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Die Kaiserin war den ganzen Tag ebenso strahlend und heiter gewesen, wie sie sich bei ihrer Ausfahrt dem Volke gezeigt hatte.
Auch für Potemkin hatte sie nur fröhliche Scherzworte, freundliche Blicke und reizende, nur ihm verständliche Anspielungen.
Auch er schien keinen anderen Gedanken zu haben als den frohen Genuß der Stunde, denn kein Wort kam über seine Lippen, das auch nur einen Anklang an die ernsten Fragen hätte vernehmen lassen, welche die Kaiserin so erschütternd bewegten und bereits, wenn auch in tiefster Stille und Verborgenheit, die Kreise des Hofes zu beschäftigen begannen.
Katharina seufzte wohl leise, wenn sie in das sorglos lächelnde, voll Freude und Lebenslust schimmernde Gesicht ihres Adjutanten blickte, der alles über seiner Liebe und über dem Genuß der glanzvollen Stellung vergessen zu haben schien, welche ihm die Gunst der Kaiserin bereitet; denn auch von all den kühnen, großen Plänen, die er einst so begeistert vor ihr aufgerollt hatte, um ihr das Bild des osteuropäischen Kaisertums zu zeigen, hatte er nicht wieder gesprochen; das Aufflammen seines Geistes schien nur ein Irrlicht gewesen zu sein, das, schnell erlöschend, wieder zurücksank ohne die befruchtende Kraft des Lichtes und der Wärme.
Solche Gedanken bewegten sie einen Augenblick schmerzlich.
»Sein Blick ist nicht scharf genug,« sagte sie sich, »um in dem Antlitz der Frau zu lesen, die er liebt, um die geheimnisvollen Sorgen zu entdecken unter der Maske; aber es ist besser so, die Liebe muß eine Blüte sein, mit der man in leichtem Spiel tändelt, nicht ein starker Stamm, auf den man sich stützt, wenigstens dann nicht, wenn man Kaiserin ist und es bleiben will.«
Bei dem Diner, das wie immer, wenn nicht eine besondere Gelegenheit eine große Hoftafel veranlaßte, im kleinen, enggeschlossenen Kreise der nächsten Vertrauten stattfand, war die Kaiserin von fast ausgelassener Heiterkeit, so daß Diderot, ganz entzückt, nur bedauerte, daß nicht alle seine Pariser Freunde gegenwärtig seien, um sich zu überzeugen, daß hier in den hyperboreischen Regionen unter der Pflege der großen Semiramis des achtzehnten Jahrhunderts die Blüte des Geistes in scharfem Witz und anmutigem Scherz noch reicher und lieblicher sich entfaltete als bei den berühmten Diners des Baron Holbach, welche die tiefsten Denker und die feinsten Kritiker Frankreichs vereinigten.
Der ganze Hof nahm sich die heitere Laune, welche die Kaiserin mit so großer Natürlichkeit zur Schau trug, zum Vorbild, und als die intime Gesellschaft Ihrer Majestät sich abends in den Gemächern der Eremitage versammelte, sah man überall nur fröhliche Gesichter; jeder lächelte dem anderen freundlich zu, jeder suchte in den Tiefen seines Geistes mit größerer oder geringerer Mühe einen lustigen Einfall oder einen zündenden Scherz, um sich, so viel er es nur immer vermochte, auf der Höhe der von der Kaiserin angegebenen Normalstimmung des Hofes zu erhalten.
Orloff war, ganz gegen seine Gewohnheit, schon früh unter den ersten der befohlenen Gäste erschienen und er trug nicht wenig dazu bei, die allgemeine Stimmung und Fröhlichkeit der Gesellschaft noch immer mehr zu erhöhen. Seine Blicke strahlten ebenso hell wie die zahllosen Diamanten, welche an seinem Ordensstern, auf den Stickereien seines Rockes, an dem Griff seines Degens und an den Schnallen seiner Schuhe funkelten. Er hatte nur liebenswürdige und verbindliche Worte für jedermann; seinem Scherz fehlte heute vollständig der verletzende Hochmut, der ihm sonst eigentümlich war; oft hörte man sein lautes, fröhliches Lachen durch den Saal schallen und jedesmal fand dasselbe ein bereitwilliges Echo in den Gruppen, welche ihn umgaben.
Wohl zerbrach man sich den Kopf über die so plötzliche und vollständige Veränderung in dem Wesen des Fürsten, der gerade in der letztvergangenen Zeit stets besonders finster und verschlossen gewesen war, und selbst für diejenigen, die sich seiner Gunst rühmen durften, nur drohende, höhnische und verletzende Worte gehabt hatte. Wohl flüsterte man sich hier und da leise zu, daß Siegesnachrichten von der türkischen Grenze angenommen sein müßten; andere, welche seiner kombinierten, glaubten, daß es dem Fürsten endlich gelungen sei, den Grafen Potemkin aus der Gunst der Kaiserin zu verdrängen. Aber welche Vermutungen auch die einzelnen hegen, und welche Empfindungen diese Vermutungen in ihnen anregen mochten, alle kamen überein in dem Streben, die Heiterkeit, welche der Fürst in Übereinstimmung mit der Kaiserin zeigte, womöglich noch um einen Grad zu überbieten.
Als endlich Ihre Majestät erschien, wurde zwar manche der kombinierten Voraussetzungen umgestoßen, denn der Graf Potemkin, welcher der Kaiserin wie immer folgte, zeigte eine fast noch strahlendere Miene als die Kaiserin selbst, und wunderbarerweise schien die alle Welt beschäftigende und beängstigende Spannung in den höchsten Regionen der Hofkreise vollkommen verschwunden zu sein; die Kaiserin sprach so unbefangen und gnädig mit Orloff, wie man es seit langer Zeit nicht bemerkt hatte; dann begrüßten sich der Fürst und Potemkin fast herzlich und blieben, während die Kaiserin ihren Cercle begann, längere Zeit in freundschaftlicher Unterhaltung nebeneinander stehen. Auch die Prinzessin Wilhelmine von Hessen, welche einige Augenblicke vor der Kaiserin am Arm des Großfürsten, von ihrer Mutter und ihren Schwestern begleitet, erschienen war, zeigte die gleiche Fröhlichkeit wie der ganze Hof, und in der ganzen so heiteren und ausgelassen scherzenden Gesellschaft bildeten der Großfürst und die beiden anderen Prinzessinnen von Hessen, um welche sich niemand kümmerte, die einzigen trüben und dunklen Punkte.
Der Großfürst war bleich, seine unsteten Blicke schienen finsteren Gedanken zu folgen; er hatte für die Kaiserin nur eine tiefe, zeremonielle Verbeugung. Er schien Orloffs Gruß nicht zu bemerken und gab den Würdenträgern, welche kamen, um ihm ihre Huldigungen darzubringen, so zerstreute und unzusammenhängende Antworten, daß es zweifelhaft scheinen mußte, ob er die an ihn gerichteten Anreden gehört und verstanden habe.
Auch die Miene des Grafen Panin, der sich anfangs mit dem besten Humor der allgemeinen heiteren Stimmung angepaßt hatte, verdüsterte sich allmählich.
Orloff hatte gegen verschiedene Personen die scheinbar gleichgültige, aber doch sehr bedeutungsvolle Bemerkung hingeworfen, daß die Vermählung des Großfürsten die Gelegenheit bieten werde, um dem Gouverneur des jungen Prinzen, dessen Kraft unter der Last der Geschäfte erlahmt sei, mit all den Ehren und Belohnungen, welche seine langjährigen Dienste verdienten, die Wohltat der Zurückgezogenheit und Ruhe zu gönnen. Diese Bemerkungen waren als wohlverständliche Andeutungen einer nahe bevorstehenden und unvermeidlichen Ungnade des Grafen Panin aufgefaßt, und es hatten sich auch bald genug vielleicht mehr schadenfrohe als wohlwollende Freunde gefunden, welche ihm selbst das Gehörte mitteilten und ihn dadurch in eine nicht geringe Bestürzung versetzten, denn trotz seiner trägen Scheu vor regelmäßiger und strenger Arbeit hing er an dem Glanz und Einfluß seiner hohen Stellung mit einer ganz außerordentlichen Zähigkeit. Der Gedanke an die Möglichkeit des Sturzes von seiner Höhe betäubte ihn so sehr, daß auch er nur noch verwirrte und unzusammenhängende Antworten auf die an ihn gerichteten Anreden zu geben vermochte, und wiederum wagte er in jener scheuen Furcht, welche indolente und träge Charaktere vor der Berührung unangenehmer Dinge zurückschrecken läßt, keine Frage an den Fürsten Orloff betreffs der ihm zugeflüsterten Äußerungen zu richten.
So stand er denn bald isoliert, in peinliches Grübeln versunken, da; seine Feinde zogen sich schadenfroh zurück und auch seine Freunde wagten es nicht, dem unter dem Schatten einer heraufziehenden Ungnade Stehenden zu nahen. Es fand nur eine kleine Theatervorstellung statt. Die Kaiserin teilte unter dem Ausdruck ihrer wohlwollenden Teilnahme mit, daß Fräulein Adeline Lemaitre sich in einem Billett an den Intendanten der Schauspiele wegen einer leichten Unpäßlichkeit entschuldigt habe.
Ein freudiges Lächeln flog bei dieser Bemerkung über Orloffs Lippen. Potemkin, welcher hinter der Kaiserin stand, bemerkte es, und auch er lächelte mit einer Miene voll triumphierender Zuversicht, während er der Kaiserin folgte, um hinter ihrem Stuhl vor der Bühne seinen Platz einzunehmen.
Schnell ging die kleine Theatervorstellung, von der Kaiserin mit gnädigem Beifall aufgenommen, vorüber, und unter lauter Fröhlichkeit fand das Souper wie immer an verschiedenen kleinen Tischen statt.
Die Kaiserin genoß nichts als eine Scheibe weißen Brotes und ein kleines Glas spanischen Weines. Aber trotz dieser Enthaltsamkeit wußte sie dennoch die Unterhaltung ringsumher zu beleben, indem sie bald an diesen, bald an jenen das Wort richtete, und immer neue Anregung zu pikanter und geistvoller Diskussion in die Gesellschaft warf.
Das Souper näherte sich seinem Ende, als ein Page zur Kaiserin herantrat und ihr auf einer Goldplatte ein kleines Billett überreichte.
Betroffen öffnete Katharina das Billett. Es enthielt nur die Worte:
»Gregor Alexandrowitsch Potemkin bittet seine allergnädigste Kaiserin, sich einen Augenblick zurückzuziehen, da eine wichtige und überraschende Mitteilung ihrer harrt.«
Katharina warf einen flüchtigen Blick zu Potemkin hinüber, welcher an einem der ihr zunächst stehenden Tische die Honneurs machte. Er schien ganz in seine heitere und scherzende Unterhaltung vertieft.
Fast war sie geneigt, an eine Mystifikation zu denken, aber das geheimnisvolle Billett reizte ihre Neugier; sie erhob sich und befahl, daß niemand sich durch ihre kurze Abwesenheit stören lassen möge. Dann zog sie sich nach ihren inneren Gemächern zurück.
Potemkin folgte ihr, wie es sein Dienst als Adjutant erforderte.
Da es häufiger vorkam, daß die Kaiserin in der Gesellschaft irgendwelche Meldungen erhielt, und da sie fast immer die ankommenden Kuriere selbst zu empfangen pflegte, so wurde die Störung in der Tat um so weniger beobachtet, als die Kaiserin in unveränderlicher, ruhiger Heiterkeit sich entfernt hatte.
»Was bedeutet das?« fragte Katharina, indem sie, das Vorzimmer durchschreitend, einen Augenblick stillstand. »Was bedeutet das, Gregor Alexandrowitsch; wozu diese geheimnisvolle Einleitung? Hast du nicht Zeit genug, mir deine Mitteilungen zu machen; was gibt es so Hochwichtiges?«
Ihr Ton klang fast streng und unwillig.
»Eure Majestät werden es sogleich sehen«, erwiderte Potemkin, indem er die Tür zu dem Boudoir öffnete, das durch große Glastüren mit dem dämmernd erleuchteten Palmengarten in Verbindung stand.
Die Kaiserin stieß einen Schrei der Überraschung aus, denn in der Mitte des Raumes, dessen Tür Potemkin sogleich wieder hinter sich schloß, stand Adeline Lemaitre, in einen Mantel gehüllt.
Bleich und zitternd blickte das junge Mädchen in dem von märchenhafter Pracht erfüllten Raum umher.
Als sie die Kaiserin erkannte, eilte sie ihr entgegen, sank zu ihren Füßen auf die Knie nieder und rief mit bittend erhobenen Händen:
»Hier bin ich vor Eurer Majestät; was bedeutet das? – Oh, um der Liebe Gottes willen, Majestät, haben Sie Erbarmen, seien Sie ihm gnädig; seine ganze Schuld ist seine Liebe, ich habe ihn verlockt; nur um mich zu retten, ist er schuldig geworden!«
»Was soll das alles?« fragte die Kaiserin. »Ich verstehe Sie nicht; wie kommen Sie hierher? Sprechen Sie, aber klar und deutlich; wenn es eine Schuld zu vergeben gibt, so kann nur die volle und unverhüllte Wahrheit Ihnen meine Gnade sichern.«
»Sprechen Sie, mein Fräulein«, sagte Potemkin; »erzählen Sie alles von Anfang an, ich bin gewiß, daß unsere gnädige Gebieterin Ihnen ihre Teilnahme schenkt!«
»Ja, ja,« rief Adeline, »ich will alles sagen, alles, was ich bis jetzt noch verhüllen zu müssen glaubte. Was hätte ich zu fürchten hier zu den Füßen der Kaiserin!? O Majestät,« fuhr sie fort, »Sie kennen die Geschichte meiner Liebe; Sie hatten die Gnade, mich anzuhören und mir Ihren Schutz zu versprechen!«
»So ist es!« sagte die Kaiserin, indem sie Adeline ihre Hand reichte, um sie aufzuheben. »Was ist geschehen, daß Sie jetzt auf so unbegreifliche Weise hier sind, um mich von neuem um Schutz und Gnade anzurufen?«
»Majestät,« sagte Adeline hocherrötend, »der Fürst Orloff kam zu mir –«
»Ich hatte ihm befohlen, Ihre Sache zu untersuchen.«
»Ja, Majestät, ja, das war wohl der Grund, der ihn zu mir führte; vielleicht hatte er damals noch keine andere Absicht, aber, Majestät, er sprach mit mir in einem Ton – er schenkte mir einen kostbaren Ring, und meine Mutter, meine Mutter, oh, daß ich es sagen muß, sie öffnete mir Aussichten, sie sprach von Hoffnungen, o mein Gott, Hoffnungen! Für mich waren es tödliche Schrecken, der Untergang meiner Liebe, die Vernichtung meiner Ehre!«
»Das also war es,« sagte die Kaiserin, »darum rufen Sie meinen Schutz an?«
»Oh, ich hätte es tun sollen«, sagte Adeline zitternd; »ich hätte meiner gnädigen Kaiserin vertrauen sollen, da ich meiner eigenen Mutter nicht mehr vertrauen konnte! Aber Verzeihung, Majestät, ich hatte den Glauben an die Menschheit verloren, nur an ihn glaubte ich noch, nur an ihn, den ich liebte; ich rief ihn um Schutz an, ihn bat ich, mit mir zu fliehen, mich fortzuführen über die Grenzen dieses Reiches, da ich mich hier verloren glaubte.«
»Armes Kind, wie hättet Ihr entrinnen wollen?« sagte die Kaiserin, mitleidig in das Gesicht des jungen Mädchens blickend.
»Ja, ja, jetzt sehe ich es wohl, wie töricht ich war,« rief Adeline, »wie eigensüchtig es von mir war, ihn mit mir ins Verderben zu reißen; er hörte auf mein Flehen,« fuhr sie fort, »er ließ mir sagen, daß ein Wagen mich an der Ecke der Straße erwarten werde, der mich zu ihm führen sollte; ich fand den Wagen, ich stieg ein, aber nachdem ich bereits eine Zeitlang gefahren war und die Stadt verlassen hatte, wurden plötzlich die Pferde angehalten, bewaffnete Männer umgaben den Wagen, noch schneller, als ich fortgefahren war, führte man mich zurück; man ließ mich aussteigen, man verband mir die Augen, und als mir die Binde abgenommen wurde, befand ich mich hier. Ich glaubte mich verloren, aber nun, da ich vor Eurer Majestät stehe, nun ist alles gut, nun muß alles gut sein; Eure Majestät können nicht strafen, was die Liebe verbrach, Eure Majestät müssen auch ihm vergeben!«
»Das endet noch dunkler, als es begann«, sagte die Kaiserin. »Graf Gregor Alexandrowitsch, Ihr habt mich hierher geführt; was bedeutet das, wie kommt dieses Mädchen hierher?«
»Majestät,« erwiderte Potemkin, »Fräulein Adeline hat Ihnen die Wahrheit erzählt, nur wurde sie selbst getäuscht; der Bote, durch den sie mit ihrem Geliebten verkehrte, war ein Sendling des Fürsten Orloff; der Wagen, der die Arme erwartete, gehörte dem Fürsten und führte sie fort auf dem Wege nach Gatschina, wo sie wehrlos in seiner Gewalt gewesen wäre.«
»O allmächtiger Gott,« rief Adeline in starrem Entsetzen, »welch ein schrecklicher Abgrund öffnet sich vor meinen Augen, welch teuflischer Verrat hat mich umsponnen; oh, schützen Sie mich, Majestät, schützen Sie mich!«
Abermals sank sie vor der Kaiserin auf die Knie.
»Seien Sie ruhig, mein Kind,« sagte Katharina, »Sie sind sicher unter meinem Schutz! – Doch weiter, Graf Gregor Alexandrowitsch, was ist weiter geschehen; wie kommt das Mädchen hierher?«
»Mein Auge ist wachsam, Majestät«, erwiderte Potemkin. »Ich sah die dunklen Fäden, welche dieses arme Opfer umgarnten, ich ließ jenen Sendling des Fürsten ergreifen, ich entriß ihm sein Geheimnis, ich kannte den tückischen Plan; meine Leute warteten auf dem Wege nach Gatschina, sie hielten den Wagen an und vereitelten den Anschlag, indem sie Fräulein Adeline hierher führten vor ihre Kaiserin, welche schützen und richten wird!«
»Schützen vor allem!« rief Katharina. »Und der Schutz der Unschuldigen ist wohl zugleich das Gericht über die Schuldigen. Es ist vielleicht gut, daß es so kam«, flüsterte sie halblaut vor sich hin; »er hat mir keinen Vorwurf mehr zu machen, er wird es nie mehr wagen, solche hochmütig vermessenen Worte zu sprechen, wie ich sie heute von ihm gehört, und seine Blicke in tollkühnem Hochmut bis zur Krone zu erheben. – Ich danke dir, Gregor Alexandrowitsch«, sagte sie, Potemkin die Hand reichend.
Dann strich sie freundlich über Adelines Stirn und sagte:
»Stehen Sie auf, mein Kind, Sie stehen unter dem Schutz Ihrer Kaiserin und alles soll glücklich für Sie enden. Und nun will ich Ihr Glück in Ihre eigenen Hände legen. – Befiehl, Gregor Alexandrowitsch, daß sogleich meine schnellsten Pferde angespannt werden; eine Abteilung meiner Kosakengarde soll sich bereit halten, den Wagen zu begleiten. Dieses arme Kind soll sogleich nach Schlüsselburg hinausfahren, sie soll ihren Geliebten selbst abholen und hierher führen und in der Frühe des morgenden Tages will ich ihre Zukunft sichern und ihr Glück begründen!«
Potemkin stand einen Augenblick zögernd; es schien, als ob er der Kaiserin etwas sagen wolle. Adeline aber bedeckte Katharinas Hand mit ihren Tränen und ihren Küssen.
»Nun,« rief die Kaiserin, »eile, Gregor Alexandrowitsch, eile; du siehst die Ungeduld dieses armen Kindes!«
Noch eine Sekunde zögerte Potemkin, dann ging er hinaus, indem er leise vor sich hin sprach:
»Es ist besser so, mag dies alles sich von sich selbst entwickeln; je weniger ich eingreife, um so glänzender wird mein Sieg sein!«
Die Kaiserin trat zu ihrem Schreibtisch, und während Adeline, leise schluchzend, sich kaum zu fassen wußte im jähen Wechsel ihrer Gefühle, schrieb Katharina einen Befehl an den Kommandanten von Schlüsselburg, den Leutnant Mirowitsch sogleich nach Petersburg zu senden, damit er sich am nächsten Morgen bei ihr selbst melden möge.
»Hier, mein Kind«, sagte sie, Adeline das Papier reichend; »hier ist der Talisman, der Ihnen den Weg zu Ihrem Geliebten öffnen wird. Führen Sie ihn zu mir und Ihr Vertrauen auf die Gnade Ihrer Kaiserin soll nicht getäuscht werden.«
Potemkin meldete, daß der Wagen und die Eskorte bereit sei; er führte auf Katharinas Befehl Adeline selbst in den inneren Hof, und zum zweitenmal fuhr das arme Mädchen in fliegender Eile durch die Nacht davon. Diesmal aber entströmten Freudentränen ihren Augen und in wonnigem Glück schlug ihr Herz der sonnigen Zukunft entgegen, die nach so schweren Leiden sich ihr so plötzlich geöffnet hatte.
Katharina kehrte in die Gesellschaftsräume zurück; sie sprach kein Wort mit Potemkin, sie fragte nicht weiter – er wartete; die erste Karte seines Spieles war glücklich gefallen, und zuversichtlich erhoffte er von seinem Glück den endlichen Gewinn.
Die Kaiserin zeigte bei ihrer Rückkehr in die Gesellschaft eine ebenso heitere Stirn, ebenso ruhige, klare Blicke und ein ebenso sorgloses Lächeln als vorher.
Eine Stunde noch unterhielt sie sich mit ihren Gästen; alle waren entzückt von ihrer Huld und Liebenswürdigkeit, denn jedem wußte sie etwas Verbindliches und Erfreuliches zu sagen, so daß, als sie sich endlich zurückzog, die ganze Gesellschaft noch fröhlicher, als sie gekommen war, das Palais verließ. Die kurze Unterbrechung war fast vergessen, und jedermann war überzeugt, daß die Nachricht, welche die Kaiserin empfangen haben mochte, ihr etwas Erfreuliches gebracht habe, und nur der Großfürst und der Graf Panin verließen die Salons der Kaiserin finster und nachdenkend.
Der Großfürst hatte sich während des Abends selbst mit seiner Braut, der er sonst bei jeder Gelegenheit eine immer heißere und leidenschaftlichere Zuneigung zeigte, nur flüchtig und zerstreut unterhalten; er hatte dem Grafen Rasumowsky befohlen, seine Stelle bei der Prinzessin zu vertreten, da er durch die Pflichten der Höflichkeit gegen die Gäste der Kaiserin in Anspruch genommen sei, und Rasumowsky hatte, diesem Befehl gehorchend, der künftigen Gemahlin seines Herrn so eifrig den Hof gemacht, daß es schien, als ob er jetzt schon mehr ihr Kammerherr als der des Großfürsten sei.
Nachdem der Großfürst seine Braut und die Landgräfin von Hessen nach deren Gemächern zurückgeleitet, zog er sich sogleich, ohne auch mit Rasumowsky, wie er sonst wohl tat, noch eine Stunde zu verplaudern, in seine Gemächer zurück.
Potemkin hatte sich, nachdem er an der Tür der kaiserlichen Gemächer seines Dienstes entlassen war, in seine Wohnung zurückgezogen. Wie träumend und sinnend saß er in leisem Selbstgespräch da, als sich die Tür des geheimen Ganges öffnete und die Kaiserin, in ein duftiges Spitzengewand gehüllt, eintrat.
Sie war in der matten Beleuchtung von wunderbarer Schönheit, der ganze Reiz der Jugend schien von neuem über sie ausgegossen.
Potemkin stand auf und trat ihr entgegen.
Sie warf sich an seine Brust, umschlang ihn mit ihren Armen und rief:
»Noch einmal danke ich dir, mein geliebter Freund, für deine Wachsamkeit; du hast mir Licht und Wärme wiedergegeben, du hast mein Herz frei gemacht von dem nagenden Vorwurf der Undankbarkeit; denn undankbar zu sein, ist feig und niedrig, ist unwürdig eines edlen und starken Herzens!«
»Und was soll geschehen?« fragte Potemkin, indem er sie mit ernsten, fragenden Blicken ansah.
»Was geschehen soll,« rief Katharina, »das ist nicht die Frage dieser Stunde. Wenn morgen das klare Tageslicht über die Welt heraufzieht, dann wird auch mein Geist kalt prüfend und klar erkennen, was die Kaiserin zu tun hat.«