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In dem Konseilzimmer des Winterpalais versammelten sich die Hauptratgeber der Kaiserin: der Kriegsminister Graf Zachar Tschernitschew, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Graf Panin, der Admiral Graf Alexis Orloff, und endlich erschien auch der Generalfeldzeugmeister Fürst Gregor Orloff, wie gewöhnlich in einem grauen Kostüm von gesuchter Einfachheit, auf dessen Brust der Stern des St.-Andreas-Ordens gestickt war.
Der stolze Feldzeugmeister, welcher so lange unbestritten den ersten Platz unter den Großen des Reiches eingenommen hatte, suchte häufig eine besondere Genugtuung für seine Eitelkeit darin, daß er unter den Galauniformen und reichen Hofkleidern der übrigen Würdenträger in auffallender Einfachheit erschien, als wolle er damit äußerlich zu erkennen geben, daß er über all den anderen und der Kaiserin gleich stehe; dabei aber war sein so einfaches, graues Kostüm mit diamantenen Knöpfen von außerordentlicher Schönheit und unschätzbarem Werte besetzt, so daß auch selbst der Reichste der Großen dieses Reiches eine solche Einfachheit dennoch nicht hätte nachahmen können.
Der Fürst Gregor war außerordentlich heiter und hatte, ganz abweichend von seiner sonstigen oft brüsken, hochmütigen und verletzenden Weise, für jeden der bereits Anwesenden einen verbindlichen Gruß und ein freundliches Wort; er schien die zurückhaltende Kälte des Grafen Panin und das leicht spöttische Lächeln des Grafen Tschernitschew nicht zu bemerken und plauderte sorglos und heiter mit beiden, so daß sein Bruder Alexis ihm mehrmals zunickte, um ihm die Zufriedenheit darüber auszudrücken, daß er seine Ratschläge so gut befolge.
Das Zimmer, in welchem die Kaiserin Katharina ihre Konseilsitzungen abhielt, war dasselbe, welches bereits der Kaiserin Elisabeth zu dem gleichen Zweck gedient hatte. Es war ein mittelgroßes Gemach mit dunklen Tapeten, schweren, dunklen Vorhängen vor den großen Fenstern, in dessen Mitte sich ein großer, mit grünem Samt bedeckter Tisch befand. Über dem mit dem kaiserlichen Wappen versehenen Lehnstuhl der Kaiserin hing ein vortreffliches Bild des Kaisers Peter des Großen; rings um den Tisch standen die Sessel für die von der Kaiserin zum Rat befohlenen Minister, auf den Seitentischen sah man Bücher, Aktenstücke, Karten und Schreibmaterialien.
Die vier Herren mochten etwa eine Viertelstunde gewartet haben, als die Türflügel weit geöffnet wurden und die Kaiserin eintrat.
Sie trug ein ziemlich einfaches Morgenkostüm von dunkelgrüner Seide, dessen Schnitt ungefähr die Mitte hielt zwischen der französischen Mode und der russischen Nationaltracht, in der sie sich öffentlich stets zeigte; der Stern des St.-Andreas-Ordens funkelte auf ihrer Brust, und trotz der Einfachheit ihres Anzuges schmückte ihr kaum gepudertes, in zwei langen Seitenlocken über die Schultern herabfließendes Haar das kleine Diadem in Form der byzantinischen Kaiserkrone, das sie immer trug, sobald sie irgendeine Funktion ihrer Regierung ausübte.
Als die vier Würdenträger sich von der tiefen Verbeugung wieder aufrichteten, mit welcher sie die Monarchin begrüßt hatten, zeigte sich in ihren Mienen eine nicht geringe Verwunderung, denn hinter der Kaiserin war der General Potemkin in das Zimmer getreten, und auf Katharinas Wink wurden die Türen von den Pagen wieder geschlossen, ein deutliches Zeichen, daß Potemkin seine Gebieterin nicht nur in seiner Eigenschaft als Adjutant begleitet habe, sondern daß er der Beratung der ersten Diener der Krone beiwohnen solle.
Der Eindruck dieser außergewöhnlichen Tatsache war jedoch ein sehr verschiedener. Panin und Tschernitschew zeigten deutlich eine ironische Freude darüber, daß die Macht des bisher so übermütig sicheren Günstlings nun gerade an der Stelle erschüttert schien, auf welche er bisher seine unangreifbare Sicherheit gestützt hatte. Alexis Orloff blickte finster und drohend, der Fürst Gregor aber schien auch in diesem Augenblick der vorsichtigen und klugen Ratschläge seines Bruders besser eingedenk zu sein als dieser selbst, denn er erbleichte zwar ein wenig beim Anblick des mit siegesstolzer Miene eintretenden Adjutanten, aber er hielt dennoch das heitere, sorglose Lächeln auf seinen Lippen fest und erwiderte Potemkins Gruß mit herablassender Artigkeit so ruhig und unbefangen, als ob dessen Erscheinen in dem Konseilzimmer die natürlichste Sache von der Welt wäre. Ebenso unbefangen und ruhig war die Kaiserin, wenn auch ihr Auge sich einen Augenblick forschend und fragend auf Gregor Orloff gerichtet hatte.
»Da ich die Absicht habe,« sagte sie, auf ihrem Lehnstuhl Platz nehmend, »Ihren so oft bewährten Rat zu hören über die für das Reich so wichtige Angelegenheit des Krieges gegen die Türken, so habe ich den Grafen Potemkin mit mir hierher geführt, da derselbe so lange dort als General im Felde stand und die Verhältnisse kennen muß. Nehmen Sie Platz, Graf Gregor Alexandrowitsch.«
Potemkin setzte sich der Kaiserin gegenüber.
Panin und Tschernitschew neigten sich zustimmend, Alexis Orloff blickte finster vor sich nieder; Fürst Gregor aber sagte lächelnd:
»Ich bin gewiß, daß die Meinung des Generals Potemkin für unsern Beschluß wertvoll sein wird; er hat ja einen verdienstvollen, wenn auch nur untergeordneten Anteil an den glänzenden Waffentaten des Feldmarschalls Romanzow genommen und wird über die militärische Lage auf dem Kriegsschauplatze eingehend und treffend berichten können.«
»Beginnen wir,« sagte die Kaiserin schnell, während Potemkin sich errötend auf die Lippen biß. »Sie wissen,« fuhr sie fort, »daß der Feldmarschall Romanzow bei Jablonitz in der Walachei am Ufer der Donau steht, während auf der andern Seite des Flusses der Großwesir Mussum Oglu lagert.«
Graf Tschernitschew stand auf, nahm eine Karte von dem Seitentisch und breitete sie vor der Kaiserin aus, indem er derselben die Stelle bezeichnete, von der sie soeben gesprochen.
Katharina dankte mit einer freundlichen Neigung des Kopfes und fuhr fort:
»Ich habe nun an den Feldmarschall Romanzow einen Kurier geschickt und ihn fragen lassen, warum er nicht den Übergang über die Donau erzwinge und eine Schlacht liefere, statt so lange in Untätigkeit zu verharren.«
»Ah,« sagte Fürst Gregor verletzt, »ich wußte nichts davon.«
»Ich halte es für meine Pflicht,« erwiderte Katharina stolz, »mich erst selbst genau zu unterrichten und mir ein eigenes Urteil zu bilden, ehe ich den Rat meiner ersten Diener einhole.«
»Und was hat der Feldmarschall geantwortet?« fragte Tschernitschew.
»Mein Kurier ist gestern zurückgekehrt«, sagte Katharina. »Der Marschall schreibt mir kurz, daß der Großwesir über dreimal so viel Mannschaft verfüge als er, und daß unter diesen Umständen der Erfolg zweifelhaft wäre.«
»Der Feldmarschall hat recht«, bemerkte Potemkin; »er hat von seiner Armee Truppen nach Polen abgeben müssen, und die Türken haben fortwährend Verstärkungen erhalten; die Macht ist ungleich, die Türken verfügen über eine bedenkliche Überzahl.«
»Und was ist zu tun?« fragte Katharina, indem sie sich zuerst an den Fürsten Gregor wendete.
»Romanzow muß Verstärkung erhalten,« erwiderte dieser, »und zwar schnell und in so ausreichender Zahl, daß er wenigstens über die gleiche Macht verfügt wie die Türken, dann bin ich gewiß, daß er siegen wird; jetzt, da die Polen in Parteien gespalten sind und sich untereinander bekämpfen, kann man immerhin von dort einige Korps zurückziehen, um sie nach der Türkei zu senden. Ein baldiges Ende dieses türkischen Feldzuges, der immer neue Opfer an Geld und Menschen kostet, ist sehr erwünscht, und nach einem Schlage, der die Ehre unserer Waffen rettet, wird der Sultan sich zu einem Frieden entschließen, der auch dem Grafen Panin«, fügte er boshaft hinzu, »eine diplomatische Niederlage erspart.«
»Ich schließe mich ganz der Meinung meines Bruders an«, sagte Alexis Orloff.
Graf Tschernitschew stimmte ebenfalls bei.
»Wenn es eine diplomatische Niederlage genannt werden kann,« sagte Graf Panin, »daß wir bisher noch nicht zu einem ehrenvollen und genügenden Friedensschluß mit der Pforte gelangt sind, so trifft die Schuld daran nicht mich, sondern Seine Durchlaucht den Fürsten Gregor Gregorjewitsch!«
»Mich?« rief Orloff auffahrend. »Was zum Teufel habe ich damit zu tun? Führe ich die auswärtigen Angelegenheiten des Reiches?!«
»Nein,« erwiderte Graf Panin, »aber ich bin Minister und kann nicht überall selbst sein; ich muß mich auf die Bevollmächtigten verlassen, welche unsere allergnädigste Kaiserin für die diplomatischen Verhandlungen auszuwählen die Gnade hatte. Ihre Majestät wird sich erinnern, daß es der Fürst Gregor Gregorjewitsch war, den sie mit den Friedensverhandlungen zu Fockschani beauftragt hat. Damals zitterten die Türken noch unter der Wucht der siegreichen Schläge des Marschalls Romanzow; sie waren geneigt, alles zu bewilligen, was man von ihnen verlangte; dem Fürsten Gregor Gregorjewitsch aber beliebte es, den Kongreß von Fockschani zu verlassen und plötzlich hier in Petersburg zu erscheinen.«
»Weil ich hier nötig war,« fiel Orloff heftig ein, »um zu verhüten, daß Torheit und Indolenz verdarben, was dort gutgemacht ward.«
»Ich zweifle nicht,« sagte Panin, dessen Erregtheit sich nur durch ein leichtes Zucken seiner Lippen kundgab, »ich zweifle nicht, daß der Fürst Orloff sehr gewichtige Gründe für die plötzliche Rückkehr von dem durch Eure Majestät ihm anvertrauten Posten hatte; doch steht die Tatsache fest, daß durch seine Rückkehr die Verhandlungen, welche dem Abschluß nahe waren, ins Stocken gerieten und daß die Türken Zeit gewannen, ihre Streitkräfte mächtig zu verstärken, und den Feldzug mit neuer Kraft zu beginnen, während Romanzows Heer unter Seuchen litt und ihm außerdem namhafte Streitkräfte entzogen wurden, um sie nach Polen zu senden. Die Unterbrechung des Kongresses von Fockschani ist daher die erste Ursache für die gegenwärtige Lage der Dinge.«
»Lassen wir die Vergangenheit,« sagte Katharina, »sie ist nicht zu ändern. Es handelt sich jetzt darum, die Gegenwart zu beherrschen, um die Zukunft zu gewinnen. Was ist Ihr Rat, Graf Nikita Alexandrowitsch?«
»Ich stimme«, sagte dieser mit leichter Ironie, »durchaus dem Fürsten Gregor Gregorjewitsch darin bei, daß dem Feldmarschall Romanzow zunächst Verstärkung gesendet werde, um seine Truppenmacht mit derjenigen der Türken auszugleichen. Weiter aber würde ich Eurer Majestät als ein nach meiner Ansicht vielleicht wirksameres Mittel vorschlagen, Vertraute und geschickte Unterhändler nach Konstantinopel selbst zu senden. Ich weiß durch zuverlässige Berichte, daß der Thron des Sultans Mustapha bedroht ist, daß sein Bruder Abdul Achmed zahlreiche Anhänger unter den Janitscharen hat und ernstlich daran arbeitet, den Sultan vom Throne zu stoßen, der seinerseits täglich Meuchelmörder gegen ihn aussendet, da er es bei der Stimmung der Janitscharen nicht wagt, ihn hinrichten zu lassen. Diese Verhältnisse geschickt zu benützen, scheint mir in diesem Augenblick unsere Aufgabe zu sein. Der Prinz Abdul Achmed bedarf vor allem Geld, um immer mehr Anhänger zu gewinnen und den entscheidenden Schlag zu führen. Wenn wir ihn unterstützen und ihm die Mittel zu seiner Thronbesteigung gewähren, so wird er geneigt sein, unsere Bedingungen für einen Friedensschluß im voraus zu genehmigen, und wir werden, wenn seine Thronrevolution gelingt, unser Ziel erreichen durch ein geringeres Opfer an Geld, als der Krieg kostet, und ohne Verlust von Menschenleben, die wertvoller sind als Geld.«
»Euer Rat ist gut, Graf Nikita Alexandrowitsch,« sagte Katharina, »doch vielleicht zu klug zugespitzt. Wer bürgt uns dafür, daß die Anschläge des Prinzen Abdul Achmed gelingen, und wird der Sultan nicht tief erbittert werden, wenn er unsere Teilnahme an der Verschwörung seines Bruders entdeckt? Würde Abdul Achmed die Bedingungen, die er jetzt eingehen möchte, halten, wenn er wirklich die Macht erlangt? Das sind Bedenken der diplomatischen Klugheit. Mehr als das aber wendet mich ab von Eurem Rat: es ist der Kaiserin von Rußland unwürdig, einen rebellischen Prinzen zu unterstützen, der sich auflehnen soll gegen seinen rechtmäßigen Herrn! Und niemals werde ich ein solches Beispiel geben, und wäre es auch am Hofe der Ungläubigen!«
Graf Panin neigte erbleichend das Haupt; Gregor Orloff dankte der Kaiserin durch einen Blick für die scharfe und demütigende Lektion, welche sie ihrem auswärtigen Minister erteilte.
»Und Ihr, Graf Gregor Alexandrowitsch?« fragte die Kaiserin Potemkin, indem ihre Stimme einen weichen und schmeichelnden Ton annahm.
»Ich habe Eurer Majestät bereits bemerkt,« erwiderte Potemkin, »daß dem Feldmarschall Romanzow eine in der Tat überwältigende türkische Macht gegenübersteht. Ich erlaube mir daher, in Übereinstimmung mit dem Fürsten Gregor Gregorjewitsch, die schleunige Entsendung genügender Verstärkungen an den Feldmarschall Romanzow dringend anzuraten. Dann aber«, fuhr er fort, »möchte ich auch der diplomatischen Kunst des Grafen Panin ein wirksames Feld der Tätigkeit zuweisen, wenn auch nicht auf dem Schauplatz in Konstantinopel, den Eure Majestät mit Recht Ihrer kaiserlichen Würde nicht geziemend erachtet. Ich weiß,« fuhr er fort, während Katharina aufmerksam seinen Worten lauschte, »daß die Disziplin in der türkischen Armee stark untergraben ist, da unter den Unterbefehlshabern des Großwesirs lebhafte Unzufriedenheit gegen Mossum Oglu herrscht. Jeder seiner Generale möchte ihn stürzen, um sich an seine Stelle zu setzen. Hier wird das Gold reiche Früchte tragen, ohne daß die Rebellion gegen den rechtmäßigen Herrscher unterstützt wird, wenn es gelingt, die Untergenerale des Großwesirs zu bestechen, und das wird leicht sein. Da sie alle ihm einen Mißerfolg wünschen, so wird die unter sich gespaltene türkische Macht wirkungslos werden; ich würde Eurer Majestät raten, geschickte Agenten in das türkische Lager zu entsenden; ich bin überzeugt, daß trotz der Übermacht der Wesir keinen Erfolg erringt; mag dann in Konstantinopel Mustapha oder Achmed auf dem Throne sitzen, die Hauptsache bleibt es, die Feldmacht der Türken zu brechen und dann schnell, ehe sie sich wieder erholen können, Frieden zu diktieren.«
Katharinas Blicke ruhten, während Potemkin sprach, wohlgefällig auf dessen Gesicht; sie neigte freundlich den Kopf und sagte:
»Euer Rat, Graf Gregor Alexandrowitsch, beweist mir, wie recht ich hatte, als ich bei Euch eine genaue Kenntnis der Verhältnisse voraussetzte! Euer Rat ist gut, aber es ist der Rat eines Generals, dem eine Kriegslist erlaubt sein mag, um den Sieg zu erringen; der Kaiserin widerstrebt es, einen Feind zu besiegen, dessen Kraft durch das Gift der Bestechung gebrochen ist.«
Potemkin errötete vor Unwillen. So freundlich und entschuldigend auch die Kaiserin gesprochen hatte, so fühlte er sich doch durch ihre Worte gedemütigt und tief herabgesetzt unter die Höhe, auf welche sie selbst sich stellte.
Orloff sah ihn mit Blicken voll höhnischen Triumphes an, Graf Panin aber neigte billigend den Kopf; er war dem neuen Günstling fast dankbar dafür, daß derselbe seine eigene Niederlage mit ihm teilte.
»Ich habe Ihren Rat gehört, meine Herren,« sagte die Kaiserin nach einer kurzen Pause, »und meinen Entschluß gefaßt.«
»Und was befehlen Eure Majestät, daß geschehen soll?« fragte Gregor Orloff triumphierend; denn er war gewiß, daß sein Rat von der Kaiserin befolgt werde, und daß er auch diesmal wieder die oberste und leitende Stellung im Konseil behauptet habe.
Katharina sah ihn groß an, ein eigentümlicher Glanz leuchtete in ihren Augen.
»Der Feldmarschall Romanzow«, sagte sie, »muß eine Antwort auf seine Meldung haben; ich will sie ihm senden!«
Sie winkte.
Gregor Orloff schob ihr das goldene Schreibzeug zu, Graf Panin reichte ihr einen Bogen Papier und eine Feder, und ohne sich zu besinnen, ohne einen Augenblick anzuhalten, schrieb Katharina einige Zeilen und unterzeichnete dieselben mit ihrem Namen.
»Hier ist meine Antwort«, sagte sie, stolz umherblickend; »ein Eilbote soll dieselbe sogleich dem Feldmarschall überbringen.«
»Wie lautet Eurer Majestät Befehl?« fragte Orloff verwundert, während alle erstaunt auf die wenigen Zeilen blickten, welche diese so schwierige und wichtige Angelegenheit, über die so verschiedene Meinungen laut geworden waren, erledigen sollten.
Katharina las:
»Der Feldmarschall Peter Alexandrowitsch Romanzow meldet mir, daß ihm die Türken in dreifacher Übermacht gegenüberstehen. Die Römer fragten niemals, wie stark ihre Feinde seien, sondern nur, wo dieselben ständen, um sie anzugreifen und zu schlagen.«
Eine lautlose Stille folgte diesen Worten; alle waren starr über einen solchen fast vermessenen Stolz, der das Schicksal selbst herauszufordern schien. Graf Panin allein wagte es, mißbilligend den Kopf zu schütteln.
»Das ist erhaben, Majestät,« sagte er, »aber –«
»Aber?« fragte die Kaiserin.
»Wenn Romanzow diese Zeilen liest,« fuhr Graf Panin fort, »wird er eine Torheit begehen; er wird schlagen, vielleicht seine Armee opfern und des Reiches Macht und Sicherheit gefährden.«
»Nein, Graf Nikita Alexandrowitsch,« sagte Katharina hocherhobenen Hauptes, »er wird siegen; er wird die Heldenkraft wiederfinden, die er verloren hat, als er begann, seine Feinde zu zählen. Dies ist mein Beschluß, dies ist meine Antwort an den Feldmarschall, ich habe ihm keine andere zu geben; sorgen Sie, daß der Kurier sogleich abgeht.«
Sie reichte Panin das von ihr beschriebene Blatt, winkte Potemkin und verließ nach kurzem Gruß, von ihrem Adjutanten gefolgt, das Sitzungszimmer.
»Sie ist toll, sie ist rasend!« rief Gregor Orloff in heftigem Ausbruch. »Sie richtet das Reich und uns alle zugrunde; dieser Brief darf nicht abgehen!«
Er streckte die Hand aus, um Panin das Blatt zu entreißen; dieser aber sagte kalt:
»Ich habe meine Meinung gesagt. Der Kaiserin gegenüber habe ich nur Gehorsam; ihr gehört die Verantwortung!«
Er faltete den Brief zusammen und verschloß ihn mit dem großen Reichssiegel.
Alexis Orloff führte seinen heftig erregten Bruder fort.
Tschernitschew sagte nichts und folgte schweigend dem Grafen Panin; er wußte genau, daß jede Vorstellung gegen den von der Kaiserin gefaßten Beschluß vergebens sein würde und daß dieser Beschluß längst bei ihr festgestanden haben mußte, bevor sie denselben nach so kurzer Beratung verkündete.
Potemkin hatte die Kaiserin, hinter ihr herschreitend, während die Pagen, die an der Tür des Sitzungszimmers gewartet hatten, vorauseilten, nach dem Kabinett begleitet, in welchem sie sich während des Tages aufzuhalten pflegte und in welchem sich außer einigen Lehnstühlen und Diwans an den Wänden nur ein großer, mit Briefschaften und Aktenstücken bedeckter Schreibtisch sowie eine kleine Handbibliothek befanden.
Als die Pagen die Tür wieder geschlossen hatten, reichte sie Potemkin die Hand und fragte, zärtlich zu ihm aufblickend:
»Nun, was sagst du, mein stolzer Held? Bist du zufrieden mit deiner Katharina, zufrieden mit der Kaiserin?«
»Ich bewundere meine angebetete Katharina«, erwiderte Potemkin; »aber die Kaiserin –«
»Nun, die Kaiserin?« fragte Katharina, indem sie seine Hand drückte.
»Die Kaiserin hat groß und erhaben gehandelt,« erwiderte er, »aber –«
»Aber tollkühn!« fiel Katharina lächelnd ein; »nicht wahr, das willst du sagen?«
»Ja, bei Gott, tollkühn und hoch gefährlich!« rief Potemkin. »Romanzow steht am Ufer des Flusses, die türkische Übermacht ist dreifach; es ist unmöglich für ihn, den breiten Strom im Angesicht des Feindes zu überschreiten, ohne daß er die Hälfte seiner Truppen verliert, und die andere Hälfte wird am andern Ufer aufgerieben werden.«
»Nein, mein Freund, das wird nicht geschehen,« erwiderte Katharina, »denn bereits hat mein Kurier die Armee in Polen erreicht, der den Befehl dorthin bringt, ein starkes Korps an die Donau zu senden. Du kennst Romanzow?«
»Er hat mich stets mit seiner Freundschaft beehrt«, erwiderte Potemkin ganz erstaunt.
»Nun denn,« sagte Katharina lächelnd, »so schreibe ihm, der Freund dem Freunde; sage ihm, daß ich einen Sieg von ihm erwarte, daß aber dieser Sieg sicher und gewiß sein müsse und daß eine Armee von Polen her in Eilmärschen zu seiner Verstärkung heranrücke. Glaubst du nicht, daß er warten wird, bis diese Armee ihn erreicht?«
»Er wäre wahnsinnig, wenn er es nicht täte!« rief Potemkin, »und Romanzow ist ebenso klug und vorsichtig als unerschrocken und mutig.«
»Gut denn,« sagte Katharina, »du siehst also, daß ich wohl recht hatte, des Sieges gewiß zu sein, und dann,« fügte sie, wie sich plötzlich erinnernd, hinzu, »du sprachst von Spaltungen in der Armee des Großwesirs; kannst du geschickte Leute finden, um sie dorthin zu senden?«
»Ich werde sie finden«, sagte Potemkin, immer mehr erstaunt. »Ich war bereit, sie vorzuschlagen und diese schwierigen und geheimnisvollen Verhandlungen zu leiten, wenn mein Rat Annahme gefunden hätte«, fügte er vorwurfsvoll hinzu.
»So sende sie ab, mein Freund, sende sie ab«, sagte Katharina; »sage mir, wieviel du bedarfst, um die Generale des Großwesirs zu gewinnen, mein Schatz steht dir offen; aber niemand, hörst du, niemand darf davon etwas wissen als du allein, du, dem ich vertraue, weil ich dich liebe.«
»O meine Katharina,« rief Potemkin, indem er sie in seine Arme schloß, »du bist größer als alle Helden der Geschichte; du allein bist stärker als die ganze Kraft deines weiten Reiches, die dein Geist bewegt; dein ist der Sieg, und jetzt bin ich gewiß, Byzanz wird der Fußschemel deiner Weltherrschaft werden!«
»Und dann«, sagte die Kaiserin, sich zärtlich an ihn schmiegend, »wird Gregor Alexandrowitsch, mein geliebter Held, der Schwertträger des neuerstandenen oströmischen Reiches sein!«
Einen Augenblick ruhte sie an seiner Brust, dann aber machte sie sich sanft von ihm los und sagte:
»Geh' jetzt, mein Freund, und laß mich allein; ich muß regieren,« fügte sie lächelnd hinzu, »der Tag gehört meinem Reiche, meinen Sorgen, meiner Arbeit. Die ungestümen Sonnenrosse der Herrschaft müssen mit klarem Blick und fester Hand gelenkt werden, um an jedem Tage von neuem die schwindelnde Bahn sicher zu durchmessen; dort drüben in meiner Einsiedelei darf ich der Liebe leben, hier muß ich für die Geschichte arbeiten, um mir den Sockel meiner Unsterblichkeit zu erbauen.«
Sie hatte die letzten Worte mit lächelnden Lippen, aber mit einem ernsten, feierlichen Tone gesprochen.
Potemkin küßte ihre Hand und schritt, sich fast unwillkürlich tief und ehrerbietig vor ihr verneigend, hinaus.
»Sie ist ein Abgrund,« sagte er, indem er gesenkten Hauptes in tiefem Sinnen nach seiner Wohnung ging; »kaum glaubt man die Tiefe dieses Abgrundes ermessen zu haben, so öffnet sich wieder eine neue unergründliche Tiefe dem entsetzten Blick. Wie wenig Raum läßt die Kaiserin dem Weibe. Wird es möglich sein, durch des Weibes Laune die Kaiserin zu beherrschen? Nein, nicht durch des Weibes Laune; aber über die Kaiserin herrscht der Ehrgeiz, und je heller und lockender das Ziel dieses Ehrgeizes strahlt, um so sicherer und williger wird sie der Hand folgen, die es ihr voranträgt.«
Katharina hatte, als sie allein geblieben war, einen Augenblick wie träumend dagestanden; dann fuhr sie mit der Hand über die Stirn, schüttelte fast unwillig den Kopf und bewegte eine kleine goldene Glocke, welche auf ihrem Schreibtische stand.
»Ist der General Sergius Semenowitsch Soltikow da?« fragte sie den eintretenden Türhüter.
»Der General steht zu Eurer Majestät Befehl.«
»Ich erwarte ihn«, sagte die Kaiserin, und wenige Augenblicke darauf trat der General in das Kabinett.
Der General Sergius Semenowitsch Soltikow, ein Abkömmling jenes hochvornehmen russischen Stammes, welcher schon vor Peter dem Großen mit den Romanows verschwägert gewesen, war etwas über vierzig Jahre alt. Er war Kammerherr am Hofe des Großfürsten Peter Feodorowitsch gewesen, dann von der Kaiserin Elisabeth als Gesandter nach Stockholm geschickt worden, um dort die Geburt des Großfürsten Paul Petrowitsch anzuzeigen.
Infolge der Gerüchte, welche zu jener Zeit über die Beziehungen des jungen Kammerherrn zu der Großfürstin Katharina verbreitet waren, hatte die Kaiserin Elisabeth ihm die Rückkehr nach Petersburg verboten; er hatte eine Zeitlang den Gesandtschaftsposten in Stockholm bekleidet und war dann in die Armee getreten, ohne daß Peter III. und auch Katharina, als sie den Thron bestiegen, ihn trotz der Bemühungen seiner Familie zurückgerufen hatten. Er war fortwährend im militärischen Dienst geblieben, und das einzige Zeichen der Erinnerung, das Katharina dem einstigen Kammerherrn ihres Gemahls, dem Genossen ihrer Jugendzeit, gegeben, bestand darin, daß sie nach dem frühen Tode der Gemahlin Soltikows dessen einzigen Sohn zu sich rief und die Sorge für dessen Erziehung übernahm.
Der General, welcher einst einer der elegantesten Kavaliere des glänzenden Hofes der Kaiserin Elisabeth gewesen war, erschien älter als seine Jahre. Seine hohe, einst so geschmeidige und anmutige Gestalt hatte eine militärisch feste, strenge und fast steife Haltung angenommen; sein einst so jugendlich weiches Gesicht, das den Typus der slawischen Rasse in seinen edelsten Formen zeigte, war wetterbraun; die Züge waren scharf und hart geworden; die einst so ausdrucksvollen Augen waren zwar noch glänzend und feurig, aber ihr Blick war kalt und gleichgültig und schien in starrer Abgeschlossenheit jede Annäherung zurückzuweisen; sein militärisch frisiertes Haar war leicht ergraut und kaum gepudert.
Er trat in militärischer Haltung vor die Kaiserin, sein Gesicht zeigte keine Bewegung, es war, als ob er nur einen dienstlichen Befehl erwarte.
Katharina betrachtete ihn lange, als ob sie in seinen Zügen und seiner Gestalt das Bild einer lange versunkenen Vergangenheit wiederzufinden versuche. Ihre Züge nahmen einen wehmütigen Ausdruck an; mit einem leichten Seufzer reichte sie dem General die Hand und sagte im Tone warmer Herzlichkeit:
»Ich bin erfreut, Sergius Semenowitsch, einen Freund wiederzusehen, der mir eine alte Zeit ins Gedächtnis zurückruft, welche zwar viel Kummer und Leid in sich schloß, aber doch etwas besaß, das nichts auf Erden ersetzen kann: die Jugend, und mit der Jugend die Hoffnung.«
Soltikow schien die ihm entgegengestreckte Hand der Kaiserin nicht zu bemerken.
»Eurer Majestät Hoffnungen sind glänzend erfüllt worden,« erwiderte er, »glänzender, als es in jener längst vergessenen Zeit möglich schien. Und wenn es meiner geringen Person nicht vergönnt war, früher jene vergangene Zeit vor Eurer Majestät wieder emporsteigen zu lassen, so ist es nicht meine Schuld. Die Kaiserin«, fügte er bitter hinzu, »hatte nicht die Gnade, sich eines treu ergebenen Freundes zu erinnern, der einst mit der vollen, warmen Begeisterung seines jugendlichen Herzens die Hoffnungen der Großfürstin teilte.«
»Habe ich Ihnen nicht meine Erinnerung bewiesen, Sergius Semenowitsch,« sagte Katharina, »indem ich Ihren Sohn zu mir rief? Und glauben Sie meinen Worten, es ist mein Bestreben gewesen, ihm die Mutter zu ersetzen.«
Soltikow zuckte lächelnd die Achseln, dann erwiderte er kalt:
»Ich erkenne Eurer Majestät Gnade mit gebührendem und pflichtschuldigem Danke an.«
»Das tun Sie nicht, Sergius Semenowitsch,« sagte Katharina, »Sie zürnen, daß die Kaiserin nur in dem Sohne sich des Vaters erinnerte, der einst ihr Freund war. Und doch haben Sie unrecht!«
»Der Untertan hat stets unrecht, wenn in der Tiefe seines Herzens sich ein Vorwurf gegen seine Kaiserin erheben möchte.«
»Nicht darum, Sergius Semenowitsch, nicht darum! Jene Zeit, welche ich niemals vergessen habe und niemals vergessen will, war eine Zeit der Träume; die Mittagshöhe des Lebens hat andere Pflichten als der dämmernde Morgen; man darf wohl träumenden Blicks dem Spiel der rosigen Wolken des Morgenrots folgen, der Tag gehört der Wirklichkeit, der Arbeit, dem Kampf.«
»Und zweifelt Eure Majestät,« fragte Soltikow, indem seine Züge sich belebten und seine Wangen sich höher färbten, »daß auch in meinem Herzen der holde Morgentraum sich zur schöpferischen Kraft der Tagesarbeit entwickelt haben würde?«
»Nein, Sergius Semenowitsch,« erwiderte Katharina, »daran zweifle ich nicht; aber es war meine Pflicht, den Traum verwehen zu lassen, vollständig verwehen zu lassen, damit seine duftigen Nebel nicht verwirrend über die helle Lebensbahn dahinzogen. Der Traum ist verweht!«
»Ja,« sagte Soltikow finster, »der Traum ist verweht und nichts ist von seinem Rausch übriggeblieben, nichts als der bittere Bodensatz.«
»Nein, Sergius Semenowitsch,« sagte Katharina, »es ist übriggeblieben das Beste, das Edelste, das Schönste, was in jenem Traum lebte: die Kraft, der Mut, das stolze Streben, und diesem Streben wird die Kaiserin edle Bahnen öffnen, die Kaiserin, welche den Traum der Großfürstin nicht weiterträumen durfte.«
»Ich verstehe Eure Majestät nicht,« erwiderte Soltikow, »und das ist natürlich nach so langer Trennung.«
»Sie werden mich verstehen, Sergius Semenowitsch; der feste, stolze Mann wird die Kaiserin verstehen, wie einst der begeisterte Jüngling die träumende Großfürstin verstand. Hören Sie mich an. Das Schicksal meines Reiches, dieses Reiches, daß Sie einst mit mir im goldenen Wolkenschimmer ferner Hoffnungen vor sich sahen, steht an einem ernsten Wendepunkte; der Ruhm der russischen Waffen und Rußlands Stellung in Europa ist für lange Zeit verloren, wenn es mir nicht gelingt, in entscheidendem Schlage den Krieg gegen die Türken zu beenden.«
»Ich weiß es, Majestät, ich weiß es,« rief Soltikow, indem seine Augen feurig aufblitzten, »denn ich habe auch aus der Ferne alles verfolgt, was die Ehre und die Größe meiner Kaiserin angeht. Mein Herz schnürt sich zusammen bei dem Gedanken, daß die türkischen Barbaren unter dem Hohnlachen Europas Rußland verspotten oder gar ungestraft in unsere Grenzen einbrechen dürfen; Romanzow ist zu schwach, um zu schlagen.«
»Ich weiß es,« fiel Katharina schnell ein, »aber ein Schlag muß fallen, und dieser Schlag muß ein siegreicher, ein vernichtender sein; darum habe ich Sie hierherkommen lassen, um an die Stelle des vergangenen, für immer verwehten Traums das helle Sonnenlicht der Ehre, der Größe und des Ruhms zu setzen. – Ich habe nach Polen den Befehl gesendet, eine starke Truppenmacht marschfertig zu stellen, um an die Donau zu marschieren; Sie, Sergius Semenowitsch, sollen diese Truppen führen. Sie sollen die Regimenter bestimmen, Sie sollen die Offiziere wählen, die unter Ihnen kommandieren werden, Sie sollen in Eilmärschen an die Donau rücken, Sie sollen dem Feldmarschall Romanzow meine Befehle bringen, sofort vorzugehen und um jeden Preis zu siegen.«
»O Majestät,« rief Soltikow, in dessen Gesicht die Begeisterung der Jugend wieder aufflammte, »wenn es so ist, so ist alles gut, alles gewonnen; ich kenne die Truppen in Polen, wo ich so lange ein untätiges Kommando geführt, und wenn ich Romanzow eine Armee nach meiner Wahl zuführen darf, so bin ich des Erfolges gewiß!«
»Daran zweifle ich nicht, Sergius Semenowitsch,« erwiderte Katharina, »und darum habe ich Sie gewählt, um in diesem entscheidenden Moment die Ehre der russischen Waffen zu retten und den Namen Ihrer Kaiserin, den Namen Ihrer Freundin hell in Europa erklingen zu lassen hoch hinauf über alle jene flüsternden Stimmen höhnischen Zweifels hin. Ich weiß, daß Sie der erste sein werden, der den vernichtenden Stoß in das Herz der Macht des Feindes führen wird.«
»Ja, bei Gott, Majestät,« rief Soltikow, seine Hand hoch erhebend, »bei Gott, das werde ich! – Ich verlange nur einen Tag der Ruhe, wenn ich mit meinen Truppen an der Donau angekommen bin, um über die Wellen des Flusses hin Vernichtung in die Reihen der Türken zu tragen und den Halbmond zu beugen vor der Kreuzesfahne des heiligen Georg.«
»So gehen Sie,« sagte Katharina, »gehen Sie ohne Verzug, die Gebete Ihrer Kaiserin werden Sie begleiten, und ich bin gewiß, Sie werden mir recht geben, daß der helle Tagesglanz mehr wert ist als der flüchtige Morgentraum. Gehen Sie, Sergius Semenowitsch; Sie werden unter Romanzows Befehl stehen, aber Sie haben die weiteste Vollmacht Ihrer Kaiserin, seien Sie gewiß, daß ich alles gutheißen werde, was Sie tun.«
»Wer beugt sich nicht gern und freudig den Befehlen des großen Romanzow?« sagte Soltikow. »Ich werde nicht nötig haben, zu Taten zu drängen, und er ist nicht der Mann, um fremde Tat zu beschränken und fremden Ruhm zu verkleinern. Dank, Dank, Majestät, für die Gnade, die Sie mir erweisen! Ja,« sagte er, einen leisen Seufzer niederdrückend, »ja, Sie haben recht, dieser Augenblick wiegt die Jahre der Vergessenheit, Jahre bittern Kummers auf!«
»Und nun, Sergius Semenowitsch,« sagte die Kaiserin, »werden Sie wohl auch der Freundin die Hand reichen, selbst wenn Ihre Freundin es nicht hat vergessen wollen, daß die Kaiserin nicht mehr das Recht hat, zu träumen wie die Großfürstin.«
Sie streckte ihm abermals die Hand hin.
Soltikow sank auf die Knie, drückte in langem Kuß seine glühenden Lippen auf die Hand der Kaiserin und rief begeistert:
»Alles Dunkel ist verschwunden, die dämmernde Vergangenheit strahlt in lichtem Glanze empor zur tageshellen Gegenwart, und in all dem Glanze flammt hoch über allen bangen Zweifeln der Name meiner angebeteten Kaiserin Katharina!«
Katharina zog langsam ihre Hand zurück, dann strich sie, wie in Gedanken verloren, über Soltikows Stirn und flüsterte leise:
»Der Traum war schön, zu schön, um ihn weiterzuträumen, zu schön, um ihn zu vergessen. Stehen Sie auf, Sergius Semenowitsch«, sagte sie dann; »ehe Sie hinausziehen, um den Namen Ihrer Kaiserin und Ihr Vaterland mit neuem Ruhm zu schmücken, sollen Sie sich überzeugen, daß die Freundin ihre Pflicht gegen den Sohn ihres Freundes erfüllt.«
Sie bewegte die Glocke und befahl, den Pagen Nikolai Sergejewitsch zu rufen.
Der junge Mensch erschien und blieb betroffen bei dem Anblick des ihm fremden Mannes stehen, der ihm, vor tiefer Bewegung zitternd, die Arme entgegenstreckte.
»Das ist dein Vater, Nikolai Sergejewitsch,« sagte die Kaiserin sanft, »dein Vater, der mein Freund ist, für den ich dich täglich beten gelehrt habe, als du noch ein kleines Kind warst, dein Vater, durch dessen Namen du gewiß bist, einst ein großer, ein stolzer Mann zu werden.«
»Mein Vater!?« rief Nikolai, und jubelnd eilte er in die Arme des Generals.
Eine Zeitlang hielten sich beide innig umschlungen, während die Kaiserin, freundlich lächelnd, daneben stand. Lange noch blieb der General mit seinem Sohn in dem Kabinett der Kaiserin, und Katharina verstand es, mit freundlicher Herzlichkeit gegen Soltikow und mit mütterlicher Zärtlichkeit gegen Nikolai die so lange Getrennten in vertraulichem Gespräche einander näher und näher zu bringen, so daß endlich der General mit überströmendem Gefühl ausrief:
»Verzeihung, Majestät, Verzeihung! Ich habe Abbitte zu tun für manche Wallung bittern Zweifels, deren ich mich schuldig bekenne. Eure Majestät sind wie die Vorsehung: wir ahnen nicht, was sie uns Herrliches vorbehält, nicht, wie überschwenglichen Dank sie um uns verdient. Heute erst fühle ich, was es heißt, einen Sohn zu haben, in dessen Hände ich einst die Ehre meines Namens, des Namens meiner Vorfahren übergeben kann; nie hätte er bei mir im Drange meines unsteten Lebens werden können, was er unter der gnädigen Sorge seiner huldvollen Kaiserin geworden ist. Eure Majestät sind in der Tat und in Wahrheit seine Mutter gewesen!«
»Wie ich die Freundin seines Vaters war und allezeit sein werde!« sagte Katharina, indem sie mit der Hand über das Haar des Pagen strich.
Nikolai küßte, das Knie gebeugt, die Hand der Kaiserin, sein Gesicht zuckte in mächtiger innerer Erregung; es schien, als ob er sprechen wolle, als ob ein Geheimnis aus den Tiefen seiner Seele sich über seine Lippen hervordrängen möchte; aber ehe er noch die Worte fand, sagte Katharina:
»Nun, Sergius Semenowitsch, gehen Sie an das große und schöne Werk, das ich Ihnen vorbehalten hatte; die Augenblicke des reinen Glücks sind kurz und flüchtig, aber sie erleuchten auf lange hinaus die Bahn des Lebens, und ich hoffe, daß dieser Augenblick für Sie von keinem Schatten mehr getrübt ist.«
»Es ist«, rief Soltikow, »ein Sonnenblick von der Mittagshöhe meines Lebens, dessen Glanz niemals erlöschen wird. Bald sollen Eure Majestät von mir hören, und wenn ich den Einsatz meines Lebens verliere, so wird mein letzter Gruß, das schwöre ich, ein voller Lorbeerkranz für die Fahnen meiner Kaiserin sein!«
Er umarmte seinen Sohn und küßte noch einmal die Hand der Kaiserin; dann ging er hochaufgerichtet hinaus, um ohne Aufenthalt nach Polen abzureisen und die Truppen zu wählen, die er zum Siege gegen die Türken führen sollte.
»Was hast du?« fragte die Kaiserin den jungen Pagen, der bleich und zitternd mit gefalteten Händen seinem Vater nachsah, als ob er denselben zurückrufen möchte, als ob er demselben noch etwas zu sagen habe, das schwer sein Herz belastete.
Nikolai schlug seine Augen zur Kaiserin auf; Tränen verhüllten seinen wundersam fragenden und bittenden Blick.
»Ich begreife es, mein Kind,« sagte die Kaiserin sanft und freundlich, »daß dich die Trennung von deinem Vater nach so kurzem Wiedersehen schmerzlich bewegt; aber sei ruhig, die Zeit wird kommen, da dein Arm stark genug sein wird, um an seiner Seite hinauszuziehen in den Kampf des Lebens und dem Namen eures Geschlechts neuen Ruhm hinzuzufügen. Jetzt geh an deine Arbeit, jedes Alter hat seine Pflichten, und ich will dafür sorgen, dich auszurüsten mit jeder edlen Kraft, die den Menschen stark und geschickt macht zum Streben des irdischen Lebens. Dir soll die Wirklichkeit in reicher Fülle gewähren,« fügte sie leiser hinzu, »was ich dem Jugendtraum deines Vaters versagen mußte.«
Gesenkten Hauptes ging Nikolai hinaus.
Die Kaiserin aber setzte sich an ihren Schreibtisch, ihre Züge nahmen einen kalten, ernsten Ausdruck an, während sie die eingegangenen Depeschen sorgfältig durchlas; nur ihr Geist war noch mächtig. Alles, was ihr Herz wallend bewegt hatte, beugte sich gehorsam dem eisernen Willen dieser Frau, deren zarte Hand das weite russische Reich mächtiger und unumschränkter beherrschte, als es die wilde Titanenkraft Peters des Großen vermocht hatte.