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Voller Verwunderung und Schrecken sahen die Herren und Damen vom Dienste der Kaiserin, wie die junge Schauspielerin bleich und bewußtlos aus den Gemächern Ihrer Majestät fortgetragen wurde, und wie dem traurigen Zuge mit dem leblosen Körper des jungen Mädchens der Fürst Orloff, Potemkin und Berednikow folgten, alle drei augenscheinlich in heftiger Bewegung und durch irgendein geheimnisvolles Ereignis schwer erschüttert.
Je mehr dieser Vorfall, der in so auffallender Weise mit der sonst so ruhigen, gleichmäßigen Heiterkeit des Hoflebens kontrastierte, die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, um so mehr suchte jeder eine gleichgültige Miene festzuhalten und sich den Anschein zu geben, als ob das alles vollkommen natürlich und selbstverständlich sei, denn was auch geschehen sein mochte, niemand wollte über das Geschehene auch nur den Schein eines Urteils in seinen Mienen lesen lassen, um nicht etwa nach der einen oder der anderen Seite anzustoßen. Bald aber sollten die scheinbar jedem Eindruck unzugänglichen Höflinge auf eine noch härtere Probe gestellt werden, welche es ihnen dennoch unmöglich machte, ihre gleichgültige Ruhe zu bewahren. Um von dem Vorzimmer des kaiserlichen Kabinetts nach dem großen Korridor zu gelangen, der zu den übrigen Teilen des weit ausgedehnten Palastes führte, mußte man einen viereckigen Saal mit großen Fenstern durchschreiten. In der Mitte dieses Saales war ein Billard aufgestellt. Die Kaiserin liebte dieses Spiel besonders und pflegte häufig mit ihren Vertrauten eine Partie zu machen, wobei sie ebensoviel Geschicklichkeit als Anmut entwickelte und mit einer gewissen harmlosen Eitelkeit die Ausrufe der Bewunderung anhörte, welche ihr in der Tat meisterhaftes Spiel hervorrief.
Auf dem Billard lag noch der mit Gold und Perlmutter kunstvoll ausgelegte Billardstock der Kaiserin zwischen den bunten Elfenbeinkugeln.
Als Orloff, welchem Potemkin und Berednikow unmittelbar folgten, diesen Billardsaal durchschritt, entstand an der äußeren Tür desselben ein augenblickliches Gedränge. Die Lakaien hatten für Adeline eine Tragbahre auf den äußeren Korridor gebracht und das immer noch leblose Mädchen darauf gebettet, um sie nach dem Hof hinabzutragen. Orloff blieb stehen und machte eine kurze Wendung, als ob es ihm peinlich sei, das ohnmächtige Mädchen, das man eben forttrug, anzusehen. Da fiel sein Blick auf Potemkin, dem er sich unmittelbar gegenüber befand, seine Wangen färbten sich dunkelrot, wilder Zorn loderte in seinen Augen auf und er sagte mit einer Stimme, aus welcher ebensoviel hochmütiger Spott als grimmiger Haß hervorklang:
»Erinnern Sie sich, mein Herr, daß die Kaiserin Sie zu ihrem Adjutanten gemacht hat, und hüten Sie sich, über die Grenzen des Dienstes hinauszugehen, welche diese Stellung Ihnen auferlegt. Sie haben es unternommen, sich in Staatsangelegenheiten zu mischen und die Wege derjenigen auszuspähen, denen die Regierung und die Sicherheit des Reiches anvertraut ist, hüten Sie sich künftig vor solchem vermessenen Wagnis, und wenn Sie Ihre Bescheidenheit nicht veranlaßt, einem guten Rat zu folgen, so mag es der Trieb der Selbsterhaltung tun, denn das nächstemal werde ich den Wurm zertreten, der sich auf meinen Wegen zischend gegen mich aufrichtet!«
Potemkins bleiches Gesicht nahm einen Ausdruck unendlicher Verachtung an, er warf den Kopf zurück und richtete sich so hoch auf, daß er selbst auf Orloffs athletische Gestalt noch herabzublicken schien.
»Ihr Rat, mein Herr,« sagte er, »mag gut sein, für Leute Ihres Schlages, welche vor dem Stärkeren kriechen und den Schwächeren mißhandeln. Ich kenne die Furcht nicht, ich werde mich vor Meuchelmördern stets zu schützen wissen, und glauben Sie mir, ich werde auch dafür sorgen, daß feige Meuchelmörder keinen Platz mehr finden werden auf den Stufen des russischen Thrones!«
»Ha, Verwegener!« rief Orloff, indem die übermäßige Wut sein Gesicht auf entsetzliche Weise entstellte. »Du wagst zu drohen, statt dich demütig vor meinem Zorn zu verbergen? Dir soll geschehen, wie du's verdienst, du sollst empfinden, wie hoch Gregor Orloff über einem elenden Sklaven steht wie du!«
Er ergriff den Billardstock und schwang ihn hoch empor gegen Potemkins Haupt, indem er brüllte:
»Dir gebührt der Stock – der Stock, weil ich keine Peitsche hier habe, um dich zu züchtigen!«
Orloff schwang den Stock, Potemkin wich den Hieben aus, aber Orloff drang immer weiter gegen ihn vor, indem er den Billardstock durch die Luft sausen ließ, und weniger noch Potemkins geschicktem Ausweichen als seiner eigenen, immer steigenden Wut, die ihn fast blind machte, war es zuzuschreiben, daß seine Hiebe nicht trafen.
Potemkin zog den Degen und legte sich in Parade aus, während Berednikow ganz entsetzt herankam, um Orloff in den Arm zu fallen, und die Damen und Herren vom Dienst in ihrem Schrecken laute Hilferufe ausstießen.
Potemkin hatte einen wuchtigen Hieb pariert, aber an der Schärfe seines Degens war der Billardstock zersplittert, immer wilder und wütender drang Orloff ein, indem er schrie:
»Man muß ihn totschlagen, totschlagen, wie einen tollen Hund, diesen frechen Sklaven, der sich gegen seinen Herrn auflehnt!«
»Sie sehen, mein Herr,« sagte Potemkin zu Berednikow, den Orloff seitwärts zurückgeschleudert hatte, »Sie sehen, daß ich mich nur verteidige, aber bei Gott, es wird nichts übrigbleiben, als mit diesem Rasenden ein Ende zu machen!«
Orloff schlug und stieß in immer steigender Wut. Auch Potemkin begann seine Waffe ernst zu führen und versuchte den Arm seines Gegners zu treffen, um denselben kampfunfähig zu machen; aber er mochte, um selbst anzugreifen, den wilden und unregelmäßigen Bewegungen Orloffs nicht aufmerksam genug gefolgt sein, denn ein furchtbarer Hieb desselben schlug seine Parade durch, die zersplitterte Spitze des Billardstocks fuhr in sein Gesicht. Mit einem lauten Schmerzensruf deckte er die Hand über sein Auge und lehnte sich, den Degen senkend, gegen den Rand des Billards, während Berednikow vorsprang und, auch seinerseits den Degen ziehend, schützend vor Potemkin hintrat, dessen Gesicht in einem Augenblick von Blut überströmt wurde.
In diesem Augenblick erschien die Kaiserin auf der Schwelle des Billardzimmers.
»Was geht hier vor?« rief sie mit flammenden Blicken. »Bloße Degen hier vor meiner Schwelle – das ist Hochverrat und Majestätsbeleidigung!«
»Bloße Degen,« rief Orloff, der trotz seiner blinden Wut beim Anblick der Kaiserin von seinem Angriff abließ, »dies ist kein Degen, dies ist nur ein Stock, mit dem ich einen Unverschämten gezüchtigt habe, wie es ihm gebührt, und merkt euch alle, die ihr hier gaffend umhersteht, so wird es jedem ergehen, jedem, der es wagt, sich gegen Orloff aufzulehnen und seine Wege zu kreuzen.«
Er warf den Stumpf des Billardstockes zur Erde, grüßte die Kaiserin flüchtig und stürmte davon.
Sprachlos standen die Anwesenden, die Kaiserin war bleich, sie bedurfte einiger Augenblicke, um ihre Fassung wiederzugewinnen; dann aber fragte sie streng und kalt:
»Was bedeutet diese unerhörte Szene, was bedeuten diese Degen, die gegen den Fürsten gezogen wurden?«
Berednikow erzählte mit bebender Stimme den Hergang und versicherte, daß sowohl Potemkin als er nur ihre Degen gezogen hätten, um sich gegen Orloffs Angriffe zu schützen.
»Mein Gott!« rief die Kaiserin, welche sich jetzt erst wieder zu Potemkin wendete. »Du blutest, Alexander Gregorjewitsch, du bist verwundet?«
Sie eilte zu ihm und zog sorgsam seine Hand von dem mit Blut überströmten Gesicht. Entsetzt, mit einem Schreckensruf taumelte sie zurück, ein blutender Riß lief von der Stirne herab über die Wange hin, das Auge war vollständig zerstört und blutige Fetzen hingen aus der Höhle herab.
»O mein Gott, welch ein Unglück!« rief die Kaiserin; »sein Auge ist verloren, schnell bringt ihn fort, ich werde später untersuchen, was hier geschehen ist und wer die Schuld trägt. Eilt, eilt, ruft meinen Leibarzt!«
Während einige Herren davoneilten, um den Leibarzt aufzusuchen, zerriß die Kaiserin ihren Spitzenärmel und trocknete das Blut von Potemkins Gesicht, sie vergaß alles über der Sorge der liebenden Frau, und die Anwesenden, welche aus diesem Eifer schließen mochten, daß Potemkin in dem Ringen um die höchste Gunst dennoch den Sieg davontragen würde, beeilten sich, einen noch größeren Eifer um den Verwundeten zur Schau zu tragen, indem sie frisches Wasser, Leinen und Verbandzeug aller Art herbeischafften.
Potemkin band selbst das Spitzengewebe der Kaiserin um seine Stirn, so daß das verwundete Auge bedeckt wurde, dann beugte er das Knie, küßte Katharinas Hand und sagte: »Mir bleibt nur ein Auge, um meine erhabene Kaiserin zu bewundern, aber dies Auge sieht ihre gnädige Teilnahme für ihren treuesten Freund, und das wiegt wohl den Verlust des anderen auf.«
Finster stand Berednikow zur Seite.
»Mein Gott,« flüsterte er leise vor sich hin, »in welchen Händen liegt das Schicksal des russischen Volkes!«
Dann trat er zu Katharina heran und sagte:
»Eure Majestät haben mir noch keinen Befehl erteilt, was mit dem Toten geschehen soll, dessen Blut den Boden des Gefängnisses von Schlüsselburg färbt!«
Katharina, die sich über Potemkin gebeugt hatte, hob den Kopf empor, sah Berednikow einen Augenblick starr an und sagte:
»Kein Geheimnis soll diese furchtbare, verhängnisvolle Tat verhüllen. Ihr laßt ein Protokoll über den Vorgang aufnehmen, alle Welt soll erfahren, was und wie es geschehen ist, der Körper des Unglücklichen soll in Schlüsselburg ausgestellt werden und jedermann soll der Zutritt gestattet sein, um dem unglücklichen Prinzen, der keine Schuld daran trägt, daß man ihn einst gegen das Recht des Landes zum Kaiser ausrief, seine Ehrfurcht zu bezeigen. Die beiden Mörder aber sollen gefesselt und sofort vor Gericht gestellt werden; sie haben geheiligtes Blut vom Stamme der alten Zaren vergossen und dürfen nicht ungestraft bleiben.«
»Das ist unmöglich, Majestät,« erwiderte Berednikow mit rauher Stimme, »das ist unmöglich. Man kann die Leutnants Ulusiew und Tschekin nicht vor Gericht stellen und nicht bestrafen, denn sie haben getan, was ihr dienstlicher Befehl ihnen vorschrieb!«
Katharina stand einen Augenblick in schweigendem Sinnen.
»Ihr seid kühn, General,« sagte sie dann, »aber Ihr seid tapfer und treu, und vielleicht habt Ihr recht. Doch will ich nicht, daß unter meiner Regierung der Boden Rußlands die Mörder eines Prinzen vom Blute Peters des Großen trage. Man soll Ulusiew und Tschekin auf ein Schiff bringen und sie nach demjenigen Hafen fahren, den sie selbst wählen werden. Sie sollen nie wieder nach Rußland zurückkehren, versteht Ihr wohl, nie wieder, oder sie werden die ganze Schwere meines Zornes und des Abscheus gegen ihre furchtbare Tat zu tragen haben.«
»Zu Befehl, Majestät,« sagte Berednikow, »mich aber bitte ich allergnädigst des Kommandos von Schlüsselburg entheben zu wollen, und wenn kein anderer Platz für mich übrig ist, als einfachen Soldaten zur Armee gegen die Türken zu senden, dort ist der Weg offen und gerade, auf welchem ein braver Soldat seine Pflicht zu tun hat.«
»Ich werde Euren Wunsch nicht vergessen,« erwiderte Katharina, »für einen Mann von Eurem Verdienst wird überall ein ehrenvoller Platz offen sein.«
Sie reichte ihm die Hand, Berednikow aber schien es nicht zu bemerken, er grüßte militärisch, drehte sich kurz um und ging festen, lautschallenden Schrittes hinaus.
Katharina blickte auf ihre Hand nieder, welche Berednikow nicht berührt hatte, sie war gefärbt von dem Blut aus Potemkins Wunde.
»Blut,« sagte sie leise, »Blut und immer Blut, und immer ist er es, der das Blut vergießt, immer bin ich es, die es befleckt.«
Der Leibarzt erschien, er untersuchte Potemkin und erklärte sogleich ernst und bestimmt:
»Die Wunde an sich ist ungefährlich und wird schnell heilen, das Auge aber ist vollständig zerstört und unwiederbringlich verloren.«
»Entsetzlich,« rief Katharina, »entsetzlich! Meinem Wink gehorchen die Völker von der Ostsee bis in die Steppen Asiens, und was es Herrliches und Kostbares gibt auf Erden, das versagt sich meinem Wunsche nicht, und dennoch kann ich dem treuen Freund das Auge nicht wiedergeben! Oh, wie nichtig, wie klein ist alle irdische Macht und Hoheit!«
»Sie ist groß und herrlich,« flüsterte Potemkin leise in ihr Ohr, »um den Freund zu rächen und um die Hand der Kaiserin selbst zu befreien von allen unwürdigen Flecken.«
Ein Blitz flammte in Katharinas Augen auf, sie drückte Potemkin die Hand, aber dennoch zitterte diese Hand, dennoch blickte sie scheu nach der Tür, durch welche Orloff hinausgegangen war.
Der Leibarzt führte Potemkin nach seinem Zimmer.
Obgleich der Verwundete seine Schmerzen mit starker Willenskraft unterdrückt hatte, so machte sich die erschöpfende Wirkung derselben dennoch fühlbar, und als er auf seinem Lager gebettet war, zeigte sich ein starkes Wundfieber, das indessen der Arzt für ungefährlich erklärte, indem er seine ganze Behandlung darauf beschränkte, nur die Schmerzen zu lindern und die verwundete Augenhöhle so schnell als möglich zur Heilung zu bringen, da jeder Versuch, die Sehkraft des Auges zu retten, vergebens gewesen wäre.
Bald erschien die Kaiserin an Potemkins Krankenlager. Solange das Fieber dauerte, wich sie nur auf kurze Zeit von demselben, wenn sie am Tage notwendige Audienzen zu erteilen hatte, oder während einiger Nachtstunden, um die für ihren Körper notwendige Ruhe zu suchen.
Potemkins Vorzimmer war der Sammelplatz des ganzen Hofes, denn da die Kaiserin in so auffallender und rücksichtsloser Weise ihre Teilnahme an den Leiden ihres Adjutanten zeigte, so hielt es jedermann für seine Pflicht, einen nicht geringeren Eifer zu zeigen. Die höchsten Würdenträger des Hofes und auch die Minister selbst kamen mehrmals am Tage persönlich, um sich nach dem Befinden des Verwundeten zu erkundigen. Er hatte ihnen stets freundliches und verbindliches Entgegenkommen bewiesen, und wenn er sich in der ausschließlichen Gunst der Kaiserin behauptete, so gönnte jeder ihm diesen Platz. Der Schlag mit dem Billardstock hatte freilich den hochstrebenden Adjutanten ein Auge gekostet, allein dieser Verlust, der seiner männlichen Schönheit keinen wesentlichen Eintrag tat, schien den Kampf um die Herrschaft, den er mit so stolzem und kühnem Mute unternommen hatte, zu seinen Gunsten entschieden zu haben, denn wenn er der regierende Herr des russischen Reiches geworden wäre, so hätte der ganze Hof nicht ehrerbietiger und eifriger seine Tür umlagern können, und auch Katharina, welche sonst trotz ihrer Leidenschaft für ihn immer noch die oft verletzende und niederdrückende, stolze Würde der Gebieterin beibehalten hatte, zeigte jetzt an seinem Krankenlager nur noch liebevolle Hingebung und eine fast demütige Sorgfalt, jeden Schmerz ihm zu lindern und ihm jeden Wunsch, den sie in seinen Augen zu lesen glaubte, zu erfüllen. Aber trotz dieses äußeren Scheines, welcher ihn an die Erfüllung der kühnsten Hoffnung seines Ehrgeizes hätte glauben lassen können, war Potemkin trübe und traurig, sobald ihn das Wundfieber verlassen und er die völlige Klarheit seines Geistes wiedergefunden hatte, denn trotz aller eifrigen Sorgfalt und Hingebung, welche Katharina ihm bewies, war es ihm dennoch nicht gelungen, ein Wort von ihr zu erlangen, das ihm Genugtuung für die zugefügte Beleidigung und die Entfernung seines Nebenbuhlers verheißen hätte. Sie wich jeder Andeutung, die er darüber machte, durch eine schnelle Veränderung des Gespräches oder durch leidenschaftliche Liebesworte aus, welche indes wenig geeignet waren, seine Stimmung zu verbessern, denn ohne eine vollständige Genugtuung für die ihm vor so vielen Zeugen angetane Schmach konnte er sich nicht wieder zeigen, und die einzige wirkliche Genugtuung, die ihn befriedigen konnte, war Orloffs Verbannung; erreichte er dieselbe nicht, so war er zu der verächtlichen Stellung eines würdelosen Günstlings herabgedrängt, der jeden Augenblick gewärtig sein mußte, einer wechselnden Laune der Kaiserin oder einer hochmütigen Forderung des Fürsten schimpflich geopfert zu werden. Er hatte deshalb fest beschlossen, diesem Zustand des Zweifels und der Unsicherheit ein Ende zu machen und lieber sogleich in die Einsamkeit sich zurückzuziehen, wenn es ihm nicht gelingen sollte, das stolze Ziel der Alleinherrschaft über das Herz und den Geist der Kaiserin zu erlangen. Er hatte meist während der Stille der Nacht den vertrauten Stallmeister Sergei Leonew, der ihm bei der Überwachung Uschakoffs so gute Dienste leistete, empfangen, und dieser hatte dann auch durch einen geheimen Korridor zu wiederholten Malen unbekannte, geheimnisvolle, in dichte Mäntel gehüllte Gestalten zu ihm geführt, deren Gesicht selbst der vertrauteste Kammerdiener, der außerdem zu tiefstem Schweigen verpflichtet worden war, nicht hatte erblicken können.
Während dies alles im Winterpalais vorging, schien sich Gregor Orloff unendlich wenig um seinen Nebenbuhler und die diesem von der Kaiserin erwiesene Aufmerksamkeit zu kümmern, er lebte ganz in seiner gewohnten Weise weiter, fuhr wie sonst in die Wälder hinaus, um Wölfe und Bären zu jagen, versammelte seine näheren Freunde zu wilden Gelagen, bei denen er stets die ausgelassenste Lustigkeit zeigte.
Sein Bruder Alexis hatte ihn wohl gewarnt und daran gemahnt, daß er nicht zu tollkühn auf die Gunst und die Dankbarkeit der Kaiserin bauen möge, aber lachend hatte ihm Gregor geantwortet:
»Undankbar möchte sie wohl sein, wenn sie es könnte, aber sie kann es nicht, sie darf es nicht, denn ich halte sie in meiner Hand. Laß mich machen und glaube, daß ich nicht so sorglos bin, als ich scheine. Und was ihre Gunst betrifft, so mag sie sich eine Puppe halten, mit der sie spielt, sie wird es nicht vergessen, daß es nur von mir abhängt, diese Puppe zu zerbrechen, wenn sie mir lästig wird.« Jede weitere Erklärung hatte er verweigert und dann sein gewohntes Leben fortgesetzt.
Die Kaiserin hatte ihre Hoffeste unterbrochen und erließ selbst zu ihren kleinen Diners an die Herren und Damen ihres unmittelbaren Dienstes sowie an Diderot keine Einladungen. Orloff hatte deshalb keine Veranlassung, vor ihr zu erscheinen, und er suchte auch eine solche Veranlassung nicht, er hatte seine Stellung genommen und schien vollkommen sicher zu sein, daß die Kaiserin, welche nur bei ihm Hilfe gegen die ihren Thron bedrohenden Gefahren finden konnte, sich vollständig seiner Macht und seinem Willen gebeugt hatte. Freilich hatte er immer noch das Ziel nicht erreicht, nach welchem er so siegesgewiß seine Hand ausstreckte. Er hatte die Vollmacht, welche die Kaiserin ihm versprochen, aufgesetzt und ihr zugesendet, er hatte sie zweimal bereits an die Unterzeichnung derselben erinnert, aber immer hatte er das Dokument nicht erhalten, welches alle Macht des Reiches uneingeschränkt in seine Hände legen und ihn dann bald auch von dem Willen der Kaiserin unabhängig machen sollte.
Katharina hatte ihm jedesmal geantwortet, daß sie die so wichtige Frage noch ernstlich prüfen müsse. Er hatte diese Zögerung zwar mit bitterem Unwillen empfunden, dennoch aber war kein Zweifel in ihm aufgestiegen, daß die Kaiserin sich endlich werde beugen müssen, da er selbst überzeugt war, daß niemand anderes als er imstande sei, den Aufstand Pugatschews nachdrücklich niederzuwerfen, weil niemand anderes die dazu nötige Autorität rücksichtslos zu erfassen und festzuhalten vermöchte.
Mit stiller Freude empfing er die fast täglich bedenklicher lautenden Nachrichten von den Erfolgen Pugatschews, dessen Vorhut bereits näher und näher gegen Moskau vorrückte, denn je größer die Gefahr wurde, um so größer mußte demnächst auch sein Triumph werden, und er schwankte keinen Augenblick in der stolzen Zuversicht, daß es ihm gelingen werde, alle Kriegsmittel des Reiches in seiner Hand zusammenzufassen und dann mit einem gewaltigen, einheitlich geführten Schlage den Aufstand niederzuwerfen. Freilich mußte dies geschehen, ehe es Pugatschew gelang, Moskau zu erreichen und vielleicht in dem dort versammelten Reichstage Anhänger zu finden. Deshalb hatte er von neuem die Kaiserin an die Erfüllung ihres Versprechens gemahnt und zugleich in ziemlich rücksichtsloser Form die Drohung hinzugefügt, daß er sich in das Ausland zurückziehen wolle, um dem drohenden Zusammenbruch des Reiches zu entgehen, wenn die Kaiserin noch länger zögern sollte, das Schwert in seine Hand zu legen, durch das er allein den Thron retten könnte.
Katharina hatte dieses, in fast herausforderndem Tone geschriebene Billett erhalten. Ihr Stolz sträubte sich, das Verlangen des Fürsten zu erfüllen und sich fast willenlos in seine Hände zu geben. Und dennoch sah sie keinen anderen Ausweg, denn auch sie hielt Orloff allein für fähig, einer so verzweifelten Lage die Stirn zu bieten. Wohl war er oft indolent und gleichgültig, wohl hatte er einer Laune den Friedensschluß mit der Türkei im rechten Augenblick geopfert, aber sie kannte auch besser als irgend jemand anderes den tollkühnen Mut und die eiserne Entschlossenheit, welche er in kritischen Lagen, in den Augenblicken äußerster Gefahr zu entwickeln vermochte. Sie hatte diesen Mut und diese Kraft erprobt, ihnen verdankte sie ihren Thron. Bei keinem anderen, auch bei Potemkin nicht, hatte sie gleiche Eigenschaften bereits bewährt gefunden, und ihre Krone, ihre Größe und ihren Ruhm wagte sie nicht an einen Versuch zu setzen. Sie fühlte den Zwang, Orloffs Forderungen bewilligen zu müssen, und sann nur über ein Mittel nach, ihm die drohende Macht, die sie ihm jetzt anvertrauen sollte, später wieder entwinden zu können.
Von diesen peinlichen Gedanken in Anspruch genommen, trat sie in Potemkins Zimmer, der bereits sein Bett verlassen hatte und in einen weiten Schlafrock gehüllt auf einem in die Nähe des Fensters gerückten Kanapee lag.
Sie versuchte, die Wolken von ihrer Stirn zu verscheuchen, und reichte lächelnd dem Grafen die Hand, der nur noch einen leichten Verband über seinem verletzten Auge trug.
»Der Arzt hat mir berichtet,« sagte sie, zärtlich in Potemkins Gesicht blickend, das durch die Blässe der Krankheit noch schöner und edler erschien, »daß du bald ganz wiederhergestellt sein wirst, daß keine Gefahr für das andere Auge zu besorgen sei. Ich bin glücklich darüber und habe ihn belohnt, wie es seine Sorgfalt um meinen teuren Freund verdient.«
»Und wenn ich hergestellt bin,« erwiderte Potemkin düster, »was soll dann werden? Kann ich nach der Schmach, die mir widerfahren, vor dem Hofe, ja vor dem untersten meiner Lakaien mich wieder zeigen?«
Die Kaiserin schlug die Augen nieder.
Potemkin ergriff ihre Hand und sagte:
»Das Wort der Entscheidung muß gesprochen werden, Katharina; wir müssen uns trennen, trennen für immer, wenn mir nicht Genugtuung gewährt wird, wenn der Schlag, dessen Spur für immer auf meinem Antlitz haftet, keine Rache findet; und wenn die Kaiserin sich nicht entschließen kann, Gregor Orloff zu bestrafen, so wird Katharina ihren Freund nicht wiedersehen, denn dann werde ich dies Zimmer nur verlassen, um mich für immer in dunkler Einsamkeit vor den Blicken der Welt zu begraben oder«, fügte er knirschend hinzu, »ich werde mit eigenem Arm die Rache an dem Unverschämten nehmen, der sich in seinem Hochmut über alles Recht und Gesetz, ja über die Kaiserin selbst zu stellen wagt!«
»Und was verlangst du, mein Freund?« fragte Katharina mit unsicherer Stimme.
»Was ich verlangen muß!« erwiderte Potemkin. »Du wirst wählen zwischen Orloff und mir. Soll ich an deiner Seite bleiben, soll ich weiter meinen Willen und meine Kraft einsetzen, um Katharinas Haupt mit der Krone von Byzanz zu schmücken, so muß Orloff verbannt werden.«
»Auch du«, sagte Katharina schmerzlich, »willst deiner Kaiserin Vorschriften machen, auch du willst deiner Freundin Bedingungen stellen für deine Liebe?«
»Nicht für meine Liebe, aber für meine Ehre«, erwiderte Potemkin. »Achtet die Freundin meine Ehre nicht, so kann ich ihr Freund nicht sein, und wenn die Kaiserin ihrem General kein Recht gewährt, so muß ich meinen Degen zerbrechen.«
»Aber wie kann ich?« rief Katharina mit fast verzweiflungsvollem Ton, indem Tränen des Zornes in ihre Augen stiegen. »Du kennst die Gefahren, die von allen Seiten mein Reich, ja meinen Thron bedrohen, und doch kennst du sie vielleicht noch nicht in ihrer ganzen Größe.«
»Pugatschew?« sagte Potemkin.
»Ja,« rief Katharina, »ja, Pugatschew, das Gespenst des Schreckens!«
»Du siehst, daß ich's verstehe,« fuhr Potemkin fort, »in deiner Seele zu lesen, auch wenn du mir dein Vertrauen nicht schenkst. Und du glaubst, daß Orloff der einzige Mann in Rußland sei, der Pugatschew zu vernichten vermöchte?«
»Ich fürchte es«, sagte Katharina tonlos. »Du, mein Freund,« fügte sie weich und zärtlich hinzu, »bist noch fremd in allen Verhältnissen hier, dir würde es nicht wie ihm gelingen, alle Kräfte des Reiches zu vereinigen zu dem entscheidenden Schlage.«
»Oh, ich durchschaue ihn«, rief Potemkin; »er will deiner Hand das Schwert entwinden, um deiner dann nicht mehr zu bedürfen, oder um dich zwingen zu können, deine Krone auf sein Haupt zu setzen. Nun, wohlan denn,« rief er, sich auf seinen Arm stützend, halb aufgerichtet, »wohlan denn, du sollst erkennen, wo du deinen wahren Freund, deine wahre Stütze, wo du die Kraft des Sieges und der Herrschaft zu finden hast. Während er drohte und Bedingungen stellte, habe ich gehandelt. Bald soll jenes Gespenst in Rußland verschwunden sein und du sollst Herrin werden, allmächtige und einzige Herrin in Rußland; du sollst niemandes bedürfen, als des Armes und des Blickes deines Freundes, der auch mit seinem einen Auge wachsam alle Schleichwege deiner Feinde erspähen wird, und der nichts von dir verlangt, als die Befleckung seiner Ehre zu rächen.«
»Ich begreife nicht,« sagte Katharina verwundert, »du hast gehandelt, sagst du, hier auf deinem Krankenbette?«
»Du wirst es sogleich verstehen,« sagte Potemkin, »warte einen Augenblick.« Er klingelte. »Ihre Majestät wünscht, daß niemand aus dem Vorzimmer hier eintrete!« befahl er dem Kammerdiener. »Du aber geh' und führe sogleich Sergei Leonew durch den inneren Korridor hierher, er wartet und hat meine Befehle empfangen.«
Der Kammerdiener ging hinaus, um die erhaltenen Befehle auszuführen.
»Was werde ich hören,« fragte die Kaiserin, »was hast du mir zu sagen, was soll der Fremde hier, dessen Namen ich niemals gehört?«
»Du weißt,« sagte Potemkin, »daß mein Bruder Paul Gregorjewitsch unter dem Fürsten Galizyn eine Brigade kommandiert.«
»Du hast dies Kommando für ihn erbeten,« erwiderte Katharina, »ich erinnere mich, es schien mir fast zu wenig für deinen Bruder.«
»Es war genug für meinen Zweck«, sagte Potemkin. »Mein Bruder Paul stand in der Avantgarde Pugatschew gegenüber, er hat der Hoffnung, die ich auf seine Geschicklichkeit setzte, entsprochen, er hat mit den Führern der Rebellen Verbindungen angeknüpft; einer derselben ist ein Todfeind Pugatschews, der sich in einem Gefecht gefangen nehmen ließ, indem er scheinbar tollkühn mitten in unsere geschlossenen Regimenter vorsprengte.«
»Und dann?« fragte Katharina in höchster Spannung.
Eine kleine, durch einen Vorhang maskierte Tür wurde geöffnet.
Sergei Leonew trat ein, ihm folgte ein Mann, der in einen kleinen Mantel gehüllt war, dessen Kapuze sein Gesicht bedeckte.
Dieser Mann machte eine Bewegung, um seinen Mantel abzuwerfen, als er Katharina erblickte, hielt er erschrocken inne und zog die Kapuze wieder über sein Haupt herab.
»Du bedarfst keiner Verhüllung, Adam Tschumakow,« sagte Potemkin, »du stehst vor der allergnädigsten Kaiserin.«
Der Mann warf den Mantel ab, den er über seiner einfachen Bauernkleidung trug, beugte die Knie vor Katharina und küßte den Saum ihres Gewandes.
»Sei mir gegrüßt, erhabene Zarowna,« sagte er, »und empfange das Gelübde, daß ich den Verräter und Betrüger Yemelka Pugatschew, der sich in frevelhafter Lüge für den Zaren Peter Feodorowitsch ausgibt, dir zur gerechten Bestrafung ausliefern werde!«
Katharina wich fast erschreckt vor diesem ihr völlig unbekannten Mann zurück, schnell aber faßte sie sich wieder und rief:
»Du wirst wohl daran tun, denn du wirst viele unglücklich Verirrte vor dem Verderben retten. Auf das Haupt des Führers allein soll die Strafe für seine fluchwürdigen Taten kommen; allen, die sich unterwerfen, sichere ich meine Verzeihung und Gnade zu, dir vor allem, und reiche Belohnung soll dir zuteil werden.«
»Nicht um Goldes willen bin ich hier, meiner Kaiserin zu dienen,« erwiderte Adam Tschumakow, »aber wenn du mir deine Gnade erweisen willst, erhabene Herrin, so habe ich zwei Bitten an dich, und wenn du mir ihre Erfüllung zusagst, so soll Yemelka Pugatschew in deinen Händen sein, sobald ich in sein Lager zurückgekehrt bin.«
»Sprich,« erwiderte Katharina, »deine Bitten sind im voraus gewährt, wenn sie die Grenzen meiner Macht nicht überschreiten!«
»Ich wünsche«, sagte Adam Tschumakow, »der Hetman meines Stammes zu sein. Ich bin zum Gehorchen nicht geschaffen und will niemand über mir haben als meine Kaiserin.«
»Es ist gewährt«, erwiderte Katharina, indem sie voll Verwunderung diesen Mann ansah, für welchen der Reichtum keine Lockung war, und welcher sich mit der bescheidenen Ehre begnügte, der Führer eines armen Volksstammes zu sein, der in harter Arbeit alle Genüsse des verfeinerten Lebens entbehrt. »Und weiter?« fragte sie dann.
»Weiter bitte ich dich, erhabene Kaiserin, daß du Xenia Matfejewna, die Geliebte Pugatschews, der er in frevelhaftem Possenspiel die falsche Krone auf das Haupt gesetzt, nicht mit ihm bestrafen wollest. Ich bitte dich, daß du Xenia Matfejewna, wenn sie mit dem Empörer gefangen wird, in meine Hände ausliefern lassen willst zu meinem Eigentum, daß ich über sie, die ihr Leben verwirkt hat, verfügen kann, wie es mir gefällt.«
Ein Blick des Verständnisses flammte in Katharinas Augen bei diesen mit leidenschaftlicher Glut gesprochenen Worten.
»Auch dies ist dir gewährt«, sagte sie; »bei meinem kaiserlichen Wort, jene Xenia Matfejewna soll dir gehören als dein freies Eigentum; sie hat ihr Leben verwirkt, ich lege es in deine Hände.«
Adam Tschumakow beugte sich bis zur Erde nieder und küßte abermals das Gewand der Kaiserin.
»Doch nun,« fragte Katharina eifrig, »was gedenkst du zu tun, um dein Versprechen zu erfüllen; wie willst du jenen Pugatschew meinem General ausliefern, der umgeben ist von Hunderttausenden Verblendeter und Betörter?«
»Verlaß dich auf mein Wort, erhabene Herrin«, erwiderte Adam Tschumakow; »sie sind des Anführers müde, sie sind es müde, von Pugatschews wahnsinnigem Hochmut als Sklaven behandelt zu werden. Eine Niederlage wird genügen, um sie gänzlich zur Ergebung bereit zu machen, und ich werde dafür sorgen, daß diese Niederlage sogleich stattfindet. Glaube meinen Worten, erhabene Herrin, keine Woche soll vergehen, wenn ich wieder dort bin, bevor Pugatschew in deiner Gewalt ist. Ich werde zurückkehren, wie ich hier mit deinem hohen General verabredet habe. Ich werde den Führern deiner Truppen dort sagen, was sie zu tun haben. Man wird mich in Lumpen hüllen, eine zerbrochene Fessel an meinen Arm schmieden, und ich werde zu Pugatschew zurückkehren, als ob ich mich aus der Gefangenschaft befreit hätte. Man wird meine Worte hören, man wird meinen Rat befolgen, und ich werde halten, was ich dir versprach.«
»Und wenn du dein Wort brächest?« fragte Katharina.
»Ich habe mich gefangen nehmen lassen,« erwiderte der Kosak, »und, bei Gott, wenn ich es nicht gewollt hätte, so wäre Adam Tschumakow niemals lebendig in die Hände deiner Soldaten gefallen; doch mein Leben ist in deinen Händen, nimm es mir, wenn du mir nicht glaubst!«
»Ich glaube dir,« erwiderte Katharina, »und erinnere dich wohl, ich habe die Bitten gewährt, die du aussprachst, aber wenn du jemals einen Wunsch hast, so darfst du kühnlich vor deine Kaiserin hintreten, und er soll gewährt werden.«
»Du bist gnädig, erhabene Zarewna,« erwiderte Adam Tschumakow, »aber meine Wünsche sind beschlossen in den Bitten, die du gewährtest. Jetzt aber entlasse mich, und dein General möge mich mit seinem schnellsten Pferde zu seinem Bruder zurückschicken; der Boden brennt mir unter den Füßen, meine Seele dürstet danach, den hochmütigen Betrüger in den Staub niederzuwerfen!«
»So geh,« sagte Potemkin, »die Kaiserin entläßt dich, und du, Sergei Leonew, führe ihn schnell zurück in das Lager meines Bruders; jeder Tag, den du früher dort ankommst, ist tausend Rubel für dich wert!«
Er reichte Adam Tschumakow die Hand, dieser verneigte sich mit gekreuzten Armen vor der Kaiserin und sah sie eine Zeitlang starr an, als wolle er ihr Bild unauslöschlich seinem Gedächtnis einprägen. Dann hüllte er sich wieder in seinen Mantel, zog die Kapuze über sein Gesicht und folgte dem Stallmeister Sergei Leonew.
Dann fragte Potemkin, als er mit der Kaiserin allein war: »Glaubst du noch, daß Orloff allein imstande ist, das Gespenst jenes Pugatschew zu verscheuchen? Er hat gedroht und gefordert, ich habe gewacht und gehandelt, ich lege der Kaiserin die Frucht meiner stillen Arbeit zu Füßen und verlange nichts von ihr als Gerechtigkeit.«
»Sie soll dir werden,« rief Katharina, indem sie sich zu Potemkin herabbeugte und seine Lippen küßte. »Sie soll dir werden von deiner Geliebten und von der Kaiserin an dem Tage, der mir die Sorge um jenen Pugatschew abnimmt, die Sorge, die ich dir nicht zu zeigen wagte, und die du dennoch verstanden und mit mir empfunden hast trotz deiner Schmerzen. An dem Tage soll den Übermütigen, der dich zu schlagen wagte, die Strafe seines Frevels treffen, und du, mein Freund, sollst der erste neben mir sein, dir will ich als freies Geschenk geben, was jener ertrotzen wollte, das schwöre ich dir«, fuhr sie fort, die Hand auf seine Stirn legend, »bei dieser Wunde, die dir dein schönes, strahlendes Auge raubt!«
»Und ich,« rief Potemkin, indem er die Hand der Kaiserin auf seine Brust legte, »ich schwöre dir bei diesem Herzen, das dir gehört in jedem seiner Schläge, daß ich die ganze Kraft des Lebens einsetzen werde, um dir den Weg zu bahnen zu jenem leuchtenden Thron des Ostens, von dessen Höhe du gebietend auf zwei Weltteile herabblicken sollst.«
Katharina trat zu Potemkins Schreibtisch. Eilig, mit hochgeröteten Wangen schrieb sie einige Zeilen. Dann reichte sie Potemkin das Blatt.
Er las:
»Die Kaiserin erwidert dem Fürsten Gregor Gregorjewitsch Orloff, daß sie seine Vorschläge noch nicht genügend geprüft hat, um sich über die Ausführung derselben zu entscheiden. Sie dankt dem Fürsten für seinen Diensteifer und wird ihm, sobald sie ihren Entschluß gefaßt hat, ihren Willen kund tun.«
»Ich danke dir,« sagte Potemkin, »das ist die Sprache, die er hören muß, um zu begreifen, daß er nichts ist und sein kann als das, wozu dein Wille und deine Gnade ihn machen. Und noch kennst du nicht das ganze Maß seiner Schuld, aber es wird mir gelingen, dir den vollen Beweis seines Frevels zu geben, damit du nicht wieder seinen falschen Beteuerungen Glauben schenkst. Du sollst erkennen, daß er nicht wert ist, ihn zu fürchten, nicht wert, ihm zu vertrauen! Warte,« fuhr er fort, als Katharina ihn fragend anblickte, »ich habe dir heute bewiesen, daß ich erst handle und dann spreche.«
»Ich werde warten,« sagte die Kaiserin, und lächelnd fügte sie hinzu, »ich werde von Dir lernen; auch ich werde nicht sprechen, sondern handeln, wenn meine Stunde gekommen ist.«
Sie verschloß das Billett, das sie geschrieben hatte, mit ihrem Siegelring, der in einen Saphir geschnitten ihren Namenszug mit der kaiserlichen Krone trug; dann durchschritt sie selbst das Vorzimmer, um durch einen von Potemkins Ordonnanzoffizieren, die vor dem Eingange zu seinen Gemächern zum Dienste bereit standen, die Botschaft an den Fürsten zu senden. Dann kehrte sie zurück zu dem Lager des Verwundeten; sie setzte sich an seine Seite, ihre Hand hielt die seine – die Kaiserin war verschwunden, nur die Stimme der liebenden Frau klang in leise flüsternden Tönen an sein Ohr.