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An dem südöstlichen Abhange des Uralgebirges entspringt der Fluß, welcher heute den Namen des Gebirges führt, in alter Zeit aber Yaik genannt wurde.
Der Yaik, zwar der Wolga und dem Don an Größe nachstehend, strömt dennoch am Anfange seiner Laufbahn fast reißender als jene in grünen, klaren Wellen durch das Bergland hin; bald wendet der Fluß sich westlich bis zu dem Bergrücken des Obschtschei-Syrt, wo er dann, abermals seinen Lauf ändernd, in fast gerader Linie die weiten Steppen durchströmt und sich endlich in das Kaspische Meer ergießt. Sein Lauf wird träger im ebenen Lande, und an beiden Seiten seiner Ufer dehnen sich breite Wiesen und Weideplätze aus, welche durch die Überschwemmungen im Frühjahr befruchtet werden.
An der Küste des Kaspischen Meeres bildet der Yaik, sich in mehrere Arme teilend, ein Delta, welches ebenfalls üppige Weiden, aber auch unwirtliche Sümpfe in sich schließt. An der östlichen Seite dieses Deltas neben dem Hauptarm der Yaikmündungen, liegt die Stadt Gurjew, welche schon zur Zeit der Kaiserin Katharina stark befestigt war und eine bedeutende Besatzung von russischen Kerntruppen in sich schloß, um über die an den Ufern des Yaik wohnenden Kosakenstämme die Autorität der Regierung aufrecht zu erhalten.
Die Stadt Gurjew war umgeben von fast meilenweit ausgedehntem Schilf, das die Höhe und Dichtigkeit einer Waldung erreichte. Diese eigentümliche Vegetation verdeckte fast die Wälle und Bastionen der Festung, aus welcher man nur auf einem durch Außenwerke verdeckten Wege die freien Weideplätze erreichen konnte.
Am Ende des Deltas der Yaikmündungen lag das Dorf Saratschowskoi, wenn man eine Niederlassung der Kosaken mit diesem Namen bezeichnen darf.
Die verschiedenen Kosakenstämme des südlichen Rußland waren ursprünglich slawische Volksgruppen, welche sich zur Abwehr der von außen her herandrängenden Mongolen zusammentaten und, stets unter den Waffen stehend, im Sommer teils nomadisierend, teils raubend und plündernd umherzogen und sich dann im Winter meist an den Flußufern oder an Bergabhängen festere Winterquartiere suchten, in die sie dann allmählich regelmäßig zurückkehrten und die sich so zu festen Wohnsitzen ausbildeten.
Die Kosaken des Yaik hatten an den Ufern dieses Flusses schon im sechzehnten Jahrhundert ihre Winterquartiere, während sie im Sommer größtenteils Seeräuberei auf dem Kaspischen Meere trieben. Während der Feldzüge Peters des Großen nahmen sie schon einen festen Platz in geschlossenen Abteilungen im russischen Heere ein, und zeichneten sich dort durch ihre tollkühne Tapferkeit aus; dagegen widersetzten sie sich scharf jeder geordneten Organisation ihres Gebietes; sie wollten eben nur aus freier Wahl dem großen Zaren Heeresfolge leisten, weil sie den Kampf liebten und lockende Beute hofften; namentlich empfanden sie die von der Regierung ihnen auferlegte Pflicht der Grenzverteidigung als eine widerwärtige Last, da sie infolge dieser Pflicht genötigt waren, zu jeder russischen Armee starke Kontingente zu stellen, welche, sei es gegen die Türken, die Preußen oder die Schweden, an irgendeiner Grenze des Reiches zusammengezogen wurden. Es war ihnen ursprünglich freilich das Recht gegeben worden, sich von dieser Pflicht der Grenzverteidigung, also von dem regelmäßigen Militärdienste, durch eine Geldabgabe zu befreien; allein da die yaikischen Kosaken durch den Ertrag ihrer reichen, fruchtbaren Flußwiesen und der darauf weidenden Herden immer wohlhabender wurden, so fand dies Recht des Loskaufes vom Dienst eine immer ausgedehntere und zuletzt so häufige Anwendung, daß der Regierung jeder militärische Nutzen von den Kosakenstämmen entging, während dieser Mangel an Mannschaften durch die immerhin nicht allzu beträchtlichen Entschädigungssummen keineswegs aufgewogen wurde. Es war daher, als die Kaiserin Katharina im Kriege gegen die Türken, für die Okkupation Polens und endlich zur Überwachung der schwedischen Grenze immer mehr Truppen brauchte, das Loskaufsrecht aufgehoben worden. Die Kosaken waren über diese freilich willkürliche Beschränkung ihrer alten Privilegien in hohem Grade erbittert; mehrfach war es vorgekommen, daß einzelne Stämme die Beamten der Regierung verjagt hatten, und daß alle für die Aushebung bestimmten jungen Leute in die Sümpfe und Steppen geflohen waren, so daß die Regierung sich noch schlechter stand als vorher, da sie nun weder Ersatzmannschaften, noch auch das früher gezahlte Loskaufsgeld erhielt.
Infolgedessen hatte sich die kaiserliche Regierung zu ernsteren Maßregeln entschlossen. Der Fürst Wiatschemskoi war in Orenburg erschienen und hatte, nachdem die Garnisonen aller Festungen durch regelmäßige Truppen, namentlich wohlgeübte Infanterie und Artillerie, erheblich verstärkt waren, den widerspenstigen Stämmen ihre Weideplätze genommen, auf denen ihr ganzer Reichtum, ja ihre Existenz beruhte; er verhieß ihnen Verzeihung der Kaiserin, wenn sie sofort aus ihren waffenpflichtigen Mannschaften ein vollzähliges Husarenregiment stellen und die Aushebungen dazu ohne weiteren Widerstand würden vornehmen lassen.
Der General von Traubenberg, ein Livländer, war nach Gurjew gekommen, um von dort aus in den einzelnen Stämmen die Rekruten auszuheben, zu deren Gestellung sich die Kosaken, wenn auch widerwillig, verstanden hatten, um ihre Weideplätze wieder zu erlangen.
In dem Dorfe Saratschowskoi herrschte unter diesen Umständen, wie auf allen Plätzen längs des Flusses, eine lebhafte Aufregung. Das Dorf bestand, wie alle ähnlichen Niederlassungen, aus einer Reihe ziemlich weit voneinander getrennter Gehöfte; niedrige Wohnhäuser mit flachen Dächern waren jedesmal umgeben mit einigen Scheuern für die Aufbewahrung des Heues und der wenigen Gartenfrüchte, weiterhin standen größere und kleinere Schuppen zum Schutz der Herden bei gar zu schlechter Jahreszeit, und diese Herden selbst weideten dann ringsum auf den üppigen Wiesen der Niederung.
Die Nachmittagssonne spiegelte sich in dem gelblichen, langsam weiterfließenden Wasser des breiten Flusses. Unmittelbar an den Ufern desselben erhob sich mächtiges Schilf fast ebenso hoch und dicht als die wunderbare Waldung, welche die Stadt Gurjew umgab, deren Festungstürme man in der Ferne aus der wogenden grünen Masse hervorragen sah.
Auf einer Wiese, welche von diesem Uferschilf kaum merklich zu dem Dorfe aufstieg, waren alle Männer der Niederlassung zu lebhafter Beratung versammelt, denn der General Traubenberg hatte für den nächsten Morgen seine Ankunft behufs der nächsten Aushebung ankündigen lassen und befohlen, daß alle waffenfähigen Mannschaften ihm vorgestellt werden sollten.
Am äußersten Ende der Niederlassung lag eine von Holz aufgebaute Kirche, umgeben von einigen langgestreckten, breiten Gebäuden, auf deren niedrigen Dächern Glockentürmchen und vergoldete Andreaskreuze zeigten, daß sie zu geistlichen Zwecken bestimmt seien.
In der Tat waren diese Gebäude von vier Mönchen vom Orden des heiligen Basilius bewohnt, welche sich hier niedergelassen hatten, um die Kosaken Saratschowskois unter ihre geistliche Obhut zu nehmen. Sie mußten sich bei der Erfüllung dieser Pflicht unter der strenggläubigen und von tiefster Ehrfurcht für die Diener der Kirche erfüllten Bevölkerung durchaus nicht schlecht stehen, denn die Gärten um die Klostergebäude befanden sich in ausgezeichneter Kultur; hier war der einzige Ort in der ganzen Niederlassung, an welchem hohe Bäume Schatten boten, und selbst Weingelände erhoben sich zwischen den üppigen Fruchtbeeten; heute aber sah man nicht wie sonst die geistlichen Herren, in den sauberen Gartenwegen auf und ab wandelnd, ruhig sich des Wachstums ihrer Früchte freuen und in erbaulichen Gesprächen den Geist übend zur Belehrung und Erquickung der Seelen ihrer Pflegebefohlenen.
Sie waren mit hinausgegangen nach der Beratungswiese, und dort sah man inmitten der kräftigen Kosakengestalten die vier Mönche in ihrer Ordenstracht: dem schwarzen, bis zu den Füßen herabreichenden Rock, den Sandalen von Bastgeflecht und den viereckigen schwarzen Tuchmützen. Der älteste von ihnen, Vater Julian, war ein alter Mann von fast siebzig Jahren; unter seiner Mütze hervor wallte volles, schneeweißes Haar über seine Schultern herab und ein langer, weißer, doppeltgeteilter Bart bedeckte seine Brust; er trug den mit Kreuzen gestickten Prophetengürtel, das Zeichen der Hieromonarchie, der wirklich im Kloster des heiligen Alexander Newsky ordinierten Mönche. Seine Gestalt war lang und hager, gebückt, aber noch nicht hinfällig; sein Gesicht, von dem man nur die stark vorspringende Nase und die tiefliegenden, blitzenden dunklen Augen sah, zeigte energische Willenskraft und kalte, mutige Entschlossenheit; aus seinen Blicken flammte jener unbeugsame, vor nichts zurückweichende Fanatismus, der gerade in jener Zeit die Mönche der griechischen Kirche fast überall erfüllte und sie zu einem bedeutenden Faktor des öffentlichen Lebens machte, welchen die Regierung bald zu unterdrücken versuchte, bald als Werkzeug benützte, mit dem sie aber immer rechnen mußte.
Die drei anderen Mönche waren jünger, sie trugen noch nicht den Prophetengürtel und schienen in ihrer äußeren Erscheinung dem Vater Julian weit untergeordnet; doch auch aus ihren Augen blitzte gleicher Mut und gleiche fanatische Entschlossenheit und Willenskraft, so daß man bei ihrem ersten Anblick überzeugt sein mußte, sie würden ihren Führer auf keinem Wege, so gefahrvoll er auch sein mochte, verlassen.
Die jungen Leute der Niederlassung ergingen sich in wilden Verwünschungen gegen die neue Maßregel; sie alle stimmten dafür, sich derselben nicht zu unterwerfen, sondern entweder die sämtlichen Stämme zu offenem Widerstande zusammenzurufen oder in die Steppen der benachbarten Kirgisen zu fliehen und dieselben zum Bündnis gegen die Regierung aufzufordern. Aufrührerische, wilde Reden wurden überall geführt, und wer am heftigsten gegen die Regierung sprach, war gewiß, den meisten Beifall zu finden.
Endlich trat ein alter Mann auf den Heuhaufen, welcher als Rednertribüne diente und um den sich die übrigen teils stehend, teils auf dem Grase lagernd, gruppiert hatten. Er winkte ruhigen, ernsten Gesichts mit der Hand, und in der Tat stellte sich bei seinem Anblick die Ruhe einigermaßen her.
»Hört Matfej Skrebykin,« riefen verschiedene Stimmen, »den Sätnik; er ist weise und reich an Erfahrung, er weiß stets den besten Rat; hört ihn, Matfej Skrebykin!«
Der Sätnik, das heißt der selbstgewählte und von der Regierung anerkannte Vorsteher der Niederlassung, war ein starker Mann, welcher mit dem Vater Julian im gleichen Alter stehen mochte, aber in seiner Haltung mehr jugendliche Elastizität und militärische Festigkeit zeigte. Er trug wie alle übrigen den Kaftan von blauem Tuch, die weiten Beinkleider, die Kniestiefel und die Schaffellmütze der yaikischen Kosaken. An einem silberbeschlagenen Gürtel hing ein schöngearbeiteter Säbel mit vergoldetem Griff, die einzige Auszeichnung, welche ihn von den übrigen unterschied; sein wettergebräuntes Gesicht hatte kräftige Züge, man sah, daß des Lebens Kampf und Arbeit ihn nicht verschont hatten; dennoch aber lag in seinen blauen Augen eine ruhige, freundliche Milde, aber es war nicht die Milde, welche aus der Schwäche hervorgeht, sondern vielmehr das sichere Bewußtsein der vollen, aber maßvoll zurückgehaltenen Kraft.
»Hört mich an, meine Freunde!« sagte Matfej Skrebykin; »ihr seid erregt und zornig, und der Zorn ist kein guter Ratgeber; wohl habt ihr Recht zum Unmut, denn der Gouverneur hat hart eingegriffen in unsere alten Rechte; aber wird es besser werden, wenn ihr gewaltsam widersteht oder in die Steppen flieht? Sind wir zahlreich genug, sind wir gerüstet genug, um gegen die Regimenter und die Kanonen des Gouverneurs stand zu halten? – Und wenn ihr flieht, was soll aus uns werden, was aus den Alten, was aus den Weibern und Kindern? – Unsere Weiden werden sie uns nehmen und unsere Herden! Ihr werdet keinen guten Empfang finden bei den Kirgisen, wenn ihr nur zu bitten und nichts zu bringen kommt, und unsere schönen Ufer werden zur Wüste werden oder Fremden anheimfallen; Fremde werden eure Weiber fortführen und eure Kinder zu Sklaven machen; darum bedenkt euch wohl, ehe ihr törichte Beschlüsse faßt und ausführt; bedenkt, daß man von euch nur verlangt, die Waffen zu tragen für das große russische Reich, das uns und unseren Vätern so lange Schutz gewährt und eine Heimat gab, und das Waffenhandwerk ist ja die Freude des Kosaken. Eure Väter haben hohen Ruhm erworben unter den Fahnen des Zaren; wollt ihr hinter ihnen zurückstehen? Bedenkt, daß es die Zarewna ist, welche euch zu den Waffen ruft, daß jeder Sohn der rechtgläubigen Kirche die Pflicht hat, diesem Rufe zu folgen. Die Zarewna ist weit und vielleicht ist sie hintergangen von ihren Dienern, als sie in unsere Rechte eingriff; aber dennoch müßt ihr ihrem Ruf gehorchen, der doch nur das von euch verlangt, was ja des Mannes Freude und Ehre ist; darum rate ich euch, tut, was man von euch verlangt; euch winkt ja Ehre und reiche Beute, und ich, der Sätnik, werde mich dann aufmachen und hingehen nach Petersburg zur Zarewna selbst, sie wird mich hören, und wenn ihr die Pflicht des Gehorsams erfüllt habt, wird sie euch die Gerechtigkeit nicht versagen, sie wird eure Rechte wieder herstellen und die Versprechungen erfüllen, die ihre Vorfahren euch gegeben. Das ist mein Rat. Ihr seid freie Männer, ihr könnt meinen Rat befolgen oder verwerfen, aber wenn ihr ihn befolgt, so wird es zu eurem und des ganzen Stammes Heil sein!«
Diese kurzen, mit markiger, klarer und ruhiger Stimme gesprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf die Versammlung; finster zwar blickten die meisten zu Boden, aber niemand fand eine Erwiderung.
Endlich rief einer der jungen Leute:
»Matfej Skrebykin weiß klug zu sprechen; mein Kopf findet keine Antwort auf seine Worte, aber mein Herz lehnt sich dagegen auf, daß wir der Gewalt weichen sollen, wir, die freien Männer vom Yaik, deren Väter wohl Bundesgenossen der Zaren waren, aber nicht ihre Sklaven. Was sagt der ehrwürdige Vater Julian? Matfej Skrebykin ist reich an irdischer Klugheit und Erfahrung, den Vater Julian aber erleuchten Gott und die Heiligen des Himmels.«
Der Vater Julian trat mit gefalteten Händen vor den Heuschober hin; seine gebeugte Gestalt richtete sich auf und mit scharfer, weithin vernehmbarer Stimme sprach er:
»Matfej Skrebykin hat recht, wenn er auch rät, der Gewalt zu weichen, da ihr nicht die Macht habt, ihr zu widerstehen; er hat recht, daß ihr die Weiber und Kinder unseres Stammes ins Elend stürzen würdet, wenn ihr fliehen wolltet; daß ihr eure Herden, eure Weiden, eure Besitztümer den gierigen Händen der Fremden überliefern würdet. Aber«, so fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »er hat nicht recht, wenn er euch sagt, daß es eure heilige Pflicht sei, dem Rufe der Zarewna zu folgen und für sie die Waffen zu tragen. Wer ist diese Katharina, die sich eure Zarewna nennt? Eine Fremde ist sie, aufgewachsen in verdammungswürdiger Ketzerei. Wohl bekennt sie sich mit ihren Lippen zu der heiligen, rechtgläubigen Kirche, wohl hat sie eine Zeitlang heuchlerisch sich den Schein gegeben, als wolle sie die Diener Gottes beschirmen und beschützen, aber bald ist die Tücke in ihrem ketzerischen Herzen wieder klar geworden allen, die sehen wollen; sie hat ihre Hand ausgestreckt nach dem Besitz der Kirche, ohne zu hören auf die Mahnungen der ehrwürdigen Bischöfe. Und mit welchem Recht nennt sie sich eure Zarewna, mit welchem Recht trägt sie die Krone des Reichs? Wo ist der Zar Peter Feodorowitsch geblieben, der zwar auch, von den Fremden verführt, die Ehrfurcht gegen die heilige Kirche verletzte, der aber doch abstammte von dem Blute der alten Zaren, bis der Tod durch Mörderhand seinem Leben ein Ende gemacht? – Aber es gibt,« fuhr er mit dumpfer Stimme fort, »es gibt Leute, die da sagen, daß er noch lebe in den verborgenen Tiefen irgendeines Kerkers; und wenn er tot, wenn er gemordet wäre, ist nicht sein Sohn da, der Großfürst Paul Petrowitsch? ist er nicht erwachsen und groß und stark geworden, das Schwert des Reiches in seiner Hand zu führen?«
Eine tiefe Stille herrschte ringsumher, so daß man in der ganzen vorher so stürmisch bewegten Versammlung nur das Rascheln des Schilfes und das leise Rauschen der Wellen des Stromes hörte.
Matfej Skrebykin schüttelte den Kopf.
»Ist nicht die Zarewna«, sagte er, »von allen Großen des Reiches anerkannt? Steht nicht ihr Sohn, der Großfürst, als ihr erster Diener an den Stufen des Thrones?«
»Und wenn er es nicht täte? Wenn er nicht der Gewalt sich beugte,« rief Vater Julian, »würde nicht das Schicksal seines Vaters ihn treffen? Schwebt nicht über seinem Haupte dieselbe Hand, die den unglücklichen Kaiser vernichtet? Noch ist die Zeit der Rache und Gerechtigkeit nicht gekommen, aber sie wird kommen; Gott wird den rechten Kaiser auferstehen lassen, der die Betrüger und Mörder herabschleudert von ihrer Höhe und dem Volke die Freiheit gibt. Wenn diese Zeit kommt, wenn die Not vorüber ist, die der Himmel um unserer Sünde willen über uns verhängt hat, dann wird der rechte Kaiser Männer bedürfen mit mutigem Herzen und starken Armen, die die Waffen für ihn erheben, und solche Männer zu sein, dazu seid ihr vor allem berufen, ihr, die tapferen Söhne der freien Kosaken vom Yaik!«
Beifälliges Murmeln ließ sich ringsumher vernehmen.
»Das Leben für den rechten Zaren!« hörte man hier und da rufen; »Tod den Verrätern, den Ketzern! Tod den Fremden, die das Volk zu Sklaven machten!«
»Mit eurem Rufen ist nichts geschehen«, sagte Vater Julian; »der Grimm eurer Herzen muß zur Tat werden; aber damit das geschehen kann, müßt ihr mit denselben Waffen kämpfen, welche die falsche Zarewna gegen euch anwendet; würdet ihr fliehen, so würdet ihr eure Arme dem rechten Zaren entziehen, wenn er kommt, das Volk zu befreien. Es ist keine Sünde, die Listigen zu überlisten, die Verräter zu verraten; darum unterwerft euch der Gewalt, laßt euch einreihen in die Heere der Ketzerin, verkündet unter den Soldaten, die wie ihr zu ihrem Dienste gezwungen sind, die frohe Botschaft, die ich euch versichere: daß der rechte Zar kommen wird, das Volk zu befreien. Wenn der Tag anbricht, an dem er seinen Ruf erschallen läßt, dann erhebt euch für ihn in geschlossenen Reihen, dann schlagt die falsche Zarewna mit ihren eigenen Waffen! Das ist mein Rat, das ist meine Mahnung als Diener der heiligen Kirche, dem eure Seelen anvertraut sind; und wenn ihr glaubt, was ich euch verkünde, dann werdet ihr Gott wohlgefällig sein, dann werdet ihr den Segen des Himmels erwerben und endlich hier in eure Heimat zurückkehren als freie Männer, wie es eure Vorfahren waren!«
»Hurra, hurra!« riefen die Männer ringsumher. »Der Vater Julian hat recht, ihn hat Gott erleuchtet, so soll es sein, wie er es sagt: wir wollen uns beugen unter die Gewalt, der wir heute nicht widerstehen können; wir wollen warten und glauben, wir wollen bereit sein, uns um den rechten Zaren zu sammeln, wenn er aufstehen wird, um die entweihte Krone wieder auf sein gesalbtes Haupt zu setzen!«
In jenem schnellen Wechsel der Stimmungen, welcher gerade bei den leicht empfänglichen Naturvölkern so häufig ist, bemächtigte sich eine jubelnde Fröhlichkeit der ganzen Versammlung. Den meisten war es erwünscht, einen Ausweg gefunden zu haben, der für den Augenblick eine friedliche Lösung der gespannten Verhältnisse bot und doch für die Zukunft die Hoffnung offen ließ, dem Grimm über den verhaßten Druck Luft zu machen. Die Aushebung für den Dienst hatte ja an sich nichts Abschreckendes für diese kriegslustigen jungen Leute; nur der Zwang empörte sie, und nach den Worten des Vater Julian duldeten sie ja nun den Zwang nicht in feiger Unterwerfung, sondern um sich zu erhalten für eine große heilige Sache, für die Freiheit einer glücklichen Zukunft.
Die viereckigen Blechflaschen, welche jeder im Gürtel trug, gingen von Hand zu Hand und von Mund zu Mund.
Der Branntwein tat seine Wirkung, immer lebhafter und fröhlicher wurde die Stimmung; diejenigen, welche Gewehre und Pistolen bei sich hatten, luden ihre Waffen. Man richtete Stangen auf, welche stets zu solchen Übungen im Schilf bereit lagen, um von denselben nacheinander kleine Stückchen herabzuschießen; man holte Rosse von den Weiden und tummelte dieselben mit jener wunderbaren, den Fremden fast unglaublich scheinenden Sicherheit, welche diese Söhne der Steppe von der frühesten Jugend auf sich durch tägliche Übungen erwerben, und so entwickelte sich eins jener primitiven Volksfeste des naturkräftigen, halbwilden Volkes, als ob die kurz vorher noch so gefürchtete Aushebung ein freudiges, glückbringendes Ereignis sei.
Matfej Skrebykin schüttelte wohl immer noch bedenklich den Kopf, aber er sprach kein Wort gegen den Vater Julian; hatte der Rat desselben doch dazu beigetragen, übereilte und verhängnisvolle Entschlüsse zurückzuhalten, Zeit zu gewinnen und die Existenz, sowie den Besitz der Niederlassung zu retten. Das übrige konnte der kluge und vorsichtige Sätnik für jetzt ja ruhig der Zukunft überlassen.
Während die Männer auf der Wiese am Schilfufer des Yaik versammelt waren, saß vor dem Wohnhause eines der größten Höfe der Niederlassung ein Mädchen, eifrig beschäftigt, aus feinen Garnfäden ein kunstvoll verschlungenes Netz für den Fischfang im Yaikfluß zu flechten.
Xenia Matfejewna, die Tochter des Sätniks Skrebykin, war einundzwanzig Jahre alt und von außerordentlicher Schönheit; ihre Gestalt war schlank und edel gebaut; ihr Gesicht zeigte den Schnitt der griechischen Antike und ihre tiefblauen Augen waren von langen dunklen Wimpern beschattet; aus dem Blick derselben schimmerte bald die schwärmerisch schwermütige Poesie hervor, welche den Völkern der Berge und Steppen eigentümlich ist und sie in unmittelbarem persönlichen Verkehr mit der Natur erhält, deren geheimnisvolle Sprache sie zu verstehen scheinen; bald blitzte in diesen Augen flammende Leidenschaft auf, deren lodernde Glut den zuckenden Blitzen glich, wenn in der Sommerschwüle die furchtbaren Wetter, von den Bergen herab dem Laufe des Yaik folgend, über das Land hinzogen.
Sie trug einen Kaftan von dunkelblauem Wollstoff; ein silberner Gürtel schmiegte sich über ihren Hüften zusammen; ein weißer Leinenrock mit bunter Stickerei fiel über die ebenfalls leinenen, am Knöchel eng geschlossenen Beinkleider herab; Stiefel von weichem gelben Leder umschlossen ihre zierlichen Füße; in breiten Flechten fiel ihr dunkelblondes Haar über ihre Schultern herab und eine viereckige Mütze von blauem, goldgesticktem Tuch bedeckte ihren Kopf.
Die schöne Xenia mit ihrem edlen, ausdrucksvollen Gesicht, ihrem schlanken, zierlichen Wuchs, ihren feinen weißen Händen hätte für eine zu einem Maskenfest kostümierte Dame der vornehmsten Gesellschaft gelten können, wenn nicht dennoch in ihrem ganzen Wesen eine gewisse naturwüchsige und wilde Feuerkraft ausgeprägt gewesen wäre. Man sah, daß in diesen zarten Gliedern flammendes Blut strömte, dessen Wallungen keinen Zwang duldeten, und man hätte das zarte Mädchen vergleichen mögen mit einem jener wilden Rosse der Steppe, deren schlanke Glieder von Stahl gefügt zu sein scheinen, deren Nüstern feurig dem Sturmwind entgegenatmen, welche gehorsam dem freundlich schmeichelnden Wort gehorchen, aber sich wild aufbäumen gegen Zügel und Gebiß.
Der kleine Garten vor dem Hause des Sätnik war sauberer gepflegt, als dies bei den übrigen Gehöften der Fall war; wilde Rosen bildeten eine Art von Laube um die aus Birkenästen gezimmerte Bank, auf welcher Xenia Matfejewna saß, und bunte Blumen rankten die Gemüsebeete ein.
Xenias feine Finger schlangen mechanisch in gleichmäßiger Bewegung die Fäden zu den Knoten des Netzes zusammen; aber ihre Gedanken schienen weit von ihrer Arbeit entfernt, denn ihre von den gesenkten Wimpern beschatteten Augen blickten träumerisch und sehnsüchtig weit hinaus über die Wiesen hin, durch welche der Yaik sich schlängelte, der hier und dort wie ein goldblitzender Streifen zwischen den Schilfgebüschen hervorleuchtete.
Sie sang mit einer halb gedämpften schönen Altstimme eines der Lieder ihres Volkes, deren Worte fast immer die Sehnsucht nach dem zu blutigen Kämpfen hinausgezogenen Geliebten oder die Klage um den Gefallenen ausdrückten, und deren Melodie mit so wehmütig trauernden Tönen die Seele ergreift, als ob der Herbstwind über die Heide zieht, die welken Blätter vor sich hertreibend. Zuweilen erstarb ihr Lied in einem leisen Seufzer, der mit ihren wehmütigen Blicken in weite Ferne hinauszuziehen schien; dann senkte sie ihr Haupt wie von hoffnungslosem Schmerz gebeugt, und sie unterbrach einen Augenblick ihre Arbeit, um einen Tränentropfen zu trocknen, der an ihrer Wimper perlte.
Sie hatte es nicht bemerkt, daß ein junger Kosak auf dem Wege, welcher von Gurjew nach Saratschowskoi führte, sich dem Hofe genähert hatte und nun in den Garten getreten war. Dieser junge Kosak war nur wenige Jahre älter als Xenia; er war schlank und kräftig gewachsen; ein dunkler, kurzer, noch jugendlich weicher Bart bedeckte sein Gesicht, und krauslockiges dunkles Haar quoll unter seiner Mütze von feiner Schafwolle hervor. Es war ein hübscher, stattlicher, junger Mensch, und dennoch berührte seine Erscheinung, wenn man ihm näher trat und ihn genau betrachtete, abstoßend; seine dunklen Augen hatten einen unstet lauernden Blick, der trotz des Lächelns, das er fast immer auf seinen Lippen festhielt, als ob er unter demselben jede innere Regung seines Denkens und Empfindens verbergen wollte, einen feindlichen Ausdruck behielt. Seine Haltung war stets ein wenig gezwungen, als ob er jede seiner Bewegungen berechnete und überwachte; sein Gang war schleichend und leise, so daß er sich dem träumenden jungen Mädchen schon unmittelbar genähert hatte, ehe sie das Geräusch seiner Schritte vernahm, als er hinter der Rosenhecke hervor dicht neben sie hintrat.
Sie fuhr erschrocken auf und schien nicht angenehm überrascht, als sie den jungen Kosaken vor sich sah; doch erwiderte sie freundlich seinen Gruß und sagte:
»Ihr seid hier, Adam Tschumakow? Seid Ihr nicht mit den übrigen, wie mein Vater auch, hinabgegangen nach der Wiese am Yaik, um zu überlegen, was zu tun sei gegen die Drohungen des Generals, der vorgestern in Gurjew angekommen ist und uns unsere letzten Freiheiten rauben will?«
»Was soll ich unter den Toren dort?« erwiderte der junge Kosak, den Xenia mit dem Namen Adam Tschumakow angeredet hatte. »Was wollen sie beraten, da sie doch nicht die Macht haben, der Gewalt zu widerstehen; denn die Besatzung von Gurjew ist durch Fußvolk und Kanoniere verstärkt, und sie würden vernichtet werden, wenn sie Widerstand versuchten; und wenn sie in die Kirgisensteppe fallen, so werden sie ihren Besitz verlieren und die ihrigen ins Elend stürzen!«
»Und fürchtest du nicht«, sagte Xenia, »eingezogen zu werden zum Dienste in den Regimentern, die nach Polen oder nach Schweden geschickt werden sollen, weit weg von unserer Heimat?«
»Nein«, sagte Adam Tschumakow, höhnisch lachend; »nein, das fürchte ich nicht; denn ich bin gewiß, mich wird das Schicksal nicht treffen!«
»Du bist dessen gewiß?« fragte Xenia; »vermagst du zu wissen, was die Zukunft birgt?«
»Wenn wir im Winter«, erwiderte Tschumakow, »über die Schneefelder der Steppen fahren und die heulenden Wölfe uns verfolgen, so lehrt die Klugheit, daß wir ein Pferd unseres Gespannes opfern und es ihnen hinwerfen; während sie das eine Pferd verschlingen, entrinnen wir mit dem andern der Gefahr. Sind jene Russen nicht wie die hungrigen Wölfe? Du weißt, ich habe schöne Wiesen und Herden und habe auch Geld erworben durch klugen Handel und Ersparnis, was die übrigen versäumten; nun denn, ich habe dies Geld genommen, bin hingegangen nach Gurjew und habe die Hände des ersten Wachtmeisters, der die Aushebung unter dem General besorgt, mit Gold und Silber gefüllt. Was ich geopfert, hoffe ich bald wieder zu ersetzen, da mir doch das übrige sicher bleibt und ich nun gewiß weiß, daß man mich nicht fortführen wird, um mich in die fremden Regimenter einzureihen.«
»Das ist klug,« sagte Xenia, »und ich wünsche dir Glück; nicht jeder versteht es wie du, zu erwerben und zu sparen und das Erworbene so gut anzuwenden.«
Ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre Lippen.
Er bemerkte es nicht und rief ganz freudig:
»Nicht wahr, ich werde meine Wiesen und Herden behalten, nicht wahr? Ich werde meine Wiesen und meine Herden behalten und meine Freiheit dazu, weil ich nicht so töricht war, zu vergeuden, wie die anderen es getan. Ich werde hier bleiben, während sie fortziehen zu Mühsalen und Gefahren; und nun, Xenia,« sprach er weiter, indem seine Blicke glühend auf der schönen Gestalt des Mädchens ruhten, »nun, da meine Zukunft gesichert ist gegen alle Fährlichkeit, nun, da ich wirklich der Reichste und der Mächtigste bin und bleiben werde unter allen Kosaken von Saratschowskoi, so komme ich nochmals zu dir, um dir meine Hand zu bieten. Du sollst die Herrin sein über meinen Besitz; du hast dich früher nicht entschließen können auf meine Liebesworte zu hören, und vielleicht sollte ich dir zürnen und mich deshalb von dir wenden; aber ich komme dennoch zu dir, weil ich dich mehr liebe, als du mir glauben magst. Heute hast du keine andere Wahl; alle die anderen, die ihre Blicke zu dir erheben konnten, vermögen nicht mehr, dir eine Zukunft zu bieten. Iwan Twogorow und Ossip Fidulew werden morgen nichts mehr besitzen; sie werden fortgeführt sein in die Ferne, und wer weiß, ob sie jemals die Ufer des Yaik wiedersehen!«
»Was sprichst du von Iwan Twogorow und Ossip Fidulew?« erwiderte Xenia unmutig. »Du weißt wohl, daß ich deinen Antrag nicht um ihretwillen zurückgewiesen habe; ich habe dir offen die Wahrheit gesagt, wie ich sie einem Sohne unseres Stammes schuldig bin, ich habe dir gesagt, daß ich dich nicht liebe und ich dir deshalb meine Hand nicht reichen werde. Und du weißt es auch,« fügte sie hinzu, indem ein feuchter Schimmer ihr Auge verschleierte, »daß ich weder dich noch einen andern jemals lieben werde; du weißt, daß mein Herz Yemelka Pugatschew gehört, den du ja deinen Freund nanntest und der mir versprochen hat, wiederzukommen.«
»Er ist aber nicht wiedergekommen,« sagte Adam Tschumakow mit düster blickenden Augen, »obgleich doch schon Jahre vorübergegangen sind, seit er hier war mit seinem General, um Freiwillige anzuwerben für die Armee des großen Romanzow gegen die Türken; und wenn er nicht wiedergekommen ist, so ist er entweder im Kampfe gefallen oder er hat dich vergessen.«
»Er hat mich nicht vergessen!« rief Xenia mit blitzenden Augen. »Yemelka Pugatschew vergißt seine Liebe und seinen Schwur nicht, und mit ihm werde ich lieber seine Armut teilen; als mit dir oder irgendeinem andern den üppigsten Reichtum; auch habe ich nicht nötig, nach Reichtum zu fragen, da mein Vater der Wiesen und Herden genug hat; und wenn er gestorben ist,« fuhr sie mit bebender Stimme fort, »so weiß ich, daß sein letzter Gedanke mir gehört hat; dann bin ich seine Witwe, und niemals auf Erden werde ich ihm die Treue brechen!«
»Xenia!« rief Adam Tschumakow, indem seine Blicke Funken sprühten und sein von Grimm verzerrtes Gesicht in wilder Leidenschaft zuckte, »Xenia, bedenke deine Worte! Bedenke, daß ich der Mann bin, Liebe zu erzwingen, wo sie mir verweigert wird – bedenke –«
Xenia sprang auf; ihre Augen sprühten Blitze.
»Zwingen!« rief sie; »du willst Xenia Matfejewna zwingen!? Elender Feigling, sprich noch ein Wort, und ich gehe hinunter in die Versammlung der Männer und sage ihnen, daß du mit elendem Golde deine Freiheit erkauft hast, für die sie in tapferem Kriegermut kämpfen wollen, und wohl wäre es möglich, daß du von den Wellen des Yaik dem Meere zugetrieben würdest, ehe noch die Russen hier sind, deren Taschen du mit deinem Golde gefüllt; geh' hin, befreie mich von deinem verhaßten Anblick, denn sonst vergesse ich, daß dein Vertrauen mir dein dunkles Geheimnis erschloß und daß man das Vertrauen nie verraten darf, auch wenn man den verachtete, der es uns gewährt!«
»Xenia!« rief Adam Tschumakow außer sich, indem wilder Grimm aus seinen Augen blitzte, während er doch scheu vor dem drohend gegen ihn ausgerichteten Mädchen einen Schritt zurücktrat, »Xenia, wahre deine Worte oder –«
Er vollendete nicht, denn plötzlich leuchtete helles Entzücken über Xenias Gesicht; sie breitete die Arme aus und ein jubelnder Ruf klang aus ihren Lippen hervor.
Betroffen über diese plötzliche Veränderung, wendete Tschumakow sich um, und hinter sich an der Eingangstür des Gartens sah er den stehen, von dem er soeben gesprochen, den er Hunderte von Meilen entfernt glaubte und dessen Rückkehr er für unmöglich erklärt.
Yemelka Pugatschew stand an der Schwelle der Gartenpforte; er hatte den Zügel seines kleinen Pferdes über den Arm geworfen; sein Gesicht war bleich, seine großen Augen blickten mit wundersam träumerischem Ausdruck zu Xenia auf; seine ganze Erscheinung schien von einem gewissen geheimnisvollen Hauch umweht, so daß Adam Tschumakow abergläubische Furcht in sich aufsteigen fühlte und auf Stirn und Brust das Zeichen des Kreuzes machte. Aber bereits war Xenia zu Pugatschew herangeeilt; sie schlang ihre Arme um ihn, sie bedeckte ihn mit ihren Küssen; sie lachte und weinte zugleich im Übermaß des Entzückens, und auch das kleine Pferd, das müde mit gesenktem Haupte hinter seinem Herrn stand, wurde von ihr mit Liebkosungen überschüttet.
»Du bist da, Yemelka, du bist da!« rief sie. »O, nun ist alles gut; wärst du gefallen in der Schlacht, dann wäre ja dein Geist zu mir gekommen, um es mir zu verkünden und um mir einen letzten Gruß zu bringen. Er ist da, er ist da!« rief sie außer sich vor Freude. »Hört es, ihr grünen Wiesen; höre es, rauschender Fluß; höre es, du blauer Himmel dort oben: er ist da, mein Yemelka ist da, und Xenia Matfejewna ist das glücklichste Weib auf Erden!«
Pugatschew drückte sie fest an seine Brust; voll tiefer Zärtlichkeit sah er zu ihr auf, aber dennoch blickte sein Gesicht ernst und sinnend; es schien, als ob er in ihren Zügen die Lösung einer Frage suchen wollte, die sein ganzes Innere bewegte.
Adam Tschumakow hatte einen Augenblick mit fest aufeinander gepreßten Lippen, die Augen zu Boden gesenkt, dagestanden; jetzt trat er zu Pugatschew heran, reichte ihm die Hand und sagte:
»Sei gegrüßt, Yemelka; ich danke dem Himmel, daß er dich erhalten und zurückgeführt hat! Schon fürchtete ich, daß der Tod dich ereilt und,« fuhr er, ein wenig stockend, fort, »da ich dein Freund bin, so wollte ich für deine Xenia sorgen; ich wollte ihr meine Hand reichen und ihr eine Stütze bieten für das Leben. Sie konnte dich nicht vergessen; sie wollte nicht daran glauben, daß du nicht wiederkehren könntest. Ihr Glaube hat sie nicht getäuscht; ich habe nun nicht mehr nötig, für deine Braut zu sorgen. Sei willkommen in der Heimat!«
Pugatschew schüttelte kräftig seine Hand; aber er bemerkte es nicht, daß diese kalt war wie Eis.
Xenia sah einen Augenblick drohend und verwundert zu Adam Tschumakow auf; aber sie war zu glücklich, als daß sie einen Mißton in diese Stunde bringen mochte; sollte sie nicht dem verzeihen, dessen Liebe sie nicht erwidern konnte, da ja ihr Geliebter nun wieder da war?
»Komm, Yemelka, komm!« sagte sie, Pugatschew in den Garten führend; »du wirst müde sein und hungrig und durstig, und auch dein armes Pferd bedarf der Pflege und Stärkung. Komm, erquicke dich, und dann wirst du mir erzählen, wie es dir ergangen, wie der Himmel dich beschützt und dich wieder zu mir zurückgeführt hat.«
»Auf Wiedersehen, Yemelka!« sagte Adam Tschumakow. »Du hast deine Xenia wiedergefunden; zu euch gehört kein Dritter, und wäre es euer bester Freund.«
Noch einmal reichte er Pugatschew die Hand und schnell sich umwendend, verließ er den Garten.
Xenia aber eilte in das Haus; sie brachte frische Stutenmilch und süßen Maiskuchen, auch gepökeltes und geräuchertes Hammelfleisch und Honig, was sie eben in der Eile unter den Vorräten herausgriff; dann holte sie duftiges Heu und einen Eimer Wasser für das Pferd und sah mit glückseligen Blicken zu, wie Pugatschew und sein Roß sich erquickten.
»Die Männer sind unten auf der Wiese«, sagte sie. »O, daß mein Vater doch hier wäre, der auch schon zu zweifeln begann, daß du noch lebtest! Sie beraten dort,« fuhr sie fort, »was geschehen soll; denn du bist zu schwerer Stunde gekommen, Yemelka; ein russischer General ist in Gurjew, um die Unsrigen zum Dienst auszuheben.«
»Ich weiß es,« sagte Pugatschew, der mit durstigen Zügen einen Napf voll Stutenmilch geleert hatte; »ich habe es gehört im nächsten Dorfe dort oberhalb am Yaik, wo ich die letzte Nacht rastete, und darum komme ich, die Bedrohten zu befreien und die Rache des Himmels auf die frevelhaften Unterdrücker niederschmettern zu lassen!«
»O mein Gott!« rief Xenia, »du willst dich ihnen widersetzen? Du bist nicht beurlaubt, nicht vom Dienst befreit? Du willst dich so furchtbarer Gefahr aussetzen?«
»Gefahr?« sagte Pugatschew mit so wunderbar leuchtenden Blicken, daß Xenia entsetzt vor ihm zurücktrat. »Für mich gibt es keine Gefahr«, erwiderte Pugatschew; »über meinem Haupte schweben die Thronengel Gottes und die Schutzheiligen des russischen Reiches!«
»Yemelka,« rief Xenia entsetzt, »Yemelka, was sprichst du? Heißt das nicht, Gott versuchen?«
»Xenia,« sagte Pugatschew, indem er mit durchdringenden Blicken in ihre Augen sah, »du nennst mich Yemelka; weißt du gewiß, daß es Yemelka Pugatschew ist, der vor dir steht? Weißt du gewiß, daß du je einen Yemelka gekannt hast?«
»Wie magst du so sprechen?« sagte Xenia, erschrocken vor dem feierlichen Ernst in Pugatschews Gesicht. »Ja, Geliebter, ja, ich weiß es, daß ich Yemelka liebe; jeder Schlag meines Herzens nennt mir deinen Namen. Ich verstehe deine Frage nicht, mein Geliebter; fast fürchte ich mich vor dir.«
»Du wirst mich verstehen – du wirst alles erfahren!« erwiderte Pugatschew. »Du liebst mich, sagst du; nun denn,« rief er, indem er sie stürmisch umarmte und an seine Brust zog – »mag denn alles ein Traum sein; meine Xenia und ihre Liebe soll Wahrheit sein und Wahrheit bleiben für Peter Feodorowitsch und für Yemelka Pugatschew!«
Sie lehnte glückselig an seiner Brust, das Gefühl des Glückes beherrschte sie; sie schien seine Worte nicht verstanden, kaum gehört zu haben.
»Doch jetzt, meine Xenia,« sagte er, »laß mich mein Pferd in den Schuppen dort führen; mich darf hier niemand sehen, bis die Stunde gekommen ist, auch dein Vater nicht; und wenn du mich liebst, so wirst du schweigen, schweigen gegen jedermann!«
»Und was hast du vor?« fragte sie zitternd; »willst du mich wieder verlassen?«
»Nein, meine Xenia, ich will dich nicht verlassen!« sagte er; »du sollst bei mir bleiben – du sollst mit mir hinaufsteigen, hinauf bis –«
Er stockte.
»Jetzt nichts weiter!« sagte er. »Erwarte die Stunde des Lichts, die Ungeahntes, Großes, Gewaltiges dir enthüllen wird, und schweige – schweige gegen alle; ich bleibe hier, ich bleibe dir nahe; ich gehe nach dem Kloster, ehe die Männer zurückkehren, den Pater Julian zu erwarten; er soll der erste sein, der mich hier sieht; im Gebet will ich mich stärken, im Gebet mit ihm will ich Erleuchtung suchen über das, was geschehen soll, um das heilige Rußland und die Kirche Gottes zu retten!«
»O mein Yemelka, bleibe, bleibe!« flehte Xenia. »Ich fürchte dich wieder zu verlieren, nachdem der Himmel dich so wunderbar wieder zu mir zurückgeführt hat!«
»Du hast mir vertraut, Xenia,« sagte er fast vorwurfsvoll, »du hast an meine Rückkehr geglaubt, als weite Fernen uns trennten und der Tod auf dem Schlachtfelde mich bedrohte – willst du jetzt nicht mir vertrauen, da ich nahe bei dir an heiliger Stätte zu Gott bete?«
»Ich vertraue dir, mein Yemelka, ich gehorche dir; und da du es befiehlst, will ich auch das Übermaß des Glückes in meine Brust zurückdrängen und niemand soll in meinen Augen lesen, welche Wonne mein Herz erfüllt.«
In langer Umarmung, in heißen, brünstigen Küssen hingen sie aneinander; dann machte er sich sanft von ihr los, hob die Hand zum Zeichen des Kreuzes gegen ihre Stirn und eilte schnell über die Wiesen nach dem Kloster hin, während vom Yaik herauf Flintenschüsse und laute Jubelrufe erschallten.
Xenia führte Pugatschews Pferd in den Schuppen, unter welchem die für den Dienst des Hauses bestimmten Tiere standen. Sie selbst pflegte dieselben, so daß ihr Vater an diesem Abend das Pferd ihres Geliebten nicht mehr zu entdecken vermochte. Nachdem sie die Krippe reichlich mit dem besten Futter gefüllt, kehrte sie zu ihrem Platz an der Rosenhecke zurück. Sie nahm die Arbeit an ihrem Netz wieder auf; wieder knüpften ihre Finger mechanisch die Fäden aneinander, wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, aber diesmal waren es Tränen glückseliger Freude, und der ganze Himmel strahlte aus ihren Blicken wieder, während ihre Lippen leise Dankgebete flüsterten.
Adam Tschumakow aber war nicht zu den anderen nach der Wiese hinabgegangen; er hatte einige Augenblicke den Weg verfolgt, der zu seinem Gehöft führte, dann aber hatte er sich seitwärts gewendet, und flüchtig dahineilend, schnell das hohe Uferschilf eines der Seitenarme des Yaik erreicht, welche das Wasser des geteilten Flusses dem Meere zuführen; von dem Schilf gedeckt, war er an den Ufern fortgeeilt, bis er den Weg nach Gurjew erreicht hatte. – Atemlos lief er weiter und weiter, und als die Sonne sich senkte, stand er am Tore der Festung und wurde auf seine Meldung, daß er eine wichtige und eilige Nachricht zu bringen habe, von dem Offizier, der die Torwache kommandierte, zu dem General geleitet, der sein Hauptquartier in der großen Kaserne der Festung aufgeschlagen hatte.