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Bald nachdem Herr Peter Sebastianow Firulkin nach seinem prachtvollen, fürstlich eingerichteten Hause an der großen Morskaja zurückgefahren war, begannen sich die bisher so öden Straßen von Petersburg wieder zu beleben. Die höhere Bürgerschaft und der nicht unmittelbar im Hofdienst stehende Adel kehrten von dem Paradefeld zurück, während das eigentliche Volk noch draußen blieb, um die von der Kaiserin freigebig bereiteten Lustbarkeiten zu genießen.
Katharina war mit ihrem Gefolge zuerst langsam auf dem Wege nach Petersburg fortgeritten, dann aber setzte sie ihr Pferd in Galopp, und in fliegender Eile jagte der schimmernde kaiserliche Zug nach der Residenz zurück, so schnell, daß die schwerfällige Kutsche der Landgräfin von Hessen nicht zu folgen vermochte und zuletzt allein mit den zum unmittelbaren Dienste der fremden Prinzessinnen befohlenen Stallmeistern und Kavalieren auf der Straße hinfuhr, zum großen Mißvergnügen der beiden jungen fürstlichen Damen, welche sich in bitteren Bemerkungen über ihre Schwester Wilhelmine ergingen, die an der Seite des Großfürsten unmittelbar hinter der Kaiserin einhersprengte.
Noch war keine der Privatequipagen in die Stadt eingefahren, als Katharina bereits ihren schaumbedeckten Zelter vor dem großen Portal des Winterpalais anhielt.
Schnell wie der Blitz war Potemkin aus dem Sattel gesprungen und hielt, den Stallmeister vom Dienst zurückdrängend, den Steigbügel der Kaiserin, indem er ihr zugleich seine Hand zur Stütze beim Absteigen bot.
»Eure Majestät«, sagte er, »werden Ihrem neuen Adjutanten, der solange fern von seiner Herrscherin zu leben verurteilt war, erlauben, heute auch diesen Dienst zu leisten.«
Katharina senkte ihren Blick tief in Potemkins flammende Augen.
»Ihr habt mir in der Ferne größere Dienste geleistet, Graf Gregor Alexandrowitsch,« sagte sie, huldvoll lächelnd, – »und doch freue ich mich dieses kleineren Dienstes in meiner Nähe – Eure Hand ist mir dort wie hier eine feste und sichere Stütze.«
Sie beugte sich herab – ihr Fuß schien aus dem Steigbügel zu gleiten – sie schwankte und stieß einen leichten Schreckensruf aus, der das Pferd unruhig machte.
Aber schon hatte Potemkin sie mit kräftigem Arm umschlungen, sie beugte sich auf seine Schulter herab, und indem er sie fest an sich drückte und einen Augenblick in seinen Armen hielt, setzte er sie sicher auf die Erde nieder.
Katharina schien verwirrt, sie hatte Potemkins heißen Atem auf ihrer Wange gefühlt; – zitternd und errötend schlug sie die Augen nieder und sagte: »Ich danke Euch, Gregor Alexandrowitsch, Ihr habt mir abermals bewiesen, wie fest ich mich auf Euch verlassen kann. Ihr sollt in meiner Nähe bleiben. Man soll dem General eine Wohnung im Palast einrichten!« befahl sie, zu den Kammerherren vom Dienst gewendet, welche sämtlich abgestiegen waren und sie umringten, während Orloff noch im Sattel saß und, mit hochmütiger Gleichgültigkeit seiner Umgebung einige Befehle erteilend, sich um die Kaiserin gar nicht zu kümmern schien.
»Wenn Ihr Euch«, fuhr Katharina, zu Potemkin gewendet, fort, »in Euren Gemächern eingerichtet habt, so erwarte ich Euch – Ihr sollt mir von den tapferen Taten meiner Soldaten erzählen, an denen Ihr so ruhmreichen Anteil genommen habt!«
Sie grüßte ringsumher und trat, von der Prinzessin Wilhelmine begleitet, welche der Großfürst aus dem Sattel gehoben hatte, unter das Portal des Palastes, um die Treppe zu ihren Gemächern hinaufzusteigen; nur die Kavaliere und Damen ihres unmittelbaren Dienstes und der Großfürst folgten ihr, während die Wache das Spiel rührte und alle Häupter sich entblößten.
Nur Gregor Orloff schien die Entfernung der Kaiserin nicht zu bemerken, er sprach ruhig mit den ihn umgebenden Offizieren weiter, gab dann seinem Bruder Alexis einen Wink und sprengte nach seinem, in einiger Entfernung nach der Seite des Sommergartens hin liegenden Marmorpalais, das die Kaiserin ihm geschenkt und das erst im Mittelbau vollendet war, während an den Flügeln immer noch weiter gebaut wurde.
Als Orloff sich entfernt hatte, drängte sich die ganze Schar der Höflinge, welche sich bisher in verlegener Befangenheit zurückgehalten, zu Potemkin heran, um den von der Kaiserin so auffallend ausgezeichneten General mit Glückwünschen und Komplimenten zu überhäufen.
Er erwiderte alle diese Huldigungen, welche man dem aufgehenden Stern am Himmel der kaiserlichen Gunst entgegenzubringen sich beeiferte, mit verbindlicher Artigkeit, aber zugleich mit stolzer Zurückhaltung, und folgte schnell dem Oberkammerherrn, Grafen Stroganow, der ihn, dem Befehl der Kaiserin gemäß, um die Erlaubnis bat, ihn in seine Wohnung zu führen, um die Wünsche entgegenzunehmen, die er für die Einrichtung derselben noch zu erteilen haben möchte.
Potemkin betrat an der Seite des Oberkammerherrn eine Reihe von ineinandergreifenden, unter sich abgeschlossenen Gemächern. Es war eines der Appartements, welche im Winterpalais zur Aufnahme fürstlicher Besuche stets bereit standen; und sowohl die Empfangsräume als der Speisesaal und das Schlafgemach, die Toiletten- und Badezimmer zeigten die blendende Pracht und den feinen, edlen Geschmack, welche die Kaiserin Katharina stets miteinander zu verbinden verstand.
Potemkin erklärte dem diensteifrigen Oberkammerherrn, daß er sich alle Wünsche betreffs weiterer Einrichtungen seiner Wohnung vorbehalten wolle und daß er für jetzt nur ein wenig Ruhe bedürfe.
Als Graf Stroganow sich endlich mit der Bemerkung entfernt hatte, daß er sogleich den Dienst für den neuernannten Adjutanten Ihrer Majestät organisieren werde, durchschritt Potemkin strahlenden Blickes die glänzenden Räume, in welche er sich so plötzlich versetzt sah und welche so auffallend mit dem rauhen Lagerleben kontrastierten, das er bisher geführt hatte.
Auf die prachtvollen, in Gold, Marmor und kostbaren Stoffen schimmernden Empfangsräume folgte ein einfaches, mit dunklem Holzgetäfel bekleidetes Bibliothekzimmer, an dessen Wänden eine reiche Bibliothek aufgestellt war, deren Bände die Chiffre der Kaiserin trugen. In der Mitte dieses, durch ein einziges Fenster, erleuchteten Zimmers stand ein mit grünem Samt bedeckter Tisch, welcher Schreibgerät in vollständigster Auswahl trug; daneben ruhte auf einer Säule von schwarzem Marmor eine große, kunstvoll gearbeitete bewegliche Erdkugel.
Potemkin blieb einen Augenblick, überrascht durch die ruhige, schöne Harmonie dieses Raumes, stehen und ließ sich auf einen der niedrigen, bequemen Diwans niedersinken, welche in lauschigen Nischen zwischen den Bücherrepositorien angebracht waren.
»Ah,« sagte er, tief aufatmend, indem er den Ringkragen seiner Uniform löste und seinen Hut und Degen von sich warf, »das Vertrauen auf meinen Stern hat mich nicht getäuscht, die langen Jahre der Entbehrung, der sehnsüchtigen, so oft vergeblichen Hoffnung sind vorüber – Katharina hat mich nicht vergessen – ich bin am Ziele!«
Er reckte die Hand aus und blickte so stolz und gebieterisch in seinem Zimmer umher, als wenn eine Welt zu seinen Füßen läge; dann aber sank langsam sein ausgestreckter Arm wieder herab, seine leuchtenden Blicke verschleierten sich, sein Haupt beugte sich auf seine Brust nieder.
»Am Ziele –« sagte er dumpf, »ich bin am Ziele? Ist es das Ziel meines Lebens, das Lagerzelt mit diesen Räumen voll fürstlichen Glanzes vertauscht zu haben, der doch nichts bedeutet, zu dem mich eine Laune erhoben hat und aus dem mich eine Laune wieder verbannen kann? Soll Potemkins Ehrgeiz damit enden, ein Spielzeug in den Händen eines Weibes zu sein? – Ja, ich liebe diese Katharina, weil sie ein Weib ist, wie ich kein anderes auf Erden gefunden habe, voll Feuer und Glut, voll Leben und Geist, voll Willen und Kraft. Verzehrend hat mich diese Liebe erfüllt, Jahre und Jahre lang – ich liebe das Weib, aber ich liebe auch die Kaiserin – wer eine Kaiserin liebt, der muß sich entweder zum Sklaven erniedrigen, oder die Welt beherrschen und emporsteigen, bis es keine Höhe mehr über ihm gibt. Das Weib gehört mir, das habe ich gefühlt im Druck ihrer Hand, das habe ich gelesen im Blick ihres Auges – aber wie lange wird sie mir gehören und wie kalt, wie hoch steht vielleicht die Kaiserin über dem liebenden Weibe?
Nein, nein,« rief er, schnell aufspringend, »das ist das Ziel nicht; mein Ehrgeiz kann es nicht sein, Gregor Orloffs Nachfolger zu werden, – nur ein Spielzeug des liebenden Weibes zu sein – ein Spielzeug, das vielleicht eines Tages die Kaiserin zerbricht oder in den Staub zurückstößt – des Weibes Liebe mag im Genusse sterben, die Herrschaft über die Kaiserin muß erstarken an der eigenen Kraft, muß wachsen an der eigenen Größe – das Herz wird alt, das Blut erkaltet, aber der Geist bleibt ewig jung, und im Geiste wohnt die Herrschaft! Was hat Orloff getan? Er hat sie auf den Thron gehoben, das ist wahr; aber er ist nur der tote Fußschemel gewesen, der ihrem eigenen Herrschergeist die Stütze bot – seine plumpe Hand kann die Herrschaft nicht festhalten, die er in rohem Mißbrauch selbst erschüttert. Festhalten – du sprichst vom Festhalten, Gregor Alexandrowitsch, und doch gilt es ja erst, die Herrschaft zu erringen – dir wallt nur das heiße Blut des Weibes entgegen – kalt und fremd steht die Kaiserin vor dir und über dir, du hast kein Recht auf die Dankbarkeit der Kaiserin, wie es Gregor Orloff sich erworben!«
Eine Zeitlang stand er finster sinnend da.
»Die Dankbarkeit,« sagte er dann, »das ist viel – aber die Dankbarkeit gehört der Vergangenheit an und sinkt weiter und weiter zurück, wie die erblassende Erinnerung der verflossenen Tage – die Zukunft aber kann nur durch die Zukunft beherrscht werden.«
Er war sinnend im Zimmer auf und nieder geschritten und blieb vor der Weltkugel stehen.
Gedankenvoll stützte er die Hand auf den kunstvoll emaillierten Globus. Gleichgültig glitt sein Blick über das Bild der Erde; aber plötzlich heftete sich sein Auge fester und fester auf die ihm zugewendete Karte von Europa.
»Ja,« rief er, »das ist es – es wird Licht, immer helleres Licht – ja, die Zukunft nur kann die Zukunft beherrschen; nicht auf die Dankbarkeit, nicht auf die Erinnerung an die Vergangenheit kann die Herrschaft sich stützen – nicht die Dankbarkeit kann die Kaiserin gewinnen und festhalten; ein großer, gewaltiger Gedanke allein schließt die Zauberkraft ein, auch der Kaiserin Herr zu sein – ein hohes, erhabenes, leuchtendes Ziel, ein Ziel, das einem Menschenleben zu fern liegt, dem man sich nähern, immer mehr nähern, aber das man nicht erreichen kann und von dem die dürstende Sehnsucht, der ringende Stolz dennoch nicht ablassen können, – das ist es – das ist es, und dieses Ziel ist gefunden!« rief er jubelnd. »Ich werde der Kaiserin den Weg öffnen, dessen Ende sich in blendendem Glanz verliert, – den Weg, auf dem sie niemals umkehren, niemals rasten wird, und den mit ihr zu gehen niemand kühn und groß genug sein wird als ich.«
Er hatte seine Hand auf die Weltkugel gestützt und das Haupt hoch erhoben; die Augen funkelnd von wunderbarem Glanz, stand er da, so siegesstolz, so gebieterisch, als ob er den Erdball selbst unter dem Druck seiner Hand fühle und dessen Bahn zu lenken vermöchte.
Da hörte er leise die seidene Portiere rauschen, welche zu dem reich ausgestatteten Schlafzimmer führte.
Erschrocken sich umwendend, erblickte er einen Pagen der Kaiserin, welcher, sich tief und ehrerbietig verneigend, ihm ein goldenes, mit Edelsteinen reich besetztes Kästchen brachte.
»Ihre Majestät hat mir befohlen, dies dem Herrn General zu geben und zugleich zu sagen, daß sie ihn in einer halben Stunde in der Eremitage erwartet.«
»Ich werde sogleich zu Ihrer Majestät Befehl stehen« – sagte Potemkin, indem er ganz verwirrt das goldene Kästchen und den Pagen betrachtete – »doch wie kommst du hierher – bist du nicht aus dem Schlafzimmer hier eingetreten?«
»Ganz recht, Herr General,« erwiderte der Page; »ich hatte, um den Befehl Ihrer Majestät schneller zu überbringen, einen kürzeren Weg eingeschlagen. Dies Appartement steht mit den kaiserlichen Gemächern durch einen besonderen Gang in Verbindung, welcher dort durch jene Tapetentür führt.«
Er hob die Portiere auf und deutete auf eine offenstehende Tür in der Wand des reich ausgestatteten Schlafzimmers, hinter welcher ein langer Gang, in den das Licht von oben hereinfiel, sichtbar war.
»Der andere Weg,« fuhr der Page fort, während Potemkin mit triumphierendem Lächeln auf die offenstehende Tapetentür blickte, »führt weit herum über die Korridore und durch die großen Vorsäle, und da Ihre Majestät mir befahl, mich zu beeilen, so bin ich durch diesen Gang hierher geeilt.«
»Und diese Wohnung hier?« fragte Potemkin zögernd.
»War früher von der Frau Fürstin Daschkow bewohnt,« erwiderte der Page, »ehe dieselbe in das Palais des Fürsten, an dem man lange baute, gezogen ist; seitdem haben diese Zimmer leer gestanden.«
»Ich danke,« sagte Potemkin, »für deine Botschaft. Eile zurück – ich werde sogleich folgen!«
Der Page verschwand, und die Tür zu dem geheimen Gange fügte sich so fest in die Wandtapete ein, daß jede Spur von ihr verschwand.
Potemkin tastete an der Stelle umher, an der er eben noch die Öffnung gesehen; aber nichts war zu entdecken, kaum ein schmaler Spalt in der Tapete, kein Griff, kein Knopf, durch welchen es möglich gewesen wäre, die geschlossene Tür wieder zu öffnen.
»Ah,« sagte er, »ich begreife, das liebende Weib will den Weg zu dem Geliebten finden können, aber dem Untertan soll der Zutritt zu seiner Herrscherin verschlossen bleiben – nur von ihrem Willen, von ihrer Laune soll sein Glück abhängen, und wenn diese Laune vorüber ist, so soll sich diese Tür nicht mehr öffnen.«
Er öffnete das Kästchen, das der Page ihm gebracht; ein Portefeuille von blauem Samt, auf welchem in kostbaren Perlen ein Namenszug der Kaiserin schimmerte, lag darin. Potemkin schlug dasselbe auf; es enthielt eine von der Kaiserin unterzeichnete Anweisung auf die Schatzkammer von hunderttausend Rubeln.
Potemkins Züge verfinsterten sich.
»Dieses Geld,« sagte er, »das sie mir hinwirft, wie man einem Kinde ein glänzendes Spielzeug schenkt – diese Tür, die sich nur nach ihrem Belieben öffnet, das beweist mir, wie recht ich hatte, wie tief der Abgrund ist, der das Herz des Weibes von dem stolzen Geiste der Kaiserin trennt. Nun denn, das Herz des Weibes halte ich heute in meiner Hand – fest steht mein Fuß auf der einen Seite des Abgrundes, hinter den sich die unnahbare Majestät der Herrscherin zurückzieht. Aber Klugheit, Kraft und Willen sollen mir die Brücke bauen, die mich auch dorthin führt, wo ich keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten habe.« Er bewegte eine Glocke, welche auf dem reich garnierten Toilettentische stand.
Graf Stroganow hatte Wort gehalten – bereits war der vollständige Dienst für den neuen Adjutanten organisiert.
Ein Kammerdiener trat fast gleichzeitig mit dem Klange der Glocke ein und versah seinen Dienst bei der eiligen Toilette seines neuen Herrn so sicher und gewandt, als ob er desselben seit Jahren gewohnt sei.
Die halbe Stunde war noch nicht verflossen, als Potemkin durch seine Empfangszimmer, an deren Türen zahlreiche Lakaien postiert waren, nach dem großen Korridor hinausschritt, um sich zur Kaiserin zu begeben.
Die Wachen salutierten, die Diener und Hofbeamten auf den Fluren grüßten ehrerbietig – jedermann schien den neuen Adjutanten Ihrer Majestät ganz genau zu kennen, und Potemkin hatte die wundersame Empfindung, als ob er durch die Einbildung des Traumes oder durch Feenhand aus dem rauhen, mühseligen und entbehrungsvollen Kriegsleben plötzlich ohne Übergang in einen verzauberten Palast versetzt wäre, in welchem niemand außer ihm selbst das Bewußtsein habe, daß er so ganz neu und fremd in die ungewohnte Umgebung hineingetreten.
Auch der Türsteher am Eingange zu den Gemächern der Kaiserin wartete nicht erst ab, daß Potemkin seinen Namen nannte und sich auf den Befehl Ihrer Majestät berief – dienstbereit, mit tiefer Verneigung öffnete er dem Nahenden die vergoldete Tür.
Die Garden im Vorzimmer richteten sich militärisch auf, die Kammerherren grüßten verbindlich und einer der diensttuenden Pagen trat Potemkin voran, um ihn zu seiner Gebieterin zu führen.
Unruhig klopfenden Herzens, aber in stolzer, sicherer Haltung durchschritt Potemkin, dem Pagen folgend, mehrere Säle. Aus einem derselben führte eine breite Galerie nach dem Pavillon, welchen die Kaiserin dem Winterpalais hinzugefügt hatte und den sie ihre Eremitage nannte. Reizende kleine, mit kostbaren Gemälden und herrlichen antiken Kunstwerken in Marmor und Bronze geschmückte Gemächer schlossen sich hier eins an das andere an.
Einer der Pagen führte Potemkin an den Palastgarden in ihren malerischen, von Silberstickereien strotzenden Uniformen, die an dem Eingange dieser kaiserlichen Einsiedelei Wache hielten, vorbei bis zu einem schweren Samtvorhang, welcher die Tür eines kleinen, mit Marmorstatuen geschmückten Zimmers verhüllte.
»Ihre Majestät!« flüsterte er ehrerbietig, indem er auf diesen Vorhang deutete und schnell verschwand er, über das Parkett hinweggleitend.
Potemkin hob die schwere Portiere auf und ein Ausruf der Bewunderung klang von seinen Lippen, als er den hinter der Hülle verborgenen Raum betrat.
In der Tat konnte das Bild, das er vor sich sah, die Empfindung nur verstärken, daß er sich unter der Einwirkung des Zauberstabes einer glückbringenden Fee befinde.
Der Raum, der sich vor ihm öffnete, war ganz mit blauer Seide ausgeschlagen, schwere orientalische Teppiche von so wunderbarer Schönheit, wie sie sich nur in einem Geschenk des Schahs von Persien an die Selbstherrscherin des russischen Reiches in schimmernder Farbenpracht vereinen konnte, bedeckten den Boden; aus einer Räucherschale dufteten berauschende Arome Arabiens. Das ganze Gemach hatte kein einziges Fenster, aber die dem Eingange gegenüberliegende breite Wand war offen und der feenhafte Raum verlängerte sich in einen mit Glas überdachten und durch Spiegelwände scheinbar bis zur Unendlichkeit ausgedehnten Wintergarten, durch welchen sich silberhelle Bäche schlängelten, bald über Marmorstufen in Kaskaden herabrauschend, bald in Bassins sich sammelnd, aus denen hohe Wasserstrahlen emporstiegen, um in Atome zerstäubt und in diamantenem Glanze schillernd wieder herabzufallen. Hier schimmerten in purpurnem Farbenglanz die Blüten der Tropen, und die Früchte aller Zonen hingen in üppigem Reichtum an den Bäumen, die Ananas von Indien hob sich duftend aus den stacheligen Blättern, die Trauben von Spanien, Italien und Griechenland schimmerten aus den grünen Rebengewinden hervor und unmittelbar daneben sah man blühende Orangenbäume und wieder andere, deren Zweige, schwer von goldglänzenden Früchten, herabhingen. Das Licht fiel durch die grünen Schatten all dieser Gewächse, welche an die Wunder erinnerten, mit denen die Phantasie das Paradies nach dem ersten Schöpfungstage zu schmücken geneigt ist, in das blaue Gemach und verbreitete in demselben eine liebliche Dämmerung, in welcher das einzige darin aufgestellte Kunstwerk, eine Diana, welche den schlafenden Endymion belauscht, den Schein märchenhaften Lebens erhielt.
Auf einer schwellenden Ottomane in der Mitte des Gemachs ruhte die Kaiserin Katharina; sie hatte ihr Amazonenkleid, in welchem sie der Parade beigewohnt hatte, mit einem weiten, faltigen Gewande von weißer Seide, mit feiner Goldstickerei durchwirkt, vertauscht; ihr Haar fiel, in einen griechischen Knoten geschürzt, frei und leicht über ihren Nacken herab; und in dieser Dämmerung magisch beleuchtet, in dem weiten, faltigen Gewande, das die stärkere Fülle ihrer Gestalt verbarg, schien der schimmernde Reiz jugendlicher Schönheit, der sie einst als Großfürstin umflossen hatte, noch fast unberührt von den Jahren, die seitdem über ihrem Haupt dahingezogen waren.
»Ich habe Euch erwartet, Gregor Alexandrowitsch!« sagte sie, indem sie Potemkin ihre Hand entgegenstreckte. – »Ich bin begierig, von Euch zu hören von den heldenmütigen Taten, zu denen Ihr meine Truppen gegen die Türken geführt. Setzt Euch zu mir – ich bin begierig, Euren Worten zu lauschen!«
Potemkin eilte zu ihr hin; er drückte seine Lippen auf ihre Hand – dann sank er auf den weichen Teppich in die Knie nieder und sagte:
»Hier zu den Füßen meiner gnädigsten Kaiserin ist mein Platz – hier ist der Platz, um ihr zu erzählen, was ihre tapferen Heere getan für ihren Ruhm und das Vaterland – wenn,« fügte er hinzu, indem seine flammenden Blicke sich in ihre Augen senkten, »wenn der Anblick meiner Herrin, welche die Königin aller Schönheit und Anmut ist, wie die Kaiserin aller Macht und Herrlichkeit, meinem Geist die Klarheit läßt, die Gedanken zu ordnen und auszusprechen.«
Er hielt ihre Hand noch immer in der seinen – der weite Ärmel ihres seidenen Gewandes war von ihren schlanken Armen herabgesunken.
Potemkins Lippen bedeckten diesen schönen Arm mit heißen Küssen – Katharina wehrte ihm nicht.
»Versucht es immerhin, Gregor Alexandrowitsch,« – sagte sie lächelnd, – »die Majestät der Kaiserin soll meine Getreuen nicht blenden und erschrecken, sondern erleuchten und erwärmen, und wer wie Ihr einen so reichen Anteil hat an Romanzows herrlichen Siegen, der wird wohl Worte finden können, um seiner gnädigen und dankbaren Kaiserin davon zu erzählen.«
Potemkins Gesicht verfinsterte sich; er ließ die Hand der Kaiserin herabsinken und sagte, unmutig den Kopf schüttelnd:
»Romanzows Siege sind wohl herrlich und ruhmvoll, und ich bin stolz darauf, unter und mit ihm gefochten zu haben; aber was ist die Frucht dieser Siege, was wird sie sein? Ein Fetzen Land, eine Handvoll Untertanen und ein flüchtiger Ruhm, der schnell verfliegen und keine Spur hinterlassen wird. Wohl ist es schön und herrlich, für den Ruhm seiner Kaiserin zu kämpfen und zu sterben, wenn es sein muß, aber schöner und herrlicher noch ist es, seine Kraft einzusetzen, um die Herrscherin, der unsere Liebe und unser Leben gehört, hoch zu heben über alle Größe der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, unter ihren Füßen den Olymp aufzutürmen und ihr die Strahlenkrone der Unsterblichkeit aufzudrücken.«
Katharina schien ein wenig verwundert über diese Wendung des Gesprächs. Sie blickte Potemkin fragend an, als ob sie seine Worte nicht begriffe.
»Was meint Ihr, Gregor Alexandrowitsch?« – fragte sie, »kränzt nicht der Lorbeer voll genug meine Fahnen und,« fügte sie stolz hinzu, »wird es der Zeit gelingen, den Namen der zweiten Katharina von den Tafeln der Geschichte zu löschen?«
»Nein, meine gnädigste Kaiserin,« erwiderte Potemkin, »nein, das wird der Zeit nicht gelingen und der Name Katharina wird unauslöschlich seinen Platz behaupten in der Reihe der großen Regenten unseres Reiches und Europas. Das aber genügt mir nicht« – rief er aufspringend und seine Hand über das Haupt der Kaiserin ausstreckend – »das soll, das darf auch Ihnen nicht genügen – nicht in der Reihe anderer sollen Sie genannt werden, und mögen es die größten aller Zeiten und Länder sein. Nein, Katharinas Name soll hoch, unerreichbar hoch über allen stehen, – über Cäsar und Augustus, über Karl dem Großen, um den die Deutschen und Franzosen sich streiten, und über all den kleineren Größen späterer Zeit!«
Katharina blickte bewundernd zu dem in seiner vollen athletischen Kraft vor ihr aufgerichteten Manne empor, dessen gewaltiger Arm ausgestreckt schien, um die Sterne des Himmels herabzuziehen und zu einem strahlenden Diadem für ihr Haupt zu vereinigen.
»Es steht Euch gut, Gregor Alexandrowitsch,« sagte sie, »daß Ihr den Ruhm Eurer Kaiserin, Eurer dankbaren Freundin hoch über die großen Namen aller Zeiten erheben wollt – aber solche Größe ist keinem Menschen beschieden – in solcher Höhe thront nur Gott, – kein sterblicher Mensch ist so groß, daß nicht nach ihm oder neben ihm ein größerer oder ein gleich großer stehen könnte.«
»Nein, nein,« rief Potemkin, »nein, dies Wort mag gelten für alle irdische Größe, es gilt nicht für meine herrliche und erhabene Gebieterin – für die Kaiserin des heiligen Rußland gilt es nicht, die berufen und begnadigt ist, auf die frühlingsjunge Kraft eines gewaltigen, treuen Volkes gestützt, zu vollbringen, was niemand vor ihr vollbracht hat, und was niemand nach ihr vollbringen könnte.«
»Was wäre das?« fragte die Kaiserin, deren Blick entzückt auf Potemkins in flammender Begeisterung strahlendem Gesicht ruhte.
Er schwieg einen Augenblick, als suche er für seine Gedanken einen klaren Ausdruck zu finden.
»Was Cäsars gewaltiger Arm gegründet,« sagte er dann, »was des Augustus klarer Geist geordnet, was Karls des Großen siegreiche Kraft erbaut, das alles ist zerfallen und verweht, weil es nur auf die irdische, vergängliche Kraft des einzelnen Menschen gebaut war – was aber meine Kaiserin erstreben soll, was sie erschaffen wird nach der inneren Stimme, welche laut in meinem Herzen spricht, das wird bestehen für alle Zeiten, weil es nicht gegründet sein wird auf die vergängliche Kraft eines Menschenlebens, sondern auf die ewigen Gesetze, nach welchen die Vorsehung die Völker regiert. Jene Weltreiche der Vorzeit brachen zusammen, weil sie nur auf die alte Welt berechnet waren und weil sie zwieträchtige Stämme aneinanderschmieden wollten, weil sie keine Schutzmauern besaßen gegen die junge, alles überwältigende Volkskraft, welche vom Osten her hereinbrach und gegen die wilden Barbaren, welche, aller Ordnung spottend, aus den Steppen heranzogen, den künstlichen Staatsbau zu zertrümmern. – Das Werk aber, das Gott meiner Kaiserin vorbehalten hat, darf solche Gefahr nicht fürchten. Katharina hält die junge Volkskraft Rußlands, der nichts widerstehen kann, in ihrer eigenen Hand; ihr Zepter erstreckt sich über Asien und Europa hin – die Kraft, welche einst die alten Reiche zerstörte, ruht gehorsam zu ihren Füßen, nur eins fehlt ihr, um eine feste, dauernde Weltherrschaft auf Ordnung, Gerechtigkeit und Freiheit zu begründen, das ist der Schlüssel des Tores, das Asien und Europa, das den Osten mit dem Westen verbindet – das ist Byzanz, das die römischen Kaiser mit klugem Blick zum Sitz der Weltherrschaft erwählten, das sie aber nicht die Macht hatten zu behaupten und das die ermattete Kraft des alten Europa den Türken nicht wieder zu entreißen vermochte.«
»Byzanz!?« rief Katharina, indem sie aufsprang und ihre Hand auf Potemkins Schulter legte.
»Ja,« sagte Potemkin, »Byzanz! Rußland, von seiner Kaiserin geführt, hat allein die Kraft, um die Türken aus der alten Stätte der griechischen Kultur zu vertreiben und den alten Thron der Weltherrschaft, welche Asien und Europa verbinden wird, wieder aufzurichten aus der jungen, unbesiegbaren Kraft des russischen Volkes, das diese Weltherrschaft festhalten wird für alle Zeiten, auch wenn das Gesetz der irdischen Sterblichkeit über das Haupt meiner erhabenen Kaiserin wird dahingegangen sein! Und dann, wenn dieses Ziel erreicht ist, dann wird der Name Katharina in unerreichbarer Höhe über der Weltgeschichte strahlen, und alle Größe der Vergangenheit wird vor diesem Namen verschwinden, alle Größe der Zukunft wird nur dazu dienen, seinen Glanz zu erhöhen. Das ist es,« sagte er, tief aufatmend, als ob er aus einem Traum erwache – »das ist es, was ich lange brennend in meinem Herzen trage und was meinen Geist so vollständig beherrscht und erfüllt, daß ich auch jetzt Worte gefunden habe, es auszusprechen, obgleich meine Gedanken sich verwirren im glühenden Rausch beim Anblick meiner schönen, gnädigen Kaiserin, welche in dem süßen Reiz, mit welchem Aphroditens Gürtel sie umschlingt, den furchtbaren Agisschild vergessen läßt, der seine vernichtenden Schrecken in das verwegene Auge blitzt, das sich in heißer Sehnsucht zu der Herrin der Welt zu erheben wagte.« Er sank wieder auf seine Knie nieder, drückte Katharinas Hände an seine heißen Lippen und sah mit glühendem Blick zu ihr empor.
Sie neigte ihr Haupt zu ihm herab und sprach, in seinen Anblick verloren, mit leiser Stimme:
»Nicht für dich, mein Freund, soll das Medusenhaupt auf dem Schilde der kaiserlichen Macht seine drohenden Schlangen ringeln – du hast die Kaiserin ausgefunden in den tiefsten Geheimnissen ihres Herzens – du hast dem Gedanken Worte gegeben, der in den Tiefen meiner Seele sich regte und den ich niemals auszusprechen wagte, weil niemand ihn verstand, niemand ihn mit gläubigem Mut, mit begeistertem Vertrauen erfaßt hat. Du, mein Freund, hast diesen Gedanken erfaßt aus deinem eigenen Herzen heraus – du hast deine Kaiserin verstanden, ehe sie ihre Lippen öffnete, und niemals wird deine Freundin das vergessen. Du sollst meinen Ägisschild an deinem Arm tragen – deine Hand soll mein Schwert führen, an deiner Seite will ich vorwärts gehen auf dem Wege, den ich in stillen Träumen vor mir sah und den dein kühner Mut und dein stolzer Geist mir in der Wirklichkeit erschließen soll!«
»Und am Ende dieses Weges,« rief Potemkin, »erhebt sich der Tempel der Unsterblichkeit und darüber glänzt in flammender Sternenschrift: »Katharina, die Kaiserin von Byzanz – die Herrin der Welt!«
»Und die dankbare Freundin ihres stolzen Helden,« flüsterte Katharina, »ihres herrlichen Kriegsgottes, dem sie den Schild der Pallas und den Gürtel Aphroditens als Dankespreis bietet.«
Mit einem Jubelruf drückte Potemkin sie an seine Brust; er fühlte, wie das liebeglühende Weib sich zitternd an ihn anschmiegte, aber er wußte, daß er in seinen Armen auch die Kaiserin hielt und mit der Kaiserin die Macht und die Herrschaft.