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10. Kapitel

Es befand sich zu jener Zeit in dem Pavillon, den die Kaiserin ihre Eremitage nannte, noch nicht das vollständige, glänzende und geschmackvolle Theater, welches heute in dem bedeutend erweiterten Bau zu Vorstellungen vor der Hofgesellschaft benützt wird.

Die Kaiserin hatte in einem der größeren Salons nur eine wenig erhöhte Bühne aufschlagen lassen, die von dem Zuschauerraum durch einen geteilten, nach den Seiten hin zu öffnenden Vorhang abgetrennt war. Leichte Kulissen von Leinwand und ein fast eben solcher Hintergrund zeigten die notwendigste Dekoration, und einige Reihen von Sesseln boten die Plätze für die Zuschauer. In der Mitte vor den Vorhängen war ein vergoldeter Lehnstuhl mit dem Doppeladler für die Kaiserin aufgestellt; daneben befanden sich einfachere Stühle mit leichten Armlehnen für die Landgräfin, den Großfürsten und die Prinzessinnen.

Nachdem die Kaiserin und die fürstlichen Herrschaften ihre Plätze eingenommen, gab der Hofmarschall das Zeichen und die Vorstellung begann.

Die französischen Schauspieler lösten ihre Aufgabe, auf einer improvisierten Bühne in so unmittelbarer Nähe vor den Zuschauern zu spielen, deren erhabener Rang wohl geeignet war, sie befangen zu machen, mit außerordentlich sicherer Meisterschaft, und kaum mochte jemals Molières berühmtes Lustspiel vortrefflicher dargestellt worden sein, als es hier vor der nordischen Herrscherin und ihrem ausgewählten Hofzirkel geschah.

Diderot setzte sich auch hier zum Schrecken der ganzen Gesellschaft über die so streng beobachtete Etikette hinweg. Er begann häufig lebhaft zu klatschen und Bravo zu rufen, und jedesmal folgte die Kaiserin sogleich lächelnd seinem Beispiel, so daß der ganze Hof gezwungen war, nach dem Vorbilde des unscheinbaren Philosophen zu applaudieren.

Besonders zeichnete sich Fräulein Adeline Lemaitre in der Rolle der Elmire durch die Lebhaftigkeit, Anmut und Wahrheit ihres Spieles aus; die Erregung, in welcher sie sich befand, steigerte ihre Empfänglichkeit; das Mienenspiel ihres Gesichts, ihre Sprache, ihre Bewegungen, alles paßte sich so vortrefflich dem Charakter ihrer Rolle an, daß Diderot einmal über das andere in ganz entzückte Beifallsrufe ausbrach und auch die Kaiserin selbst einige Male ganz vernehmlich »Bravo, Elmire!« sagte, wodurch dann der Beifall der ganzen Gesellschaft sich bis zum höchsten Enthusiasmus steigerte.

Der erste Akt war vorüber; von allen Seiten drängte man sich an die Kaiserin, ihre Worte zu hören und dieselben dann in steigendem Superlativ sich anzueignen.

»Wie bewundere ich den Geist Ihres Volkes,« sagte Katharina zu Diderot, »und wie sehr ist es zu beklagen, daß dieser glänzende Geist, der einst strahlend den Thron Ihres großen Königs umfloß, jetzt gerade aus den höchsten Regionen Ihrer Gesellschaft so ganz verschwunden scheint!«

»Wir haben eben keinen Ludwig XIV. mehr,« sagte Diderot achselzuckend, »und auch keine Katharina, um ihn zu ersetzen.«

»Zu ersetzen!« rief Potemkin, welcher herangetreten war. »Man kann nur ersetzen, was uns gleich ist; Ludwig XIV. mochte glänzend dastehen, umgeben von den edelsten Geistern seines Volkes; Katharina steht höher, sie vereinigt um sich den Geist aller Völker, von allen nimmt sie das Beste, um es, durch ihre Hand veredelt, dem glücklichen russischen Volke zu geben; das ist mehr, als Ludwig XIV. vermochte, und darum, mein Herr, wird Rußland in der Zukunft, welche Katharina begründet, mehr sein, als Frankreich jemals gewesen ist; hier wird sich der Geist des Westens und des Ostens, des Nordens und des Südens zu wunderbarer Harmonie vereinen.«

Diderot antwortete nicht; er erinnerte sich seines Gesprächs mit der Kaiserin, und was er ihr selbst gesagt hatte, stimmte ja fast mit den begeisterten Worten Potemkins überein; dennoch empfand seine nationale Eitelkeit peinlich den Vergleich, in welchen der stolze Russe sein eigenes Volk zu Frankreich stellte.

»Sie schmeicheln mir, Graf Gregor Alexandrowitsch,« sagte Katharina heiter; »aber ich bin mir wenigstens bewußt, daß ich meine ganze Kraft daransetzen will, Ihre Schmeichelei zur Wahrheit zu machen, und vielleicht wird mir das gelingen. Steht doch jetzt schon«, fügte sie lächelnd hinzu, indem sie auf Diderot und Potemkin deutete, »neben mir die kritische Philosophie des alten Europa und die glühende Phantasie des Orients, und so soll der Geist meines Volkes sich entwickeln. Die Phantasie des Orients,« sagte sie sinnend, indem sie ihre Blicke umherschweifen ließ, »das erinnert mich an das liebliche Kind des Morgenlandes, dessen junge Seele ich dem Lichte der europäischen Bildung öffnen möchte und das sich immer noch schüchtern dem blendenden Strahl verschließt. Wo ist Zoraide? Sie sollte hier sein, aber wieder hat sie sich scheu zurückgezogen. Graf Romanzow«, fuhr sie fort, »hat mir die Lieblingstochter des Großwesir gesendet, die er bei der Eroberung des türkischen Lagers gefangen genommen. Es ist ein liebliches Kind, duftig und frisch wie eine Rose von Schiras; aus ihren Augen schimmert der wunderbare Märchentraum der Poesie des Orients, und ich habe sie liebgewonnen, wie ich eine Tochter lieben würde. Der Wesir hat großes Lösegeld geboten für sie, aber ich vermag mich nicht von ihr zu trennen; es reizt mich, diese liebliche Knospe sich zur höchsten Vollkommenheit erschließen zu sehen im hellen Sonnenlicht des Geistes und der Freiheit.«

Sie winkte den Pagen heran.

»Geh hin, Nikolai Sergejewitsch,« sagte sie, »suche Zoraide auf; sie wird sich in meinen Gemächern verborgen haben, um nicht in der Gesellschaft zu erscheinen, die sie fürchtet; suche sie auf und führe sie hierher, sobald du sie gefunden hast; es ist mein Wille, daß sie stets an meiner Seite erscheint.«

Der Page verneigte sich, während dunkle Glut sein Gesicht überzog, und eilte schnell davon.

Der Hofmarschall meldete, daß alles für den Beginn des zweiten Aktes bereit sei.

Die Kaiserin nahm ihren Platz ein und die Vorstellung nahm ihren Fortgang. Während die ganze Gesellschaft den Worten Molières lauschte und abermals Diderots Beispiel die Schauspieler mit lebhaftem Beifall überschüttete, hatte sich der Page nach den Seitengemächern gewendet, welche jetzt völlig leer waren. Den jungen Menschen, welcher höchstens siebzehn Jahre alt sein mochte, kleidete das Kostüm der Edelknaben, ein kurzer, goldgestickter Pelzrock von roter Seide, und zierliche Stiefel von weichem, gelbem Leder, vortrefflich; seine schlanke Gestalt hatte noch die volle Geschmeidigkeit der ersten Jugend; sein bleiches, edles Gesicht, von langem, natürlich gelocktem, dunkelblondem Haar umgeben, zeigte noch die zarten Linien der Kindheit, aber doch flammte bereits aus seinen großen, tiefblauen Augen männlich kühner Mut, und über seiner Oberlippe zeigte sich ein leichter Flaum, der seinen mädchenhaft weichen Zügen den ersten Anflug von männlicher Kraft verlieh.

Er durchschritt langsam die Gemächer, die eine Hand auf sein Herz gedrückt und unruhig atmend, aber er schien nicht zu suchen, wie die Kaiserin ihm aufgetragen; sicher, als ob er sich über den Weg völlig klar sei, ging er bis zum Eingänge des Wintergartens, welcher durch mattgeschliffene Lampen in feenhafter Dämmerung erleuchtet war.

Auf der Schwelle blieb er noch einmal stehen, in unruhigen Atemzügen hob sich seine Brust, höher röteten sich seine Wangen und furchtsam schien er vor der Fortsetzung seines Weges zurückzuschrecken. Dann aber eilte er schnellen Schrittes über den feinen Silberkies dahin, der den Boden der wunderbaren Schöpfung bedeckte, welche nur die Laune einer allmächtigen Selbstherrscherin hatte erstehen lassen können, und welche die schönsten, duftigsten Blüten, die edelsten Früchte aller Zonen in sich vereinigte.

Der Weg schlängelte sich unter dem Schatten der zierlichen Baum- und Pflanzengruppen hin. Immer schneller eilte der Page vorwärts, er schlug einen kürzeren Pfad ein; endlich wurden seine Schritte langsamer, bis er an einer Wendung mit einem halbunterdrückten Ausruf des Entzückens stehen blieb.

Und in der Tat war das Bild, das sich hier seinen Blicken darbot, wohl geeignet, selbst an dem die kühnste Phantasie überbietenden Hofe der Semiramis des Nordens Entzücken und Bewunderung zu erregen. In ein rundes Bassin von karrarischem Marmor ergoß sich aus einer künstlichen, von blinkenden Erzen funkelnden Felsenwand ein silberklarer Quell; leise murmelnd und rauschend wurde das in dem Bassin gesammelte Wasser in leichten Wellen bewegt. Das Wasserbassin war im Halbkreis umgeben von dichten Rosenhecken, welche in reicher Fülle jene herrlichen Blüten trugen, deren Duft in den Gärten Persiens die Nachtigall zu ihrer sehnsüchtigen Liebesklage begeistert. Hoch herab über die duftige Blütenpracht neigten sich von schlanken Stämmen die üppigen Blätter der Fächerpalme, und von oben her wurde diese ganze Gruppe durch leicht bläulichgefärbte Lampen beleuchtet, so daß es fast schien, als ob ein von dämmerndem Abendlicht überstrahlter Himmel sich über den Palmenwipfeln wölbte.

Neben den rieselnden Quellen an der Seite des Bassins befand sich eine runde Bank von feinem, weichem Moos; auf dieser Bank ruhte, lieblich in sich zusammengeschmiegt, ein Mädchen, das vollkommen zu dieser wundersamen Märchenwelt zu passen schien.

Sie trug einen weiten, um die Hüften von goldenem Gürtel zusammengehaltenen Rock von weißer Seide, mit feiner Goldstickerei, welcher bis etwas über die Knie herabfiel; weite Beinkleider von gleichem Stoff schlossen sich um die Knöchel der zierlichen, mit dunkelblauen Samtpantoffeln bekleideten Füße, ein dunkelblauer Überwurf fiel über die Schultern und die hoch aufgeschlitzten Ärmel ließen die schlanken, perlmutterweißen Arme frei; das tiefschwarze Haar fiel in reichen Flechten über die Schultern herab, und eine kleine blaue Kappe bedeckte den Scheitel. Der Überwurf war so dicht mit kostbaren Stickereien bedeckt, daß nur wenig von der Farbe seines Stoffes sichtbar wurde. Edelsteine von wunderbarer Schönheit schmückten den Gürtel, die Armspangen, die Schuhe und die Kopfbedeckung, so daß die ganze Erscheinung vollkommen einer jener Feen glich, deren geheimnisvolle Macht die Elemente beherrscht, und aus den Tiefen der Erde die unerschöpflichen Schätze heraufsteigen läßt.

Noch wunderbarer, noch bezaubernder aber war das Angesicht des an der Quelle sitzenden Mädchens. Die Kaiserin hatte wohl recht gehabt, als sie sagte, daß aus den Augen der gefangenen Tochter des türkischen Großwesirs die ganze Märchenpoesie des Orients hervorleuchtete; denn in der Tat schienen diese etwas schräg und mandelförmig geschnittenen Augen in ihrem tiefen schwarzen Glanz wunderbare Geheimnisse zu enthüllen, wie sie keine Sprache auszudrücken vermag, und wie sie in den Tönen der persischen Nachtigall einen in die Tiefe des Herzens dringenden Widerhall finden. – In diesem feinen Gesicht lag die zarte Unschuld des Kindes, der vollendete lockende Liebreiz des Weibes, die Reinheit der Engel, welche Raphael zu seiner Madonna aufschauen läßt, und die heiße Liebesglut der Huris, welche den Himmel Mohammeds bevölkern und die Gläubigen alles irdische Leid in seligem Wonnerausch vergessen lassen.

Das junge Mädchen ruhte, das Haupt gegen den Stamm einer schlanken Palme gelehnt, auf der Moosbank; sie hatte eine Rose gepflückt und warf mit ihren feinen Fingern die zarten, duftigen Blütenblätter in die klaren Wellen.

So sehr sie auch in träumendes Sinnen versunken schien, so hörte sie doch den leisen Ruf von den Lippen des Pagen.

Erschrocken fuhr sie auf und griff nach einem türkischen Schleier von dichtem Spitzengewebe, welcher neben ihr auf der Moosbank lag, um ihr Gesicht zu verhüllen; aber schon war der Page zu ihr herangeeilt, er hielt ihre Hand zurück, welche den Schleier erhoben hatte.

»Ich bin es, Fräulein Zoraide, ich bin es«, sagte er bittend; »lassen Sie den Schleier, verbergen Sie nicht Ihre Augen, Ihre schönen Augen, deren Blick ich wie Sonnenlicht und Sonnenwärme im Herzen fühle.«

Er hatte französisch zu ihr gesprochen; sie antwortete in derselben Sprache mit einem leichten fremdartigen Akzent, der ihrer melodischen Stimme einen eigentümlichen Reiz verlieh, indem sie, flüchtig errötend, ihm den Schleier überließ.

»Da Sie es sind, Nikolai, habe ich ja freilich wohl den Schleier nicht nötig, denn Sie haben mein Gesicht oft schon gesehen bei unserer großen Sultanin Katharina, wenn Sie mich gelehrt haben, in der Sprache der Franzosen zu sprechen, wie sie es befahl; aber dennoch ist es wohl ein Unrecht und eine Sünde, denn keinem Manne soll ein Weib ihr Gesicht zeigen, und mein Vater würde schwer zürnen, wenn er wüßte, daß ein Fremder das Antlitz seiner Tochter gesehen.«

»Ein Fremder?« fragte Nikolai, indem er sich neben ihr auf die Moosbank niederließ und ihre Hand ergriff, in welcher sie noch die halb entblätterte Rose hielt; »ich bin Ihnen ein Fremder, Fräulein Zoraide? Hat nicht die Kaiserin mich Ihren Brüder genannt und Sie meine Schwester?«

»Sie hat es getan,« erwiderte Zoraide, »und ich liebe die große Sultanin, obgleich sie Krieg führt gegen den hohen Padischah, den Herrn meines Vaters, und obgleich ich es nicht fassen kann, daß ein Weib, wie sie es tut, über Männer gebietet. Ich war gefangen, ich war ihre Sklavin, und sie hat mich liebevoll und gütig aufgenommen wie eine Mutter. Ich habe meine Mutter nie gekannt; sie ist gestorben, als ich noch ein Kind war, und ich liebe die große Sultanin, wie ich meine Mutter geliebt haben würde; ich habe ihr gehorcht, da sie mir befahl, Sie als meinen Brüder zu betrachten. Aber es ist ja doch nicht so,« sagte sie mit traurigem Kopfschütteln, »Sie sind ja mein Bruder nicht, und wenn Sie es wären, dürfte ich doch in meiner Heimat kaum Ihnen mein Gesicht zeigen; denn das Gesicht eines Weibes zu sehen, dazu haben nur zwei Männer das Recht: das ist ihr Vater und ihr Gemahl.«

Sie hatte bei den letzten Worten langsam die Augen zu ihm aufgeschlagen; als sich ihre Blicke begegneten, zitterte ihre Hand in der seinen und auf den Wangen der beiden schien der Widerschein der Rosenblüten um sie her in Purpurglut zu schimmern. – Sie wollte ihre Hand zurückziehen, aber er hielt sie fest.

Mit innig bittendem Blick zu ihr aufschauend, glitt er langsam von der Moosbank nieder und kniete zu ihren Füßen.

»Ja, Zoraide,« sagte er, »Ihr Bruder zu sein, ist nicht möglich, bei Gott nicht möglich; so mächtig die Kaiserin ist, sie vermag das nicht; sie kann nicht der Natur entgegen das geschwisterliche Band knüpfen zwischen uns beiden, aber sie kann auch das Band nicht zerreißen, das mein Herz an Sie fesselt für immer und ewig, fester als es das verwandte Blut vermöchte. – Nur der Gemahl darf das Antlitz einer Frau sehen«, fuhr er fort; »nun denn, Zoraide, ich habe Ihr Gesicht gesehen, so oft gesehen, daß Ihr Bild unauslöschlich eingegraben ist in die Tiefe meines Herzens; so habe ich denn wohl ein Recht, zu hoffen, daß Sie mir einst erlauben werden, allein für Sie zu leben und in Ihnen alles Glück meiner Seele zu finden; denn«, sagte er, indem er ihr groß in die Augen sah, »ohne Sie leben kann ich doch nicht und ein anderes Glück werde ich nie auf Erden finden können.«

Noch höher erglühten ihre Wangen; er drückte seine heißen Lippen auf ihre Hände – sie wehrte ihm nicht, sie schlug die Augen nicht nieder vor seinem Blick, aber sie schüttelte traurig den Kopf und sagte mit leiser, klagender Stimme:

»Ach, ich weiß es ja – ich weiß es, daß Sie mein Bruder nicht sein können; so blickt der Brüder nicht zur Schwester auf und so,« hauchte sie leise, sich zu ihm herabbeugend, »so klopft das Herz der Schwester nicht, wenn sie die Stimme des Bruders hört; ich fühle es wohl, daß es noch ein heißeres, festeres, unauflöslicheres Band gibt, als die Verwandtschaft des Blutes, aber –«

»Ist das nicht ein Unglück, ein großes Unglück?!« rief Nikolai, indem er sie in seine Arme schloß und inbrünstig ihre mit feuchten Blicken zu ihm aufschauenden Augen küßte, »aber ich werde die Kaiserin bitten, daß sie mich auf einen Platz stellt, auf dem ich Ruhm und Ehre erlangen kann; wir sind jung, wir haben Zeit, ich fühle mich stark, für Sie das Höchste auf Erden zu erringen; die Kaiserin ist huldvoll und gnädig, und dann, Zoraide,« flüsterte er leise in ihr Ohr, »wenn Sie es mir erlauben.«

Zoraide lehnte, wie von seinen Blicken gebannt, immer in seine Augen schauend, das Haupt an seine Schulter; er neigte sich noch tiefer zu ihr herab – ihre Lippen fanden sich in zarter und doch so warmer, inniger Berührung zum ersten Kuß der Liebe zusammen, als ob zwei vom Westwinde gebeugte Rosenblüten ihre Düfte miteinander vereinigten.

»O Nikolai,« sagte sie endlich, indem sie ihn sanft abwehrte und wie träumend in sein Gesicht sah, »was haben wir getan? Das ist ein Unglück, ein großes Unglück; und doch hat es so kommen müssen; das ist das Schicksal, das Kismet, das allmählich und unerbittlich das Leben der Menschen aufwärts und abwärts führt; was träumend in meiner Seele schlief, ist erwacht; ich liebe nur dich, Nikolai, und doch kannst du niemals mein sein, und doch werde ich sterben in sehnsuchtsvoller Klage, wie die Nachtigall stirbt, wenn man die Rose bricht, zu der sie ihre Lieder emporsingt.«

»Und warum ein Unglück?« fragte Nikolai. »Warum kann ich nicht dein sein, meine Geliebte? – Die Kaiserin ist mächtig und gut und ich werde deiner würdig werden!«

»O du bist des Höchsten würdig!« sagte Zoraide, indem sie ihre Arme um ihn schlang und noch einmal seine Lippen küßte; »aber ich gehöre nicht der Sultanin deines Reiches; sie hat mir selbst gesagt, daß ich nicht Sklavin sein soll, und so gehöre ich nur meinem Vater, der alle seine Schätze hingeben wird, um mich freizumachen; zu ihm muß ich zurückkehren, ihm muß ich gehorchen – seine Leute sagen wohl, ich habe es oft gehört, wenn sie miteinander flüsterten, daß er hart und grausam sei, aber ich glaube es nicht; und wenn er es gegen alle wäre, gegen mich ist er immer gütig und liebevoll gewesen; jeden meiner Wünsche hat er erfüllt – ihm bin ich Liebe schuldig und Ehrfurcht und Gehorsam seinem Willen.«

»Die Kaiserin«, rief Nikolai, »wird dich niemals zurückkehren lassen, Zoraide, in dein barbarisches Vaterland, in welchem die Frauen Sklavinnen sind, willenlose Untertanen der Launen ihrer Gebieter; sie läßt dich ja unterrichten in der christlichen Kirche; ich weiß es, sie wird dich bei sich behalten und dir das Glück deines Herzens nicht versagen.«

»Nein, Nikolai, nein!« erwiderte Zoraide. »Wenn die Kaiserin mich liebt, so wird sie mich meinem Vater zurückgeben, und mich die heiligste Pflicht auf Erden, die Pflicht des Kindes, erfüllen lassen. Wohl habe ich aufmerksam gehört, was euer Priester mir gesagt, was die Kaiserin mir erläutert hat – wohl habe ich es verlernt, die Christen zu verachten, wie man es in meiner Heimat tut – wohl schlägt mein Herz höher bei der Lehre von dem liebevollen und gnädigen Gott – wohl mochte ich mein Knie vor ihm beugen; aber gehöre ich nicht meinem Vater? Würde er mich nicht verfluchen, wenn ich mich abwendete von seinem Glauben? – Nein, nein, es ist ein Unglück, ein Unglück, Nikolai, daß ich dich nicht ansehen kann wie meinen Bruder – ein Unglück ist die Liebe, die in meinem Herzen aufgeblüht ist; sie wird schnell entblättert werden wie diese Rose hier.«

Und sie zerpflückte seufzend die Blume, die sie in ihrer Hand hielt, und streute die Blätter über das Bassin hin.

»Die Liebe ist keine einzelne Blüte, Zoraide!« rief Nikolai. »Meine Liebe ist ein starker Stamm, der das ganze Leben mit seinen Zweigen erfüllt und immer neue Blüten treibt wie diese hier!«

Er pflückte hastig so viel Rosen, als er erreichen konnte, warf sie in Zoraidens Schoß und rief, indem er sie an sich zog und ihre Hände an seine Brust drückte:

»Das, meine Geliebte, soll das Bild unserer Zukunft sein! Für jede einzelne Blüte, die entblättert zusammensinkt, will ich dir immer neue und neue darbringen; kein Dorn soll mich schrecken, und so wird auch das Schicksal, das unerbittliche, sich uns beugen.«

Zwar schüttelte sie noch ungläubig den Kopf, aber ihre trüben Blicke wurden heller und heller, als sie in sein von glückseliger Hoffnung strahlendes Gesicht sah; ihre Lippen öffneten sich zu lieblichem Lächeln:

»Du hoffst, mein Nikolai,« flüsterte sie leise, »und ich kann die Furcht nicht bannen; aber in Furcht und Hoffnung lebt ja die Liebe!«

»Und die Liebe ist das Glück!« rief er, in ihren Anblick versunken; »den liebenden Herzen beugt sich der Himmel zur Erde nieder.«

Lieblich lächelnd sah sie zu ihm auf.

Die Quelle rauschte, die Rosen dufteten; ohne ein Wort zu sprechen, saßen diese beiden Kinder nebeneinander; sie sahen sich in die Augen – sie verlangten ja nichts weiter, als in ihren Blicken das süße Gedicht der Liebe zu lesen, das sich tausend- und tausendmal wiederholt, das nicht veraltet und immer wieder mit neuem, frischem Reiz die jungen Seelen bezaubert.

Lautes Klatschen und Bravorufen tönte von ferne her in die lauschige Stille der Palmengrotte.

Nikolai fuhr empor.

»Die Kaiserin!« rief er erschrocken; »ich hatte ihren Befehl vergessen, sie hatte mich gesendet, um dich zur Gesellschaft zu führen.«

»O mein Gott!« rief Zoraide, »ich hoffte, sie hätte mich vergessen; o könnte ich mich verbergen in stiller Einsamkeit!«

»Wir müssen gehorchen!« sagte Nikolai; »schon bin ich zu lange fortgeblieben – hörst du?«

Lauschend beugte er sich vor; man hörte in den Gemächern verschiedene Stimmen, welche den Namen Nikolai Sergejewitsch riefen.

»Komm, komm!« sagte er, Zoraide von der Moosbank emporziehend; »wir dürfen die Kaiserin nicht erzürnen, die so gut und gnädig ist«.

Zoraide warf den Schleier über, in welchem eine kleine Öffnung für die Augen angebracht war, und schritt mit Nikolai Hand in Hand durch den Wintergarten nach dem Theatersaal hin.

Die Kaiserin betrachtete lächelnd die beiden Kinder.

»Du hast lange Zeit gebraucht, Nikolai Sergejewitsch,« sagte sie, »Zoraide zu finden.«

»Sie saß unter den Palmen«, erwiderte der Page verlegen und zögernd.

»Nun komm, setz' dich zu mir«, sagte Katharina, die Hand des jungen Mädchen ergreifend. »Bringe ein Taburett neben meinen Stuhl«, befahl sie dem Pagen. »Aber nun fort mit dem Schleier; du darfst dich nicht scheuen, dein Gesicht zu zeigen, und ich wünsche, daß man meine schöne Pflegetochter bewundert!«

Sie streckte die Hand aus, um Zoraidens Schleier zu entfernen.

Schnell wich das Mädchen zurück, bittend erhob sie ihre Hände.

»Ich will, daß du dein altes Vorurteil ablegst und dich an europäische Sitten gewöhnst«, sagte Katharina streng; »nimm den Schleier ab!«

Zoraide wich zurück, indem sie ihren Schleier mit beiden Händen noch fester an das Gesicht drückte.

Nikolai war herangekommen, um das Taburett neben den Stuhl der Kaiserin zu stellen.

»Majestät,« sagte er, mit flammenden Blicken vor das junge Mädchen hintretend, »ich habe Fräulein Zoraide versprochen, daß sie ihren Schleier nicht abnehmen dürfe, um sie zu bewegen, hierher zu kommen.«

»So,« sagte die Kaiserin, verwundert, aber doch mit Wohlgefallen den Pagen ansehend, »das hast du versprochen? Und wenn du nun nicht geglaubt hättest, daß ich auf eine solche Bedingung eingehen würde?«

»Dann, Majestät,« rief Nikolai schnell, »würde ich Fräulein Zoraide nicht gefunden und, bei Gott! ihren Versteck nicht verraten haben!«

Zoraide hatte die Hand Nikolais ergriffen, als wolle sie bei ihm Schutz suchen.

Ein Murren des Unwillens ließ sich in den Reihen der Höflinge hören, aber Katharina sagte lächelnd:

»Nun, da du so viel Vertrauen zu mir gehabt hast, so muß ich dein Versprechen aufrechterhalten. Behalte deinen Schleier, Zoraide, das Schauspiel wird dir zeigen, daß die unverschleierte Schönheit mehr entzücken und sich siegreicher verteidigen kann; vor allem aber, daß sie es besser versteht, die Männer zu beherrschen.«

Sie nahm ihren Platz ein.

Zoraide drückte noch einmal Nikolais Hand und setzte sich dann auf ein kleines Taburett hinter die Kaiserin.

Der Vorhang ging auf und die Vorstellung nahm wieder ihren Fortgang.


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