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Südlich von Saratow an den Ufern der Wolga war in einer ringsum von Bergzügen eingeschlossenen und bis an die Ufer der Wolga sich erstreckenden Ebene Pugatschews Lager aufgeschlagen; er war bereits bedeutend weiter nach Westen vorgerückt gewesen, und hatte die Stadt Dimitriewsk mit Sturm genommen und dort eine Zeitlang seine Residenz aufgeschlagen, um den Vorstoß nach Moskau zu unternehmen, denn ihn selbst drängte es, sein tollkühnes und bisher in so wundersamer Weise gelungenes Unternehmen durch die Krönung in Moskau zu einem ersten Abschluß zu bringen, und dann von der alten Hauptstadt des Reiches aus und gestützt auf den Glauben des Volkes an die Wundermacht eines wirklich im Kreml gekrönten Zaren den letzten Schlag gegen die Petersburger Regierung zu führen.
Boten waren von Moskau gekommen, um ihm zu sagen, daß er in dem versammelten Reichstage viele Freunde finden werde, daß ein Teil der Geistlichkeit sich ihm zuzuwenden geneigt sei, und daß alle Leibeigenen bereit ständen, die kaum tausend Mann betragende Garnison von Moskau zu überwältigen und ihm die Tore zu öffnen. Aber im Augenblick, als er seinen Marsch antreten wollte, verbreitete sich unter seinen Truppen plötzlich das Gerücht, daß der General Romanzow mit seiner ganzen Armee von den Ufern der Donau her gegen ihn anrücke.
Romanzows Name war im ganzen russischen Reiche von einem solchen Zauber der Unbesiegbarkeit umgeben und so gefürchtet, daß eine panische Furcht sich bei dieser Nachricht unter Pugatschews Scharen verbreitete; die ihn umgebenden Kosakenführer und die Horden, welche sich ihm angeschlossen hatten, widerrieten sämtlich den Kampf gegen den gefürchteten Romanzow, dessen Soldaten im Feldzuge gegen die Türken gestählt seien und weit schwerer zu schlagen wären als die von Petersburg gesendeten, des Krieges nicht gewöhnten und von unfähigen Generalen kommandierten Truppen.
Wohl wollte Pugatschew diese Ratschläge verwerfen, und gerade um so schneller nach Moskau vorgehen, um dort, durch den Zuzug der Leibeigenen verstärkt und von dem Nimbus eines gekrönten Zaren umgeben, Romanzow zu erwarten, aber die Scheu vor dem Namen des siegreichen Generals war bei seinen Scharen so groß, daß diese sich fast ohne Ausnahme der Meinung ihrer Führer anschlossen und zu murren begannen, als sie von der Absicht hörten, dennoch nach Moskau vorzudringen. Knirschend und widerstrebend hatte Pugatschew nachgeben müssen, denn er durfte es noch nicht wagen, dem einmütigen Willen seiner Unterbefehlshaber zu trotzen, auf deren Ergebenheit ja seine ganze Macht und seine bisherigen Erfolge beruhten.
In einem abgehaltenen Kriegsrat ward beschlossen, daß man in eine gedeckte Stellung hinter Saratow zurückgehen wolle, um dort die Armeen der Kaiserin zu erwarten und im Notfalle sich über die Wolga in die Steppengebiete zurückziehen zu können.
Vergebens hatte Pugatschew nach allen Seiten hin weit hinaus Kundschafter gesendet, welche sämtlich berichteten, daß von Romanzow und seiner Armee nichts zu sehen sei, daß überall nur die Truppen des Fürsten Galizyn in vorsichtiger Zurückhaltung um Dimitriewsk ständen und daß es leicht sein würde, durch dieselben hindurch den Weg nach Moskau zu erzwingen.
Die Führer hatten auf ihrer Forderung des Rückzuges in eine feste Stellung an der Wolga bestanden, die Kosaken und Kirgisen hatten diese Forderung nachdrücklich unterstützt, und so hatte sich denn Pugatschew, langsam nach der Wolga marschierend, in dem Lager bei Saratow konzentriert.
Es war dadurch ein erster Mißklang in das bisher so unaufhaltsam siegreich sich entwickelnde Unternehmen gebracht worden; zum ersten Male hatte das Heer des kühnen Empörers einen von seinen Führern unabhängigen Willen kundgegeben und durchgesetzt und Pugatschews unumschränkte Herrschaft, die er als geistliches und weltliches Oberhaupt in seiner Armee und den von ihm unterworfenen Distrikten auszuüben hatte, war in einer für ihn empfindlichen Weise durchbrochen worden.
Die Stellung, die er in der Talebene bei Saratow einnahm, war übrigens ganz vortrefflich gewählt, und der Rat seiner Umgebung stimmte in dieser Beziehung ganz mit seiner eigenen Wahl überein. Nach Norden hin deckte sein Lager die befestigte Stadt Saratow, welche er stark besetzt hatte, und zu der man nur durch eine ziemlich enge Bergstraße gelangte, im Rücken hatte er die Wolga, zu deren Überschreiten zahlreiche Flöße verfertigt waren, nach Süden hin lagen die schluchtenreichen, dicht bewaldeten, von Bergwassern durchzogenen Wolgahöhen, und nur nach Westen hin öffneten sich schmale Defileen zwischen hohen und steilen Bergrücken, so daß der Feind auch dieser einzigen zugänglichen Seite nur in schmalen Kolonnen sich nähern und leicht zurückgeschlagen werden konnte.
Die kaiserliche Armee, über welche der inzwischen angekommene General Panin den Oberbefehl übernommen hatte, war in der Entfernung von einem Tagemarsche dem von Dimitriewsk aus zurückweichenden Heere Pugatschews gefolgt und ihre Vorhut unter dem Obersten Mikelson und dem General Paul Potemkin stand am Eingange der Defileen vor Pugatschews Stellung.
Pugatschew selbst, der sonst seinen Aufenthalt stets in den Städten nahm, die er eroberte und die sich ihm freiwillig ergaben, um dort den phantastischen Pomp seines Kaisertums zu entfalten, war diesmal von seiner Gewohnheit abgewichen und hatte im Lager inmitten seiner Truppen sein Hauptquartier aufgeschlagen.
Nach der ersten Erschütterung des unbedingten Gehorsams, den er bisher gefunden, wagte er nicht, auch nur einen Tag sich von seinen Soldaten zu entfernen; er mochte hoffen, durch die fortwährende Einwirkung seiner Persönlichkeit seinen Einfluß auf die Massen wieder befestigen, und durch die eigene Wachsamkeit im Keime ersticken zu können, den die Unterführer zur Gründung einer selbständigen Autorität etwa machen könnten.
Das Lager der Rebellen bot einen malerischen Anblick dar, die ganze Ebene und die Berghöhen ringsum waren mit Strohhütten, Baracken von grünen Tannenzweigen und Erdwohnungen bedeckt, überall brannten die Kochfeuer, überall erklangen muntere kriegerische Lieder, und überall bewegten sich bunte Gruppen in den malerischen Kostümen der Kirgisen und Kosaken, dazwischen auch Abteilungen von Soldaten in russischer Uniform, welche gefangen genommen waren und teils aus Lust am Abenteurerleben, teils zur Rettung vor dem angedrohten Tode in die Dienste des Usurpators getreten waren. Fast in der Mitte des Lagers, vor einem mit hohen Eichen bestandenen Abhange, erhob sich das große Zelt Pugatschews von starkem Leinen und an dem Eingange mit Stoffen von Seide und Samt geschmückt, über demselben wehte eine große, purpurrote Fahne, auf welcher man das Reichswappen mit dem Doppeladler erblickte. Kosakenposten schlossen einen weiten Raum vor dem Zelte ein, den niemand betreten durfte, und kein wirklicher Kaiser hätte mehr kriegerische Pracht in seinem Hauptquartier entwickeln, mehr majestätische Ruhe und Stille um seine Person aufrecht erhalten können als dieser aus den unbekannten Tiefen einer dunklen Vergangenheit emporgestiegene Abenteurer.
In der Mitte des kaiserlichen Zeltes befand sich ein großer Raum, welcher zum Speisesaal diente und mit reichen silbernen und goldenen Geräten geschmückt war, daneben lagen kleine Räume, welche zu Wohn- und Schlafgemächern für Pugatschew und seine in Jaisk so feierlich zur Kaiserin erhobene Gemahlin dienten, überall bedeckten schwere Teppiche den Boden, und kostbare Stoffe hingen vor den Eingängen zu den einzelnen Abteilungen.
In seinem Wohngemach, dessen Wände mit kostbaren Beutestücken behängt waren, ruhte Pugatschew auf einem mit herrlichem Pelzwerk bedeckten Diwan, er trug einen altrussischen Rock von roter Seide, mit Hermelin verbrämt, einen Dolch, mit Edelsteinen besetzt, an goldener Kette und einen prächtigen Säbel an goldenem Gehänge. Seine lang gewachsenen Haare wallten in Locken über die Schultern herab, das blaue Band und der Stern des Andreasordens schmückten seine Brust, und dazu trug er, um seine geistliche Stellung als oberster Chef und Herr der rechtgläubigen Kirche auch äußerlich kundzugeben, den Prophetengürtel, das Zeichen der geweihten Priester; sein Bart, den er seit dem Beginn seiner Unternehmung ebenso wie sein Haar von keinem Schermesser hatte berühren lassen, fiel über seine Brust herab. Der Ausdruck seines Gesichtes war kühner und stolzer geworden, aber zugleich blitzte in seinen Augen ein wildes, unheimliches Feuer, das in einzelnen Augenblicken an jenen Größenwahnsinn erinnerte, der sich bei den römischen Cäsaren ausbildete und ihnen selbst nicht minder gefährlich wurde als ihrer Umgebung. Zu seinen Füßen saß Xenia Matfejewna, sie trug ein russisches Frauengewand von Purpursamt, ebenfalls mit Hermelin verbrämt, das unterhalb des Knies über weiche, zierliche Stiefel herabfiel; eine russische Haube von Goldblech, mit Edelsteinen besetzt und mit einem Kronenreif verziert, bedeckte ihr reiches, in langen Flechten herabhängendes Haar, auf ihrer Brust glänzte der Stern des St.-Katharinen-Ordens, und reiche Edelsteine schmückten die Kette um ihren Hals und die Spangen um ihr Handgelenk. Sie hielt auf ihrem Schoß eine Balalaika, das eigentümliche, mit zwei Saiten überspannte Nationalinstrument des russischen Volkes, welches zur Begleitung des Gesanges dient. Mit ihrer schönen, wohllautenden Stimme sang sie eines jener weichen russischen Volkslieder, indem sie zugleich ängstlich forschend in das finstere, zuweilen in leidenschaftlicher Bewegung zuckende Gesicht Pugatschews blickte; das Bild erinnerte an den König Saul, von dessen Haupt Davids Leier die bösen Geister verscheuchte, nur daß der wohltätige, beruhigende Zauber hier nicht von einem einfachen Hirtenknaben, sondern von einem schönen, üppigen und glänzend geschmückten Weibe ausgeübt wurde. Eine Zeitlang hatte Pugatschew schweigend den sanften, weichen Tönen des einfachen Liedes gelauscht, dann aber sprang er plötzlich auf und riß das schmale Saiteninstrument aus Xenias Hand.
»Schweig',« rief er heftig, »schweig', diese Töne sind nicht für mich, das ist ein Gesang für Weiber und Kinder; ich könnte schwach werden wie ein Weib, wenn ich dir länger zuhörte, und doch bedarf ich meiner ganzen Kraft, um wieder Herr zu werden über diese Aufrührer, die es wagen, mir zu trotzen, mir, der ich sie erhöht habe zu den Ersten um meinen Thron. Zur Flucht haben sie mich gezwungen, und die Flucht, das ist der Untergang! Mehr und mehr werden sich die Bande des Gehorsams lockern und der letzte meiner Soldaten wird des fliehenden Kaisers spotten. Der Sieg allein gibt die Macht, und um zu siegen, muß ich kämpfen. Ist jener Romanzow, vor dem sie zittern, mehr als ich? Ich werde ihn schlagen, wie ich die anderen geschlagen habe, aber sie wissen das, darum haben sie meine Soldaten verführt, daß sie den Kampf verweigern; sie wissen, daß ich siegen werde, und sie wissen, daß, wenn ich gesiegt habe, ihre Köpfe vor mir in den Sand rollen.«
Xenia hatte sich ebenfalls erhoben, sie faßte Pugatschews Hand, schlang ihren schönen Arm mit der funkelnden Spange um seine Schulter und sagte, zärtlich zu ihm aufblickend:
»Du willst meinen Gesang nicht hören, weil er dich schwach machen würde wie ein Weib? Sieh' mich an, mein Yemelka, ich bin ein Weib; bin ich schwach, bin ich nicht stark und mutig wie du, bin ich nicht stets bereit, Kampf und Gefahr mit dir zu teilen?«
»Ja, das bist du, meine Xenia,« rief er, sie an seine Brust drückend und ihre Lippen küssend, »das bist du, ja, bei Gott! Aber du bist auch nicht wie die anderen, und«, sagte er, flammenden Auges in ihr schönes Gesicht blickend, »du bist die Kaiserin, auf deinem Haupte ruht die Krone, und deine schöne Stirn wartet des heiligen Öls, das dich salben soll zur Zarewna im Kreml zu Moskau, der heiligen Stadt, von der mich die feigen Verräter zurückhalten wollen!«
»Ich war kräftig und mutig,« erwiderte Xenia, »bevor ich Kaiserin war, und darum sollst du auch meine Worte hören, denn die Kraft wächst in der Ruhe und zur Ruhe sollte dich mein Lied singen, damit du Herr bleibst über die anderen, wie die Sonne in klarer Ruhe am Himmel steht über den Stürmen der Erde, die schnell vorüberziehen vor ihrem ewigen Glanz.«
»Und ich soll dulden,« rief Pugatschew, »daß sie, die nichts wären ohne mich, die ich aus dem Staube emporgehoben habe, daß sie meinem Willen trotzen und vergessen, daß ich der Kaiser bin; selbst du«, fügte er bitter hinzu, »hast das vergessen, weil du siehst, daß die anderen mir trotzen. Yemelka hast du mich eben genannt, und ich bin doch Peter Feodorowitsch, der Zar vom Blute des großen Peter Alexejewitsch.«
»Ich habe dich lieben gelernt unter jenem Namen,« erwiderte Xenia, seine Hand küssend, »verzeih' mir, wenn er mir immer und immer wieder auf die Lippen tritt; ich weiß ja, daß du Peter Feodorowitsch, mein Herr bist, und draußen vor dem Volke wird nie ein anderer Name über meine Lippen kommen; aber wenn wir allein sind, klingt wie von selbst jener teure Name aus meiner Brust hervor, der mich erinnert an die schöne Zeit, da ich zuerst den warmen Strahl deines Blickes in meinem Herzen fühlte; denke zurück an jene Zeit, höre mein Lied, es wird Ruhe und Frieden in deine Seele bringen, und du bedarfst der Ruhe, um Herr zu sein über dich selbst und über die anderen. Auch deine Zeit wird kommen, das Volk wird sich wieder zu dir wenden in willigem Gehorsam, du wirst den letzten großen Sieg erfechten, die Fremden und die Ungläubigen werden verschwinden aus dem heiligen Rußland, und dann werden auch sie, die jetzt dich zurückhielten, sich demütig beugen vor dem Hauch deines Mundes. Der Kaiser muß über den Zorn erhaben sein, denn im Zorn steigt er herab zu seinen Untertanen und wird ihresgleichen.«
»Du hast recht, Xenia, du hast wohl recht,« sagte Pugatschew sanfter als vorher, »aber wie soll ich es ertragen, zur Untätigkeit verdammt zu sein durch diese tückischen Feiglinge, die mir den Sieg nicht gönnen!«
»Urteile nicht hart über sie«, erwiderte Xenia; »du bist kühn und ohne Furcht, das ist die Natur der Helden; vielleicht hatten sie recht, als sie dich zurückhielten, vielleicht wird der Sieg um so schöner und größer werden, wenn du deine Kraft sammelst zum vernichtenden Schlage.«
»Sammeln sie nicht auch ihre Kraft da draußen,« rief Pugatschew, »und wie soll ich zum Siege gelangen ohne Kampf?«
»Das Volk wird bald erkennen,« sagte Xenia, »daß du allein sein Herr bist, daß du allein ihm Glück und Freiheit geben kannst, darum entfremde dich nicht dem Volke durch deinen Zorn, sei freundlich und gnädig gegen die Schwachen, denen Gott nicht die Kraft gegeben wie dir; ich glaube nicht, daß sie es böse meinen, von einem nur glaubte ich das,« fuhr sie mit blitzenden Augen fort, »von jenem Adam Tschumakow, der dich haßt, weil ich dich liebe, und fast möchte ich Gott danken, daß er ihn in die Hände der Feinde gegeben, denn wenn ich ihn neben dir stehen sah, glaubte ich einen bösen Geist zu sehen.«
»Adam Tschumakow,« sagte Pugatschew sinnend, »wenn er hier wäre, er würde nicht zur Flucht raten, an ihm würde ich eine feste Stütze haben, denn er drängte vorwärts und immer vorwärts, wo mir der Feind sich zeigte. Wohl mag er mir einst gegrollt haben, daß ich deine Liebe errang, aber das ist vorbei, seit er weiß, daß ich der Kaiser bin; so hat er's oftmals mir gesagt. Hätte er dir eine Krone geben können wie ich?«
»Er ist fort,« sagte Xenia, indem sie sich bekreuzigte, »die Feinde haben ihn getötet, ich will für seine Seele beten; aber ich bin frei und leicht, seit ich seinen kalten Blick und sein kaltes Lächeln nicht mehr sehe.«
Laute Stimmen drangen von draußen heran.
»Was ist das,« rief Pugatschew auffahrend, »hat man vergessen, daß ich Ruhe und Stille um mich haben will, glaubt man schon die Ehrfurcht vor dem Kaiser verletzen zu dürfen, dessen Hände man gebunden hat, um ihn am Kampfe und am Siege zu hindern?«
Er riß sich aus Xenias Armen und stürmte durch den Speisesaal aus dem Zelt hinaus.
Auf dem durch Wachen abgesperrten Platz stand eine Abteilung Kosaken, welche einen Mann von etwa fünfzig Jahren umringten, dessen Hände mit Stricken gebunden waren.
Dieser Mann trug einen bequemen, schwarzen Reiseanzug, sein graues Haar war ohne Puder frisiert, sein bleiches Gesicht zeigte die Spuren geistiger Arbeit; mit seinen klaren, klugen Augen blickte er mehr neugierig als furchtsam umher.
Rings um den abgesperrten Platz her drängten sich dichte Gruppen von Soldaten zusammen, um den Gefangenen zu betrachten.
»Was ist das,« rief Pugatschew, »was bedeutet der Lärm; wißt ihr nicht, daß niemand hier eintreten darf?«
»Wir wissen es, erhabener Zar,« erwiderte der Führer der Kosaken, »aber wir haben hier einen Späher der Ketzerin gefunden, der gekommen ist, um unsere Stärke und Stellung auszukundschaften, und der auch wohl mit böser Zauberei unsere Waffen stumpf machen will. Sieh' hier, was er bei sich geführt hat, es sind Zeichen höllischen Zaubers und teuflischer Beschwörung.«
Er reichte Pugatschew eine große Mappe, welche er nur scheu mit zwei Fingern an der einen Ecke hielt.
»Sieh' selbst, erhabener Zar, dein gotterleuchteter Blick wird die bösen Zeichen erkennen, und dein mächtiges Gebot wird den Zauber unwirksam machen.«
Pugatschew öffnete die Mappe. Dieselbe war mit einigen Blättern gefüllt, auf denen sich mathematische Zeichnungen und einige Pläne befanden. Pugatschew betrachtete dieselben, er mochte sie wohl kaum wie der Kosak für teuflische Beschwörungen halten, denn er hatte früher wohl gesehen, daß die Offiziere ähnliche Zeichnungen zur Feststellung ihrer Kriegspläne vor sich ausbreiteten. Um so mehr aber erwachte der Verdacht in ihm, daß der Gefangene ein Spion der Feinde sei, abgeschickt, um seine Stellung auszukundschaften und den feindlichen Führern das Material zu einem Angriffsplan zu liefern.
Xenia, welche ebenfalls aus dem Zelt herausgetreten war, bekreuzigte sich scheu beim Anblick der Blätter, und die Kosaken alle folgten ihrem Beispiel.
»Wer bist du?« fragte Pugatschew finsteren Blickes den Gefangenen. »Was treibst du hier und was bedeuten diese Zeichnungen?«
»Ich bin ein friedlicher Mann,« war die mit ruhiger, sanfter Stimme gegebene Antwort, »mein Name ist Lowitsch, ich bin Mitglied der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und bin von meiner allergnädigsten Kaiserin nach Astrachan gesendet, um von dort aus den Lauf der Flüsse zu vermessen, da die Kaiserin die Absicht hat, den Don und die Wolga durch einen Kanal zu verbinden. Ich bin auf der Wolga herübergefahren, um ihren Lauf zu studieren, da man mir sagte, daß hier keine Kriegsunruhe mehr zu befürchten sei, und was sollte auch der Krieg einem armen Gelehrten anhaben, der keine Schätze bei sich führt; diese Zeichnungen da sind die Früchte meiner Beobachtungen und Messungen. Seid Ihr ein General der Kaiserin, so gebt mir ein Fahrzeug und einen Ruderer, damit ich dem Strom weiter folgen kann, denn Eure Leute haben mein Boot zerschlagen, als sie mich einfingen.«
»Du wagst es, von einer Kaiserin zu sprechen!« rief Pugatschew; »hier steht sie, die einzige, rechtmäßige Kaiserin im heiligen Rußland. Jene Katharina Alexiewna, an der ich bald die göttliche Rache vollstrecken werde, ist eine ketzerische Betrügerin, ich aber, Peter Feodorowitsch, allein bin dein rechtmäßiger Zar, und wenn deine Worte Wahrheit sind, so beuge dich vor mir und flehe mich an, daß ich dir erlaube, mir zu dienen, denn wenn du wahr machen kannst, was du sagst, so ist es an mir, die Wasser der Wolga mit denen des Don zu verbinden, um dem befreiten Volk eine neue Schiffsstraße zu eröffnen.«
»Peter Feodorowitsch?« sagte der Gelehrte in hohem Erstaunen, indem ein spöttisches Lächeln um seine Lippen spielte, »Peter Feodorowitsch, der seit zehn Jahren tot ist? – So seid Ihr wohl jener Yemelka Pugatschew, von dem ich gehört, von dem man mir aber in Astrachan sagte, daß er längst gefangen sei?«
»Ja, ich bin's,« rief Pugatschew, »ich bin's, der jenen Namen führte, als er sich verbergen mußte vor den Schergen jener ketzerischen Frau; ich bin Peter Feodorowitsch, dein Kaiser; du wirst mich gesehen haben in Petersburg, beuge dich und gib der Wahrheit die Ehre!«
»Ihr seid ihm ähnlich, bei Gott, Ihr seid ihm ähnlich,« sagte Lowitsch, indem er, einen Schritt vortretend, aufmerksam Pugatschews Gesicht betrachtete, »bei Gott, ein solches Naturspiel! Doch Ihr seid töricht, dasselbe so zu benützen«, fuhr er dann fort. »Bittet die Kaiserin um Gnade, sie wird Euch verzeihen und Euch in Eurer Heimat ruhig leben lassen, und wollt Ihr, so werde ich für Euch bitten!«
»Elender! Unverschämter!« rief Pugatschew drohend, während die Soldaten ringsum, trotz der Bemühungen der ausgestellten Posten, immer näher herandrängten. »Du wagst es, mir das ins Gesicht zu sagen?! Nieder auf die Knie vor deinem rechtmäßigen Zaren! Willst du Dein Leben behalten, so schwöre mir den Eid der Treue, vielleicht kann ich deine Künste gebrauchen, wenn sie wirklich etwas wert sind!«
»Geht Euern Weg,« erwiderte Lowitsch, »wenn Ihr es nicht anders wollt, er wird Euch schnell genug zum Unheil führen; mich aber laßt meines Weges ziehen. Ich bin ein einzelner Mann, ohne Waffen und ohne Reichtümer, was wollt Ihr von mir, was kann ich Euch schaden?«
»Auf die Knie, Verwegener,« rief Pugatschew, dessen Gesicht sich dunkelrot färbte, »auf die Knie vor deinem Zaren!«
»Meine Herrin ist die Kaiserin Katharina,« erwiderte Lowitsch, »und Ihr –« er hielt einen Augenblick an, und seinen Blick fest auf Pugatschew richtend, sagte er in deutscher Sprache: »Ihr seid der Kaiser nicht, für den Ihr Euch ausgebt, wenn Ihr auch wohl in Eurem Gesicht eine überraschende Ähnlichkeit mit ihm habt.«
»Was sprichst du da,« rief Pugatschew, »was sind das für fremde, unverständliche Laute?«
»Es sind seine höllischen Beschwörungen, Herr,« sagte der Führer der Kosaken, indem er sich bekreuzigte, »nehmt Euch in acht, daß die bösen Geister Euch nicht schaden tun.«
»Der Kaiser Peter Feodorowitsch«, fuhr Lowitsch jetzt wieder in russischer Sprache fort, »war in Deutschland geboren und erzogen, er redete die Sprache seiner Jugend lieber und besser noch als die russische, Ihr aber versteht die deutschen Worte nicht, die ich Euch gesagt, also könnt Ihr nicht der Zar Peter Feodorowitsch sein, dessen Gebeine im Kloster des heiligen Alexander Newsky ruhen.«
Die Kosaken blickten fragend auf Pugatschew, aus dem Kreise der immer näher herandrängenden Soldaten ließen sich einzelne Rufe vernehmen, welche bewiesen, daß das schlagende Argument des Gelehrten nicht ohne Eindruck geblieben sei.
»Fahr' zur Hölle, deren Sprache du hier zu reden wagst in der Luft des heiligen Rußlands!« brüllte Pugatschew außer sich vor Wut.
Im Nu hatte er seinen Säbel aus der Scheide gerissen, die Klinge fuhr blitzend durch die Luft, und ehe Xenia, welche entsetzt heransprang, ihm in den Arm fallen konnte, hatte er mit einem gewaltigen Hieb den Schädel des Gelehrten gespalten.
Ohne einen Laut sank Lowitsch zu Boden; sein Blut färbte den Sand.
Mit einem schreckensvollen Wehruf sank Xenia neben dem zuckenden Körper in die Knie.
»Er ist tot, o mein Gott, er ist tot, der wehrlose Mann!« rief sie; »sein Blut wird die Rache des Himmels auf uns herabrufen!«
»Wehrlos?« rief Pugatschew hohnlachend; »er, der über die Waffen des höllischen Zaubers gebot?«
Er riß Xenia heftig von der Leiche zurück.
»Schleppt ihn fort, den Elenden«, befahl er den entsetzt dastehenden Kosaken; »oder nein, steckt ihn auf die Spitzen eurer Lanzen; sagt man nicht, daß diese höllischen Zauberkünstler der Ketzerin den Lauf der Gestirne messen und verfolgen? Nun, er soll den Sternen näher sein, steckt eure Lanzen in die Erde und spießt ihn daran, den Vögeln zum Fraß!«
Noch zögerten die Kosaken, ein Ruf des Unwillens wurde in der dicht gedrängten Menge laut.
»Gehorcht«, schrie Pugatschew, »oder, bei Gott, es soll euch gehen wie ihm!«
Er sprang, den blutigen Säbel gezückt, vorwärts.
Erschrocken gehorchten die Kosaken seinem entsetzlichen Befehl, sie erhoben den Leichnam auf die Spitzen ihrer Piken und steckten die Schäfte derselben in die Erde.
Xenia wendete sich von dem schauerlichen Anblick ab und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
»So soll es allen ergehen,« sagte Pugatschew, indem er seine wilden Blicke über die schweigende Menge hinschweifen ließ, »welche Ehrfurcht und Gehorsam verweigern ihrem rechtmäßigen Zaren, den Gott erweckt hat zum Rächer und Befreier!«