Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Beim Anbruch des nächsten Morgens, als kaum eine kurze Ruhe in Saratschowskoi sich eingestellt hatte, erschienen die noch in der Festung zurückgebliebenen Mannschaften, welche sich sämtlich als treue Anhänger des wiedererstandenen Zaren Peter Feodorowitsch erklärten und Pugatschew, als er nach kaum einer Stunde des Schlummers unter ihnen erschien, jubelnd begrüßten, seine Hände und seine Kleider küßten und ihm ewige Treue schwuren.
Eine so mächtige Gewalt übte auf alle diese Soldaten die Ehrfurcht vor dem Blute der alten Zaren aus; sie alle glaubten daran, daß Pugatschew wirklich Peter III. sei.
Die Mönche, welche sämtlich der Regierung Katharinas feindlich waren, seit dieselbe auch ihrerseits den Besitz und die Privilegien der Priester angetastet, versicherten es ja; und trotz der durch Peter den Großen erfolgten Aufhebung der Erbfolge mit der Bestimmung, daß jeder Regent nach seiner freien Willkür seinen Nachfolger bestimmen dürfe, erblickte das ganze Volk doch nur im Blute des alten Zaren die wirkliche Berechtigung zum Thron. Hätten die Soldaten Pugatschew für einen Betrüger gehalten, so hätten sich einige vielleicht durch ehrgeizige Hoffnungen von ihm verlocken lassen; die große Mehrzahl aber würde sich ihm nicht zugewendet, sondern vielmehr ihn verhaftet und ausgeliefert haben. Da sie ihn aber nun für den rechten Zaren hielten, so glaubten sie durchaus auch kein Verbrechen gegen ihre Fahnenpflicht zu begehen, denn die Fahnen gehörten ja ihm, dem Zaren, und gegen die betrügerische Ketzerin, die ihren Herrn, ihren Gemahl vom Throne gestoßen und gefangen gehalten, hatten sie keine Pflicht der Treue und des Gehorsams.
Sie hatten die gefangenen Offiziere wieder aus der Festung mitgebracht.
Die erbitterten Kosaken hatten während der Nacht den Leichnam des Generals Traubenberg seiner Uniform entkleidet und an einen schnell aufgeschlagenen Galgen gehängt. Neben diesen Galgen wurden die gefangenen Offiziere geführt, und unter dem Anblick der entsetzlich entstellten Leiche ihres Generals stellte ihnen Pugatschew die Frage, ob sie nun ihre Verblendung bereuen und sich dem Dienste des wiedererstandenen Zaren widmen wollten.
Ein großer Teil der Offiziere, welche aus der Bevölkerung der Provinzen stammten und dort in ihre Regimenter eingetreten waren, warfen sich vor Pugatschew auf die Knie nieder, erkannten ihn als den Zaren Peter Feodorowitsch an und schwuren ihm Treue und Gehorsam.
Mochten sie nun wirklich ebenfalls daran glauben, daß er der entthronte Kaiser sei, oder mochte die durch die Leiche Traubenbergs verstärkte Furcht vor den drohenden Kosaken ihren Entschluß bestimmen.
Sogleich wurden ihnen die Fesseln abgenommen; die Kosaken und ihre früheren Soldaten hoben sie auf ihren Armen in die Höhe und der Vater Julian gab ihnen seinen Segen als treuen Kindern der Kirche und des Vaterlandes.
Traubenbergs Adjutant aber und mehrere seiner Kameraden, welche bei der Garde gedient hatten, lehnten in finsterer Entschlossenheit den Dienst unter den Rebellen ab.
»Wir sind unbewaffnete Männer,« sagte der Adjutant zu Pugatschew, »und können dir keinen Schaden zufügen; laß uns ruhig nach unserer Heimat gehen. Wir vermögen nicht zu entscheiden, ob du der Kaiser Peter Feodorowitsch bist, den wir für tot halten. Bist du es wirklich, so wird Gott, der bereits ein Wunder für dich getan, dich auf den russischen Thron zurückführen, und dann wollen wir die ersten sein, die sich vor dir beugen, und dir huldigen!«
Pugatschew war durch diese mit männlichem Freimut gesprochenen Worte bewegt. In seinen Zügen konnte man seine Teilnahme für die mutigen Männer lesen.
Schon öffneten sich seine Lippen, um das Wort der Befreiung zu sprechen; da trat der Vater Julian, der neben ihm stand, einen Schritt vor.
»Was,« rief er mit flammenden Blicken, »ihr wagt es, dem rechten Zaren, den Gott durch ein Wunder in die Mitte seines treuen Volkes zurückgeführt, Gehorsam und Dienst zu versagen, und wagt es dennoch, die Freiheit zu verlangen, um zu der fremden Ketzerin zurückzukehren und mit ihr euch gegen euren rechtmäßigen Herrn zu wenden? – Nein, mein erhabener Zar Peter Feodorowitsch,« fuhr er, zu Pugatschew gewendet, in einem Tone fort, der wie ein jeden Widerspruch ausschließender Befehl klang – »nein! Diesen gegenüber wäre die Milde ein Verbrechen; bis jetzt mochte die Verblendung sie entschuldigen; nun kennen sie die Wahrheit, und wenn sie dennoch nicht ihre Pflicht erkennen und sich abwenden von dem Dienste der Betrügerin, so gibt es keine Entschuldigung mehr für sie. Jene verruchte Ketzerin, welche sich Katharina Alexiewna und Selbstherrscherin von Rußland nennt, hat sich schuldig gemacht des Mordes, der Gotteslästerung und Tempelschändung, und jedes einzelne dieser Verbrechen ist des Todes würdig! Alle aber, welche sich nicht von ihr lossagen, nachdem die himmlische Erleuchtung allem Volk den rechten Weg zur Freiheit gezeigt – sie alle sind Mitschuldige an den Verbrechen jener Katharina Alexiewna, sie alle sind des Todes schuldig. Das Todesurteil mußt du aussprechen über jene dort, erhabener Zar Peter Feodorowitsch, wenn Gott wirklich deinen Geist wieder befreit hat von dem höllischen Zauberbann, und dich tüchtig gemacht, das befreite Volk zum Siege zu führen.«
Die letzten Worte klangen fast wie eine Drohung.
Pugatschew blickte stolz zu dem Vater Julian hin, aber scheu und erschrocken schlug er das Auge vor dem flammenden Blick des Mönches nieder, in welchem er rücksichtslos entschlossenen Willen, unerbittliche Festigkeit und das volle Bewußtsein einer in diesem Augenblick alles beherrschenden Autorität sah.
»Und ist es nicht«, fragte er, »des Zaren Pflicht, Gnade zu üben, da ihm Gott selbst so viel Gnade erwiesen?«
»Gnade den Verirrten,« sagte Vater Julian mit eherner Stimme, »aber nicht den Trotzigen. Wolltest du diesen Gnade gewähren, so würde dein Werk von dir selbst zerstört, deine Getreuen müßten den Glauben an dich verlieren und Gott würde sich von dir wenden; der Engel mit dem Schwerte der Gerechtigkeit muß seine Schrecken vor dir hertragen, wenn das Volk erkennen soll, daß du wirklich der Zar bist, daß deinem Haupte die Wetterwolke voranschwebt mit dem Blitz der göttlichen Rache. Gnade übe an denen, die bereit sind, sich vor dir zu beugen; Gerechtigkeit an denen, die auch jetzt noch zu der vom Himmel verurteilten Ketzerin stehen, wie diese dort. Ihr tückischer, trotziger Sinn ist deutlich erkannt; und wenn sie auch jetzt noch aus feiger Furcht sich beugen wollten, es ist zu spät; für sie hat die göttliche Gerechtigkeit nur ein Urteil, das heißt der Tod, und deine Pflicht ist es, erhabener Zar Peter Feodorowitsch, dies Urteil des Himmels zu verkünden und zu vollstrecken!«
Pugatschew schien noch einmal dem Mönch widersprechen zu wollen, aber wieder beugte er sein Haupt, wieder schlug er die Augen nieder vor dem fanatisch glühenden, drohend gebieterischen Blick des unversöhnlichen Priesters, der recht wohl erkannte, daß nur der Schrecken und die Furcht das ungeheure Unternehmen, das hier begonnen war, zum Siege führen könne.
»Tod den Verrätern!« rief der Vater Julian, »Tod den Rebellen gegen den echten Zaren! Das ist das Urteil Gottes, das ist das Urteil, das du verkünden mußt, Peter Feodorowitsch, wenn du selbst an den Schutz des Himmels glauben willst, wenn das Volk glauben soll an das heilige Recht deines gesalbten Hauptes!«
»Tod den Verrätern!« riefen in wildem Geheul das Volk und die Soldaten ringsum, und am lautesten unter allen rief Adam Tschumakow, obgleich er sich weit entfernt hielt in den hintersten Reihen und sich nicht dem Blick der Gefangenen zeigte, unter denen sich auch der Wachtmeister befand, der gestern neben dem General Traubenberg die Aushebung vorgenommen hatte, und der sich trotzig und stolz an der Seite des Adjutanten hielt.
»Tod den Verrätern – Tod – Tod – Tod!« klang es immer lauter und lauter.
Man erhob die Gewehre, man zog die Säbel, und immer näher drängten die erhitzten Haufen zu den Gefangenen heran, welche bleich und finster hintereinander dastanden.
Einige suchten ihre Bande zu zerreißen, andere falteten die Hände und sprachen ein Gebet; nicht mehr um Rettung, sondern nur um ein schnelles Ende ihrer Qual.
Pugatschew warf einen traurig fragenden Blick auf die tobenden Haufen; in keinem Gesicht vermochte er einen Zug des Erbarmens zu entdecken, wilde Blutgier flammte in allen Blicken.
Er neigte seufzend das Haupt und wendete sich ab, langsam dem Dorfe zuschreitend.
Matfeji Skrebykin und einige der älteren Kosaken folgten ihm.
Der Vater Julian blieb stehen und erhob das Kreuz, indem er mit seiner scharfen, durch den wilden Lärm hell hindurchtönenden Stimme auch seinerseits von neuem wiederholte:
»Tod – Tod!«
Und das Kreuz des Priesters, das Symbol der göttlichen Gnade, der Liebe und Versöhnung wurde zum furchtbaren, verhängnisvollen Zeichen der erbarmungslosen Rache.
Nur wenige Schritte hatte sich Pugatschew nach dem Dorfe hin entfernt, als Schuß auf Schuß krachte.
Traubenbergs Adjutant, welcher den übrigen voranstand, sank zuerst, von mehreren Kugeln getroffen, zu Boden; bald lag ein Wall von zuckend blutigen Körpern am Boden und diente den noch Überlebenden, welche sich in fast bewußtlosem Instinkt dahinter verbargen, zu augenblicklicher Schutzwehr.
Schnell aber drängten die Wütenden heran; sie hielten den niedergebückten Gefangenen die Läufe ihrer Pistolen an die Schläfen oder hieben mit ihren Säbeln auf sie ein.
Dem Wachtmeister war es in furchtbarer Anstrengung gelungen, seine Bande zu zerreißen; er hatte in gewaltigem Ringen einem der Angreifer seinen Säbel entrissen und stand nun halb durch einen Leichenwall gedeckt, da, die Klinge um sein Haupt schwingend, entschlossen, in hoffnungslosem Kampf sein Leben so teuer als möglich zu verkaufen.
Adam Tschumakow war jetzt allen übrigen voran auf den Gefangenen eingedrungen; er hielt eine Pistole in der einen, einen Dolch in der anderen Hand und stürzte sich auf den Wachtmeister, der soeben mit einem wuchtigen, gegen den Kopf eines ihn bedrohenden Kosaken geführten Hieb sich einen Augenblick Luft gemacht hatte. Von der Seite her traf Tschumakows Klinge das Handgelenk des in verzweifelter Wut Kämpfenden; der Säbel entsank dem Wachtmeister, und sich schnell umwendend, sah er Tschumakow vor sich.
»Ha, verruchter Doppelverräter,« rief er, »du bist da! Hört, ihr anderen, ihr wenigstens seid Männer, dieser aber ist ein Teufel. Er war es, der mir den Deserteur verriet; er gab den Rat, den Widerspenstigen die Bärte abzuschneiden, um ihren Trotz zu brechen; er –«
Die Stimme des Wachtmeisters erstarb in einem röchelnden Ton. Er hatte versucht, mit der linken Hand den seiner Rechten entfallenen Säbel zu fassen, aber schon hatte Tschumakow den Pistolenlauf gegen seine Schläfe erhoben, der Schuß krachte und mit zerschmettertem Haupte sank der Wachtmeister auf den Leichenhaufen nieder.
Seine letzten Worte waren unter dem Wutgeschrei der blutberauschten Kosaken und den Wehrufen der Opfer verklungen; niemand hatte die furchtbare Anklage des Sterbenden gegen seinen Mörder vernommen.
Tschumakow stürzte sich auf den noch zuckenden Körper des Gefallenen, als ob er mit ihm in kämpfendem Ringen zu Boden gesunken sei; er betastete die Taschen seiner Uniform; schnell glitt dann seine Hand in eine dieser Taschen; er zog aus derselben einen Beutel von roter Seide, mit Goldstücken gefüllt, hervor; ebenso schnell und unbemerkt verbarg er den Beutel in den Brustfalten seines Kaftans; dann stand er auf, steckte seinen Säbel in die Scheide, seine Pistole in den Gürtel, und ohne weiter einen Blick auf den Schauplatz des Entsetzens zu werfen, auf welchem die letzten Opfer unter den Schüssen und Streichen der erbarmungslosen Mörder ihre Seele aushauchten, schritt er langsam, ein zufriedenes Lächeln auf den bleichen Lippen, auf dem Wege nach dem Dorfe hin, auf welchem Pugatschew mit seinen Begleitern, als das Morden begann, schnell vorausgeeilt war.
»Mein Gold habe ich wieder!« flüsterte er vor sich hin; »dieses teure Gold, das ich so lange Jahre gehütet und immer vermehrt habe und das ich dennoch hingeben wollte, meine Freiheit zu erkaufen und mir den Besitz dieses Mädchens zu sichern, die ich hassen möchte um ihrer hochmütigen Verachtung willen und nach der doch meine ganze Seele lechzt in durstiger Glut. Alles war so gut angelegt: sie wäre dennoch mein gewesen, und noch reicheren Besitz hätte ich erworben, denn die Ausgehobenen hätten gern für geringen Kaufpreis ihre Herden und Weiden hergegeben; aber das ist mir entgangen, und das alles durch diesen verdammten Yemelka, den die Hölle hergeführt hat und der sich für den Zaren Peter Feodorowitsch auszugeben wagt, während ich doch genau weiß, daß er es nicht ist, und daß er als untrügliches Kennzeichen ein Mal an sich trägt von seiner Jugend auf, das der entthronte Zar niemals gehabt hat. Wenn ich es enthüllte,« sprach er, indem er einen Augenblick sinnend stehen blieb, als ob er die von der Ermordung der Gefangenen hinter ihm zurückkehrenden Kosaken erwarten wollte, »wenn ich ihnen sagte, woran sie den Betrug erkennen könnten – nein, nein; sie würden mir nicht glauben, sie sind berauscht von Wein und Blut und der Vater Julian würde mich Lügen strafen. Sie hassen mich im Herzen alle, weil ich reicher und klüger bin wie sie, ich würde verloren sein; sie würden gern die Gelegenheit ergreifen, mich als Lästerer des neu erstandenen Zaren zu vernichten. – Nein, jetzt ist nichts zu machen gegen den Wahnsinn, der diese alle hier erfaßt hat, – Pugatschew und der Mönch sind allmächtig; ihnen zu widerstehen, gegen sie nur zu sprechen, wäre sicheres Verderben. Für jetzt«, sagte er knirschend, »gehört Xenia ihm, ich kann sie ihm nicht entreißen, und es bleibt mir nur die Verstellung und Unterwerfung übrig, um sein Vertrauen zu erhalten und alle Fäden dieses wahnsinnigen Werkes fest in meinen Händen zusammenzufassen. Mein Geheimnis soll in meiner Brust bewahrt bleiben wie der Dolch in der Scheide, als furchtbare Waffe, ihn zu treffen, wenn der Augenblick gekommen ist. Hüte dich, Yemelka Pugatschew, hüte dich, großmächtiger Zar!« rief er, höhnisch lachend, indem er die Faust gegen das Dorf hin ballte; »hinter dir schreitet das Verhängnis, du bist dem Verderben verfallen wie jener, dessen Namen du aus dem Grabe heraufbeschworen hast; ich werde dich dennoch zu meinen Füßen am Boden sehen, und Xenia, die du mir heute entrissen, wird dennoch mein werden, daß ich ihre Verachtung strafe und ihren Trotz breche!«
Schnelleren Schrittes eilte er dem Dorfe zu.
In Matfeji Skrebykins Hause beriet Pugatschew mit dem Sätnik und einigen der reichsten und angesehensten Kosaken, was weiter zu tun sei. Xenia saß an seiner Seite und blickte mit Bewunderung und Entzücken zu dem Geliebten auf, nach dem sie in langer, trauriger Trennungszeit sich in banger, oft fast hoffnungsloser Sehnsucht verzehrt hatte, und der nun im höchsten Glanze irdischer Herrlichkeit wieder erschienen war, nicht nur die Sehnsucht ihrer Liebe zu erfüllen, sondern auch die kühnsten Träume des stolzesten Ehrgeizes in ihrer Brust zu erwecken und zugleich zu erfüllen.
Auch der Vater Julian war anwesend. Er beschränkte sich nicht darauf, für den wiedererstandenen Zaren zu beten, sondern er schien auch entschlossen, seinen Platz an dessen Seite in Rat und Tat zu behaupten.
Er hatte seine Mönche hinausgeschickt nach dem nächsten Dorfe, um dessen Bewohnern die Botschaft zu bringen von dem Wunder, das Gott für die Befreiung des Volkes getan, und riet, sogleich aufzubrechen, um so schnell als möglich alle waffenfähigen Mannschaften an den Ufern des Yaik zu vereinigen, bevor die russischen Befehlshaber in den Festungen eine stärkere Truppenmacht zusammenbringen und dem noch so kleinen und ungeordneten Heere entgegensenden könnten.
Pugatschew aber zeigte schon an diesem ersten Tage seiner neuen Herrlichkeit, daß er nicht nur in blindem, fanatischem Glauben immer neue Wunder des Himmels erwarte, sondern daß er wenigstens militärisch den von ihm begonnenen unerhörten und riesenhaften Unternehmungen gewachsen war. Er befahl daher, alle Vorräte an Munition und Waffen aus der Festung Gurjew herbeizuholen; in der Festung selbst ließ er einen Teil seiner Mannschaft unter der Führung zuverlässiger Kosaken zurück, die übrigen formierte er zu geordneten Abteilungen, und schnell verschwand vor seinen strengen Befehlen der Rausch der ungezügelten Freiheit.
Nachdem dies alles geschehen, setzte sich die ganze Schar, den Ufern des Yaik folgend, in Marsch.
Xenia ritt an Pugatschews Seite; der Vater Julian, mit dem Kreuze in der Hand, war ebenfalls zu Pferde gestiegen und folgte unmittelbar dem neuen Zaren.
In allen Dörfern am Yaik zog den Nahenden die ganze Bevölkerung jubelnd entgegen; alle Männer warfen sich vor Pugatschew nieder und begrüßten ihn als den wiedererstandenen Zaren Peter Feodorowitsch, um sich dann, so gut als möglich bewaffnet und beritten, den einzelnen Abteilungen anzuschließen.
Die Weiber und Mädchen streuten grüne Zweige auf seinen Weg und folgten dann, Karren mit Lebensmitteln mit sich führend, dem Zuge.
Am zweiten Tage näherte man sich der Stadt Jaisk, der befestigten Hauptstadt des Kreises.
Etwa eine Meile vor der Stadt war eine starke Abteilung russischer Truppen aufgestellt. Der Oberst Bulow, welcher dieselben kommandierte, sendete den Anrückenden einen Parlamentär entgegen, welcher allen Aufständischen Gnade verkündete, wenn sie sich sofort unterwerfen und Pugatschew ausliefern würden; statt aller Antwort zog Pugatschew seinen Säbel und befahl den Angriff.
Weit voran sprengte er mit dem lauten Rufe: »Sankt Georg und die Freiheit!« den Truppen entgegen.
Der Vater Julian hielt sich an seiner Seite; mit brausendem Hurraruf folgten die berittenen Kosaken, während die Infanterie im Sturmschritt vorrückte und die Artillerie sich bereit hielt, den Feind zu zerschmettern, wenn er den ersten Angriff zurückweisen sollte.
Auf Pugatschews Befehl mußte Xenia zurückbleiben; Tschumakow sollte sich an ihrer Seite halten, und widerstrebend zwar, aber gehorsam dem Befehl ihres Gebieters, hielt sich Xenia hinter den Kanonen hochklopfenden Herzens, mit ihren Blicken die Vorsprengenden verfolgend, und mit aufgehobenen Händen Gott und seine Heiligen um Sieg anflehend.
Ein mörderisches Feuer aus den Gliedern der Truppen empfing die Heranstürmenden. Pugatschew sowohl wie der Mönch schienen gegen alle Gefahr gefeit; keine der um sie hersausenden Kugeln berührte sie.
Pugatschew selbst war der erste, der die Reihen durchbrach; die Kosaken folgten ihm, und bald eilten die auseinandergesprengten Truppen in wilder Flucht der Stadt zu.
Der Oberst Bulow, der ihre Flucht aufhalten wollte, wurde von den Kosaken niedergehauen, und mit den Fliehenden zugleich erreichte Pugatschew an der Spitze der Verfolger das Tor der Festung, das schnell, ehe noch alle Fliehenden aufgenommen waren, geschlossen wurde. Einige Kanonenschüsse fielen von den Wällen; bald aber hörte man, während Pugatschew seiner Artillerie den Befehl zu schnellem Heranmarsch sendete, innerhalb der Festung laute, lärmende Stimmen. Das Feuer von den Wällen verstummte, und ehe noch Pugatschews Artillerie herankam, wurden die Tore abermals geöffnet und heraus stürmten die Soldaten aller Waffen. Sie schleppten den gefesselten Gouverneur blutend und mit zerfetzten Kleidern mit sich, warfen sich auf die Knie und riefen:
»Heil, Peter Feodorowitsch! Heil dem Zaren, dem von Gott erweckten Befreier des Volkes!«
»Steht auf, meine Kinder,« sagte Pugatschew, »tretet ein in die Reihen meines tapferen Heeres, und zieht mit mir in den Kampf für das Vaterland und die Kirche!«
Xenia jagte heran auf schaumbedecktem Pferde; bleich und finster folgte ihr Tschumakow.
Sie streckte ihre Arme Pugatschew entgegen und rief: »Der Sieg schwebt über dir! Das Schwert der Engel Gottes flammt vor dir her, mein Geliebter, mein Herr, mein strahlender Zar!«
»Beuge dich vor deinem Herrn und flehe seine Gnade an!« sagte der Vater Julian zu dem gefesselten Gouverneur.
»Beugt euch«, erwiderte dieser, »vor mir, gottvergessene Rebellen!«
Der Vater Julian winkte mit dem Kreuz, und von zahllosen Säbelhieben getroffen, sank der Gouverneur röchelnd zusammen, während Pugatschew sich zu Xenia hinüberbeugte, um sie in seine Arme zu schließen.
Alle Bewohner von Jaisk kamen aus ihren Häusern, und als Pugatschew mit Xenia an seiner Seite durch die Straßen der Stadt seinen Einzug hielt, wurde er mit Jubel und Segenswünschen empfangen. Alle drängten sich heran, um seine Hände und Kleider zu küssen, und auch die Beamten der Regierung wagten es nicht, zurückzubleiben; sie waren die ersten, welche am lautesten dem wiedererstandenen Zaren entgegenjubelten, denn selbst schweigende Zurückhaltung wäre ihnen zum Todesurteil geworden.
Pugatschew zog in das Gouvernementshaus, und nun, da er über die Kreishauptstadt mit ihren Hilfsmitteln gebot, begann sich schnell um ihn her der äußere Glanz seiner Kaiserwürde zu entfalten. Eine zahlreiche Dienerschaft wurde bestellt, die sämtlichen Handwerker der Stadt wurden in Arbeit gesetzt, um so schnell als möglich alles für den Hof des neuen Kaisers Nötige herzustellen.
Die Nacht ging unter mannigfachen Vorbereitungen und Beratungen hin. Unaufhörlich strömten von allen Seiten Züge auf Züge von waffenfähigen Mannschaften durch die Tore der Stadt herein; alle wollten den wiedererstandenen Zaren sehen und immer und immer wieder mußte Pugatschew am Fenster des Gouvernementsgebäudes erscheinen, um sich den auf dem fackelbeleuchteten Platze Versammelten zu zeigen; immer wieder brauste der Jubelruf des Volkes ihm entgegen.
Am nächsten Morgen versammelte sich die Geistlichkeit von Jaisk, mit deren Mitgliedern der Vater Julian seinerseits die ganze Nacht hindurch in lebhafter Beratung verkehrt hatte, in der Hauptkirche, die in aller Eile mit Reisern und Blumen festlich geschmückt war.
Auf einem prächtig geschirrten weißen Pferde ritt Pugatschew, von den Sätniks der Kosaken gefolgt, durch die Straßen, welche mit einer dichten Volksmenge in ihren Festkleidern besetzt waren. Er trug nicht die Uniform, in welcher man den Zaren Peter Feodorowitsch, dessen Namen er führte, stets gesehen hatte; er hatte den Leuten erklärt, daß all sein früheres Unglück, wie er jetzt reuig erkenne, eine Strafe dafür sei, daß er die Sitten der Ketzer und Fremden nachgeahmt habe, und daß er nun, um sich der göttlichen Gnade würdig zu zeigen, ganz ausschließlich des Vaterlandes Art und Gewohnheit beibehalten wolle. Er hatte sich einen Kaftan von purpurroter Seide, mit kostbarem Pelzwerk verbrämt, anfertigen lassen, der über den Hüften von einem goldenen Gürtel zusammengehalten wurde, und an diesem Gürtel hing ein Säbel, den man mit allen Edelsteinen, die in Jaisk zu finden waren, besetzt hatte. Auf dem Kopfe trug er eine rotseidene Mütze, aus deren Pelzbesatz ein goldener Kronenreif hervorragte; über seine Brust lief ein großes, blaues Band, und da man in der Provinzialstadt keine Insignien des St.-Andreas-Ordens hatte auffinden können, so war das Kreuz und der Stern desselben in ungefährer Nachahmung mit Gold- und Silberfäden und Perlen auf den Kaftan gestickt. Zu allen diesen Zeichen seiner Herrscherwürde trug aber Pugatschew über der Brust noch den priesterlichen Prophetengürtel und um seinen Hals hing an goldener Kette ein großes, reich mit Edelsteinen geschmücktes Bischofskreuz. Er hatte diese Zeichen geistlicher Würde nach der Vorschrift des Vater Julian angelegt, weil ja der rechte russische Zar neben seiner weltlichen Hoheit auch der oberste Bischof und Schirmherr der Kirche ist, wodurch alle seine Befehle für das gläubige Volk zugleich priesterliche Autorität erhalten.
Unmittelbar hinter Pugatschew ritt Xenia zwischen ihrem Vater und Adam Tschumakow, die übrigen Kosaken folgten.
Xenia trug ein weißes Gewand mit Goldstickerei, eine weißseidene Pelzkappe bedeckte ihr in langen Zöpfen herabhängendes Haar; aber mehr noch als durch Ihr reiches Kostüm zog sie alle Blicke durch ihre wunderbare Schönheit an; ihr Gesicht war wie von einem Glanz der Verklärung übergossen, und aus ihren Augen strahlte es wie der Widerschein überirdischer Seligkeit.
Unter den fortwährenden Jubelrufen des Volkes erreichte Pugatschew das Portal der Kirche. Hier erwartete ihn der Vater Julian und die ganze Geistlichkeit von Jaisk.
Pugatschew stieg mit seinem Gefolge vom Pferde, der Vater Julian erhob das Kreuz und rief mit lauter Stimme, so daß alles Volk seine Worte vernehmen konnte, den Geistlichen zu:
»Dies ist der wahre und rechte Zar Peter Feodorowitsch, den Gott durch ein Wunder seiner Allmacht von der Gewalt und den Zauberkünsten seiner Feinde errettet; begrüßt den Erwählten Gottes, ihr geweihten Diener der heiligen Kirche!«
Der Protopope von Jaisk, in Pontifikalgewändern, von der ganzen Geistlichkeit umgeben, trat Pugatschew entgegen; er bot ihm das Kreuz zum Kuß und reichte ihm dann auf einer silbernen Schale Salz und Brot, indem er mit lauter Stimme sprach:
»Der Herr segne deinen Eingang in seinen Tempel, großmächtiger Zar Peter Feodorowitsch! Er stärke deinen Arm und mache dein Schwert scharf zum Schutz der heiligen Kirche!«
Dann schritt Pugatschew, geleitet von der sämtlichen Geistlichkeit, zu dem Altar hin, wo man einen mit Purpur überzogenen Thronsessel für ihn bereitet hatte. Der Gottesdienst wurde mit allem Pomp, den man aufzubieten vermochte, gefeiert, und nachdem die heilige Handlung vollzogen war, erhob sich Pugatschew, zog seinen Säbel aus der Scheide und sprach, indem er sich vor dem Altar auf die Knie niederließ:
»Ich bitte dich, ehrwürdiger Priester, weihe mein Schwert zum Kampfe gegen die Ketzer, welche das heilige Rußland dem Verderben entgegenführten!«
Der Protopope besprengte die Säbelklinge, welche Pugatschew ihm entgegenhielt, mit geweihtem Wasser, und die sämtlichen Geistlichen sprachen laute Gebete. Wieder erhob sich Pugatschew; er trat vor an die Stufen des Altars, streckte seine geweihte Waffe über die Versammlung hin und rief:
»So habe ich denn heute unter dem Segen des Himmels die mir frevelhaft geraubte Herrschaft über mein Reich wieder angetreten. Ich fordere alle Söhne des Vaterlandes auf, sich um mich zu scharen, und wer diesem Befehl nicht gehorcht, soll dem Tode verfallen sein als Hochverräter gegen den Zaren und das Vaterland; sein Besitz gehört dem Reich und sein Leben jedem, der es ihm nehmen will. Mein erster Befehl an diesem ersten Tage der mir von Gott wiedergegebenen Regierung aber verkündet allem Volk, daß in meinem Reiche für ewige Zeiten aufgehoben ist die Leibeigenschaft, welche den Menschen dem Menschen unterwirft zu unwürdiger Dienstbarkeit; ich und mein Gesetz allein sollen fortan herrschen und jedermann soll das Recht haben, seine Bitten und Klagen vor mich oder die von mir eingesetzten Stellvertreter zu bringen. Frei soll dem Bauer der Grund und Boden gehören, den er bisher im Schweiße seines Angesichts bearbeitet hat für seinen Herrn; das ist mein Wille, und wer ihm zuwiderhandelt, ist ein Hochverräter und Rebell!«
Die Gewölbe der Kirche hallten wider von dem tausendstimmigen, immer von neuem wieder erbrausenden Rufe: »Heil Peter Feodorowitsch! Heil dem Zaren, dem Befreier des Volkes!«
Pugatschew ließ dem Volke einige Zeit für seinen jubelnden Dank, dann streckte er gebieterisch seine geweihte Waffe aus und sogleich trat ein tiefes, andächtiges Schweigen ringsumher ein.
»Ihr alle wißt es, meine Kinder,« sprach Pugatschew mit lauter Stimme, »daß ich, euer Zar, einst vermählt war mit einer Fremden, die ich zu mir erhoben hatte, nachdem sie in die Gemeinschaft der heiligen Kirche aufgenommen war. Katharina Alexiewna war der Gnade nicht würdig, welche der Himmel ihr zuteil werden ließ; sie hat sich schuldig gemacht des Mordes, des Hochverrats, der Ketzerei und des Verkehrs mit den höllischen Mächten der Finsternis; sie hat die Langmut Gottes erschöpft, indem sie den Thron ihres Gemahls allem göttlichen und menschlichen Rechte zuwider behauptet und freie Männer zu Sklaven eines fremden, ehebrecherischen und ketzerischen Weibes erniedrigen will. Hier, vor dem Altar Gottes, verstoße ich sie, die einst meine Gemahlin war, ich erkläre sie aller ihrer Rechte verlustig, ihr Leben ist verfallen einem jeden, der es nehmen will, und wer ihr noch gehorcht, ist des Todes würdig. Antworte mir, ehrwürdiger Priester, ist es mein Recht, das Recht des Zaren, meine verbrecherische Gemahlin zu verstoßen, wie der große Zar Peter seine abtrünnige Gemahlin Eudoxia verstieß, und alle Bande zu lösen, die mich einst an sie gefesselt haben?«
»Es ist dein Recht, hoher Herr,« erwiderte der Protopope, indem er sich mit über der Brust gekreuzten Armen verneigte. »Gott hat deine Worte gehört, die du hier vor seinem Altar gesprochen, und von diesem Augenblick an ist jene Katharina Alexiewna, die sich Kaiserin aller Reußen nennt, deine Gemahlin nicht mehr; sie ist eine Verworfene, von Gott Verurteilte, niedriger als die ärmste Bettlerin deines Reiches, und jeder deiner Untertanen hat die Pflicht, sie zu töten, wo er sie findet, und ihr schuldbeladenes Haupt dir zu Füßen zu legen!«
»Ihr habt es gehört,« rief Pugatschew, »ihr Söhne des Vaterlandes und der heiligen Kirche! So erkläre ich denn nun, daß ich meine Hand, nachdem sie gereinigt ist von den Flecken der Berührung mit der verbrecherischen Ketzerin, hier zum heiligen Bunde der rechtgläubigen, edlen Jungfrau Xenia Matfejewna, der Tochter des tapferen Stammes der Kosaken vom Yaik, reiche. Tritt her zu mir Xenia Matfejewna, daß unser Bund den Segen des Himmels empfange!«
Er stieg einige Stufen herab, reichte dem zitternden, hocherglühenden Mädchen die Hand und führte sie vor den Protopopen, zu dessen Füßen sie, überwältigt von dem gewaltigen Eindruck dieses Augenblicks, auf die Knie niedersank.
Sogleich begannen die Geistlichen ihre Gebete, und nach dem Ritus der griechischen Kirche wurde die Trauung vollzogen.
Als die Zeremonie beendet war, hob Pugatschew Xenia, die keines Wortes mächtig war, zu sich empor; einer der jüngeren Geistlichen bekleidete sie mit einem purpurnen Überwurf und setzte eine mit einem Kronenreifen geschmückte Mütze, derjenigen Pugatschews ähnlich, auf ihr Haupt.
»Dies ist Xenia Matfejewna,« rief Pugatschew, »meine Gemahlin, eure Herrin!«
Matfeji Skrebykin und die Kosaken, welche den Altar umringten, beugten ihre Knie und neigten huldigend ihre Häupter.
Pugatschew schloß Xenia in seine Arme und diese hauchte, zu ihm aufblickend:
»Mein Gemahl, mein Gebieter, mein Gott!«
Dann sank sie, halb bewußtlos niedergleitend, auf die Knie und küßte seine Hand, während durch die Kirche hin, weit auf die Straße sich fortsetzend, der brausende Ruf erscholl:
»Heil Peter Feodorowitsch, dem Zaren! Heil Xenia Matfejewna, der Zarewna!«
Auch Adam Tschumakow hatte sein Knie gebeugt, auch er hatte die Hände über der Brust gefaltet; aber er blickte nicht auf, sein Gesicht war erdfahl und von seinen zuckenden Lippen rang sich in einem leisen, zischenden Atemzuge eine wilde Verwünschung.
Pugatschew zog in demselben feierlichen Aufzuge nach dem Gouvernementsgebäude zurück.
Diesmal ritt Xenia Matfejewna an seiner Seite, und während dann in dem größten Saale des Hauses die Führer der Kosaken und die Offiziere der übergegangenen Truppen sich um den wiedererstandenen Zaren zum glänzenden Festmahl vereinigten, ritten Herolde durch die von jubelndem Volk erfüllten Straßen und verlasen eine Proklamation des neuen Herrschers, in welcher die Aufhebung der Leibeigenschaft und der Erlaß der Steuern eines Jahres verkündet, auch dem Volke das Urteil gegen Katharina Alexiewna und die neue Vermählung des Zaren Peter Feodorowitsch kundgetan wurde.
Diese Proklamation, welche der Vater Julian in der Nacht verfaßt und auf ein großes Pergament geschrieben hatte, war unterzeichnet:
»Peter III. Feodorowitsch, Redivivus et Ultor« der Wiedererstandene – der Rächer.