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2. Kapitel

Ein zweiter Kanonenschuß ertönte von der Stadt her, und bald konnte man eine hoch aufwirbelnde Staubwolke bemerken, welche, von der Morgensonne gelblich beleuchtet, schnell auf dem Wege von Petersburg her nach dem Lager vorrückte. Brausende Rufe stiegen, sich immer weiter fortsetzend, in die Lüfte, und die dichten Volksmassen drängten von den umliegenden Feldern nach der Straße hin. Potemkin hielt am rechten Flügel seiner Aufstellung. Sein blitzendes Auge spähte weithin der immer schneller herannahenden Staubwolke entgegen, in welcher er bereits buntfarbig schimmernden Glanz entdecken konnte; seine Lippen preßten sich fest aufeinander, und die Hand, welche die Zügel seines Pferdes hielt, zitterte.

Die letzten Kommandoworte klangen durch die Abteilungen hin – wie aus Erz gegossen standen die Reihen.

Durch die in der langen Front der Garden offen gebliebene Gasse sprengte ein einzelner Reiter in der großen Generalsuniform, von einigen Adjutanten gefolgt, in den inneren Raum der Truppenaufstellung. Es war der Kriegsminister Graf Zachar Tschernitschew, ein großer, etwas hagerer Mann, mit länglichem, scharf markiertem Gesicht, dessen kluge, durchdringende Augen den weitschauenden Blick eines klaren, überlegenen Geistes mit List und Verschlagenheit vereinigten, während auf seinem feinen Mund das unzerstörbare Lächeln des geschmeidigen, undurchdringlichen Hofmannes festgebannt schien.

Graf Tschernitschew sprengte über den Platz, wendete in der Mitte des Halbkreises dem Eingange gegenüber sein Pferd und zog den Degen. Die Jubelrufe des Volkes erklangen jetzt unmittelbar vor den Reihen der Truppen, eine Abteilung der Kavaliergarden in ihren vergoldeten Panzern, ihren grünen, mit Scharlach besetzten Uniformen, auf den Häuptern die an die antike Form erinnernden Helme mit den hohen, wehenden Roßschweifen, trabte in geschlossenen Gliedern über den Platz und stellte sich, die Mitte völlig frei lassend, zu beiden Seiten des Grafen Tschernitschew auf. Im nächsten Augenblick erhob dieser den Degen, und plötzlich wurde die bisher tiefe Stille durch einen so ungeheuren Lärm unterbrochen, daß einige Pferde schnaubend und wiehernd sich aufbäumten und nur durch die äußerste Kraftanstrengung ihrer Reiter auf ihrem Platz in den Reihen erhalten werden konnten. Alle Regimenter präsentierten, als Graf Tschernitschew seinen Degen erhob, wie mit einem einzigen rasselnden Schlage ihre Waffen, alle Musikchöre vereinigten sich zu einer betäubenden Fanfare und zugleich brauste von allen diesen Tausenden voller kräftiger Männerstimmen der gleichzeitige Ruf über den weiten Platz hin: »Es lebe die Kaiserin Katharina Alexiewna, unsere geliebte Mutter!«

Die Kaiserin ritt auf einem weißen türkischen Pferde mit wallender Mähne, dessen Zaum und Schabracke von Edelsteinen funkelten, in den Halbkreis ein.

Katharina II. war damals vierundvierzig Jahre alt. Wohl waren die Jahre nicht spurlos über ihr Haupt hingezogen, aber doch zeigte ihr feines, edles Gesicht mit dem griechischen Profil noch die weichen, anmutigen Linien der Jugend und ihre großen Augen strahlten von Feuer und geistigem Leben. Sie verschmähte den Gebrauch der Schminke, welche der Kaiserin Elisabeth ein so starres, maskiertes Ansehen gegeben hat. Ihr Gesicht erschien gewöhnlich etwas blaß, aber gerade darum sah sie jugendlicher aus, als wenn sie durch das künstliche Mittel falscher Farben ihr Alter hätte verbergen wollen, und heute hatten sich ihre Wangen durch den Ritt in der Morgenluft mit natürlicher, frischer Röte gefärbt. Sie trug einen Spenzer von dunkelgrünem Samt mit Scharlachaufschlägen und mit Hermelin verbrämt, dessen Schnitt den militärischen Uniformen nachgebildet war; darunter ein langes Reitkleid von weißer Seide; das große blaue Band und der Stern des St.-Andreas-Ordens schmückten ihre Brust; ein kleiner Hut mit weißer Feder bedeckte ihr reiches dunkelblondes Haar, das in zwei vollen Ringellocken auf ihre Schultern herabfiel. Sie hatte nicht mehr die schlanke zierliche Gestalt, welche einst als Großfürstin ihre Erscheinung so leicht und anmutig gemacht; das Embonpoint, gegen das sie vergeblich durch die äußerste Mäßigkeit ankämpfte, ließ ihre kleine Figur zuweilen etwas schwerfällig erscheinen. Sie pflegte sich deshalb ungemein gerade zu halten und den Kopf hoch aufrecht zu tragen, doch trat dies alles weniger hervor, wenn sie zu Pferde saß, und das weite wallende Reitkleid ließ sie groß erscheinen. Ihr Kostüm war von äußerster Einfachheit, nur das Geschirr des Pferdes zeigte die kaiserliche Pracht. Außer den Diamanten an dem Stern des Andreasordens trug sie keinen Edelstein an ihrem Anzug, und nur am Griff ihrer Reitpeitsche, mit welcher sie grüßend winkte, um den Salut der Truppen zu erwidern, funkelte ein prachtvoller Smaragd von ungewöhnlicher Größe.

Katharina ritt ganz allein in den Halbkreis ein, einige Schritte erst hinter ihr folgte ihr Sohn, der Großfürst Paul Petrowitsch. Der zwanzigjährige, schmächtig und zart gebaute Prinz trug die einfache dunkelgrüne, mit Rot und Gold besetzte Uniform des Paulowskyschen Grenadierregiments. Er saß leicht und elegant auf seinem schlanken englischen Pferde, aber seine Haltung zeigte jene schwankende Unsicherheit, welche man häufig bei schnell aufgeschossenen jungen Leuten findet, bei denen die innere Entwicklung mit dem Wachstum nicht gleichen Schritt gehalten hat. Eine gewisse Schwermut, wie sie Personen zuweilen eigen ist, die zu einem tragischen Geschick prädestiniert sind, lag auf seinem weichen jugendlichen Gesicht, dessen Züge durch die kleine, stark aufgeworfene Nase, die starken Backenknochen und die etwas zurücktretende Stirn einen ausgeprägt slawischen Typus zeigten; sein Haar war streng nach militärischer Vorschrift frisiert; er trug, wie die Kaiserin, den Stern und das blaue Band des St.-Andreas-Ordens, und um den Hals am dunkelroten, gelbgeränderten Bande das in Brillanten gefaßte Großkreuz des holsteinischen St.-Annen-Ordens, dessen Großmeister er als Herzog von Holstein war. An seiner Seite ritt auf feurigem Damenzelter die Prinzessin Wilhelmine von Hessen-Darmstadt, welche sich vor ihren beiden Schwestern durch lebhaften Geist und kühnen Mut auszeichnete.

Die Prinzessin war nicht regelmäßig schön, aber ihr feines jugendliches Gesicht mit den feurigen, glänzenden, blauen Augen, besaß einen eigentümlich anziehenden Reiz, der durch die anmutigen Bewegungen ihrer schlanken, zierlichen Gestalt noch erhöht wurde. Sie hatte sich von der Kaiserin die Erlaubnis erbeten, die Truppenbesichtigung ebenfalls zu Pferde mitmachen zu dürfen. Das dunkle Reitkleid mit dem kleinen Federhut stand ihr vortrefflich, und mit leichter Sicherheit führte ihre zarte Hand in perlgrauem Stulphandschuh den Zügel ihres feurigen Pferdes.

Der Großfürst, welcher schon in seiner Jugend eine ganz außerordentliche Vorliebe für alles militärische Wesen zeigte, schien durch den Entschluß der Prinzessin ungemein erfreut; seine Blicke ruhten mit sichtlichem Wohlgefallen auf der schönen Erscheinung der jugendlichen Reiterin.

Zur Rechten der Prinzessin ritt auf mächtigem, schwarzem Roß der Generalfeldzeugmeister Fürst Gregor Gregorjewitsch Orloff, der allmächtige Günstling der Kaiserin, der einst mit rücksichtsloser Energie und kühnem Mut die Verschwörung geleitet hatte, welche Katharina auf den Thron hob. Seine athletische Gestalt war fast zu voll und kräftig geworden und sein entschieden slawisches Gesicht hatte von dem Ausdruck unbändiger, männlicher Kraft, welche bei ihm in jüngeren Jahren die regelmäßige Schönheit ersetzte, viel verloren, da es in seiner aufgeschwemmten Blässe die Spuren übermäßiger Ausschweifungen zeigte, welche auch auf seine Hünennatur nicht ohne Einfluß geblieben waren. In seinen Zügen lag eine gewisse müde Gleichgültigkeit und zugleich ein so ungezügelter Hochmut, wie er nur aus dem sicheren Gefühl unumschränkter und unantastbarer Macht hervorgehen kann. Trotz dieser Gleichgültigkeit, trotz dieser hochmütigen Sicherheit aber ruhten die brennenden Blicke seiner kleinen, etwas tiefliegenden Augen unausgesetzt auf der Kaiserin, als ob er jede Bewegung derselben verfolgen und sie durch den magnetischen Einfluß seiner Blicke beherrschen wolle. Er trug die große reichgestickte Uniform seiner hohen Würde, doch hatte er es nicht für nötig gehalten, sich überall pünktlich den militärischen Dienstvorschriften unterzuordnen, wie es der Großfürst Paul Petrowitsch so gewissenhaft tat; sein volles Haar fiel leicht gepudert in lose zusammengehaltenen Locken über seinen kurzen, markigen Hals zurück, und sein Rock war mit einem Hermelinkragen aufgeschlagen, zum Zeichen der ihm von dem Kaiser Josef verliehenen Würde eines deutschen Reichsfürsten. Er trug das große blaue Band und den Stern des St.-Andreas-Ordens, dazu auf der Brust ein in große Diamanten gefaßtes Bild der Kaiserin; Diamanten und Rubine funkelten am Griff seines Degens und an seinem Federhut. Er saß nachlässig auf seinem riesigen schwarzen Roß und gab sich nicht die Mühe, das feurige Tier zurückzuhalten, wenn es der Prinzessin und dem Großfürsten voransprengte, so daß er häufig fast unmittelbar hinter der Kaiserin vor den fürstlichen Herrschaften sich befand.

Einen Schritt hinter dem Großfürsten ritt dessen Adjutant, der junge Graf Andreas Cyrillowitsch Rasumowsky, der Sohn des Hetmans der Kosaken, welcher einst ebenfalls zur Erhebung der Kaiserin wesentlich beigetragen hatte und nun, des Hofes und der Intrigen müde, sich auf seine Besitzungen in der Ukraine zurückgezogen hatte. Der junge Graf Andreas Cyrillowitsch war zwanzig Jahre alt; er trug, wie der Großfürst, die Uniform des Paulowskyschen Grenadierregiments, aber dieses einfache militärische Kostüm ließ die anmutige Eleganz seiner schlanken Gestalt und die außergewöhnliche Schönheit seines edlen, weiblich zarten Gesichts mit den großen dunklen, bald träumerisch sinnenden, bald feurig aufblitzenden Augen noch vorteilhafter hervortreten, als es das glänzendste Hofkleid hätte tun können.

Graf Andreas schien die Bewunderung des Großfürsten für die anmutige Prinzessin Wilhelmine von Hessen zu teilen, denn seine Blicke hafteten fast ebenso unablässig auf deren jugendlich lieblicher Gestalt wie diejenigen des Großfürsten. Zuweilen wollte es der Zufall, daß die Prinzessin sich durch eine unruhige Bewegung ihres Pferdes seitwärts wendete und daß ihr Blick dann auf den jungen Adjutanten des Großfürsten fiel – ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerken können, daß dann jedesmal Graf Andreas schnell die Augen niederschlug, und daß eine flüchtige Röte seine Wangen färbte.

Die Prinzessin bemerkte das kaum; die Wendung ihres Pferdes, welche ihr erlaubte, nach dem Grafen rückwärts zu blicken, dauerte kaum eine Sekunde, und sie hatte dem Großfürsten zugehört, welcher ihr eifrig und ausführlich die Namen der in Parade stehenden Regimenter nannte und deren Geschichte erzählte.

Hinter dem Großfürsten und der Prinzessin folgte dann das zahlreiche Gefolge der Kaiserin – sämtliche jüngere Hofdamen waren zu Pferde – an ihrer Spitze ritt die kaum dreißigjährige Fürstin Daschkow, mit dem großen Bande des St.-Katharinen-Ordens geschmückt. Unter den Kavalieren ragte besonders hervor der Großadmiral Graf Alexis Orloff Tschesmenskoy, noch hünenhafter, noch wilder in seiner Gestalt und Erscheinung wie sein Bruder Gregor und wie jener bedeckt mit funkelnden Edelsteinen und geschmückt mit dem höchsten Orden des Reiches. In dichtem Gedränge folgten die zahllosen Würdenträger und Kavaliere des Hofes, teils in militärischer Uniform, teils in reichen Galakleidern, alle aber schimmernd in Gold, edlen Steinen und wehenden Federn. Hinter diesen glänzenden Pfauenschweifen der kaiserlichen Suite folgte dann, geleitet von einer zweiten Abteilung der Grenadiere zu Pferde, in einer sechsspännigen, reich vergoldeten Karosse die alte Landgräfin von Hessen-Darmstadt mit ihren beiden anderen Töchtern. Im Wagen bei diesen fürstlichen Damen saß der Minister der auswärtigen Angelegenheiten und Gouverneur des Großfürsten, Graf Nikita Iwanowitsch Panin, damals ein Mann von fünfundfünfzig Jahren, dessen rosiges, jugendfrisches Gesicht, welches das Lächeln des Hofmannes, den scharf beobachtenden Blick des Diplomaten und die Ruhe des Gelehrten miteinander vereinigte, ihn mindestens um zehn Jahre jünger hätte erscheinen lassen, wenn nicht die starke Korpulenz seine ganze Erscheinung außerordentlich schwerfällig gemacht hätte. Graf Panin zeigte in seiner Kleidung und Haltung eine gewisse anspruchsvolle Pedanterie; er trug ein für sein Alter etwas auffallendes Hofkleid von hellblauer Seide; sein gepudertes Haar fiel, der herrschenden Mode entgegen, in zwei breiten Zöpfen über seinen Rücken herab, eine Originalität, auf die er besonders stolz war und die dem ganzen Hof zu unablässigen Spöttereien Veranlassung gab. Er hielt seinen Hut in der Hand und unterhielt sich auf das eifrigste mit den fürstlichen Damen, die er zu geleiten die Ehre hatte, ohne jedoch deren Aufmerksamkeit vollständig fesseln zu können, denn die Blicke der Landgräfinnen flogen neugierig nach allen Seiten über das großartige Schauspiel hin, das sich vor ihnen entwickelte und von dessen Glanz sie wohl an ihrem kleinen deutschen Hofe kaum eine Ahnung gehabt haben mochten. Die beiden jungen Prinzessinnen aber spähten vorwärts und mochten bemüht sein, durch die wogende Suite hindurch den Großfürsten zu entdecken, der ja eine von ihnen erwählen sollte, um ihr mit seiner Hand die Hoffnung auf eine Zukunft voll all des kaiserlichen Glanzes zu geben, wie sie ihn hier zum erstenmal staunend kennen lernte. Die Stallmeister ritten am Schlage des Wagens der Landgräfinnen. Es folgten noch einige andere Equipagen mit den zu ihrem Dienste befohlenen Damen; eine Anzahl berittener Pagen in ihren etwas phantastischen, aber ebenso kleidsamen, roten, mit Pelz verbrämten Samtröcken, ihren viereckigen Mützen und ihren Überwesten von Goldbrokat schlossen den Zug.

Die Kaiserin hielt eine Zeitlang in der Mitte des Halbkreises; der Großfürst und die Prinzessin Wilhelmine blieben einige Schritte zurück. Das Gefolge rangierte sich hinter ihr. Die Equipagen der Landgräfinnen fuhren ebenfalls bis zur Mitte vor.

Katharina ließ ihren Blick über all diese in fast unübersehbaren Reihen vor ihr die Waffen präsentierenden Soldaten, über all diese zur Erde niedergesenkten Fahnen schweifen, und noch stolzer erhob sie ihr Haupt, noch heller strahlten ihre Augen beim Anblick dieser Fülle von Macht, Glanz und Herrlichkeit, welche sie umgaben und ihrem Willen allein zu gehorchen bereit standen. Dann ließ sie ihr Pferd mit vollendeter Geschicklichkeit einen mächtigen Satz machen und sprengte in langem Galopp über das Feld hin nach der Stelle, wo die Matrosen und Soldaten der Flotte aufgestellt waren. Alle diese Mannschaften trugen auf der linken Brust die zum Andenken an den Sieg über die Türken geschlagenen Medaillen, welche auf der einen Seite nur die Inschrift: »Tschesme« und auf der andern die Worte trugen: »Ich war dort.«

Die Kaiserin parierte ihr Pferd vor der Front und sagte mit ihrer hellen, weithin vernehmbaren Stimme:

»Ich grüße die Tapferen von Tschesme!«

Die Soldaten antworteten voll und kräftig:

»Es lebe unsere gnädigste Kaiserin und Mutter Katharina Alexiewna.«

Kaum war dieser Ruf verhallt, als er noch einmal, noch lauter, noch jubelnder, noch begeisterter ausbrach; aber diesmal galt der freudige Gruß der Marine nicht der Kaiserin – der Großfürst, welcher seiner schnell vorwärts sprengenden Mutter gefolgt war, hatte dieselbe erreicht und sein ungeduldiges Pferd drängte sich an ihre Seite. Kaum erblickten ihn die Marinesoldaten, so tönte ihm aus ihren Reihen der brausende Ruf entgegen:

»Es lebe der Zarewitsch, – es lebe Paul Petrowitsch, der Enkel unseres großen Zaren!«

Katharina erbleichte; ihre Lippen zuckten; drohende Blitze sprühten aus ihren Augen.

Auch der Großfürst erschrak und suchte sein aufgeregtes Pferd rückwärts zu zwingen – im nächsten Augenblick aber schon hatte das Gesicht der Kaiserin die freundlich lächelnde Ruhe wiedergewonnen; sie neigte wie zustimmend das Haupt, und wie in unwillkürlicher Aufwallung mütterlicher Liebe und mütterlichen Stolzes beugte sie sich zu ihrem Sohn herüber und reichte demselben ihre Hand, die dieser verwirrt und befangen an seine Lippen führte.

Ein unendlicher Jubel tönte bei diesem Anblick durch die Reihen der Soldaten.

»Es lebe die Kaiserin – es lebe der Zarewitsch!« rief man abwechselnd, und weithin über das ganze Feld setzte sich dieser Ruf fort.

Als der begeisterte Jubel verklungen war, winkte Katharina den Großadmiral Alexis Orloff zu sich heran.

»Dem Grafen Alexis Gregorjewitsch Tschesmenskoy,« sprach sie mit lauter Stimme, »sage ich hier vor den Tapferen, die er zum Siege geführt, nochmals meinen Dank – niemals wird die Erinnerung an die Heldentat der tapferen Söhne des heiligen Rußland in meinem Herzen erlöschen – deine Kaiserin reicht dir die Hand für all die braven Söhne des heiligen Rußland, die mit dir bei Tschesme waren.«

Alexis Orloff war an die Seite der Kaiserin herangeritten, indem er sich ziemlich rücksichtslos an dem Großfürsten vorbeidrängte und, wie vorher ihrem Sohn, reichte Katharina jetzt ihm ihre Hand, die er, sich tief herabbeugend, an seine Lippen führte. Aber diesmal klang kein Freudenruf durch die Reihen – die Soldaten von Tschesme blieben gleichgültig und kalt bei dem Dank, den die Kaiserin dem Admiral für sie alle aussprach, und Katharinas Scharfblick entging es nicht, daß manche wettergebräunten Gesichter der alten Seeleute sich in finstere Falten zusammenzogen.

Katharina schien das nicht zu bemerken und sagte mit derselben ruhigen, klaren Stimme wie vorhin:

»Ich bin es ja gewöhnt, Alexei Gregorjewitsch, dir und den deinen zu danken und eure Namen mit jeder großen, ruhmvollen Erinnerung meiner Regierung zu verbinden.«

Stolz blickte Gregor Orloff, welcher hinter der Kaiserin hielt, über die Reihen der Höflinge hin; sein drohender Blick schien ihre Gedanken durchforschen zu wollen, aber aus all diesen Gesichtern war nichts anderes zu lesen als beifällige Zustimmung zu den Worten der Kaiserin und ehrerbietige Bewunderung für die so hoch ausgezeichneten Brüder.

Katharina wendete mit kurzem Gruß ihr Pferd, und nachdem sie einen Augenblick umhergeblickt hatte, um sich über die Truppenaufstellung zu orientieren, sprengte sie über den Platz hin, gerade auf die aus dem Türkenkriege zurückgekehrten Regimenter zu.

Diesmal hielt sich Gregor Orloff nicht zurück. Als wolle er aller Welt die ganze Fülle seiner Macht, die ganze Gunst der Herrscherin, welche so hell über seinem Haupte leuchtete, recht deutlich sichtbar machen, ließ er sein Pferd so weit vorspringen, daß er kaum hinter der Kaiserin zurückblieb und, dem Großfürsten und der Prinzessin voraus, fast an Katharinas Seite den rechten Flügel der Regimenter erreichte, an welchem der General Potemkin mit seinem Stabe hielt.

Als die Kaiserin ihr Pferd parierte, ritt Potemkin vor und sprach, mit seinem schartigen Degen salutierend:

»Unsere gnädigste Kaiserin hat befohlen, daß wir gerade so vor ihr erscheinen sollen, wie wir den Feinden des Reiches gegenüber gestanden haben – mit freudigem Stolz zeigen diese Soldaten ihrer Kaiserin ihre zerrissenen Uniformen und ihre zerfetzten Fahnen – die Tapferen, die hier in unseren Reihen fehlen, haben auf den Feldern der Ehre ihr Leben gelassen für das Heil Rußlands – die Geister der Gefallenen umschweben uns, dessen bin ich gewiß, wenn wir hier in der Heimat denselben Ruf erschallen lassen, mit dem wir Schrecken und Vernichtung in die Reihen der Feinde trugen: ›Es lebe Katharina Alexiewna! – Es lebe unsere Mutter Katharina Alexiewna!‹«

Jubelnd stimmten die Soldaten ein, indem sie stolz auf ihre Narben zeigten und ihre zerschossenen Fahnen in der Luft schwenkten, um sie dann wieder vor der Kaiserin zu senken.

Potemkin hatte, während er sprach, die Kaiserin mit wundersam leuchtenden Blicken angesehen, feurige Glut schien aus seinen Augen zu ihr hinüberzuströmen und seine Stimme hatte einen eigentümlich weichen Klang, in welchem freudiges Entzücken und sehnsüchtige Bitte zugleich zu liegen schienen.

Katharina war erbleicht, als sie den General erkannte, der so viel schöner, männlicher und stolzer geworden war, seit sie ihn zuletzt gesehen. Sein flammendes Auge, seine metallische Stimme schienen sie völlig zu beherrschen und wie unter einen geheimnisvollen Zauber zu bannen. Ihre Brust wogte, ihre Augen schimmerten feucht und die träumenden Blicke, welche sie von Potemkins Gesicht nicht abzuwenden vermochte, schienen sich in wieder auflebende Erinnerungen zu tauchen.

Auch Gregor Orloff hatte den General erkannt; er biß sich auf die Lippen und zuckte erschrocken zusammen. Aber im nächsten Augenblick richtete er sich um so stolzer auf und betrachtete mit einem Lächeln voll mitleidiger Verachtung den Verwegenen, der es einst gewagt hatte, die Blicke zu seiner eigenen Höhe aufzuschlagen und der von seinem vermessenen Anlauf so tief herabgestürzt war, daß er selbst ihn vergessen hatte.

Einige Augenblicke blieb Katharina schweigend in Potemkins Anblick versunken; sie schien keine Worte zu finden, um den Gruß der Truppen zu erwidern – die Frau schien Herrin geworden zu sein über die Kaiserin, und schüchtern und demütig neigte sie ihr Haupt vor jenem General, der in aller Fülle männlicher Kraft und Schönheit, in allem Glanze kriegerischen Ruhmes einen flüchtige und fast vergessenen Traum der Vergangenheit in ihrem Herzen wieder aufleben ließ.

»Seid mir gegrüßt in der Heimat, meine tapferen Soldaten,« sagte sie dann, mit gewohnter Willenskraft ihre Bewegung überwindend – »ich habe euch sehen wollen, so wie ihr die Türken geschlagen habt – eure Fahnen werden für alle Zeiten unter den Feldzeichen meiner Armee einen ehrenvollen Platz einnehmen und eure Uniformen sollen euch bleiben als eine heilige Erinnerung an eure Heldentaten für euch und eure Kinder. Morgen sollt ihr neu equipiert werden, heute seid ihr meine Gäste – trinkt auf das Wohl eurer dankbaren und gnädigen Kaiserin – weiht ein stilles Glas euren für das Vaterland gefallenen Kameraden!«

Sie hatte schnell und hastig mit leicht zitternder Stimme gesprochen, und während die Soldaten ihr ihren Dank entgegenriefen, wendete sie sich zu Potemkin, der sie fortwährend mit seinen glühenden Blicken angesehen hatte.

»Ich freue mich besonders,« sagte sie, »daß Ihr es seid, General, der mir diese Tapferen zurückgeführt hat. Ich habe Euch nicht vergessen – ich wußte es, daß Ihr bestimmt waret, mir und dem Reich große Dienste zu leisten. Ihr habt meine Erwartungen erfüllt – Ihr habt Euch im Felde bewährt und glänzenden Ruhm Euch erworben – jetzt rechne ich auf Euren Dienst hier in der Heimat! Ihr seid von heute an mein Adjutant, Gregor Alexandrowitsch – Graf Potemkin –« fügte sie mit lauter Stimme und scharfer Betonung hinzu.

Es klang wie ein Jubelruf von Potemkins Lippen. Er ritt dicht an die Kaiserin heran und ergriff ihre Hand, ohne abzuwarten, daß sie dieselbe ihm reichte. Er klappte den Stulp ihres Reiterhandschuhs zurück und lange ruhten seine heißen Lippen auf dem zarten Handgelenk, während dunkle Glut Katharinas Wangen färbte.

Gregor Orloff war bei den Worten der Kaiserin erbleicht – wilder Zorn loderte in seinen Augen auf; er zuckte so heftig zusammen, daß sein Pferd sich hoch aufbäumte, dann legte er mit einem dumpfen, drohenden Laut seine Hand auf den Arm der Kaiserin, als wolle er dieselbe von Potemkin zurückreißen.

Katharina wendete ihr Pferd; auch in ihren Blicken loderte der Zorn auf, aber ruhig, mit einer Miene voll majestätischer Hoheit sprach sie kalt und gebieterisch:

»Ihr habt meine Befehle gehört, Fürst Gregor Gregorjewitsch – tragt Sorge, daß der General Potemkin sogleich in die Liste meiner Adjutanten nach seinem Range und seiner Anciennität eingetragen werde! – Und Ihr, Graf Gregor Alexandrowitsch, begrüßt den Großfürsten, der erfreut sein wird, einem so treuen und tapfern Diener seiner Mutter die Hand zu reichen!«

Knirschend biß Orloff die Zähne aufeinander.

Potemkin hob seinen Hut in streng militärischem Gruß gegen Orloff einen Zoll über seinen Kopf empor – einen Augenblick kreuzten sich die Blicke der beiden Männer flammend und drohend, wie zwei Degenklingen, deren Spitzen ungeduldig zitternd das Herz des Gegners zu tödlichem Stoße suchen.

Orloff nickte nur leicht mit dem Kopfe, Potemkin aber wendete sich zum Großfürsten und beugte sich, seinen Hut tief herabziehend, bis aus den Hals seines Pferdes nieder.

Dieser sah ihn verwundert und fragend mit prüfenden Blicken an, als wolle er sich über diese neu auftauchende Persönlichkeit, für die er keine Erinnerung mehr hatte, ein Urteil bilden – dann reichte er ihm, dem Befehl seiner Mutter gehorsam, seine Hand, welche Potemkin, sich abermals und noch tiefer verbeugend, ehrerbietig berührte.

»Folgt mir, Graf Gregor Alexandrowitsch« – sagte die Kaiserin, indem sie weiter an der Front der Truppen heranritt – »Ihr gehört jetzt meinem persönlichen Dienste!«

Gregor Orloff wich nicht von der Seite der Kaiserin, während Potemkin ehrerbietig sich eine halbe Pferdelänge hinter dem Großfürsten hielt. Aber trotz dieser bescheidenen Zurückhaltung flammte stolzes Siegesbewußtsein in seinen Augen, während Gregor Orloff, schwer atmend, finster vor sich hinblickte.

Die Kaiserin grüßte mit huldvollem Lächeln und gnädigen Worten die Fahne jeder neuen Abteilung, an welcher sie vorüberritt, und immer lauter klangen ihr die Jubelrufe der so reich beschenkten und in der Person ihres Generals so hoch ausgezeichneten Soldaten entgegen.

Der kaiserliche Zug kam an das Kosakenregiment. Katharina ritt, den wildbärtigen Reitern freundlich mit der Reitgerte winkend, vorüber, ohne daß ihr Blick an den kriegerischen Gestalten haftete – sie schien träumend mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Gregor Orloff fuhr plötzlich, wie von jähem Schreck erfaßt, zusammen; sein Gesicht wurde totenbleich; er hielt mit einem plötzlichen Ruck sein Pferd an und starrte entsetzt auf die Stelle, wo Yemelka Pugatschew in der Front stand.

»Was ist das?« flüsterte er leise, die Augen unverwandt auf den Kosaken gerichtet, »stehen die Toten auf?«

Er war zurückgeblieben und warf einen Blick rückwärts nach seinem Bruder Alexis. Auch dieser war bleich wie der Tod und sprengte schnell an seine Seite.

»Hast du den Kosaken gesehen?« fragte Gregor.

»Ja,« erwiderte Alexis schaudernd – »welch wunderbares Naturspiel! Ich würde darauf schwören, daß es Peter Feodorowitsch sei, wenn ich nicht zu gewiß wüßte, daß er tot ist – und niemals wieder erwachen kann« – fügte er mit bebender Stimme hinzu.

»Forsche nach,« sagte Gregor, »wir müssen wissen, wer das ist – ein Mensch mit einem solchen Gesicht ist gefährlich – oder vielleicht auch nützlich« – sagte er ganz leise, indem ein kaltes Lächeln um seine Lippen spielte.

Er sah, wie die Kaiserin Potemkin an ihre Seite winkte, indem sie laut eine Frage über die Taten des Kosakenregiments im Türkenkriege an ihn richtete.

»Der Verwegene glaubt, daß ihm die Zukunft gehöre,« flüsterte Gregor Orloff, »weil ich zu großmütig und zu gleichgültig war, ihn völlig zu vernichten; nun, ein Glücksspiel des Zufalls läßt mir aus der Vergangenheit ein Mittel aufsteigen, die Undankbare fühlen zu lassen, daß ihr Thron leicht wanken könnte, wenn Orloffs Hand ihn nicht stützte.«

Er sprengte wieder zur Kaiserin heran, bald war das Ende des Lagers der aus dem Türkenkriege zurückgekehrten Regimenter erreicht. Potemkin salutierte und ritt wieder hinter den Großfürsten zurück. Viele der Herren des Gefolges näherten sich ihm und mancher begrüßte ihn mit der Miene eines alten Bekannten, den er sich niemals vorher gesehen zu haben erinnerte.

Der helle Strahl der kaiserlichen Gnade hatte dem lange Jahre am Hofe verschollenen General plötzlich zahlreiche Freunde erworben, deren Eifer nur durch die Furcht vor Orloffs Mißfallen zurückgehalten wurde, und jeder suchte sein Benehmen so einzurichten, daß er sich dem so plötzlich neu auftauchenden Günstling verbindlich zeigte, ohne geradezu den Unwillen und das Mißtrauen des bisher allmächtigen Orloff herauszufordern, über dessen Glücksstern heute der erste Wolkenschatten hinzog.

Katharina ritt langsam an der Front der Truppen weiter.

Der Großfürst unterhielt sich äußerst lebhaft mit der Prinzessin Wilhelmine, deren heitere Laune den sonst so ernsten und fast melancholischen Prinzen häufig zu heiterem Lachen brachte.

Der Großfürst hatte während des Gesprächs mehrfach seinen Freund, den jungen Grafen Rasumowsky, angeredet, so daß dieser an seine Seite herangeritten war und an der fröhlichen Unterhaltung teilnahm, welche so nahe hinter der sinnend und träumend vorwärts reitenden Kaiserin stattfand.

Unmittelbar vor den Preobraschenskischen Garden stand das Regiment Smolensk, welches von Schlüsselburg zur Parade gekommen war. Den ersten Zug dieses Regiments, das die Kaiserin mit lauten Zurufen begrüßte, führte ein junger Leutnant, von schlanker, kräftiger Gestalt, mit einem auffallend schönen, bleichen Gesicht, in dessen jugendlich weichen Zügen ein schmerzlich trüber Ausdruck lag, während aus seinen tiefdunklen Augen kühner Mut und feste Entschlossenheit blitzten. Er hatte, als die Kaiserin herannahte, ein Papier an die Spitze seines Degens gesteckt, und nachdem er die Waffe salutierend, vor der Herrscherin geneigt, hob er sie hoch empor, so daß jedermann die an der Degenspitze steckende Schrift bemerken mußte.

Befremdet hielt Katharina ihr Pferd an.

»Was bedeutet das?« fragte sie, »was will der Leutnant? – Nimm ihm die Schrift ab, Gregor Gregorjewitsch!«

Orloff sprengte unmittelbar an die Front heran und zog das Papier von dem Degen des Offiziers.

»Wer bist du?« fragte die Kaiserin, indem sie verwundert mit einem gewissen Interesse in das charakteristische, von lebhafter Erregung bewegte Gesicht des jungen Mannes blickte.

»Der Leutnant Wassili Mirowitsch – im Regiment Smolensk, zu Eurer Majestät Befehl,« erwiderte dieser.

»Das sehe ich!« sagte die Kaiserin mit leichter Ungeduld, während Orloff das Papier durchblätterte. »Was bedeutet diese Schrift?«

»Eine Bitte um Gnade, Majestät!« erwiderte der Offizier, die dunklen Augen fest und fast noch mehr drohend als bittend auf das Antlitz der Kaiserin geheftet.

»Wie magst du der Gnade bedürfen,« fragte Katharina, »wenn du meine Uniform trägst und meine braven Soldaten vom Regiment Smolensk kommandierst?«

»Dennoch, großmächtige Kaiserin,« erwiderte der Leutnant Mirowitsch, »bedarf ich der Gnade, nicht für meine Schuld – ich büße für die Schuld meines Vorfahren, der Starost war in der Ukraine und reiche Güter besaß –«

»Dieser Vorfahre,« unterbrach Orloff, welcher inzwischen das Papier durchflogen hatte, den jungen Mann heftig mit rauhem, hochfahrendem Ton – »dieser Vorfahre war ein Rebell, der sich mit Mazeppa dem Schwedenkönige anschloß und gegen den großen Kaiser Peter die Waffen trug!«

»Er fiel im Kampfe, Majestät,« sagte Mirowitsch, »und büßte seine Schuld mit dem Tode, aber seine Güter wurden eingezogen – seine Kinder wurden Bettler – und weder seine Kinder noch seine Enkel haben doch einen Teil an seiner Schuld. Ich, Majestät, ringe schwer mit der Armut – meines Lebens Glück geht in dieser Armut unter – ich fühle die Kraft, gut zu machen im Dienste Eurer Majestät, was mein Vorfahre verschuldet, und ich bitte meine edle Kaiserin, mich wieder zu erheben auf die Höhe, von der mein Vorfahre herabgestürzt – jede Faser meiner Lebenskraft wird meiner Kaiserin gehören, wenn sie mir die Gnade gewährt, die in diesem Fall vor Gott wohl als Gerechtigkeit gelten kann!«

Der feste und gebieterische Ton, in welchem der junge Mann gesprochen hatte, schien die Kaiserin zu verletzen.

»Gerechtigkeit war es,« sagte sie streng, »den Rebellen zu bestrafen; Ungerechtigkeit gegen alle treuen Untertanen wäre es, seine Nachkommen zu erhöhen, welche freilich keine Schuld trifft, aber welche auch kein Verdienst in die Wagschale zu werfen haben. Reichtum und Ehre schweben an der Spitze des Degens meiner Offiziere, vielleicht wird auch das Regiment Smolensk Gelegenheit haben, den Feinden des Reiches entgegenzutreten, und dann, Leutnant Mirowitsch, erkämpft Euch den Preis meiner Gnade, – für Hingebung und Tapferkeit hält meine Hand reiche Belohnung bereit! Das Urteil meines erhabenen Ahnherrn über einen Rebellen, der zu Eurem Unglück Euer Vorfahre war, zu ändern, steht mir nicht zu.«

»Der Leutnant muß sogleich arretiert werden, Majestät,« sagte Gregor Orloff, indem er die Bittschrift in Fetzen riß – »er muß exemplarisch bestraft werden – es ist dienstwidrig, Eure Majestät in dieser Weise vor der Front zu belästigen!«

»Nein, Gregor Gregorjewitsch,« sagte die Kaiserin, »ich will, daß die Sache damit abgetan sei – keine Strafe soll einen russischen Soldaten treffen, der sich an die Gnade seiner Kaiserin wendet, auch wenn ich ihm dieselbe nicht gewähren darf.«

Ein lautes Hurra der Soldaten antwortete auf diese Worte der Kaiserin.

Mirowitsch trat, bleich wie der Tod, mühsam seine Haltung bewahrend, auf seinen Platz neben dem Zuge zurück.

Die Kaiserin ritt weiter und begrüßte jedes ihrer Garderegimenter mit einigen gnädigen Worten.

Bald war die Revue beendet. Katharina sprengte an den Wagen der Landgräfin von Hessen, unterhielt sich eine Zeitlang artig mit der Fürstin und den beiden Prinzessinnen, denen sie ihren neuen Adjutanten, den zum Grafen erhobenen General Potemkin, mit schmeichelhaften Worten vorstellte, welche Gregor Orloff zu überhören schien, die um so mehr aber die Aufmerksamkeit des ganzen Hofes erregten.

Noch einmal ritt sie dann in die Mitte des Halbkreises, noch einmal präsentierten die Truppen, noch einmal schmetterten die Fanfaren, und dann kehrte der kaiserliche Zug, dem die Kaiserin in langem Galopp voranritt, nach Petersburg zurück.

Das Volk aber drängte heran, begrüßte die Soldaten, bot ihnen Erfrischungen aller Art, und auf dem weiten Platz entwickelte sich ein buntes, fröhliches Leben, dem die Offiziere mehrere Stunden lang völlige Freiheit ließen, denn die Kaiserin liebte es, wenn ihre großen militärischen Revuen sich zugleich zu heiteren Volksfesten gestalteten, und erst als die Nachmittagssonne sich zu senken begann, schmetterten die Signale, welche die Truppen wieder zum Sammeln riefen, um ebenfalls den Rückmarsch nach der Stadt anzutreten, bei welchem jedes Regiment von dichten, jubelnden Volksmassen begleitet wurde.


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