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31. Kapitel

Pfeilschnell jagten die edlen Pferde der Kaiserin durch die Nacht auf dem Wege nach Schlüsselburg hin, so daß die Kosaken der Eskorte, welche Adelines Wagen begleiteten, kaum zu folgen imstande waren; und dennoch beugte sich das junge Mädchen häufig aus dem Wagenschlag heraus, den Kutscher um immer noch schnellere Fahrt anflehend, denn die Sehnsucht verzehrte sie, nach all den Sorgen und Schrecken, die ihre Seele so schwer erschüttert hatten, den Geliebten wiederzusehen und ihm die Kunde von der guten Lösung zu bringen, welche die Gnade der Kaiserin all diesen verhängnisvoll verwirrten Fäden gebracht hatte.

Bald weinte sie im Übermaß ihres Glückes, bald rief sie jubelnd den Namen ihres Wassili, den sie so lange in ihr Herz zurückgedrängt hatte; dann wieder sank sie im Wagen auf die Knie nieder und suchte in heißem Dankgebet gegen Gott, der für sie fast ein Wunder getan hatte, in die Nacht hinausblickend, Trost und Hoffnung.

Die Sterne am dunklen Himmel, die Schatten der Bäume am Wege flogen wie Nachtgespenster vorüber. Der Wind fuhr rauschend durch das Schilf des Ufers, man hörte nur die Hufschläge und das Schnauben der Pferde, aber trotz dieser unheimlichen Fahrt durch die Finsternis klang es in Adelines Herzen wie süße, liebliche Melodie voll Glück und Hoffnung.

Endlich hielt der Wagen. Adeline sprang heraus. Ihr an die Dunkelheit gewöhntes Auge erkannte die aus dem Wasser emporragende Steinmasse der Festung.

Die Kosaken hatten die Wache des Fährhauses herbeigerufen und verlangten ein Boot, um nach der Festung überzusetzen.

»Das ist unmöglich«, sagte der Posten. »Es darf niemand den Fluß passieren, der nicht zur Besatzung der Festung gehört und die Parole gibt oder einen Befehl der Kaiserin vorzeigen kann.«

Adeline hatte während ihres Aufenthaltes in Petersburg so viel Russisch gelernt, daß sie den Sinn der gewechselten Worte verstand.

»Einen Befehl der Kaiserin!?« rief sie jubelnd. »Hier ist er! Eilt, eilt, mich über das Wasser zu bringen!«

Sie zog das von Katharina unterzeichnete Papier hervor und zeigte dasselbe dem Posten.

Auch die übrige Wachmannschaft und die Fährleute waren herangekommen. Der Soldat hielt unschlüssig das Papier in seiner Hand. Auch wenn er des Lesens kundig gewesen wäre, würde er kaum in der Dunkelheit die Schriftzüge haben erkennen können.

»Licht, Licht«, rief Adeline; »bringt die Laternen des Wagens herbei!«

Die Kosaken versuchten dem Wachtposten begreiflich zu machen, daß der vorgezeigte Befehl echt sein müsse, da sie zur Leibwache Ihrer Majestät gehörten und von dem Adjutanten selbst beordert wären, den Wagen zu begleiten, der mit den eigenen Pferden Ihrer Majestät bespannt sei und von deren Leibkutscher geführt werde.

Während dieser Erörterungen und während man versuchte, die Laternen vom Wagen herabzunehmen, fiel plötzlich ein heller, zitternder Lichtschein über das Wasser; man hörte Stimmen und Waffenklirren von der Festung herüberschallen.

»Wartet nur«, sagte der wachhabende Soldat; »man hat das Tor geöffnet, schon höre ich Ruderschläge im Wasser, man kommt herüber; sie haben Pferde auf einen Prahm geführt, das kann nicht geschehen, ohne daß ein Offizier dabei ist, dann wird sich entscheiden, was zu tun sei.«

Der Mann schien ganz glücklich, daß ihm die Last der Verantwortung in einem so schwierigen und bedenklichen Fall abgenommen wurde, und die Fährleute und die Wachmannschaften blickten in höchster Spannung nach der Festung hinüber, ungeduldig die Entwicklung zweier so merkwürdigen und außerordentlichen Ereignisse erwartend, wie es die Ankunft einer Dame in einer kaiserlichen Equipage und das nächtliche Ausrücken von Mannschaften aus der Festung war.

»Es ist nicht richtig,« flüsterte der wachhabende Soldat leise seinem Genossen zu, »es ist nicht richtig. Ich hätte darauf schwören mögen, daß vorher dumpfe Schüsse und Brausen von Stimmen von dort herüberklangen; es klang, als ob böse Geister im Nachtwind dahinzögen. Gott sei uns gnädig«, fügte er, sich bekreuzigend, hinzu; »wenn ich nicht die Kosaken hier und die Pferde vor mir sähe, so würde ich glauben, daß das alles dort höllischer Spuk sei.«

Adeline hörte nicht auf das, was um sie her vorging; sie war ganz an den Rand des Ufers vorgetreten und starrte, das Haupt vorgebeugt, zu dem Lichtschein hin, welcher über die Wellen heranzitterte. Immer deutlicher hörte man die Ruderschläge, das Schnauben der Pferde und das Klirren der Waffen, und auch der Lichtschein kam näher und näher heran.

Endlich stieß ein Prahm ans Ufer, die Pferde wurden herausgeführt, die Soldaten sprangen in den Sattel. Ein Offizier ritt an die Fährwache heran.

»Was geht hier vor, was bedeutet dieser Wagen?« fragte er.

»Es ist ein Wagen der Kaiserin,« erwiderte der Soldat, »und Kosaken ihrer Leibwache. Diese Dame dort hat einen Befehl der Kaiserin gebracht und verlangt, nach der Festung übergesetzt zu werden.«

Er reichte dem Offizier das Papier.

Adeline war herangekommen und rief:

»O mein Herr, Sie tragen die Uniform meines Wassili, Sie müssen sein Freund sein! Oh, ich beschwöre Sie, befehlen Sie, daß man mir ein Boot gibt, das mich zu ihm bringt!«

Der Offizier grüßte die Dame, welche ihm hier so unerwartet aus der Dunkelheit der Nacht entgegentrat.

Man hatte einige der Laternen des in kurzer Entfernung vom Ufer haltenden Wagens abgelöst und herbeigebracht. Bei dem Licht derselben durchflog der Offizier das Papier, auf welchem er die Unterschrift der Kaiserin erkannte.

Sein Erstaunen wurde noch größer, er schüttelte den Kopf und blickte halb mißtrauisch, halb mitleidig auf Adeline.

»Warten Sie einen Augenblick, mein Fräulein,« sagte er, »der Kommandant wird sogleich hier sein, er befindet sich in jenem Boote dort mit den Fackeln!«

»Warten und immer warten!« rief Adeline. »Was bedeutet dies alles? Ist die Kaiserin nicht mehr Herrin in Rußland? Darf ein Kommandant entscheiden, was zu tun sei, da ich doch den eigenhändigen Befehl der Kaiserin selbst in meinen Händen halte!?«

»Der Befehl ist an den Kommandanten gerichtet,« erwiderte der Offizier, »Sie sollen ihn demselben sogleich selbst übergeben.«

Zitternd vor Ungeduld, eilte Adeline an das Ufer zurück, mit unruhig forschenden Blicken über das Wasser nach dem immer heller auf den Wellen schimmernden Licht der Fackeln ausschauend.

Noch mehrere Prahme mit Pferden waren gelandet, auch Boote mit Soldaten. Die Reiter standen in geschlossener Front am Ufer, die Kosaken hielten sich neben dem kaiserlichen Wagen. Alles erwartete mit steigender Ungeduld die Ankunft des Kommandanten, dessen Boot sich immer mehr dem Ufer näherte.

Schon wurden die Ruder eingezogen, der Kiel knirschte auf dem Ufersande, da stieß Adeline einen Jubelruf aus und eilte, unbekümmert um die Wellen, welche über ihren Füßen hinspülten, zu dem Rand des eben gelandeten Bootes heran. Sie hatte Mirowitsch in dem Fahrzeug erkannt.

»Wassili, mein Wassili,« rief sie, »du kommst mir schon entgegen! Hat die Kaiserin die Geister der Luft in ihrem Dienst, die ihren schnellen Rossen vorangeeilt sind? Aber nun ist alles gut, nun habe ich dich wieder. Gesegnet sei die Kaiserin, die uns so großes Glück geschenkt!«

Das Boot war vollständig auf dem Ufersand angefahren. Adeline hatte sich über den Bord in das Fahrzeug geschwungen und war zu Mirowitsch hinausgeeilt, der sich bei ihrem Anblick und bei dem Ton ihrer Stimme erhoben hatte und sie totenbleich, mit Blicken voll Schmerz und Verzweiflung ansah.

Adeline bemerkte dies nicht, sie schlang ihre Arme um ihn, lehnte sich an seine Brust und rief:

»Komm, mein Geliebter, komm schnell, daß ich dich zur Kaiserin führe, die dich erwartet, zur Kaiserin, die meine Retterin war und die Beschützerin unserer Liebe sein will!«

Der General Berednikow hatte in starrem Erstaunen diese so unerwartete Szene angesehen; er wollte Adeline von Mirowitsch trennen, da trat der Offizier, welcher zuerst gelandet war, heran und übergab ihm den Befehl der Kaiserin.

Berednikow las denselben beim Schein der Fackel, dann schüttelte er sinnend den Kopf und sagte:

»Welch wunderbare Geheimnisse weben sich hier um diese dunkle Stunde und diese unglückselige Tat! – Der Befehl lautet bestimmt, mein Fräulein,« sprach er dann zu Adeline, »und doch kann ich denselben nicht befolgen, denn der Leutnant Mirowitsch ist mein Gefangener, ich darf ihm die Freiheit nicht geben. Es ist unmöglich, daß die Kaiserin weiß, was geschehen ist, und wenn ich diesen Befehl befolgte, so würde ich um meinen Kopf spielen.«

»Ein Gefangener!« rief Adeline erschrocken. »Du bist gefangen, mein Wassili? Darum blickst du so finster, darum hast du kein Wort des Grußes für deine Adeline, darum nimmst du mich nicht in deine Arme! O mein Gott, was ist das? Du bist gefesselt, du kannst deine Arme nicht ausbreiten, um mich an deine Brust zu drücken! O mein Gott, mein Gott, welch neues Unglück richtet sich gegen mich auf?«

Sie starrte mit verwirrten Blicken die Fesseln an, welche die Hände des Gefangenen aneinander schlossen; sie hob die Ketten empor, als ob sie deren Last dem Geliebten erleichtern wolle; dann aber blickte sie wieder ganz glücklich in sein bleiches, starres Gesicht und sagte:

»Fürchte nichts, mein Wassili, sieh nicht so traurig aus. Was sie dir auch getan haben mögen – oh, es ist vielleicht wieder jener Entsetzliche, dessen Hand auch hier im Spiele ist – was sie auch geplant haben mögen, um uns zu trennen und zu verderben, die Kaiserin ist da, die Kaiserin schützt uns, und was hätten wir zu fürchten unter ihrem Schutz!«

»Wir müssen enden, mein Fräulein«, sagte Berednikow; »ich darf mich nicht länger aufhalten, lassen Sie den Gefangenen. Wollte Gott,« fügte er schmerzlich hinzu, »daß Sie mit diesem Befehl zwei Stunden früher gekommen wären!«

»Warum zwei Stunden früher!?« rief Adeline. »Ich verstehe das alles nicht. Warum blickst du so starr, Wassili? So höre doch! Fürchte dich nicht, die Kaiserin ist da, um uns zu schützen, und wenn sie dich nicht freigeben wollen auf ihren Befehl, so soll doch niemand mich hindern, dich zu begleiten und dein Schicksal zu teilen. Ha, sollte mir hier eine tückische Falle gestellt sein? – Doch das wird nicht gelingen; ich werde es ausrufen in alle Winde hinein, daß sie dem Befehl der Kaiserin trotzen, daß sie dich gefangen halten, während doch die Kaiserin dich erwartet, um dir das herrliche Geschenk ihrer Gnade zu verkünden. Niemand soll mich hier von deiner Brust reißen; ich will sehen, ob sie es wagen, dem Befehl ihrer Gebieterin zu trotzen. Dort sind die Kosaken, die sie mir selbst zur Wache gegeben, sie werden mich schützen und dich, denn du gehörst mir allein; so steht es geschrieben von der Hand der Kaiserin selbst!«

Sie umschlang Mirowitsch mit ihren Armen, drängte sich noch fester an ihn und sah den Kommandanten und seine Offiziere mit herausfordernden Blicken an.

»Mein Fräulein,« sagte Berednikow, »ich bitte Sie dringend, mich nicht länger aufzuhalten und mich nicht zur Gewalt, die ich im äußersten Falle anwenden müßte, zu zwingen. Sie berufen sich auf die Kaiserin –«

»Und habe ich nicht das Recht dazu?« unterbrach ihn Adeline. »Habe ich nicht selbst gesehen, wie Ihre Majestät mit ihrer eigenen Hand jenen Befehl geschrieben hat!?«

»Ich bestreite dies Recht nicht«, fuhr Berednikow ruhig fort; »aber auch ich habe das Recht und die Pflicht, zu handeln, wie meine Überzeugung es mir vorschreibt, und diese ganze Angelegenheit sowie den Befehl selbst nochmals zu Ihrer Majestät allerhöchsten Entscheidung zu stellen. Hören Sie meinen Vorschlag. Ich will mit Ihnen und dem Gefangenen, sowie einem meiner Offiziere in jenen Wagen steigen, der sie hierher führte, wir werden sogleich nach Petersburg zurückkehren; ich werde den Gefangenen, wie ich es tun muß, in der Festung zum Arrest abliefern und mich dann sogleich selbst zur Kaiserin begeben, um ihr meine Meldung zu machen. – Sie, mein Herr,« fuhr er, zu Mirowitsch gewendet, fort, »bestimmen Sie die Dame, meinen Vorschlag anzunehmen; das ist der einzige Weg, um diese peinliche Verwirrung zu lösen.«

»Ich bitte dich, meine Adeline,« sagte Mirowitsch mit dumpfem Ton, »tue, was der General verlangt, tue es um meinetwillen; wir werden auf der Fahrt Zeit finden zu einem letzten Lebewohl!« fügte er halblaut hinzu.

»Gut denn,« sagte Adeline, »da du es willst, mein Geliebter, so will ich mich fügen; und wenn dieser Herr hier in der Tat auf dem Wege zu der Kaiserin ist, so kann ich nichts mehr verlangen; es handelt sich dann nur um einige Stunden, bis alles aufgeklärt sein wird. Vorwärts also, mein Wagen steht Ihnen zur Verfügung!«

Sie sprang aus dem Boot und unterstützte sorgsam die gefesselten Hände ihres Geliebten, als derselbe ihr folgte. Dann eilte sie voran, um, in den Wagen zurückkehrend, umwenden zu lassen.

»Ich erwarte von Ihnen, mein Herr,« sagte Berednikow, während er mit Mirowitsch folgte, »daß Sie jener Dame nicht die Geheimnisse dieser unglückseligen Angelegenheit preisgeben, über welche die Kaiserin allein zu verfügen hat; Sie würden dadurch Ihre Lage nur verschlimmern, und wenn Sie mir nicht Ihr bestimmtes Versprechen der Verschwiegenheit geben, so würde ich Sie mit dem Fräulein dort nicht gemeinsam den Rückweg machen lassen können.«

»Seien Sie unbesorgt, General«, erwiderte Mirowitsch. »Ich habe ein hohes Spiel verloren; aber niemand soll mir vorwerfen, daß ich diesen Verlust nicht mit Würde zu ertragen wüßte!«

Adeline hatte den Wagen wenden lassen; der Kommandant ließ sie neben Mirowitsch Platz nehmen und setzte sich mit seinem Offizier den beiden gegenüber.

Mit derselben Eile, mit welcher Adeline herausgefahren war, setzte sich der Wagen, von Kosaken und den berittenen Grenadieren begleitet, in Bewegung, um nach Petersburg zurückzukehren, während das erste Tagesgrauen aufdämmerte und das schnell heraufsteigende Morgenlicht immer heller die gelblichen Fluten des Stroms beleuchtete.

»Fürchte nichts, mein Geliebter«, sagte Adeline, ohne sich um die Gegenwart des Generals zu kümmern; »auch du solltest das Opfer der höllischen Bosheit werden, die uns umgarnt; du solltest festgehalten werden, ich bin dessen gewiß, während man mich entführte!«

»Dich entführte?« fragte Mirowitsch. »Wer, wohin?«

»Wer!« rief Adeline. »Wer anders möchte so etwas wagen, als jener hochmütige Orloff, der in frechem Übermut auf die Macht trotzt, die er in seinen Händen hält! Ich glaubte zu dir zu eilen und sollte ihm ausgeliefert werden! Ich werde dir das alles später erklären, du wirst es begreifen, wenn ich dir sage, daß Uschakoff, der dein Freund schien, nur ein verräterisches Werkzeug des Fürsten Orloff war.«

Berednikow schauderte.

Mirowitsch sank mit einem ächzenden Wehlaut in die Kissen des Wagens zurück.

»Uschakoff ein Verräter, Uschakoff ein Spion des Fürsten Orloff! O mein Gott, jetzt wird es Licht in meinem Geist, aber dies Licht blendet und schmerzt wie die Flammen der Hölle. Das also war die Absicht! Ha, jetzt begreife ich auch, warum Uschakoff in den Fluten der Newa versinken mußte – der Verräter konnte weiter verraten, sein Mund mußte geschlossen werden für immer. O General, General,« rief er, seine gefesselten Hände gegen Berednikow aufhebend, »verstehen Sie das ungeheure Schrecknis, das da in entsetzlicher Deutlichkeit vor uns hintritt? – Ich bin das Werkzeug eines niederträchtigen Plans geworden, ich bin einem finsteren Verhängnis verfallen; aber bei Gott, General, ich fühle mich rein wie ein Engel des Lichts im Vergleich zu jenem, der an finsteren Fäden dieses verfluchte Spiel gelenkt hat!«

Berednikow antwortete nicht, aber er drückte unbemerkt in der Dunkelheit die gefesselte Hand des Gefangenen.

Adeline hatte den Sinn der gewechselten Worte nicht verstanden; sie war noch überzeugt, daß die Verhaftung ihres Geliebten ein Werk Orloffs sei, und versuchte nur Mirowitsch immer von neuem zu trösten und seine Hoffnung auf die Gnade der Kaiserin, die alles gutmachen werde, zu beleben.

Mirowitsch hörte ihr schweigend zu, und wenn ihr Atem sein Gesicht streifte, wenn ihre Hände sich innig um die seinen schmiegten, zog sein Herz sich in bitterem, verzweiflungsvollem Jammer zusammen.

Man kam nach Petersburg; Berednikow befahl, nach der Festung zu fahren und lieferte dort Mirowitsch an den Kommandanten ab, mit dem er eine kurze, geheime Unterredung hatte.

Adeline widersprach nicht, das alles mußte sich ja nun schnell aufklären, die Haft ihres Geliebten konnte ja nur wenige Stunden dauern. Sie umarmte ihn inbrünstig und rief ihm als letztes Abschiedswort die frohe und gewisse Hoffnung eines schnellen und glücklichen Wiedersehens zu. Dann fuhr sie mit dem General nach dem Winterpalais.

Der Morgen war bereits vorgeschritten, reges Leben füllte die Straßen von Petersburg, und der ganze Dienst des Palais war im Gange, denn die Kaiserin begann regelmäßig schon früh ihren Tag, dessen Morgenstunden vorzugsweise der Durchsicht der eingegangenen Depeschen und ihrer weit ausgedehnten Korrespondenz gehörten.

Der General Berednikow wurde auf seine Meldung sogleich zu ihr geführt. Adeline verließ ihn nicht und trat mit ihm zugleich in das Kabinett der Kaiserin.

Katharina saß vor ihrem Schreibtisch; neben ihr stand ein kleiner Tisch mit einem zierlichen Service von Gold und Sevresporzellan, welcher ihr regelmäßiges Frühstück, einen leichten Kaffee mit frischem Gebäck trug.

»Was führt den treuen und tapferen Kommandanten meiner Festung Schlüsselburg so früh schon zu mir?« fragte sie mit gnädigem Lächeln.

Dann aber erhob sie sich verwundert. Sie hatte Adeline erblickt, die hinter dem General eintrat, und rief:

»Sie hier, mein Kind, was bedeutet das? Hat man Schwierigkeiten gemacht, meinem Befehl zu gehorchen?« fragte sie, die Stirn faltend, mit strengem Ton.

»O Majestät,« rief Adeline, »helfen Sie, zerstören Sie das Werk der finsteren Bosheit, die meine Liebe, mein Glück zu vernichten trachtet! Der Arme, den ich vor Ihr gnädiges Antlitz führen sollte, er ist verhaftet, er schmachtet gefesselt im Kerker; o zögern Sie nicht, das Wort der Befreiung zu sprechen!«

»Er ist verhaftet, der Leutnant Mirowitsch verhaftet? Was bedeutet das, General; haben Sie meinen Befehl nicht gesehen, den Ihnen dieses Mädchen gebracht?«

»Ich habe ihn gesehen,« erwiderte Berednikow, »aber ich habe ihm nicht gehorchen können, bevor Eure Majestät nicht alles wissen, was geschehen ist. – Mein Fräulein,« fuhr er, zu Adeline gewendet, fort, »Sie sehen, daß ich mein Wort gehalten habe. Sie sehen, daß ich vor Ihrer Majestät stehe; aber was ich zu melden habe, darf nur die Kaiserin hören; ziehen Sie sich zurück und erwarten Sie die Entscheidung Ihrer Majestät.«

»Gehen Sie, mein Kind, gehen Sie!« sagte Katharina, welche mit immer größerer Verwunderung zugehört hatte. »Fürchten Sie nichts; ich verspreche Ihnen, daß meine Gnade Ihnen gewiß bleiben soll.«

Ein wenig zögernd und Berednikow mit mißtrauischen Blicken betrachtend, gehorchte Adeline dem Befehl der Kaiserin und zog sich zurück.

Berednikow erzählte kurz und militärisch, aber mit bebender Stimme alles, was in der verhängnisvollen Nacht vorgegangen war.

Die Kaiserin sank wie gebrochen in einen Stuhl.

»O mein Gott, mein Gott,« seufzte sie, das Gesicht mit den Händen bedeckend, »ich bin unschuldig an diesem Blut; ich habe nichts von diesem grausamen, fürchterlichen Befehl gewußt!«

»Ich danke Gott für dieses Wort Eurer Majestät«, sagte Berednikow. »Möge das ganze russische Volk dasselbe so gläubig aufnehmen, wie ich es tue!«

»Und wie war es möglich, die Soldaten, ja selbst die Offiziere zu einem so tollkühnen Wagnis zu verführen?« fragte Katharina.

»Ich begreife es nicht«, erwiderte Berednikow; »ein dunkles Geheimnis liegt auf der ganzen Sache. Man hatte einen Befehl des Senats gefälscht; wie alles zugegangen ist, muß die Untersuchung lehren. Der Freund des Leutnants Mirowitsch, der wohl den meisten Anteil an der Verschwörung genommen, war verschwunden; es war der Leutnant Pavjel Sacharjewitsch Uschakoff, wir haben seine Leiche in der Newa gefunden!«

»Ein gefälschter Befehl des Senats«, sagte die Kaiserin, finster zu Boden blickend, »hat es vermocht, meine eigenen Soldaten gegen mich zu bewaffnen! Was würde geschehen«, fügte sie ganz leise hinzu, »einem wirklichen Befehl des Senats oder jenes Reichstags gegenüber, mit dem ich ein so unvorsichtiges Experiment gemacht habe?«

Einen Augenblick blieb sie bleich und zitternd in düsteres Sinnen versunken, dann schien sie in ihrer Erinnerung zu suchen.

»Uschakoff,« sagte sie, »Uschakoff! Wo habe ich den Namen gehört? Hing er nicht mit jener Entführung der kleinen Schauspielerin zusammen? Ja, ja, das war es!«

Heftig bewegte sie die Glocke auf ihrem Schreibtisch und befahl, sogleich den Grafen Potemkin zu rufen.

In wenigen Augenblicken erschien derselbe, und als er Berednikow erblickte, flog ein Schimmer freudiger Genugtuung über sein Gesicht.

»Hast du mir nicht den Namen eines Leutnants Uschakoff genannt, Alexander Gregorjewitsch!?« rief die Kaiserin. »Was war es mit ihm?«

»Er war der Vertraute des Fürsten Orloff,« erwiderte Potemkin, »welchen dieser benützte, um die Schauspielerin Adeline Lemaitre in die Falle zu locken, welche Eure Majestät kennen, indem er ihn die falsche und verräterische Rolle eines Vertrauten des Leutnants Wassili Mirowitsch, ihres Geliebten, spielen ließ.«

»Ha, so ist es wahr!« rief Katharina. »Und dieser Uschakoff – wiederholen Sie Ihren Bericht, General!« befahl sie Berednikow.

Der General erzählte noch einmal die Ereignisse der Nacht, während die Kaiserin, den Kopf in die Hand gestützt, vor ihrem Schreibtisch saß.

Potemkin hörte anfangs ruhig zu, dann zeigte sich immer größere Unruhe auf seinem Gesicht, und als der General endlich zu der Ermordung des unglücklichen Iwan kam, da schrie er laut auf; seine ganze mächtige Gestalt bebte, und er bedurfte eines Augenblicks, um seine Fassung wiederzufinden. Dann ergriff er Berednikows Arm und starrte den General mit verwirrten, ängstlichen Blicken an.

»Und wo war Uschakoff,« rief er, »Uschakoff, der den Befehl hatte, Mirowitsch zu verhaften, ehe er sein wahnsinniges Unternehmen ausführte?«

»Seine Leiche wurde in der Newa gefunden«, erwiderte Berednikow, »als ich die Festung verließ, um Mirowitsch hierher zu führen.«

»Entsetzlich!« rief Potemkin. »Das habe ich nicht gewollt; ich habe alles zum guten Ende führen wollen, aber an teuflischer List ist meine Absicht gescheitert!«

»Was hast du nicht gewollt, Gregor Alexandrowitsch?« fragte Katharina streng. »Gestehe alles, denn, bei Gott, die Sache ist ernst!«

»Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung für meine gutgemeinte Tat«, sprach Potemkin, indem er das Knie vor Katharina beugte. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich Uschakoff das Geheimnis seiner Anschläge gegen das junge Mädchen, dem sie Ihren Schutz zuwendeten, entriß. Ich entdeckte zugleich diese Verschwörung zur Befreiung des Gefangenen, deren Fäden der Fürst Orloff in seiner Hand hielt; ich wollte Eurer Majestät den Beweis solchen hochgefährlichen Verrats liefern und zugleich die Verschwörung unschädlich machen. Jener Uschakoff hatte einen Befehl, Mirowitsch vor der Ausführung seines Plans zu verhaften, und alles wäre unschädlich verlaufen. Oh, ich hatte die tückische Bosheit unterschätzt, die ich entlarven wollte! Uschakoff ist ermordet und jener fürchterliche Befehl an die Offiziere der Wache hat dieses schreckliche, blutige Ende herbeigeführt!«

»Und an meinem Namen«, sprach die Kaiserin dumpf, »haftet der Flecken dieses Bluts – wie jenes anderen Bluts,« fügte sie leise hinzu, »über das mein Sohn Rechenschaft von mir fordert, das mich zwingt, vor ihm die Augen niederzuschlagen und aus dem das drohende Gespenst jenes Pugatschew emporgestiegen ist. Doch gleichviel«, rief sie, sich hoch aufrichtend, »Licht soll es um mich werden! Auf dem Wege der Kaiserin dürfen keine dunklen Schatten ruhen; klar und frei soll mein Blick werden, was auch mein Herz leiden möge!«

Abermals bewegte sie die Glocke und befahl, unverzüglich den Fürsten Orloff zu holen.

In finsterem Schweigen, den Kopf auf die Hand gestützt, erwartete sie die Ankunft des Fürsten.

Potemkin blieb mit verschränkten Armen neben ihr stehen; er fühlte, daß die Stunde einer großen Entscheidung gekommen sei. Das Spiel, das er gewagt, um mit einem Schlage seine Feinde zu vernichten, hatte einen Ausgang genommen, der auch ihm verhängnisvoll werden konnte; aber sein stolzer Mut beugte sich nicht, er spannte alle seine Kraft zusammen, um den Kampf dennoch siegreich zu bestehen.

Unbeweglich, in militärischer Haltung stand Berednikow da; schmerzlich zuckte sein bleiches Gesicht; der tapfere Soldat, der so ruhig und sicher auf dem geraden Wege der Pflicht vorwärts gegangen war, sah sich plötzlich in die furchtbaren Wirrsale einer so verhängnisvollen Intrige verwickelt, deren Fäden in seiner Hand zusammengelaufen waren, ohne daß er eine Ahnung davon hatte.

Orloff war am Abend vorher, sobald er die Gesellschaft der Kaiserin verlassen hatte, voll freudiger Hoffnung nach Gatschina hinausgefahren, wo er Adeline zu finden hoffte. Er zweifelte nicht, daß die schöne Schauspielerin leicht für ihn zu gewinnen sein werde, denn was bedeutete der arme, untergeordnete Offizier gegen ihn, den allmächtigen Gebieter über alle Schätze des Reiches und über allen Glanz und Genuß des Lebens, der in der Lage war, jeden ihrer Wünsche zu befriedigen? Und der leichte Widerstand, den er bei ihr erwartete, ließ ihm das ganze Abenteuer noch pikanter und unterhaltender erscheinen.

Zu seinem höchsten Erstaunen erfuhr er, daß Adeline in Gatschina nicht angekommen sei; er wartete dort einen Teil der Nacht, sich in zorniger Ungeduld verzehrend. Er sendete Boten auf Boten auf den Weg hinaus, aber keiner brachte ihm die Nachricht von Adelines Ankunft. Er stürmte nach seinem Palais zurück, er fragte nach dem Kutscher, den er zu Adelines Entführung ausgesendet, aber er erfuhr, daß derselbe nicht zurückgekehrt sei. Immer höher stieg seine Unruhe und sein grimmiger Zorn gegen das unbekannte und unauffindbare Hindernis, das sich seinem Willen entgegengestellt hatte. Seine Diener zitterten vor seinen furchtbaren Wutausbrüchen, bis er endlich ausgetobt hatte, sich müde auf sein Lager warf und in einen schweren Schlummer versank.

Er wurde mit dem Befehl geweckt, vor der Kaiserin zu erscheinen. Mühsam nur sammelte er seine Erinnerung; aber als ihm dies gelungen war, brach seine Wut von neuem aus, denn er erfuhr auf seine Fragen, daß sein Kutscher mit den Pferden noch immer nicht zurückgekehrt sei.

In hastiger Eile kleidete er sich unfrisiert an; das blaue Band des Andreasordens, das ihm der Kammerdiener darbot, nur leicht über die Schultern geworfen, sprang er in seinen Wagen. Seine Gedanken tobten in wilder Unordnung durcheinander; alle aber beherrschte der wilde, immer höher aufschäumende Zorn über die geheimnisvolle Macht, welche es gewagt hatte, seinem Willen zu trotzen.

Als er durch das Vorzimmer der Kaiserin schritt, erblickte er Adeline, welche in angstvoller Ungeduld wartete und sich erschrocken von ihrem Sessel am Fenster erhob, als Orloff eintrat.

Scheu und doch voll glücklicher Freude sah sie ihn an; sein Erscheinen und sein verstörtes Aussehen erfüllten sie mit der frohen Hoffnung, daß die Kaiserin den Fürsten, den sie für die Ursache all ihres Leidens hielt, zur Rechenschaft ziehen werde.

Orloff blieb einen Augenblick stehen, als er Adeline vor sich sah; sein Gesicht wurde noch bleicher, seine Lippen preßten sich zusammen, als ob sie gewaltsam einen Fluch zurückhalten wollten; dann wendete er sich rasch ab und stürmte, den diensttuenden Pagen zur Seite stoßend, in das Kabinett der Kaiserin.

Katharina erhob sich bei seinem Eintritt; erschrocken wich sie einen Schritt zurück, als sie in seinem Gesicht und seiner Haltung die Spuren der durchwachten Nacht und der wilden, leidenschaftlichen Bewegung erblickte.

Potemkin stellte sich an Katharinas Seite, als ob er sie verteidigen wolle.

Orloff sah Katharina starr an; er verneigte sich nicht; er schien Potemkin und Berednikow nicht zu bemerken.

»Eure Majestät haben mich rufen lassen«, sagte er mit rauher, drohender Stimme. »Hier bin ich, was soll ich?«

Die Kaiserin hatte sich schnell gefaßt; mit blitzenden Augen trat sie ihm entgegen und sagte:

»Ihr sollt Euch rechtfertigen, Fürst Gregor Gregorjewitsch, denn schwere Anklagen liegen gegen Euch vor!«

»Anklagen!« rief Orloff. »Und wer sind die Ankläger?«

»Die Tatsachen selbst,« erwiderte Katharina, »die blutig und entsetzlich gegen Euch zeugen. Ihr habt die Schauspielerin Adeline Lemaitre entführen lassen, um sie nach Gatschina zu bringen.«

»Ich habe gesehen,« erwiderte Orloff, »daß irgendein verräterischer Schurke das Mädchen geraubt und hierher gebracht hat!«

»Um sie vor Eurer Gewalttat zu retten,« sagte Katharina, »die allem Recht und Gesetz Hohn spricht. Und dann habt Ihr um eine Verschwörung gewußt, deren Zweck es war, den Prinzen Iwan auf den Thron zu erheben, und Ihr habt dem General hier einen grausamen Befehl gegeben, in dessen Ausführung edles Blut vom Stamm Peters des Großen vergossen wurde. Das ist Raub, Mord und Hochverrat, und auf mich fällt die Schuld des Mordes zurück, denn die Welt und die Geschichte werden die Gebieterin verurteilen für die Untat des Dieners.«

»Sind die Anklagen zu Ende?« fragte Orloff, indem er sich zu höhnischer Ruhe zwang.

»Sie sind es!« erwiderte Katharina. »Was habt Ihr Eurer Kaiserin zu antworten?«

»Ich könnte die Antwort vor diesen hier verweigern,« erwiderte Orloff, »die nicht das Recht haben, sich zwischen mich und meine Kaiserin zu stellen; aber sie mögen immerhin meine Antwort hören, so gut wie die ganze Welt sie hören mag. Was Eure Majestät gesagt haben, ist wahr.«

»Und wenn es wahr ist,« rief Katharina, »wie konntet Ihr wagen –«

»Vielleicht hätte ich es nicht gewagt,« fiel Orloff ein, »wenn ich es hätte für möglich halten können, daß Katharina Alexiewna ihren ersten Diener und ihren treuesten Freund wie einen leibeigenen Sklaven behandeln könnte. An eine solche Möglichkeit dachte ich nicht, und darum habe ich es gewagt, den Thron zu retten aus drohender Gefahr, ohne daß der ruhige Schlaf der Kaiserin auch nur einen Augenblick unterbrochen werden sollte. Ich ließ jenen Mirowitsch, der mir unheimlich schien, überwachen; ich erfuhr seinen Plan, ich ließ diesen Plan reif werden, um Beweise zu haben und um alle die aufrührerischen Elemente kennen zu lernen, welche meiner Kaiserin gefährlich werden konnten. Und wenn alles reif geworden wäre, so hätte ich die drohende Gefahr mit der Wurzel ausgerissen und sie der Kaiserin erst gezeigt, nachdem sie unschädlich gemacht worden war.«

Katharina senkte die Augen.

»Und jener grausame, entsetzliche Befehl,« sagte sie dann, »den Ihr dem General hier gegeben habt und dem der unglückliche Iwan zum Opfer fiel?«

»Mußte ich nicht«, erwiderte Orloff, »für alle Fälle Sorge tragen, daß nicht ein unglücklicher Zufall meine Berechnung durchkreuzte und die Gefahr, die ich für immer beseitigen wollte, dennoch heraufsteigen ließ? Für einen solchen Fall war mein Befehl gegeben. Aber ein solcher Fall sollte nicht eintreten; Uschakoff sollte dafür sorgen,« fuhr er dann, sich kurz besinnend, fort, »daß die Verschwörung im Augenblick des Ausbruchs erstickt würde.«

»Uschakoff!« rief Potemkin. »Von mir hatte er den Befehl, Mirowitsch zu verhaften, und alles Unheil wäre verhütet gewesen.«

Orloff schien Potemkins Worte nicht zu hören. Nur sein Gesicht wurde noch fahler, noch flammender blitzte der Zorn aus seinen Augen.

»In der Artilleriekaserne war alles zur Aufnahme des Gefangenen bereit«, fuhr er fort. »Die Verschwörer sind verhaftet, ich werde Eurer Majestät die Liste der Schuldigen überreichen. Meine Kaiserin sollte mir Dank wissen, daß ich vor den Stufen ihres Thrones Wache gehalten, ohne ihre Ruhe einen Augenblick zu stören.«

»Und das Blut, das geflossen, das unschuldige Blut!« rief Katharina erschüttert.

»Unschuldig?« fragte Orloff. »War Iwan nicht im Einverständnis mit den Verschworenen? Wollte er meine Kaiserin nicht vom Throne stoßen? Würde er ihr Leben geschont haben, wenn das Vorhaben gelungen wäre? Und da nun die blutige Tat geschehen ist,« fuhr er fort, indem er einen Schritt näher zur Kaiserin herantrat, »ist ihm der Tod nicht besser als das elende Leben in der Gefangenschaft, und würde er nicht dennoch, solange er lebte, immer eine Gefahr gewesen sein? Wenn schon die Toten aufstehen als drohende Gespenster, ist es dann nicht notwendig, die Lebenden unschädlich zu machen? Obgleich plumpe und ungeschickte Hände meine Berechnungen zerstört haben, so ist dennoch alles, was geschehen ist, zum Heil meiner Kaiserin und zur Sicherung ihres Thrones geschehen!«

Katharina stand einen Augenblick in schweigendem Sinnen da.

»Und jenes Mädchen, jene Adeline?« fragte sie dann.

»Konnte ich wissen,« erwiderte Orloff schnell, »ob nicht die Geliebte jenes Verschwörers ebenfalls eine Gefahr sei? Sie mußte in sicheren Händen sein, während die Verschwörung ausbrach, und darum habe ich sie fortbringen lassen!«

»Ha, welche Kühnheit der Lüge!« rief Potemkin. »Und der einzige lebt nicht mehr, der dieses Lügengewebe zerreißen könnte! Uschakoff, wo ist Uschakoff?«

»Die Elenden,« erwiderte Orloff, ohne Potemkin anzusehen, »die Elenden, welche den Verrat erkauften, mögen über den Verräter Rechenschaft geben; was kümmert mich das? – Nun, Majestät,« fuhr er dann fort, »ich habe auf die Anklage geantwortet, ich habe eine gefährliche Verschwörung in allen ihren Verzweigungen in Eurer Majestät Hände gelegt; die Drohung, welche der gefangene Iwan gegen die Herrschaft meiner Kaiserin stets in sich verkörperte, ist von der Welt verschwunden, und die einzige Gefahr, welche den Thron meiner Kaiserin bedroht, kommt von dort her, wo jener Pugatschew den Namen des toten Zaren mißbraucht. Frei und sicher gilt es jetzt, jener Empörung mit ganzer Kraft entgegenzutreten, nachdem die Feinde im eigenen Hause vernichtet sind. Ist in allem dem, was ich getan, eine Schuld, so möge meine Kaiserin mich richten!«

Die Kaiserin stand tief erschüttert, das Haupt auf die Brust gebeugt, da, während Potemkin sie mit durchbohrenden Blicken betrachtete. Endlich richtete sie sich auf; ihre Augen waren feucht, ihre Lippen bebten, als sie sprach:

»Gott hat gerichtet, und Gott allein vermag in die Herzen derer zu blicken, die er zu Werkzeugen seiner unerforschlichen Absichten erwählt. Ich vermag Euch nicht zu danken, Fürst Gregor Gregorjewitsch, aber noch bewegt mich der Schauer vor dem Entsetzlichen, das sich vollzogen hat; ich bitte Euch, immer wachsam zu sein gegen die Feinde des Reiches und meines Thrones!«

Sie reichte Orloff ihre Hand, aber sie zuckte schaudernd zusammen, als er sie erfaßte und an seine Lippen führte.

Potemkin wendete sich knirschend ab; Berednikow aber faltete die Hände und flüsterte leise:

»O mein Gott, mein Gott, warum hast du mich nicht hinausgesendet auf das Schlachtfeld zu ehrlichem Soldatentod, statt daß ich hier das Werkzeug des Mordes habe sein müssen an dem unglücklichen Sprossen der alten Zaren!«

»Nun«, sagte Katharina, »hört alle meinen Willen und Befehl. Von allem, was hier in dieser Stunde gesprochen, soll nichts hinaustönen über die Schwelle dieses Gemaches. Ich lege jedem für immer unbedingtes Schweigen auf!«

Orloff, Potemkin und Berednikow neigten zum Zeichen ihres Gehorsams das Haupt.

»Die Tat selbst«, fuhr Katharina fort, »läßt sich nicht geheimhalten, auch wäre es unwürdig, sie zu verbergen; ich will keine Schuld an diesem Blut auf mich nehmen, und das Geheimnis würde mich anklagen. Man soll Mirowitsch vor Gericht stellen, ich behalte mir das Urteil vor; aber er soll keine Mitschuldigen haben, hört Ihr wohl, Fürst Gregor Gregorjewitsch, und Ihr, General Berednikow, er soll keine Mitschuldigen haben! Die Offiziere und die Soldaten in der Artilleriekaserne sollen sofort freigelassen werden. Ich will ihre Namen nicht wissen, ich will mir die Hände nicht binden, sie zu belohnen, wenn sie sich einst um das Vaterland verdient machen sollten, dem sie in ihrer Verirrung zu dienen glaubten.«

»Nachdem die Gefahr beseitigt ist,« sagte Orloff, »mag die Kaiserin Gnade walten lassen!«

Berednikow aber eilte zu Katharina hin und küßte in tiefer Bewegung ihre Hand.

»So geht denn,« sagte die Kaiserin, »geht alle; ich muß allein sein, ich muß mich zurechtfinden nach den Erschütterungen dieser Stunde. Ich will Gott bitten, daß er den Armen, der so viel und so schuldlos hier auf Erden gelitten, gnädig aufnehme in das Reich seiner ewigen Herrlichkeit.«

Orloff wendete sich, um das Zimmer zu verlassen; da aber öffnete sich die Tür und den Pagen zurückdrängend, trat Adeline zitternd vor Ungeduld ein.

»Nein,« rief sie, »nein; ich kann es nicht länger ertragen, ich muß hören, was die Kaiserin entschieden hat; an ihren Lippen hängt das Glück meines Lebens, es soll ihm nicht gelingen, mit seiner tückischen List neues Unheil auszuführen und meine gnädige Kaiserin wieder zu betrügen! – Ha,« rief sie plötzlich, zu Orloff heraneilend und seine Hand erfassend, »sehen Sie hier, Majestät, sehen Sie diesen Ring; er hat ihn mir einst geschenkt als das erste Kaufgeld für das Verderben meiner Seele. Ich gab ihn Uschakoff; der Stein sollte dazu dienen, die Mittel zu unserer Flucht zu beschaffen, und jetzt, jetzt trägt er ihn wieder an seiner Hand! Uschakoff ist ermordet; er ist der Mörder, er hat das Werkzeug seiner teuflischen Pläne vernichtet und ist niedrig genug gewesen, sein Opfer feig zu berauben!«

Orloff erbleichte; seine Hand, welche Adeline gewaltsam vor die Augen der Kaiserin hielt, zitterte, aber dann riß er sich schnell von dem Mädchen los und sagte, kalt die Achseln zuckend:

»Sie redet irre, Majestät; das Verbrechen ihres Geliebten hat ihren Geist verwirrt!«

»Irre!?« rief Adeline, indem ihre Blicke unstet umherschweiften. »Ja, wohl könnte mein armer Kopf irre werden bei all den Schrecknissen, die mich umgeben und die dieser Fürchterliche heraufbeschworen hat! Aber nein, nein,« fuhr sie fort, mit der Hand über ihre Stirn streichend, »meine Kaiserin ist ja da, meine gnädige Kaiserin, die mich schützen und retten wird!«

»Beruhigen Sie sich, mein Kind«, sagte Katharina mitleidig, aber mit einem leichten Klang von Ungeduld. »Gehen Sie, ich werde für Sie tun, was möglich ist; ich werde mein Versprechen, für Sie zu sorgen, nicht vergessen.«

Adeline blickte starr zur Kaiserin auf; sie bog wie lauschend den Kopf vor, als ob sie in dem Klang der Stimme den Sinn der Antwort fassen wolle.

»Und Wassili,« rief sie dann, »wo ist Wassili? – Sie haben versprochen, mir Wassili wiederzugeben!«

»Gehen Sie, mein Kind, gehen Sie«, sagte die Kaiserin. »Er hat eine schwere Schuld auf sich geladen; edles Blut ist vergossen worden, er muß sein Gericht erwarten; aber ich werde nicht vergessen, das verspreche ich Ihnen, daß auch Gott gnädig und barmherzig richtet!«

»Sein Gericht erwarten,« rief Adeline, »gnädig und barmherzig! Was ist das? Das ist nicht die Stimme meiner gnädigen Kaiserin, das ist die Stimme des Fürchterlichen. Aber es soll ihm nicht gelingen, die Engel des Himmels werden mir beistehen; mit meinen schwachen Händen werde ich ihn erwürgen, wie er den armen Uschakoff erwürgt hat!«

Immer unsteter wurden ihre Blicke, Fieberglut brannte auf ihren Wangen; sie stieß einen gellenden Schrei aus und sprang mit ausgestreckten Armen gegen Orloff vor.

Dieser faßte ihre Handgelenke; aber mit einer Kraft, deren man die zarte Gestalt des jungen Mädchens kaum für fähig gehalten haben sollte, rang sie, sich loszumachen, und in schauerlichen Tönen stieß sie wilde Verwünschungen gegen Orloff aus.

»Bring' sie fort,« sagte die Kaiserin, »bring' sie fort, Gregor Gregorjewitsch; sie wird sich beruhigen, wenn die Wirkung des ersten Schreckens vorüber ist.«

Immer noch rang Adeline gegen Orloffs überlegene Kraft; Schaum trat vor ihren Mund, in konvulsivischen Zuckungen wand sich ihr ganzer Körper.

Endlich aber brach sie zusammen; ihre Kraft war erschöpft, ihre zarte Natur konnte die übermäßige Anspannung ihrer Nerven, die sie so viele Tage lang ertragen hatte, nicht mehr aushalten. Mit einem leisen Wehlaut sank sie auf den Boden nieder; eine Ohnmacht umnachtete ihre Sinne.

Die Kaiserin eilte selbst zur Tür und rief den Pagen.

»Fräulein Adeline ist ohnmächtig geworden«, sagte sie. »Das arme Mädchen ist krank, sehr krank; man soll sie sogleich zu ihrer Mutter bringen, mein Leibarzt soll sie besuchen; es soll alles geschehen, was zu ihrer Verpflegung nötig ist, hört ihr wohl, alles; ich will nicht,« fügte sie hinzu, »daß noch ein Leben diesem unseligen Verhängnis zum Opfer fällt!«

Mehrere Lakaien waren herbeigeeilt und trugen die bewußtlose Adeline fort.

»Und nun«, rief die Kaiserin nochmals, »geht, geht alle! Laßt mich allein; ich muß allein sein, auch meine Kraft ist erschöpft!«

Stolz, hocherhobenen Hauptes schritt Orloff hinaus; finster folgte ihm Potemkin, und Berednikow machte in unwillkürlicher Bewegung das Zeichen des Kreuzes über seiner Brust, als er die Schwelle des kaiserlichen Gemaches überschritt.


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