern Herrn unterwirft. Nur der Zar sei fortan über euch, und über dem Zaren die Gerechtigkeit des ewigen Gottes. Heute laßt uns freudig den ersten Tag der Freiheit beginnen; morgen werden wir ausziehen, um eure Brüder in unser Heer einzureihen und im schnellen Siegeslauf den Thron der fremden Ketzerin zu zerschmettern!«
Immer lauter hallte der Jubel ringsumher. Alle drängten sich heran, alle wollten Pugatschews Hände und Kleider küssen; alle riefen in flammender Begeisterung:
»Heil dem Zaren! Heil Peter Feodorowitsch!«
Matfeji Skrebykin trat zu Pugatschew heran, an dessen Seite der Vater Julian stand.
»Habe ich dich nicht vor drei Jahren hier gesehen, Yemelka Pugatschew?« sagte der alte Sätnik mit ernstem, durchdringendem Blick.
»Du hast ihn gesehen, Matfeji Skrebykin!« antwortete der Vater Julian, »denn lange schon war er aus dem Gefängnis entkommen; aber mit höllischem Trank hatten sie seinen Geist vergiftet, daß er die Erinnerung verloren an die Vergangenheit, daß er selbst glaubte, Yemelka Pugatschew zu sein. Aber die Züge seines Gesichts haben sie nicht verändern können; über das gesalbte Haupt des Zaren vermochte die Zaubermacht nichts, und dem Gebete der frommen Priester der Kirche ist es gelungen, ihren höllischen Zauber zu bannen und ihm die Erinnerung wiederzugeben. Wohl hast du Yemelka Pugatschew gesehen, aber Yemelka Pugatschew war der Zar Peter Feodorowitsch; zweifle nicht, wo Gott selbst seine Wunder verrichtet; zweifle nicht, wo der Diener der heiligen Kirche dir zu glauben befiehlt!«
Langsam, immer den Blick auf Pugatschews Gesicht geheftet, beugte auch Matfeji Skrebykin das Knie; auch er küßte seine Hand, auch er rief:
»Es lebe der Zar! Es lebe Peter Feodorowitsch!«
Die Offiziere waren inzwischen gefesselt und wurden von mehreren Soldaten bewacht.
»Auf nun,« rief Pugatschew, »auf; der heutige Tag gehört der Freude, folgt mir zum Dorfe! Die Grenadiere und Kanoniere sind die Gäste der tapferen Kosaken. Ihr dort führt die Gefangenen nach der Festung; verkündet euren Brüdern, die dort noch stehen, daß der rechte Zar da sei, sie zum Kampfe für die Freiheit zu führen!«
Die Soldaten führten die gefangenen Offiziere auf dem Wege nach Gurjew fort. Man hatte für Pugatschew ein Pferd herbeigeführt; er bestieg dasselbe und ritt, den Vater Julian zur Seite, umringt von den jubelnden Kosaken und gefolgt von den Soldaten, welche sich auf seinen Befehl wieder in militärische Glieder zusammengeschlossen hatten, nach Saratschowskoi hin.
Am Eingange des Dorfes standen die Frauen, welche mit immer steigender Angst und Unruhe den Lärm auf der Wiese gehört hatten. An ihrer Spitze befand sich Xenia.
Als der Zug sich näherte, als sie Pugatschew zu Pferde an dessen Spitze erkannte, eilte sie ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen.
»O mein Geliebter,« rief sie jubelnd, »du bist da, sie haben dich nicht getötet – o, nun ist alles gut!«
Pugatschew reichte ihr vom Pferde herab die Hand, und während alles auf seinen Wink verstummte, sprach er mit lauter, feierlicher Stimme:
»Xenia Matfejewna, ich habe dir gesagt, daß Großes geschehen werde; die Stunde der Offenbarung göttlicher Allmacht ist gekommen. Als mein Sinn noch von dem höllischen Zauber betört war, als ich noch glaubte, Yemelka Pugatschew, der Kosak, zu sein, hast du mir dein Herz geschenkt. Ich habe dich geliebt und gelobte, dir meine Hand zu reichen; der Zauber ist verschwunden, mein Geist ist frei, mein Blick ist klar, aber die Liebe ist geblieben; deine Treue soll belohnt werden. Zerrissen ist das Band, das mich einst an die Verbrecherin fesselte, die tausendfach den Tod verdient hat; hier ist meine Hand, ich reiche sie dir hier vor Gott und vor allen diesen freien Männern!«
»Ist es möglich!?« rief Matfeji Skrebykin; »kann solches Heil meinem Hause beschieden sein?«
»Gott wählt seine Werkzeuge«, sagte der Vater Julian, indem er seine Hand auf die Schulter des Sätnik legte. »Beuge dich vor dem Willen Gottes und zeige dich so hoher Gnade würdig!«
Xenia starrte zu Pugatschew auf; sie vermochte seine Worte nicht zu verstehen und zitternd, kaum hörbar fragte sie:
»Du glaubtest Yemelka Pugatschew zu sein – ein Zauber hielt deinen Sinn gefangen. – O mein Gott! Wer bist du denn?«
»Es lebe der Zar! Es lebe Peter Feodorowitsch!« klang es ringsumher.
»Zar!« rief Xenia aufschreiend – »Peter Feodorowitsch –«
»Den Gott aufgerichtet hat, sein Volk zu befreien!« sagte der Vater Julian.
»Und du«, rief Pugatschew, »sollst meine Gemahlin sein. Wie mein Ahnherr, der große Zar Peter, eine Tochter des Volkes zu sich erhob, so sollst du neben mir auf den Thron steigen, und die Tochter des befreiten Volkes soll auch meine Zarewna sein! Heil Xenia Matfejewna! Heil der Zarewna!«
»Heil dem Zaren! Heil der Zarewna!« jubelten die Kosaken.
Pugatschew stieg vom Pferde; er reichte Xenia die Hand, und von allem Volke gefolgt, schritt er der Kirche zu, um vor dem Altar niederzuknien und den Segen des Vater Julian zu empfangen.
Als Xenia sich nach langem, brünstigem Gebet erhob, küßte sie Pugatschews Hand und blickte in schwärmerischer Begeisterung zu ihm auf.
Noch vermochte sie das alles nicht zu fassen, was heute geschehen war, aber überschwängliches Glück schwellte ihr Herz, und der Geliebte, den sie wiedergefunden, der zu so schwindelnder Höhe emporgestiegen war und doch von dieser Höhe sich zu ihr herabbeugte, um sie zu sich zu erheben, er war in diesem Augenblick ihr Herr, ihre Vorsehung, ihr Gott.
Von lautem Jubel hallte an diesem Abend das ganze Dorf wieder. Man hatte lodernde Holzfeuer auf den Wiesen angezündet, alle Vorräte wurden aufgezehrt; man feierte, wie Pugatschew es befohlen, den ersten Tag der Befreiung des heiligen Rußland.
Als an einer schnell aufgetragenen Tafel Pugatschew an Xenias Seite beim festlichen Mahle saß, das nur aus den einfachen und ursprünglichen Erzeugnissen der Kosakenwirtschaften bestand, trat Adam Tschumakow vor ihm hin.
Er beugte sich tief, küßte Pugatschews Kaftan und sagte: »Erhabener Zar! Ich war der Freund, der treue und ergebene Freund des Yemelka Pugatschew; erlaubt mir, der ebenso treue Diener des neu erstandenen Zaren Peter Feodorowitsch zu sein!«
Ein leises Murren ließ sich ringsumher vernehmen.
Man liebte Adam Tschumakow nicht in Saratschowskoi, und seine Befreiung von der Rekrutierung, seine schnelle Entfernung in jenem verhängnisvollen Augenblicke hatte die Abneigung gegen ihn nicht vermindert.
Xenia blickte ihn streng an, sie schien ein Wort sprechen zu wollen; aber schon hatte Pugatschew ihm die Hand gereicht. Freundlich sagte er zu ihm:
»Der Zar Peter Feodorowitsch wird die Freunde Yemelka Pugatschews nicht vergessen. Wie du jenem treu warst, wirst du auch mir treu sein; nimm den Platz an meiner Seite!«
Niemand wagte zu widersprechen.
Xenia war zu glücklich, zu betäubt von all dem Wunderbaren, das sie erlebt, um Groll und Unmut zu bewahren; und so saß denn Adam Tschumakow auf dem Ehrenplatz an Pugatschews Seite mit niedergesenkten Augen und seinem kalten, blassen Lächeln, während im Feuerschein der lodernden Holzstöße die Kosaken vor dem wiedererstandenen Zaren sich in ihren Reiterkunststücken einander zu überbieten suchten.