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46. Kapitel.

Während Henrico Landola mit seinen Gefangenen nach dem Großen Ozean segelte, um die Unglücklichen zur tiefsten Einsamkeit und Verlassenheit zu verurteilen, erwartete man in der Heimat vergebens ein Lebenszeichen von ihnen. Aber auch noch andere warteten, und zwar ganz ebenso vergebens.

Da waren zunächst Lindsay und Amy, die sich nach einer Nachricht von Mariano sehnten. Und da waren ferner Pablo Cortejo und seine häßliche Tochter Josefa, denen ganz außerordentlich daran lag, über das Schicksal dieser Männer etwas zu erfahren.

Und dennoch vergingen Wochen und Monate, ohne daß eine Kunde kam. Das lag nun zwar daran, daß man sie hatte verschwinden lassen, aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, lagen die höchst verwickelten politischen Verhältnisse Mexikos so im argen, daß die Sicherheit von Sendungen und Nachrichten eine höchst problematische war, denn das an und für sich so schöne Land war von Wirren heimgesucht, deren Lösung bisher noch keiner Hand gelungen war.

Einen freilich gab es, der das Geschick dazu hatte; das war Benito Juarez, der Indianer aus dem Stamm der Zapoteken, dem wir im Verlauf unserer Erzählung ja bereits begegnet sind. Viele kennen ihn nicht und beurteilen ihn falsch. Darum ist es die Pflicht des unparteiischen Beobachters, sein Bild der reinen Wahrheit nachzuzeichnen.

Ein gerechter Beurteiler vermag in Juarez freilich nicht einen außerordentlichen Träger jenes Genies erkennen, das einer Periode, einem Volk das Gepräge seines Geistes und Willens aufdrückt, aber dieser nicht geniale Mann besaß einen gesunden Verstand, eine eiserne Willenskraft und neben seiner Rechtlichkeit, Entschlossenheit, Nüchternheit und Vaterlandsliebe eine Menge anderer Eigenschaften, die ihn befähigten, seinem Volk größere Dienste zu leisten, als wenn er nichts als bloß ein Genie gewesen wäre, das wie eine Wetterfahne von den dortigen Verhältnissen herumgedreht und herumgerissen worden wäre.

Er wurde in dem Ort San Pedro in der Sierra de Oaxaca geboren und hatte in seinen Jugendjahren gelernt, sich wacker mit den Hindernissen der Armut und nationalen Verachtung herumzuschlagen. Unter vielen, fast unüberwindlichen Beschwerden gelang es ihm, die Rechtswissenschaft zu studieren und am Kollegium von Oaxaca Lehrer dieser Wissenschaft zu werden. Das war für einen Indianer, für eine verachtete Rothaut, bereits sehr viel erreicht.

Neben diesem Lehramt widmete er sich der Advokatur, und dieses sein Wirken brachte ihm weithin den Ruf eines streng ehrlichen und tadellos redlichen Mannes. Daher kam es, daß er zum Gouverneur des Staates Oaxaca gewählt wurde, und selbst seine Feinde müssen zugeben, daß niemals dieses Amt so selbstlos und kraftvoll verwaltet wurde als von ihm. Er erwarb sich eine so bedeutende Achtung, daß ihm die alte, berühmte Kreolenfamilie Mazo ihre Tochter Margarita zur Frau gab, während sonst die stolzen Kreolen jede Vermischung mit Indianern streng vermeiden.

Er zeichnete sich als Gouverneur aus durch Besserung der Rechtspflege, Hebung der Finanzen, Abstellung von Mißbräuchen und Schlendrian des Beamtentums, Förderung des Gewerbefleißes und Mehrung der Verkehrsmittel. Der Wohlstand und die Sicherheit der von ihm beherrschten Provinz erhob sich dadurch so schnell und hoch, daß er im ganzen Land berühmt wurde, und so war es gar nicht zu verwundern, daß er bald zum Vorsitzenden des höchsten Nationalgerichtshofs erwählt wurde, und zwar infolge einer unmittelbaren Volkswahl, was eine um so größere Ehre für ihn war.

Sodann wurde er gar Justizminister, als welcher er den bösen Praktiken des Präsidenten Commonfort entschieden entgegentrat und als strenger Rechtsmann, umsichtiger Patriot und edler, redlicher Staatsdiener seinen bereits erworbenen Ruf befestigte und behauptete.

Nach dem Fall dieses Präsidenten wurde Juarez Präsident. Hiermit erhielt der einst so verachtete Indianer nicht nur die höchste Würde des Staates, sondern er erbte mit derselben von seinen Vorgängern auch die ganze, unglückselige Korruption der Verhältnisse, an der er weder Teil noch Schuld hatte. Er erbte ebenso die fürchterliche Last des Krieges mit den Armeen und Flotten Frankreichs, die tiefen Zerwürfnisse mit Spanien und England, die schiefe Stellung mit den Vereinigten Staaten, den hartnäckigen Widerstand seiner inneren Feinde und – den armen Maximilian von Österreich, der von Napoleon des Dritten Gnaden zum Kaiser von Mexiko ausgerufen wurde.

Diese Aufgabe war eine ungeheure. Hat er sie gelöst? Welche Frage! Konnte sie von einem einzigen, konnte sie in einem Menschenalter, in der kurzen Zeit einer Präsidentschaft gelöst werden? Er erkannte, daß ein Kaiser von Napoleons Gnaden in Mexiko unmöglich sei. Er widmete dem guten Max seine persönliche Sympathie und Teilnahme, aber er war ein echter Mann des Prinzips, und so ist er auf seiner Überzeugung stehengeblieben und hat für sie gekämpft, ohne sich von dem Franzmann blenden zu lassen, mutig und ausdauernd und doch in persönlichen Angelegenheiten eine ruhige, sichere Würde, ein feines Gefühl und eine gewinnende Sanftmut und Milde zeigend. Einer unserer neueren bedeutendsten Geschichtsschreiber fällt das Urteil über ihn:

»Alles in allem: Benito Juarez ist die bedeutendste geschichtliche Gestalt, die innerhalb des Kreises der europäischen Zivilisation bisher aus der indianischen Rasse hervorgegangen ist.«

Während Juarez noch Kriegsminister war, und bereits vorher, saß Commonfort auf dem Präsidentenstuhl. Dieser war früher Zöllner in Acapulco gewesen und erhielt einen Gegenpräsidenten, der Miramon hieß und jene traurigen Eingriffe in das Eigentum fremder Staatsangehöriger begann, die schließlich das englisch-französisch-spanische Einschreiten veranlaßten. Man plünderte sogar das Hotel des englischen Gesandten, und die Ansprüche der also Geschädigten beliefen sich zuletzt auf die ungeheure Summe von beinahe fünfhundert Millionen Mark.

Dieser Miramon war ein Freund des früheren Präsidenten Alvarez, ebenfalls eines Indianers, der seiner außerordentlichen Grausamkeit wegen der Panther des Südens genannt wurde. Diesen beiden werden wir leider sehr bald begegnen.

Seit dem Tag, an dem Sternau mit Mariano und Helmers Mexiko verlassen hatte, war nun ein Jahr vergangen. Da kam von Norden her ein Reiter in die Stadt. Er war bestaubt, und alle Anzeichen verrieten, daß er einen langen und beschwerlichen Ritt zurückgelegt habe. Hinter ihm trabten mehrere Vaqueros, sie waren, ebenso wie er, gut bewaffnet, doch bedeutend jünger als er und führten ein kräftiges Maultier bei sich, das eine sorgfältig verpackte Last trug, die zwar nicht groß war, aber sehr schwer zu sein schien.

Der alte Mann ritt durch mehrere Straßen und hielt vor dem Palast des Obertribunals. Dort stieg er vom Pferd und fragte den Türsteher, ob seine Gnaden, Señor Benito Juarez, zu sprechen sei. Der Türsteher betrachtete den Alten mit einem geringschätzigen Blick und erwiderte:

»Für Euch jedenfalls nichts.« – »Warum nicht?« – »Hat er Euch befohlen, heute zu ihm zu kommen?« – »Nein.« – »So wartet. Ohne Anmeldung empfängt er nur Freunde bei sich.« – »So melde mich an. Übrigens darf ich mich sehr wohl zu seinen Freunden zählen.«

Die sichere Antwort des Greises machte Eindruck auf den Diener. Er fragte:

»Welchen Namen tragt Ihr, Señor?« – »Ich heiße Pedro Arbellez und bin Besitzer der Hacienda del Erina.« – »Oh, das ist etwas anderes, Señor! Ihr seid weit geritten, und Euer Aussehen machte mich irre! Man hat zu sorgen, daß der Herr nicht zu sehr überlaufen wird. Alle Welt will zu ihm, weil es bei einem anderen keine Gerechtigkeit gibt. Tretet ein und laßt Eure Diener in den Hof reiten!«

Die Vaqueros begaben sich mit ihren Pferden nach dem Innenhof des Hauses, und Arbellez wurde von einem Domestiken nach einem geräumigen Zimmer geführt. Es hatte trotz seiner Größe nur ein Fenster, zwei Hängematten und einen Tisch. Auf dem Tisch stand ein Schreibzeug neben einem Stoß Papier. In der einen Hängematte saß ein Mann, der eine Zigarette rauchte, und in der anderen saß ein zweiter, der dasselbe tat. Der erstere war Benito Juarez, der oberste Richter des Landes. Er erhob sich beim Eintritt des Gastes ein wenig und sagte:

»Ah, Señor Pedro Arbellez! Euch habe ich seit einem Jahr nicht gesehen, wißt Ihr, seit ich Euch die Hacienda Vandaqua in Pacht gab. Was bringt Ihr mir?« – »Eben den Pachtzins, Señor«, antwortete der Gefragte. »Und außerdem möchte ich Euch eine große Bitte vorlegen.« – »Privaten Charakters?« – »Nein. Ich komme zu Euch als zum Richter.« – »So sollt Ihr gehört werden; vorher aber muß ich die Angelegenheit dieses Señors erledigen, da sie keinen Aufschub erleidet. Legt das Schreibzeug zu Boden und setzt Euch auf den Tisch. Ich habe keinen anderen Platz!«

Arbellez hielt es für unmöglich, sich auf den Tisch zu setzen, aber Juarez machte eine so kurze und gebieterische Handbewegung, daß er gehorchte. Nun wandte sich der Oberrichter an den anderen, der ein Mann in den mittleren Jahren war, ein dicht behaartes Gesicht und dunkle, stechende Augen hatte, und sagte:

»Also, Señor, ich habe Euch aus dem Gefängnis rufen lassen, um Eure Sache schnell zu erledigen. Es ist sehr unhöflich, jemand warten zu lassen, und ich bin nicht gern unhöflich. Brennt Eure Zigarette noch?« – »Ja, Señor.« – »Schön!« fuhr Juarez im Ton der heiteren Konversation fort. »Wie lange hält man Euch bereits gefangen?« – »Volle drei Wochen, Señor.« – »Ah, das ist unartig, ich muß es gestehen. Ich werde diese Unterrichter bitten, zuvorkommender zu sein. Euer Urteil ist noch gar nicht gefällt?« – »Leider noch nicht. Ich hoffe, daß ich mit demselben zufrieden sein werde!« – »Ich bin überzeugt davon«, sagte Juarez freundlich. »Ich werde keinem Unrecht tun, weder Euch noch Eurem Gegner. Also es handelt sich um einen kleinen Schuß?« – »Allerdings.« – »Traf dieser Schuß?« – »Die Dame gerade in den Kopf. Ich hatte gut gezielt.« – »Ah, so seid Ihr also ein sehr sicherer Schütze! Das freut mich, denn gute Schützen sind in dieser bösen Zeit sehr gut zu gebrauchen. Warum aber habt Ihr auf die Dame geschossen?« – »Weil sie mir sagte, daß sie einen anderen heiraten werde. Ich bat sie höflich, sich zu besinnen, aber sie blieb dabei, und so schoß ich sie nieder.« – »Das ist klar«, nickte der Oberrichter. »Sie wollte Euch nicht, und so schoßt Ihr sie nieder. Ein jeder hat die Folgen seiner Handlung zu tragen. Eure Zigarette ist zu Ende, Señor. Darf ich Euch eine von den meinigen anbieten?«

Er schenkte dem anderen eine Zigarette, die dieser sich anbrannte, und fuhr dann fort:

»Der Vater der Dame hat Euch leider angezeigt, und so müssen wir über die Sache reden. Ihr sagt also, daß Ihr sie wirklich erschossen habt?« – »Allerdings.« – »Nun, so werden wir gleich fertig sein. Auf Mord steht Todesstrafe; ich werde Euch also auch erschießen lassen. Ist Euch dies recht so, Señor?«

Der andere machte doch etwas große Augen. Er hatte an die Möglichkeit dieses Urteils gar nicht gedacht, da Juarez die Untersuchung, die fast eine freundschaftliche Unterhaltung zu nennen war, in dieser freundlichen Weise geführt hatte.

»Aber, Euer Gnaden, ich denke doch ...« – »Pst!« unterbrach ihn Juarez. »Unter Männern macht man nicht viele Worte bei einer so einfachen, klarliegenden Sache. Ihr habt sie erschossen und werdet wieder erschossen, ein jeder hat die Folgen seiner Handlung zu tragen, das sagte ich bereits vorhin. Wollt Ihr mir ein wenig Feuer geben? Das meinige ist ausgegangen.«

Juarez brannte seine Zigarette an derjenigen des Mörders an, steckte dann den Finger in den Mund und stieß zwei schrille Pfiffe aus. Sofort erschienen zwei Polizisten.

»Gebt mir ein Stück Papier und taucht die Feder ein!« gebot er.

Die Männer kamen der Aufforderung nach, der Oberrichter legte das Papier auf seine Knie, schrieb einige Worte darauf und reichte es dem Mörder hin.

»Hier, Señor, lest! Das ist Euer Urteil. Es ist Euch doch recht, daß ich Euch sogleich erschießen lasse?«

Der Mann erhob sich bleich aus der Hängematte und sagte:

»Euer Gnaden, ich muß denn doch bitten ...« – »Pst!« unterbrach ihn Juarez mit einem Lächeln voll Nachsicht und Gefälligkeit. »Ihr habt vorhin geklagt, daß Ihr volle drei Wochen wartet, ich habe Euch also eine Genugtuung zu geben. Man muß immer möglichst gefällig sein! Also sofort, Señor. Brennt Eure Zigarette noch?« – »Ja, ich danke!« stotterte der Mann. – »Schön! Es gibt nichts Unangenehmeres, als wenn einem bei einer wichtigen Angelegenheit die Zigarette ausgeht. Es kann das fälschlicherweise leicht für einen Mangel an Selbstzufriedenheit und Behaglichkeit genommen werden. Und das muß man vermeiden. Verzeiht, Señor, daß ich leider nun nicht länger Zeit habe. Adios!«

Er machte dem Mann eine höfliche Verbeugung, dieser erwiderte sie und verschwand mit den Beamten. Juarez horchte einige Augenblicke – da fielen mehrere Schüsse; er legte sich in die Hängematte zurück und meinte:

»Er ist tot! Was meint Ihr zu meiner Art und Weise, Gericht zu halten, Señor Arbellez?«

Der Gefragte hatte der interessanten Verhandlung mit dem größten Staunen beigewohnt. Er antwortete:

»Señor, sie scheint mir durchaus ungewöhnlich zu sein!« – »Aber praktisch, mein lieber Arbellez!« nickte der Oberrichter. »Gerecht, freundlich und schnell, so muß die Justiz handeln, anders nicht. Darum wollen auch wir beide keine Zeit versäumen. Also, Ihr bringt mir den Pachtzins?« – »Ja. Ich werde ihn vorzählen; ich habe das Geld noch auf dem Maultier.« – »Laßt das, Señor! Schickt mir das Geld nachher herein, wenn wir uns verabschiedet haben. Ich weiß, daß Ihr mich nicht betrügen werdet. Gehen wir lieber jetzt gleich zu Eurer Bitte über.« – »Aber, Euer Gnaden, sie wird nicht so schnell zu behandeln sein wie das Todesurteil.« – »Das wird uns nicht hindern, denn jedes Ding bedarf seiner Zeit. Also Ihr kommt zu mir als zum Richter?« – »Ja, ich flehe um Gerechtigkeit.« – »Für wen?« – »Für mich und die Meinen.« – »Und gegen wen?« – »Gegen viele. Es wird das eine sehr umfangreiche Erzählung werden, aber, Señor, ich habe so Schweres gelitten, und ich leide auch jetzt noch so sehr, daß mein Vaterherz bitten muß, mir aufmerksam zuzuhören.« – »Sprecht nur, mein guter Arbellez«, sagte der Oberrichter. »Ich werde Euch bis zum Ende anhören. Aber brennt Euch vorher eine von meinen Zigaretten an.« – »Wie kann ich das tun, Euer Gnaden! Ich würde vor Schmerz und Tränen keinen Zug tun können.« – »Eben gerade darum sollt Ihr rauchen. Ich ehre den Schmerz und die Tränen, wenn sie ehrlich gemeint sind, aber sie machen den Richter leicht irre und parteiisch. Er braucht vor allen Dingen eine wahrheitsgetreue Darstellung der Sache. Darum sollt Ihr rauchen, denn dann werden Eure Tränen den Eindruck Eurer Erzählung nicht stören und benachteiligen können. Hier, nehmt Feuer, und beginnt Euren Bericht!«

So sah Arbellez sich gezwungen zu rauchen. Er erzählte und begann von vorn, von seinen Jugenderfahrungen und von den späteren Erlebnissen; dann schilderte er die Personen, wie er sie gefunden hatte, teilte seine Vermutungen mit, und – wunderbar, es war keine einzige Träne geflossen, als er geendet hatte.

Der große Indianer hatte ihm ruhig, beinahe wortlos zugehört; jetzt erhob er sich aus der Hängematte und schritt im Raum auf und ab, um zu rekapitulieren. Er dachte lange nach, verglich und folgerte, dann blieb er vor dem alten Haziendero stehen und sagte:

»Señor Arbellez, wenn Ihr es nicht wäret, der mir diese Geschichte erzählt, so würde ich sie nicht glauben, da ich Euch aber für einen nüchternen, wahrheitsliebenden Mann halte, so glaube ich Euch jedes Wort und verspreche Euch meine ganze Hilfe. Wo dieselbe anzufassen ist, weiß ich freilich noch nicht. Ich habe mir vorher vieles zurechtzulegen, ich muß verschiedene und sehr genaue Erkundigungen einziehen, bin ich damit aber zu Ende, so soll auch, das verspreche ich Euch, Schlag auf Schlag kommen, bis dieses ganze schändliche Komplott aufgedeckt und bestraft worden ist. Bleibt Ihr für einige Zeit hier?« – »Ja, bei Sir Lindsay.« – »Ah, bei dem! Warum gerade bei ihm?« – »Weil ich auch ihm das erzählen muß, und weil er mir eine Bitte erfüllen soll.« – »Darf ich erfahren, welche es ist?« – »Gewiß, Señor. Ich habe erwähnt, daß Donnerpfeil ein Geschenk aus der Höhle des Königsschatzes erhalten hat. Sein Bruder besitzt drüben in Deutschland, seiner Heimat, einen hochbegabten Knaben, der aber arm ist. Donnerpfeil, der Bräutigam meiner Tochter, hat nun vor einem Jahr, das heißt, seit er verschwunden ist, beschlossen, daß dieser Knabe die Hälfte seines Geschenks erhalten soll. Es konnte ihm nicht geschickt werden, und so geht gerade die Zeit verloren, in der dieser Reichtum dem Knaben den meisten Nutzen bringen wird. Darum habe ich die Kostbarkeiten aufgeladen und mitgebracht und will sie dem Lord bringen, der sie nach Deutschland senden mag.« – »Wo wohnt der Knabe?« – »Bei Mainz auf einem Schloß, dessen Namen ich vergessen habe. Doch ist es leicht zu finden, denn es gehört einem Hauptmann und Oberförster von Rodenstein. Diesen Namen habe ich behalten.« – »So überlaßt diese Sendung lieber mir als dem Engländer. Ginge sie von ihm aus, so würde sie von unseren Bravos – Räubern – nicht respektiert. Kommt sie aber aus meiner Hand, so will ich den Mexikaner sehen, der sich an ihr vergreift. Ich werde das Sicherste wählen und sie an ein Bankhaus in Mainz adressieren. Der Bankier wird den Knaben ausfindig machen.« – »Oh, wie bin ich Euch dankbar, denn Ihr nehmt mir da eine große Last vom Herzen.« – »Wie heißt der Knabe?« – »Kurt Helmers. Sein Vater ist Steuermann.« – »Ich werde mir das notieren. Übrigens ersuche ich Euch, lieber bei mir, als bei dem Engländer zu wohnen, so lange Ihr in Mexiko bleibt. Es ist möglich, daß ich Euch in Eurer Angelegenheit öfters zu sprechen habe, und da ist es bei mir bequemer. Ich werde Euch ein gutes Zimmer anweisen lassen, und Sir Lindsay wird es uns nicht übelnehmen, Ihr könnt ihn ja immerhin besuchen. Bringt einmal den Schatz herein. Und da es nun in einem geht, könnt Ihr auch gleich den Pachtzins mitbringen.«

Der Haziendero entfernte sich und brachte mit Hilfe eines seiner Vaqueros die Maultierlast herein. Sie enthielt zwei Pakete, beide in ungegerbtes Büffelleder eingeschnürt.

Die eine Hälfte enthielt den Pachtbetrag in Goldstücken, den der Oberrichter quittierte. Als die andere Hälfte geöffnet worden war, wurden von dem Inhalt die durch das Fenster einfallenden Sonnenstrahlen aufgefangen und in tausend funkelnden Reflexen durch das Zimmer geworfen. Benito Juarez stieß einen Ruf der Bewunderung aus.

»Dios! Welche Pracht und Herrlichkeit!« rief er. »Welche Kostbarkeiten! Welch ein Reichtum! Welch einen Wert repräsentiert dieses seltene Geschmeide. So etwas habe ich noch gar nicht gesehen!« Und mit finsterer Miene fügte er hinzu: »Dieser Schatz in der Höhle der Könige könnte Mexiko groß machen; aber seine Bewohner sind es nicht wert. Der Häuptling der Mixtekas hat recht. Sein Geheimnis mag mit ihm sterben. – Und diese Sachen sind nur die Hälfte davon, was Euer Schwiegersohn bekam?« – »Ja.« – »Habt Ihr die andere Hälfte gut verwahrt?« – »Ja. Sie ist an einem Ort vergraben, an dem sie von niemand gefunden wird.« – »Und diesen Teil wollt Ihr wirklich nach Deutschland senden? Und ein Knabe soll ihn bekommen, der den Wert nicht kennt und der auch kaum den rechten Gebrauch davon machen wird?« – »Ja. Der Häuptling der Mixtekas hat es selbst so gewollt, und ich muß ihm gehorsam sein. Sollte er zurückkehren, so wird er mich loben, daß ich seinen Willen befolgt habe.« – »So können wir nichts dagegen machen. Dieser Schatz geht aus dem Land. Vielleicht aber kommt er in würdige Hände.«

Juarez trat an den Tisch, öffnete den Kasten und nahm ein Buch heraus, das er aufschlug. Es enthielt ein Namenverzeichnis, bei dem die Kurse von Aktien und verschiedenen Wertpapieren angegeben waren. Er suchte eine Zeitlang und sagte dann:

»Hier steht Mainz. Ich finde da das Bankhaus Wallner verzeichnet. Dorthin wird die Sendung gehen, und ich bin überzeugt, daß bei dem großen Wert derselben der Mann sich Mühe geben wird, den Adressaten ausfindig zu machen. Wollt Ihr einen Brief beilegen?« – »Oh, Señor, das Schreiben fällt mir jetzt sehr schwer. Aber Miß Amy Lindsay wird die Güte haben, es für mich zu tun.« – »So bringt denselben heute noch zu mir, denn diese Sendung soll morgen mit dem frühesten bereits abgehen. Ich werde ihr eine genügende Eskorte geben und sie auch gut versichern lassen. Jetzt aber wollen wir ein Verzeichnis anfertigen, und sodann erhaltet Ihr die Bescheinigung, daß Ihr mir die Gegenstände übergeben habt.«

Dies geschah, und dann erhielt der Haziendero ein Zimmer angewiesen, das er bewohnen sollte und in dem er sich von dem Staub der Reise befreite, um dann Sir Lindsay aufzusuchen. Dort war nur Miß Amy zu Hause, von der er mit herzlicher Freunde empfangen wurde.

Pedro Arbellez hatte als glücklicher Vater bisher seine Tochter für das schönste Mädchen der Welt gehalten, aber als er die Engländerin erblickte, wie sie in einem schneeweißen, von rosaseidenen Spitzen verzierten Anzug vor ihm in der Hängematte lag, da glaubte er, die Madonna sei vom Himmel herabgestiegen, um mit ihm zu sprechen.

Sie erhob sich, reichte ihm ihr Händchen und sagte:

»Señor Arbellez! Aus del Erina! Welch eine Überraschung, welch eine Freude! Was für Nachrichten bringt Ihr mir?«

Ihre Schönheit entzückte ihn trotz seines Alters so sehr, daß er die Beantwortung der letzteren Frage einstweilen vergaß. Er drückte nur einen Kuß auf ihre Finger und sagte:

»Oh, Señorita, wie schön seid Ihr. Wer kann es unserem gnädigen Herrn verdenken, daß er Euch so liebhat!« – »Euern gnädigen Herrn? Wen meint Ihr?« – »Nun, den rechten, wahren Herrn von Rodriganda, der bisher fälschlicherweise Mariano oder Herr de Lautreville genannt wurde.« – »Ah!« rief sie. »So seid auch Ihr überzeugt, daß er es wirklich ist?« – »Seine Ähnlichkeit ist ein genügender Beweis dafür. Außerdem hoffe ich zu Gott, daß es uns gelingt, auch andere Beweise zu finden, die vor dem Richter noch wirkungsvoller sind.« – »Wir alle hoffen es. Aber was tut Mariano? Wo befindet er sich? Warum hat er mich während einer solchen Ewigkeit ohne Botschaft gelassen?« – »Señorita, er hat jedenfalls nicht gekonnt. Es scheint, die Sachen stehen so, daß ich der einzige Bote bin, der Euch von ihm erzählen kann. Dies ist freilich nur wenig und nicht tröstlich, und zudem war der Weg von der Hazienda nach hier während langer Monate so unsicher, daß ich mir weder zugetraute, einen Boten zu senden, noch selbst zu gehen.« – »Nicht tröstlich?« fuhr sie auf. »Mein Gott, setzen Sie sich und erzählen Sie!«

Arbellez nahm bedächtig Platz und erzählte. Amy hörte ihm mit größer Spannung zu, und beide vergaßen ganz, daß sie nicht allein seien, daß in einer anderen Hängematte ein Mädchen saß, das vor der Ankunft des Haziendero beschäftigt gewesen zu sein schien, der Miß vorzulesen. Es war ihre Duenja, ihre Gesellschafterin. In Mexiko ist es nämlich eine unabweisbare Sitte, daß jede anständige Dame eine Duenja habe.

Dieses Mädchen war sehr schön. Sie war augenscheinlich eine Mestizin, das heißt, sie stammte von einem weißen Vater und einer indianischen Mutter ab. Diese Mischlinge sind gewöhnlich sehr schön, erben aber oft nur die schlechten Eigenschaften ihrer Eltern, die sie unter der glänzenden Hülle ihres Äußeren geschickt zu verbergen wissen.

Sie hielt die Augen niedergeschlagen und blickte scheinbar aufmerksam in das Buch. Aber wer sie schärfer beobachtet hätte, der konnte bemerken, daß sie den Worten des alten Mannes mit außerordentlicher Teilnahme folgte. Ihr Auge warf zuweilen durch die langen Wimpern einen blitzähnlichen Blick auf die beiden, und ihre Mundwinkel zuckten dabei zu beiden Seiten empor, daß man den herrlichen Schmelz ihrer Zähne sehen konnte. Sie hatte dabei ganz das Aussehen eines bissigen Köters, der sehr gern zufahren möchte, aber aus Furcht sich nicht getraut, es zu tun. Ein Menschenkenner hätte diesem Mädchen niemals seine Zuneigung oder gar sein Vertrauen schenken können.


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