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20. Kapitel

Am nächsten Morgen fuhr vor dem Hause der Madame Lemaitre ein geschlossener Wagen vor, der auf den ersten Anblick das Gefährt eines wohlhabenden Bürgers zu sein schien, wenn auch die außerordentliche Schönheit der Pferde und die Sicherheit, mit welcher der einfach gekleidete Kutscher dieselben lenkte, nicht ganz für ein bürgerliches Fuhrwerk zu passen schienen, weshalb sie die Neugierde der Nachbarn ganz besonders erregten.

Aus dem Wagen stieg ein großer Mann, eingehüllt in einen schwarzseidenen Mantel mit hoch aufgeschlagenem Kragen, den Hut tief in die Stirn gedrückt, so daß es keinem der von den nächsten Fenstern nach ihm ausspähenden Blicke gelang, sein Gesicht zu entdecken, da er schnell in der Haustür verschwand, während er seinen Wagen unten halten ließ.

Die Neugierigen beruhigten sich denn auch bald; die fremde Schauspielerin hatte ja öfter diesen oder jenen Besuch erhalten und der eben in ihr Haus Eintretende mochte ein Beamter des kaiserlichen Hoftheaters sein, der mit ihr über die Vorstellung zu sprechen hatte.

Das Erscheinen des einfachen Wagens mit den schönen Pferden und des Mannes im Mantel, der demselben entstieg, schien aber auch dem französischen Gelehrten, welcher wie immer lesend an seinem Fenster saß, nicht entgangen zu sein. Er klappte sogleich sein Buch zu und verschwand von seinem Fenster.

Auch die Aufmerksamkeit der Studenten, bei denen sich bereits mehrere Freunde eingefunden hatten, schien durch den vor dem Hause vorgefahrenen Wagen lebhaft erregt zu sein; sie aber zogen sich nicht zurück, im Gegenteil, sie erschienen alle an dem offenen Fenster, indem sie die Pferde des vor dem Hause haltenden Wagens musterten. Nachdem sie sich so eine Zeitlang mit dem schönen Gespann beschäftigt hatten, begannen sie wieder wie sonst, ohne daß einer von ihnen den Platz am Fenster verließ, laut miteinander zu lachen und zu scherzen, so daß ihre fröhlichen Stimmen weit über die Straße hinschallten und mancher hübsche Mädchenkopf lauschend hinter den Gardinen sichtbar wurde.

Der Mann im Mantel war inzwischen die Treppe hinaufgestiegen und hatte die Glocke an der Wohnung in der oberen Etage gezogen.

Madame Lemaitre, welche das Vorfahren des Wagens vom Fenster aus bemerkt hatte, beeilte sich neugierig, zu öffnen, und versuchte das Gesicht des noch immer in die Falten seines Mantels gehüllten Mannes zu erkennen. Dieser aber schritt schnell an ihr vorbei und trat von dem dunklen Vorplatz in das Wohnzimmer, in welchem Fräulein Adeline mit der Zusammenstellung des Kostüms für einige Rollen beschäftigt war und beim Eintritt der hohen, so geheimnisvoll verhüllten Gestalt, der ihre Mutter unmittelbar nachfolgte, erschrocken aufsprang.

Der Fremde ließ den Mantel fallen und nahm den Hut ab.

Bei dem Anblick seines Gesichtes erschrak Adeline noch heftiger, erbleichend und schnell wieder errötend, machte sie eine tiefe, zeremonielle Verbeugung und sprach mit bebender Stimme:

»Sie hier, gnädigster Herr? Welche Ehre! Mein Gott, was ist geschehen?« fügte sie, ängstlich aufblickend, hinzu.

Madame Lemaitre, welche noch hinter dem Fremden gestanden hatte, sprang schnell hervor, sie erkannte den Fürsten Orloff und sank fast zur Erde in tiefer Reverenz, indem sie in unerschöpflichem Wortschwall den hohen Besuch begrüßte und der Freude über die ihrem Hause widerfahrene Ehre Ausdruck gab.

Orloff achtete nicht auf die Alte, er stand eine Zeitlang in den Anblick des jungen Mädchens versunken da, die in ihrem leichten, duftigen Morgenanzug mit dem halb aufgelösten, ungepuderten Haar lieblicher und anmutiger erschien als jemals sonst, und zitternd die Augen vor seinen glühenden Blicken niederschlug.

»Warum erschrecken Sie, Fräulein Adeline? Es ist ein Freund, der zu Ihnen kommt, um wieder gutzumachen, was er versäumt. Die Kaiserin hatte recht, ich verdiente wohl den Vorwurf, ihren Schützling in Sorge und Unruhe gelassen zu haben; es ist ein Verbrechen, diese schönen Augen auch nur einen Augenblick von Tränen verschleiern zu lassen, obgleich auch die Tränen ihren holden Glanz nicht zu verhüllen vermögen. Ich komme, um mein Unrecht gutzumachen und Ihnen selbst zu sagen, daß ich mich ernstlich mit Ihrer Sache beschäftige, um, wenn es irgend möglich ist, die gnädigen Absichten der Kaiserin zur Erfüllung zu bringen.«

»Oh, dann ist alles gut!« rief Adeline, indem sie ihre von Freudentränen schimmernden Augen in inniger Dankbarkeit zu dem Fürsten aufschlug. »Wie soll ich jemals Eurer Durchlaucht für so viel Huld und Gnade danken!«

Sie ergriff, von ihrer Bewegung fortgerissen, die Hand des Fürsten, um sie an ihre Lippen zu führen, Orloff aber kam ihr schnell zuvor, hob ihre zitternde Hand empor und küßte dieselbe so lange, so heiß und so innig, daß Adeline hoch erglühend zurückwich.

Madame Lemaitre war einen Augenblick hinausgeeilt und brachte auf einer Platte, die sie in der Eile mit einem buntseidenen Tuch bedeckt hatte, ein Glas spanischen Weines und einige Biskuits. Mit tiefer Reverenz bat sie den Fürsten, eine Erfrischung in ihrem armen Hause anzunehmen.

»Es ist eine gute, alte Sitte,« sagte Orloff, »mit dem Gastfreund den Bissen zu teilen, möge sie Ihrem Hause und auch mir Glück bringen.«

Er drückte Adeline sanft wieder auf ihren Platz nieder, von dem sie sich bei seinem Eintritt erhoben hatte, zog für sich selbst einen Sessel herbei und setzte sich an ihre Seite, dann brach er ein Biskuit, reichte Adeline die eine Hälfte, während er die andere aß, und sagte, indem er ihr das Glas darbot:

»Nun müssen Sie mir Bescheid tun zum Trunk auf eine glückliche Zukunft.«

Adeline nippte schüchtern; Orloff setzte darauf das Glas an derselben Stelle an, an welcher es ihre Lippen berührt hatten, und leerte es in einem einzigen Zuge, indem seine Blicke so brennend auf ihr ruhten, daß sie abermals zitternd und errötend die Augen niederschlug.

»Jetzt ist unsere Gastfreundschaft besiegelt,« rief er, »und ich bin kein Fremder mehr für Sie!«

»Ich werde«, erwiderte Adeline, »mein ganzes Leben lang den Segen des Himmels für den hohen Gastfreund erflehen, der mir das Glück meines Lebens bringt. So darf ich hoffen,« fragte sie dann mit leicht zitternder Stimme, »daß dem armen Wassili bald sein Recht werde, nach dem er so lange sich vergeblich gesehnt?«

Ein dunkler Schatten flog über Orloffs Gesicht.

»Sein Recht?« sagte er, »ich werde prüfen, ob es ein Recht für ihn gibt, und was daran fehlt, kann die Gnade der Kaiserin ergänzen; in ihrer Hand liegt die Gnade, nicht in der meinigen.«

»Oh, sie wird gnädig sein, ich bin gewiß, sie wird es!« rief Adeline.

»So schnell aber geht das nicht«, sagte Orloff; »meine Pflicht ist es, alles zu prüfen, genau zu prüfen, damit die Kaiserin dann in voller Kenntnis des Rechtes nach ihrer Großmut entscheiden kann.«

»Was liegt daran,« rief Adeline, »ist es nicht leicht, geduldig zu warten, wenn man jung ist und ein ganzes Leben voll Glück und seliger Wonne vor sich hat? Hatte ich doch alle Hoffnung schon verloren, blickte ich doch in trüber Ergebung einer einsamen, liebeleeren Zukunft entgegen, und nun habe ich die Hoffnung wieder, die sichere, freudige Zuversicht, da das Glück meiner Liebe in Eurer Durchlaucht Hand liegt und in der Hand meiner gnädigen Kaiserin.«

Ihre Augen leuchteten, ihr Gesicht war wie von Verklärung übergossen, sie breitete die leicht erhobenen Arme aus, als ob sie den fernen Geliebten wieder heranziehen wolle an ihr hochschlagendes Herz.

Orloff sah sie mit wundersam funkelnden Blicken an.

»So lieben Sie also jenen ukraineschen Offizier so sehr, mein Fräulein?« fragte er mit gepreßter Stimme.

»Ob ich ihn liebe?« rief Adeline; »oh, seine Liebe ist die Sonne, die mein Leben hell erleuchtet und erwärmt; hätte ich ihn verloren, so wäre mein Herz in kalter Nacht erstarrt.«

Orloff sah sie finster und drohend an. Und doch war sie so schön in ihrem überwallenden Gefühl, daß er die Blicke senken mußte, um die in wilden Flammen auflodernde Leidenschaft nicht hervorbrechen zu lassen.

Er zwang sich zu einem Lächeln und sagte:

»Der Glückliche ist zu beneiden, dem diese Augen und diese Lippen solche Liebe kundtun, doch«, fügte er dann hinzu, »ein junges, vertrauensvolles Herz kann getäuscht werden. Wenn er nun solcher Liebe nicht würdig wäre?«

»Nicht würdig,« rief Adeline heftig, »er nicht würdig! O gnädiger Herr, wenn man irgend etwas Böses von ihm gesagt hat, so hat man ihn verleumdet, bei Gott, man hat ihn schwer verleumdet! Oh, ich bitte Sie, sagen Sie es mir, wenn man ihn anklagt, damit ich ihn verteidigen kann.«

»Nicht doch, nicht doch, mein Fräulein«, erwiderte Orloff abwehrend; »es war nur eine Bemerkung der Sorge, der Teilnahme für Sie; er ist jung, er ist Offizier; Leichtsinn und Flatterhaftigkeit wären ihm kaum übel zu deuten.«

Adeline lächelte nur und zuckte schweigend die Achseln.

»O gnädiger Herr!« sagte Madame Lemaitre, welche ehrfurchtsvoll neben dem Stuhl des Fürsten stand; »Eure Durchlaucht haben wohl recht mit Ihrer Mahnung; ein junges Mädchenherz vertraut so leicht und wird so oft getäuscht, die Vorsicht, die Mutter der Erfahrung, sollte mehr Gehör finden bei den Kindern!«

»Haben Sie Erfahrungen gemacht, Madame?« fragte Orloff lachend, indem er die Alte mit spöttischen Blicken musterte.

»Wem wären sie erspart geblieben, Durchlaucht?« erwiderte Madame Lemaitre; »und weil ich die Täuschungen und Enttäuschungen des Lebens leider empfunden habe, so wollte ich mein Kind zurückhalten von ihrer Neigung zu jenem jungen, unsteten Menschen, der so wenig Bürgschaft der Beständigkeit gibt, ich wollte ihr ein festes, wohlbegründetes Lebensglück sichern, für das die Jugend in ihrer Verblendung so wenig Verständnis hat. Herr Firulkin, ein braver Mann, hat ihr seine Hand geboten, an seiner Seite hätte sie sicheren Schutz gefunden gegen alle Wechselfälle des Lebens; alles war abgemacht, als sie ihre vermessene Bitte an die Kaiserin richtete, und fast möchte ich es beklagen, daß Ihre Majestät dieser törichten Bitte so großmütig Gehör schenkte.«

»Lästere die Kaiserin nicht, Mutter«, rief Adeline; »auch ohne ihre Gnade würde ich niemals jenem Firulkin meine Hand gereicht haben, das weißt du, niemals mich zu der Ware erniedrigt haben, die er glaubte für sein elendes Gold kaufen zu können.«

»Fräulein Adeline hat recht, Madame,« rief Orloff, von Bewunderung für die stolze Aufwallung des schönen Mädchens hingerissen, »ihre Liebe kann nur als ein freies Geschenk ihres Herzens gegeben werden, oder sie muß gewonnen werden im kühnen Sturm mächtiger Leidenschaft, niemals aber darf sie käuflich sein dem zusammengeschacherten und gestohlenen Gelde eines albernen Schurken wie dieser Peter Sebastianow.«

Er hatte heftig und drohend gesprochen, seine Worte hatten den Klang wahrer, aufrichtiger, warmer Überzeugung.

Madame Lemaitre erbleichte und sank ganz zitternd in einer tiefen Reverenz zusammen, ohne nur ein Wort zu erwidern.

Adeline aber ergriff Orloffs Hand und rief entzückt:

»Gnädiger Herr, tausendmal Dank aus vollem Herzen; und dieser Firulkin wagt es, sich Ihres Schutzes zu rühmen!«

»Er hat gelogen,« sagte Orloff, »der unverschämte Geck; für ihn blüht solche Blume nicht.«

Er nahm Adelines Hand, welche noch auf der seinen ruhte, und hob dieselbe, mit den feinen rosigen Fingern spielend, empor.

»Wie schön ist diese Hand,« sagte er, »wie duftig und zart! Was sollte ein Tölpel wie Firulkin damit beginnen? Aber sie entbehrt des Schmuckes, der ihrer würdig ist; erlauben Sie dem Gastfreunde, den Sie eben Ihren Beschützer nannten, dieser reizenden Hand ein Kleinod zu bieten, das von ihr erst seinen schönsten Glanz erhalten wird.«

Er zog den Diamantring, den ihm Firulkin gebracht hatte, ab und steckte ihn an Adelines Finger.

»Der Reif ist zu weit,« sagte er lächelnd, »doch das ist bald geändert, der Juwelier muß das Maß einer solchen Feenhand nehmen, sehen Sie nur, wie der Stein funkelt; es scheint, daß er seine Strahlen verdoppelt vor Freude über den Platz, der ihm geworden.«

Madame Lemaitre war herangetreten und betrachtete mit gieriger Scheu den wundervollen Stein.

Adeline aber rief erschrocken:

»Das ist zu viel der Gnade, Durchlaucht, mir ein solches Kleinod, welches würdig wäre, die Hand der Kaiserin zu schmücken; das geht nicht, ich bitte Sie, gnädiger Herr, nehmen Sie den Ring zurück!«

»Ich bin nicht gewohnt, Geschenke zurückzunehmen«, rief Orloff, indem er seine Augenbrauen finster zusammenzog.

»Wie unartig, Adeline!« rief Madame Lemaitre schnell. »Es ist die Überraschung, Durchlaucht, die sie so sprechen ließ; verzeihen Sie ihr! Wie hätte sie jemals hoffen können, einen solchen Stein zu besitzen. Oh, wie herrlich ist er,« fuhr sie fort, das Farbenspiel bewundernd, »ein solches Geschenk kann nur der Fürst Orloff geben, und wem er es gibt, dem bleibt nur demütiger Dank übrig!«

Adeline saß schweigend da und betrachtete sinnend den funkelnden Stein an ihrem Finger.

Orloffs Gesicht klärte sich wieder auf, er plauderte noch eine Zeitlang heiter und unbefangen, dann erhob er sich.

»Ich hoffe,« sagte er, »Sie werden nun überzeugt sein, daß ich die Sorge um Ihre Zukunft nicht vergessen werde; ich habe das Recht der Gastfreundschaft in Ihrem Hause erworben und ich werde von demselben wieder Gebrauch machen, um meiner schönen Freundin die Zeit des Wartens, die ich ihr nicht ersparen kann, so gut ich vermag, ertragen zu helfen.«

Er drückte einen langen Kuß auf Adelines Hand, erwiderte herablassend die tiefe Verbeugung der Madame Lemaitre und stieg dann, sich wieder in seinen Mantel hüllend und den Hut in die Stirn drückend, die Treppe hinab.

Als er, schnell aus dem Hause tretend, in seinen Wagen stieg, der dann augenblicklich in scharfem Trabe davonfuhr, waren die beiden Studenten und ihre Freunde noch wie vorher am Fenster, ihre Blicke schienen die Falten des Mantels durchdringen zu wollen, ihre eben noch so lauten Stimmen sanken zu leisem Flüstern herab, als ob sie sich ihre Bemerkungen über den geheimnisvollen Fremden im Hause mitteilten; nichts war freilich auch natürlicher, als daß dieser Besuch die Neugierde und die Eifersucht der jungen Leute erregte, welche der schönen Schauspielerin täglich ihre schüchternen und kindlichen Huldigungen darbrachten.

Lange blieben sie alle noch am Fenster sitzen, nur zwei von ihnen traten aus dem Hause heraus und schlenderten langsam nach der Fontankastraße hin; auch der Franzose erschien, als der Wagen fortgefahren war, wieder mit seinem Buche an dem gegenüberliegenden Fenster und die kleine Straße bot wieder dasselbe ruhige und einförmige Bild dar wie immer.

»Oh, der schöne Stein, der schöne Stein!« rief Madame Lemaitre, als sie mit ihrer Tochter allein war, indem sie den Ring, den Adeline vom Finger gestreift hatte, mit entzückten Blicken betrachtete. »Wie ist es doch etwas so ganz anderes um einen großen Herrn, einen solchen Stein wirst du niemals von jenem kleinen Leutnant Mirowitsch erhalten, selbst wenn ihm die Kaiserin die Güter, von denen er gesprochen, als ein Almosen ihrer Gnade wiedergibt. Was bedeutet das gegen den Glanz und den Reichtum des großen Fürsten Orloff, für den ein solches Geschenk eine Kleinigkeit ist; wie erst würde er schenken, wenn –«

»Verlange ich Glanz und Reichtum?« fiel Adeline ein, indem sie mit einer gewissen scheuen Furcht ihre Blicke von dem funkelnden Stein hinwegwendete. »Du weißt, daß ich keinen Augenblick geschwankt habe, die Armut meines Wassili zu teilen; du warst es, die mich von ihm trennen wollte, um mich«, fügte sie bitter hinzu, »für die Millionen des Herrn Firulkin zu verkaufen!«

»Dein Glück zu sichern, mein Kind,« sagte Madame Lemaitre, welche, den Stein hin und her wendend, ihn in immer neuem Farbenglanze schimmern ließ, – »dein Glück zu sichern, von dem man in der Jugend nichts versteht; die Träume der Jugend aber sind Seifenblasen; sie haben wohl den Schimmer des Edelsteines, aber sie zerplatzen vom Lufthauch des Lebens und lassen nichts zurück als trüben Schaum. Und jener Firulkin,« fuhr sie fort, während Adeline seufzend die Achseln zuckte, »hat er dir jemals einen solchen Stein geboten, wie sehr er auch mit seinem Reichtum prahlte? Oh, Seine Durchlaucht hat recht; er ist ein filziger Narr, dieser Firulkin, er versteht es wohl, Schätze zu ergaunern, aber nicht, sie in stolzer, fürstlicher Freigebigkeit zu verschenken. Es ist wahr, mein Kind, es ist wahr, Seine Durchlaucht hat recht, du bist zu gut, wahrlich zu gut und zu schön für jenen elenden Firulkin, du wärst wohl des höchsten Glückes würdig. Wer weiß, wer weiß,« fügte sie zögernd hinzu, »ob alles das sich nicht dennoch zu immer größerem, zu nie geahntem Glück für dich entwickelt, ob nicht dieser Stein zum Talisman wird, der dir noch herrlichere Schätze zuführt!«

»Ich verstehe dich nicht, Mutter«, sagte Adeline befangen.

»Hast du wohl bemerkt,« fuhr die Alte fort, »wie die Augen des Fürsten leuchteten, als er dich ansah, wie lange er deine Hand küßte?«

»Mutter, Mutter,« rief Adeline entsetzt, »sprich nicht weiter!«

»Freilich,« sagte Madame Lemaitre, »freilich, man soll von großem Glück nicht sprechen, um es nicht zu verscheuchen; aber, mein Gott, man darf auch dem Glück nicht aus dem Wege gehen; wenn der Fürst dich liebte, wenn – o mein Gott, ich wage es nicht auszudenken!«

»Schweig, Mutter,« rief Adeline totenbleich; »sprich das Entsetzliche nicht aus, das mich schaudern läßt bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele! Wenn ich glauben könnte, daß auch nur ein Funke von Wahrheit in deinen Worten wäre, so würde ich fliehen, allein fliehen bis an die Grenzen dieses Reiches; ich würde Wassili anflehen, mir zu folgen und mit der Arbeit meiner Hände ihn und mich erhalten in unserem Vaterlande. O Mutter, wie kannst du einen solchen Gedanken nur fassen? Jener Firulkin bot mir mit seinem Golde seine Hand und seinen Namen; aber der Fürst – o mein Gott, welch einen Abgrund öffnest du vor mir! Doch es ist nicht so,« sagte sie, ihre Hände faltend und an die Brust drückend, »es ist nicht so, es kann nicht sein.«

»Du bist töricht, du bist tausendmal töricht!« sagte die Alte. »Und wenn es dennoch wäre, wäre es nicht ein Glück, ein unfaßbares, unschätzbares Glück; ist der Fürst nicht der Liebe wert, er, vor dem sich alles beugt, dem alles gehorcht, der Herrlichste in diesem weiten, unermeßlichen Reich? Auch ich war jung, mein Kind, und schön, auch in meinem Herzen wallte einst das warme Blut der Liebe und der Freude entgegen; wenn ich einen Mann gefunden hätte wie den stolzen, allgebietenden Fürsten Orloff, mein Herz wäre ihm entgegengeflogen und in Bewunderung und Hingebung wäre ich zu seinen Füßen gesunken. Du würdest einen berauschenden Traum des Glückes träumen in seiner Liebe, und würde diese Liebe verblühen, wie ja alles verblüht früher oder später auf Erden, so würdest du im Überfluß dein Alter erwarten und der Erinnerung leben können, denn er, der Gewaltige, der Erhabene, würde über dich Schätze ausschütten, welche das enge Gehirn des Knickers Firulkin kaum auszurechnen vermöchte.«

Adeline war aufgesprungen, ihr bleiches Gesicht zuckte, ihre Augen flammten so drohend, daß die Alte erschrocken zurückwich.

»Schweig, Mutter,« rief sie, »ich befehle dir, zu schweigen, damit Gott deine Worte nicht hört!«

Sie wendete sich ab und eilte in ihr Zimmer, dessen Tür sie hinter sich verriegelte.

Kopfschüttelnd sah ihr Madame Lemaitre nach.

»Ist denn die Welt anders geworden?« sagte sie. »Ich verstehe sie nicht, und ich war doch auch einst jung. Nun, jede Jugend hat ihre Torheit, scheint doch die Jugend selbst nur ein Wahn zu sein, zu dem man lächelnd oder bedauernd zurückblickt, wenn man erst erwacht ist zum Verständnis des wirklichen Lebens. Auch sie wird erwachen, und für sie wäre ja die Wirklichkeit nur ein um so schönerer Traum; das Glück hat mir einen Funken gezeigt, und an mir soll es nicht liegen, wenn er nicht zur hellen Flamme aufschlägt.«

Gregor Orloff war nach seinem Palais zurückgekehrt, ein Kurier des Gouverneurs von Moskau erwartete ihn im bestäubten Reiseanzug, um ihm Depeschen von der höchsten Wichtigkeit zu bringen. In steigender Spannung durchflog der Fürst die Briefschaften.

»Ein Betrüger gibt sich für den Kaiser Peter III. aus,« fragte er den Offizier, »er findet Anhänger und hat die Stadt Jaisk genommen?«

»So ist es, gnädigster Herr,« erwiderte der Offizier eifrig, »der Name des verbrecherischen Rebellen soll Yemelka Pugatschew sein, wie wir erfahren haben, aber das Volk läuft ihm zu und schwört darauf, daß es der Zar Peter III. sei, der irgendwo gefangen gehalten gewesen. Die Stimmung unter den Truppen ist bedenklich, viele Soldaten der Gegend desertieren; er nimmt sie alle freundlich auf, ebenso die Gefangenen, wenn sie in seine Dienste treten, während er alle anderen ohne Erbarmen erschießen läßt. Die Popen, die Priester sind ihm günstig; er hat die Aufhebung der Leibeigenschaft verkündet, und zu Tausenden strömt ihm das Volk aus den Steppen zu. Der Gouverneur bittet, ihm schleunigst Truppen zu senden, da er fürchtet, den dortigen Garnisonen nicht trauen zu können. Ich habe in der Depesche des Gouverneurs die Proklamation überbracht, welche der Betrüger erlassen hat; aber trotz aller Vorsicht haben wir selbst in Moskau nicht verhindern können, daß sie tausendfach im Volke verbreitet wurde.«

»Man soll vor allen Dingen den Popen befehlen, daß sie das Volk belehren, und wenn sie es nicht tun, soll man sie hängen!« sagte Orloff, dessen ruhige Gleichgültigkeit den Offizier zu befremden schien. »Der Gouverneur verlangt Truppen, er soll sie haben; viel haben wir freilich nicht übrig, aber unter energischer Führung wird kaum eine große Macht nötig sein, um den frechen Rebellen zu zerschmettern«, sagte er mit einem stolzen Blick auf den Offizier.

»Ich will es hoffen, Durchlaucht,« erwiderte dieser, »aber die Zahl der Rebellen wächst täglich, und schnelle Maßregeln tun not.«

»Nun,« sagte Orloff, »wartet draußen im Vorzimmer; laßt Euch einen Imbiß und einen guten Trunk geben, um Euch zu stärken nach dem scharfen Ritt, der Eurem Diensteifer Ehre macht und der Euch nicht vergessen sein soll. Ihr sollt mich dann sogleich zur Kaiserin begleiten.«

Als der Offizier hinausgegangen war, durchflog Orloff noch einmal die Depeschen von Moskau.

»Bei Gott,« sagte er, »es scheint, daß dieser Pugatschew seine Sache versteht und seine Rolle ebenso kühn als geschickt spielt. Wenn die Sache ernstlich gefährlich würde? Es hat wohl schon ein Funke einen Waldbrand entzündet. Nein, nein,« rief er dann, »das hat keine Not, es wird nicht schwer sein, mit diesen zusammengelaufenen Bauern fertig zu werden, und dieser erste Erfolg war ja nötig, um den Zweck des Spiels zu erreichen. Ha, wie sie zittern wird, diese hochmütige Kaiserin, wenn das Gespenst des Toten die Wogen des Aufruhrs von den Grenzen des Reichs heranwälzt, während hier unmittelbar neben ihrem Thron die Mine in die Luft fliegt, gefahrlos abgelenkt durch meine Hand; wie sie zurückkehren wird unter die Herrschaft meines Willens, wie sie sich beugen wird unter den Schutz des starken Armes, der allein es vermag, sie zu schützen; mag sie dann das Spiel ihrer Laune treiben mit jenem Potemkin oder mit wem sie sonst will, ich werde die Herrschaft um so sicherer in meiner Hand halten, und ich werde ja einen holden, lieblichen Ersatz finden für die welkende Blume, deren Dornen nicht mehr ihren Duft wert sind! In den Armen der reizenden Adeline werde ich reichen Ersatz finden für Katharinas Liebe; sie aber soll nicht vergessen, daß Gregor Orloff es war, der ihren Thron aufgerichtet hat, und dessen Arm allein es vermag, ihn zu stützen und zu verteidigen.«

Er klingelte und befahl seinem Kammerdiener, ihm einen Rock mit dem Andreasstern und das blaue Band zu bringen.

»Peter Sebastianow Firulkin ist draußen«, sagte der Kammerdiener, »und verlangt dringend, vorgelassen zu werden.«

»Laß den Tölpel kommen,« sagte Orloff lachend, indem er den ihm von dem Kammerdiener dargereichten Rock anzog; »auch der Narr hat seinen Platz in der Tragödie, um die Intervalle auszufüllen.«

Firulkin trat ein.

»Was willst du, Peter Sebastianow?« fragte Orloff, indem er das blaue Band auf seiner Brust zurechtlegte und mit spöttischen Blicken die groteske Gestalt des sich tief verneigenden Handelsmannes betrachtete.

»Gnädigster Herr,« sagte Firulkin, »ich komme glücklich zu Eurer Durchlaucht; es ist mir gelungen, Ihrem Befehl gemäß ein Dreigespann aufzutreiben, wie es sich in ganz Rußland nicht zum zweitenmal findet, auch nicht in dem Marstall unserer allergnädigsten Kaiserin, die Gott schützen und erhalten wolle. Die Pferde stehen im Hofe des Palastes; wenn Eure Durchlaucht die Gnade haben wollen, sie eines Blickes zu würdigen, ich bin gewiß, Sie werden mit mir zufrieden sein.«

»Ah,« sagte Orloff nachlässig, »fast hätte ich's vergessen, doch wenn du die Wahrheit sprichst, muß ich deinen Eifer loben. Ich habe wenig Zeit, der Dienst ruft mich zur Kaiserin, aber einen Blick will ich dennoch auf dein Gespann werfen.«

Er schritt hinaus, Firulkin folgte ihm demütig gebückt.

Im Vorzimmer winkte er dem Offizier, der ihm die Depeschen von Moskau gebracht, und stieg, von demselben gefolgt, in den Hof hinab, wo er seine Stallmeister um das ukrainesche Dreigespann versammelt fand.

Firulkin hatte nicht zu viel gesagt, die Pferde waren in der Tat von unvergleichlicher Schönheit, und die Stallmeister erklärten einstimmig, daß sie diejenigen des kaiserlichen Marstalls überträfen.

Orloff klopfte wohlgefällig den Hals der schönen Tiere und befahl, sie in den Stall seiner Leibrosse zu stellen, welche aus marmornen Krippen fraßen und aus silbernen Kübeln getränkt wurden.

»Ich bin zufrieden mit dir, Peter Sebastianow,« sagte er noch einmal, »du darfst meiner Gnade gewiß sein!«

Firulkin schien mit diesem Dank nicht zufrieden, er eilte dem davonschreitenden Fürsten nach und wagte es sogar, dessen Rockzipfel zu erfassen.

»Durchlaucht,« sagte er mit zitternder Stimme, als Orloff sich erstaunt und unmutig umwendete, »Durchlaucht hatten die Gnade, mir Ihren Schutz zu versprechen, wenn ich den Auftrag in betreff Ihrer Pferde zu Ihrer Zufriedenheit ausgeführt haben würde, Ihren Schutz, um den trotzigen Widerstand jener Adeline Lemaitre gegen meine Bewerbung zu brechen.«

Orloff maß den Alten mit einem verächtlichen, höhnischen Blick.

»Kann ich das Mädchen zwingen, dich zu lieben?« fragte er.

»O Durchlaucht,« erwiderte Firulkin mit einem hämisch kalten Lächeln, »die Liebe wird sich finden, wenn sie mein ist; was ich von Eurer Durchlaucht erflehe, ist nur, daß Sie, gnädigster Herr, jenen unverschämten Leutnant Mirowitsch entfernen, der ihr den Kopf verdreht hat.«

Orloff sah ihn groß an.

»Sei ruhig, Peter Sebastianow,« sagte er, »er soll entfernt werden, mein Wort darauf!«

Er winkte dem Offizier, um mit demselben in seinen Wagen zu steigen und nach dem Winterpalais zu fahren.

Firulkin sah ihm tief gebückt nach, dann warf er noch einen Blick auf die Pferde, welche soeben nach dem Stall geführt wurden.

»Dreißigtausend Rubel habe ich für das Gespann opfern müssen, und hier könnte ich das Doppelte und noch mehr dafür erhalten, aber der Preis ist nicht zu hoch für den Besitz dieser Adeline, von der ich nicht weiß, ob ich sie mehr hasse oder liebe, und die mein sein soll der ganzen Welt zum Trotz.«

Er erwiderte demütig die herablassenden Grüße der Stallmeister und verließ das Palais, um in seinen auf der Straße wartenden Wagen zu steigen, indem er dem Kutscher befahl, ihn nach dem Hause der Madame Lemaitre zu fahren.


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