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Die Schritte wurden deutlicher. Auch der Mexikaner lauschte und erhob sich. Drüben auf der anderen Seite des Randes wurde das Buschwerk auseinandergezogen, und die Gestalt des Rittmeisters oder Kapitäns erschien, von dem matten Schein des Feuers beleuchtet.
»Bist du toll, Mensch?« fragte er. – »Warum?« meinte der Mexikaner. – »Daß du ein Feuer brennst!« – »Oh, das sieht kein Mensch. Ich hatte Hunger und habe mir einen Braten gemacht.« – »Der Teufel hole deinen Braten! Man riecht das Feuer ja auf hundert Schritt!« – »Ja, aber auf hundert Schritt kommt nur der heran, der hier zu tun hat. Wir sind hier vollständig sicher. Kommt herab, Señor!«
Der Kapitän stieg hinab, ließ sich aber nicht bei dem Mann nieder.
»Ich darf nicht lange abwesend sein«, sagte er, »darum wollen wir es kurz machen. Wo sind deine Leute? – »Drüben hinter den Bergen im Wald.« – »Wissen sie, wo du bist?« – »Nein.« – »Hm, das ist mir lieb. Ich wünschte, so wenig wie möglich Vertraute haben zu können. Kannst du sie nicht loswerden?« – »Vielleicht. Aber kann ich denn allein verrichten, was Ihr verlangen werdet?« – »Ich hoffe es!« – »Bei derselben Bezahlung?« – »Ja. Ich gebe dir dasselbe, was ich den anderen in summa geben würde. Wenigstens das, was ich jetzt verlange, kannst du allein verrichten.« – »Was ist das?« – »Hm, ich sehe, daß du ein doppelläufiges Gewehr hast. Bist du deines Schusses sicher?« – »Ich fehle nie.« – »Du sollst zwei gute Schüsse für mich tun.« – »Ah, ich errate! Wen soll ich treffen?« – »Den Sternau und den Spanier.« – »Schön, sie sollen die Kugeln haben, aber wann und wo, das ist die Frage.« – »Das sollst du hören. Kennst du den alten Kalkbruch da hinter dem Berg?« – »Sehr gut denn eben dort sind meine Leute.« – »Die müssen fort. Morgen früh fünf Uhr habe ich ein Duell dort.« – »Caramba! Wollt Ihr Euch ermorden lassen?« – »Ohne deine Hilfe ist das sehr leicht möglich. Ich und Leutnant Pardero haben den Deutschen gefordert, und dieser Mariano ist sein Sekundant. Er hat sich zwar zweien zu stellen, aber dieser Sternau hat tausend Teufel im Leib, man muß sich vor ihm in acht nehmen. Er muß bereits vor Beginn des Duells unschädlich gemacht werden, und das sollst du tun.« – »Gern, Señor. Und der Mariano auch?« – »Ja.« – »Ich stehe zu Diensten. Sternau hat meine Kameraden abgeschlachtet; die Hölle soll ihn bekommen! Wie wünscht Ihr, daß die Sache angefangen werde?« – »Du führst deine Leute fort, damit der Platz frei wird, kehrst aber noch vor fünf Uhr zurück und versteckst dich in der Nähe. Es sind genug Bäume und Sträucher da.« – »Richtig, ich begreife! Ihr werdet Euch nicht sehr sputen, daher kommt der Deutsche mit dem Spanier eher an als Ihr, und wenn Ihr mit dem Leutnant eintrefft, so liegen die beiden mit zerschmetterten Schädeln da.« – »Nein, so nicht. Ich muß dabeisein, ich will die Kerle verenden sehen. Es muß werden wie bei einem Schauspiel auf der Bühne. Ich habe ihn auf Degen gefordert; der Leutnant kommt erst nach mir. Ich bin also der erste, und wenn Sternau mir gegenübersteht, schießt du ihn über den Haufen. Die zweite Kugel muß dann sofort den Spanier treffen.« – »Dieser Plan ist nicht übel. Aber der Lohn, Señor?« – »Den erhältst du morgen.« – »Wo?« – »Hier, wieder um Mitternacht.« – »Gut, ich bin es zufrieden, diesen Lohn werde ich allein einstecken, und Ihr könnt weiter auf mich rechnen.« – »Wann warst du bei dem Stein?« – »Erst gegen Abend.« – »Der Ort ist sicher, wir können ihn ohne Sorge vor Entdeckung weiter benutzen. Jetzt weißt du alles. Ich hoffe, daß ich mich auf dich verlassen kann. Gute Nacht!« – »Gute Nacht, Señor! Seid versichert, daß meine Kugeln ganz genau treffen werden.«
Der Rittmeister ging. Der Mexikaner schabte und biß noch ein wenig an seinen Kaninchenknochen herum, dann erhob er sich, warf die Büchse über und kletterte empor. Schnell huschte Sternau aus seinem Versteck hervor und schlich sich dahin, wo der Mann aus dem Kreis der Büsche treten mußte. Ohne die geringste Ahnung von der ihm so nahen Gefahr schob der Mexikaner die Zweige auseinander; kaum aber hatten sie sich hinter ihm geschlossen, so tauchte Sternau vor ihm auf und faßte ihn bei der Gurgel. Nicht einen einzigen Laut konnte der Mann ausstoßen. Die Kehle wurde ihm so fest zugepreßt, daß er zuerst den Atem und dann auch die Besinnung verlor. Die erst konvulsivisch sich bewegenden Arme und Beine wurden steif, und der Bewußtlose fiel zu Boden. Einige Augenblicke später war er geknebelt, gebunden und so mit Tüchern umwickelt, daß er ein steifes Paket bildete.
Sternau faßte ihn nebst seiner Büchse auf, warf sich beide auf die Schulter und kehrte nach der Hazienda zurück. Es schien alles in tiefster Ruhe zu liegen, aber Sternau traute dem Kapitän noch nicht. Dieser war ja erst vor kurzem zurück und konnte sich sehr leicht noch außerhalb des Hauses befinden. Daher wartete er wohl noch eine Stunde, ehe er sich mit seinem Gefangenen dem hinteren Plankenzaun näherte. Dort schob er erst sein lebendes Paket hinüber, und dann sprang er nach. Ebenso schob er den Gefangenen vorsichtig zu dem Fenster hinein, stieg nach und schloß es zu. Nun rekognoszierte er zunächst vorsichtig den Korridor, und als er fand, daß alle schliefen, trug er den Mexikaner nach seiner Wohnung, die er hinter sich wieder verschloß. Das Licht brannte noch, es war kein Mensch hier gewesen.
Als er seinen Gefangenen von den ihn umhüllenden Tüchern befreit hatte, bemerkte er, daß dieser die Augen mit dem Ausdruck des Schreckens auf ihn richtete.
»Ah, Bursche, du erkennst mich«, sagte er mit halblauter Stimme. »Ja, der Kapitän sagte, ich hätte den Teufel im Leib, und das muß wohl so sein, denn sonst hätte ich dich nicht in meine Hände bekommen. Hier kannst du besser schlafen als draußen. Zuvor werde ich dir einmal in deine Taschen greifen. Wer so unvorsichtig ist sich in der Nähe seiner Feinde ein Kaninchen zu braten, der ist vielleicht auch so einfältig, einen Zettel aufzubewahren, den er unter einem gewissen Stein gefunden hat.«
Sternau durchsuchte die Taschen des Mannes und fand wirklich den Zettel zusammengeknittert in einer derselben. Er steckte ihn wieder dahin zurück und sagte:
»Du sollst ihn noch bis früh behalten, denn eher brauche ich ihn nicht. Jetzt aber beschlafe dir die Frage, ob du beim Verhör leugnen oder ein Geständnis ablegen willst.«
Er umband ihn noch sorgfältiger mit Schnüren, fesselte ihn außerdem an zwei Beine des Bettes und legte sich dann in dasselbe, um einige Stunden zu schlafen. Er wurde um die richtige Zeit von Mariano geweckt, der an die Tür klopfte. Er bat diesen, unten zu warten, und erhob sich.
Es war ihm nicht eingefallen, schriftlich oder mündlich eine letztwillige Verfügung zu treffen. Er fühlte sich bereits im voraus als Sieger, untersuchte die Sicherheit seines Gefangenen, verschloß die Tür seines Zimmers und schritt mit den Pistolen so ruhig die Treppe hinab, als ob er zum Frühstück gehe.
Unten wartete Mariano. Sie schritten nach dem Stall, sattelten selbst und trabten fort. Dabei warf Mariano einen Blick nach Verdojas Fenster und bemerkte, daß dieser an demselben stand.
»Der Kapitän sieht uns reiten«, sagte er.
Sternau warf keinen Blick hinauf, sondern fragte:
»Errätst du, was er jetzt denkt?«
Die beiden Freunde nannten einander bereits du.
»Ja«, antwortete Mariano. – »Nun?« – »Er denkt, daß du ihnen nicht entkommen wirst. Wenn dich der eine nicht fällt, so gelingt es dem anderen. Der Leutnant soll ein vortrefflicher Schütze sein. Sie behandelten gestern die Angelegenheit so leicht und sorglos, daß ich überzeugt bin, sie haben nicht die mindeste Angst.«
Sternau trieb sein Pferd zu rascherem Lauf an, und als er sah, daß Mariano dasselbe tat, antwortete er:
»Auch ich bin überzeugt, daß sie sich nicht fürchten, aber aus einem anderen Grund.« – »Welcher sollte das sein?« – »Sehr einfach. Sie glauben ganz bestimmt, daß es gar nicht zum Duell kommt.« – »Ah! Warum?« – »Weil wir beide, du und ich, bereits vorher zwei tote Männer sind.« – »Ich verstehe dich nicht!« – »Du sollst mich gleich begreifen, höre.«
Sternau erzählte dem Freund die Art und Weise, wie er den Kapitän beobachtet hatte und hinter die Schliche desselben gekommen war. Mariano war erschrocken über das, was er vernahm. Eine solche Niederträchtigkeit und Bosheit schien ihm ganz unglaublich. Er fixierte wirklich längere Zeit das Gesicht Sternaus, um zu sehen, ob dieser sich vielleicht einen nicht ganz passenden Scherz mit ihm machen wollte.
»Und dies alles ist wahr, wirklich wahr?« fragte er. – »Natürlich«, antwortete Sternau. – »Und den Mörder hast du in deinem Zimmer?« – »Wie ich dir sagte, ja.« – »Wenn er nun ausbricht!« – »Er ist sehr gut gefesselt.« – »Oder wenn man ihn hört und in die Stube bringt. Er wird die Leute belügen, und sie lassen ihn frei!« – »Auch das wird nicht geschehen. Er ist so geknebelt, daß er kaum zu atmen vermag. Das Rufen ist ihm eine Unmöglichkeit. Und selbst wenn er zu stöhnen vermöchte, daß man es hört, freigeben wird man ihn doch nicht, denn man wird sich ja denken können, daß ich Gründe habe, einen Menschen in meinem Zimmer anzufesseln.« – »Seine Genossen sind nicht beim Kalkbruch?«
Jetzt horchte Sternau auf.
»Alle Teufel, das ist ja wahr, daran habe ich gar nicht gedacht!« sagte er. »Welch eine Unvorsichtigkeit! So leichtsinnig bin ich noch nicht gewesen. Ich nehme den Mann mit mir und denke nicht daran, daß es ihm nun unmöglich ist, seine Kollegen aus dem Bruch zu entfernen. Na, der Fehler wird noch auszubessern sein. Ich kenne zwar den Bruch nicht und habe mir ihn nur von einem Vaquero beschreiben lassen, aber ich glaube nicht, daß wir Gefahr laufen. Wir müssen die Kerle nur überraschen. Wir haben bereits zehn Minuten getrabt; dort liegt der Berg, links herum kommen wir an den Bruch. Wir wollen ihn im Sturm nehmen!«
Sie gaben ihren Pferden die Sporen und jagten im Galopp weiter. Nach einigen Minuten öffnete sich vor ihnen der Kalkbruch, der eine breite und nicht sehr tiefe Öffnung in den Berg bildete. Die Höhen rechts und links waren mit Bäumen bestanden, der Bruch selbst aber nur mit Gestrüpp. Er hatte vor Jahren den Kalk zum Bau der Hazienda geliefert. Als sie im Galopp den Einritt beschleunigten, erblickten sie zwei Männer, die sich vom Boden erhoben. Drei Pferde grasten zwischen den Büschen. Sternau ritt sofort einen der Männer und Mariano den zweiten nieder.
»Holla, was tut ihr hier?« rief Sternau, sich vom Pferd werfend und den Mann packend. »Wer seid ihr Strolche?« – »Oho!« antwortete der Mensch, sich das Knie reibend, das er sich beim Sturz beschädigt hatte. »Wer seid denn zuvor ihr, daß ihr es wagt, ehrliche Leute niederzureiten?« – »Wer wir sind, das weißt du genau, Halunke. Ihr habt ja den Auftrag, uns totzuschießen. Ich werde dich unschädlich machen, Bursche!«
Er schlug dem Mann die Faust gegen die Schläfe, daß derselbe zusammenbrach. Nun erst drehte er sich nach Mariano um. Dieser kniete auf dem zweiten Mann, der vollständig überwältigt unter ihm lag.
»Warte, ich werde nachhelfen!«
Mit diesen Worten eilte er hinzu und versetzte dem Mann einen ebensolchen Hieb, der auch ganz dieselbe Wirkung hatte.
»Nun fesseln, knebeln und fortschaffen, damit sie nicht gefunden werden.«
Die beiden Männer wurden mit ihren eigenen Riemen gefesselt und mit ihren eigenen Tüchern geknebelt. Dann wurden sie auf ihre Pferde mittels der Lassos festgebunden. Das dritte Pferd gehörte jedenfalls dem Anführer, den Sternau bereits um Mitternacht überwältigt hatte. Die drei Tiere wurden eine genügende Strecke, um nicht gesehen und gehört zu werden, fortgeschafft und dort an Baumstämmen festgebunden. Dann kehrten die Freunde nach dem Bruch zurück, um die Spuren von der Anwesenheit dieser Leute zu verwischen. Sie waren kaum damit fertig, so erschienen die drei Offiziere.
Man grüßte sie mit förmlicher Höflichkeit. Sternau und Mariano bemerkten mit innerlicher Genugtuung, daß der Kapitän seine Blicke forschend umherschweifen ließ. Er suchte das Dunkel der Büsche und Bäume zu durchdringen, um seinen Verbündeten zu sehen, aber es gelang ihm natürlich nicht.
Die beiden Sekundanten traten zusammen, um sich noch einmal zu besprechen. Der Sekundant der Gegenpartei hatte für Sternau einen Kavalleriesäbel mitgebracht, da dieser sich augenblicklich nicht im Besitz eines solchen befand. Er machte zunächst den Versuch, eine Versöhnung zustande zu bringen, aber der Kapitän lehnte mit stolzer Miene und Bewegung ab.
»Kein Wort weiter!« sagte er. »Mein Gegner hat die Bedingung gemacht, daß Genugtuung erst dann vorhanden sein soll, wenn einer von uns durch seine Verwundung gezwungen ist, seinen Degen fallen zu lassen. Ich habe die Bedingung akzeptiert und fühle nicht die mindeste Lust, von ihr abzugehen.« – »Und Sie, Señor Sternau?« fragte der Sekundant. – »Auch ich halte die Bedingung fest«, antwortete der Gefragte, »und das umsomehr, als sie von mir ausgegangen ist. Übrigens habe ich nur Ihnen noch eine Bemerkung zu machen, wenn Sie dieselbe gestatten.« – »Ich bitte!« sagte der Offizier. – »Ich bemerkte Ihnen bereits gestern, daß mir der Ausgang dieses Kampfes bekannt sei, und Sie glauben mir nicht. Ich werde Ihnen den Beweis liefern. Wer den Degen fallen läßt, ist besiegt. Nun wohlan, ich werde meinem Gegner die vier Finger der rechten Hand abschlagen. Es wäre mir leicht, ihn zu töten, aber ein Schuft muß gezeichnet, nicht aber getötet werden.« – »Herr!« brüllte der Kapitän. – »Pah!« antwortete Sternau mit dem Ton tiefster Verachtung. – »Señor«, erinnerte der Sekundant. »Sie selbst haben mich gestern auf die Regeln des Duells verwiesen. Ist es Sitte, seinen Gegner noch am Platz in einer solchen Weise zu beschimpfen?« – »Nein. Es ist ja nicht Sitte, sich mit einem Schurken zu schlagen, tut man es, so geschieht es nur unter dem Vorbehalt, ihn als solchen zu behandeln. Übrigens will ich jetzt Ihnen noch bemerken, daß ich meinen zweiten Gegner ebenso zeichnen werde. Unsere ersten Schüsse werden zu gleicher Zeit fallen, aber nicht treffen, auch sein zweiter Schuß trifft nicht, der meinige aber wird ihm die rechte Hand zerschmettern. Vorwärts!« – »Ja, vorwärts!« rief auch der Kapitän. »Er soll in die Hölle gehen, noch ehe er es denkt!«
Sternau antwortete ihm nicht; aber als er seinen Degen erhalten hatte und die beiden Gegner sich nun gegenüberstanden, fragte er den Sekundanten:
»Ist mir vorher noch ein Wort erlaubt?« – »Wenn es keine neue Beleidigung enthält, ja«, lautete die Antwort. – »Es enthält keine Beleidigung, sondern nur eine einfache Bemerkung, deren Wahrheit ich später beweisen werde.« – »So sprechen Sie!« – »Wohlan, der Mann, dem ich jetzt gegenüberstehe, erwartet mit großer Bestimmtheit, daß zwei Schüsse fallen werden, vielleicht von der Höhe herab oder zwischen den Büschen hervor. Der eine Schuß soll mich, der andere meinen Sekundanten treffen, der Mörder ist erkauft und soll heute um Mitternacht bei den Ladrillos für den doppelten Meuchelmord seine Bezahlung erhalten.«
Der Offizier trat einen Schritt zurück und rief zornig:
»Señor, das ist unwürdig, das ist eine neue tödliche Beleidigung.« – »Es ist die reine Wahrheit«, antwortete Sternau kalt. »Sehen Sie Ihren Kameraden, diesen Kapitän, diesen Kavalier an! Sieht er nicht leichenblaß aus vor Schreck? Sehen Sie nicht die Klinge in seiner Hand zittern? Sehen Sie nicht seine Lippen beben? Sehen Sie nicht seinen Blick stier vor Schreck und Angst? Ist dies der Anblick eines Unschuldigen?«
Der Sekundant betrachtete seinen Vorgesetzten und sagte, selbst erbleichend:
»O Dios, es ist wahr, Sie zittern, Kapitän!« – »Er lügt!« stammelte dieser. – »Und hören Sie, wie sogar seine Stimme zittert?« fragte Sternau. »Es ist die Angst. Er weiß, daß der Fürst des Felsens nicht besiegt werden kann; er weiß, daß ich Wort halten werde; er weiß, daß seine rechte Hand verloren ist. Vorwärts, beginnen wir die Komödie!«
Da raffte sich der Kapitän zusammen.
»Ja, beginnen wir!« rief er und drang sogleich auf Sternau ein. – »Halt!« rief dieser, indem er ihm mit einem gewaltigen Hieb den Degen aus der Hand wirbelte. »Noch stehen die Sekundanten nicht zu unserer Linken, und noch ist das Zeichen nicht gegeben. Passen Sie auf die Regel auf, sonst werfe ich den Degen fort und greife zur ersten besten Rute.«
Der Degen wurde wieder geholt und die Gegner legten sich aus. Mariano war ein ausgezeichneter Fechter; noch keiner hatte ihn überwunden, aber wie Sternau die in dem Degenkorb steckenden vier Finger seines Gegners von der Hand trennen wollte, das wußte er nicht; er hielt es für eine Unmöglichkeit
Jetzt wurde das Zeichen gegeben, und der Kampf begann. Der Kapitän warf sich mit wildem Mut auf Sternau; dieser aber stand da, stolz, ruhig und lächelnd, jeden Ausfall mit graziöser, aber kraftvoller Leichtigkeit parierend, bis plötzlich seine Augen aufblitzten; ein gewaltiger Hieb trieb den Arm seines Gegners zur Seite; die Klinge wandte sich blitzschnell, die Spitze derselben fuhr in den Korb hinein – ein Ausruf des Kapitäns, und der Degen desselben fiel zur Erde.
»Oh, ich Unglücklicher, meine Hand!« brüllte er.
Der Degen lag am Boden; im Korb der Waffe steckten zwei abgetrennte Finger, zwei andere lagen daneben, während der Verwundete den blutenden Stumpf in die Schöße seines Rocks grub.
Sternau zog ruhig sein Taschentuch und trocknete das Blut von der Spitze seines Degens ab. Dann wandte er sich an den Sekundanten:
»Sie sehen, daß ich Wort halte, Señor. Dieser Mann wird mit seiner Rechten niemals wieder eine Dame berühren, die es ihm nicht erlaubt.«
Da erhob der Kapitän den blutenden Stumpf und rief:
»Mensch, du bist ein Teufel, aber ich mache dich doch noch zahm!«
Sein Sekundant trat zu ihm, Leutnant Pardero auch. Sie sprachen ihm zu und gaben sich Mühe, die Blutung durch einen provisorischen Verband zu stillen. Er ließ es geschehen, indem er wilde, halblaute Drohungen gegen Sternau ausstieß. Dieser kümmerte sich nicht um dieselben. Mariano war zu ihm getreten und sagte:
»Das war ein Meisterstück, das ich nie für möglich gehalten hätte. Wirst du das andere Versprechen auch halten können?« – »Sicher«, antwortete Sternau lächelnd. – »Aber drei Schritte Barriere, und beide schießen zugleich.« – »Pah! Paß auf, wie ich dies mache! Doch tritt nicht seitwärts von mir, sondern gerade hinter mich.« – »Dann kann mich die Kugel des Gegners treffen.« – »Nein. Sie müßte ja erst mich durchbohren.« – »So soll sie seitwärts fliegen?« – »Ja, die meine und die seine.« – »Caramba, du willst auf die Öffnung seiner Pistole zielen?« – »Ja.« – »Auf seinen rechten Lauf?« – »Versteht sich.« – »Und wenn er nun den linken zuerst abschießt?« – »Das tut so ein Männchen nicht. Habe keine Sorge, es geschieht mir nicht das mindeste.«
Diese Worte waren leise gesprochen worden, so daß sie von den drei Offizieren ungehört blieben. Der Kapitän war jetzt zur Not verbunden. Er raunte Pardero zu:
»Wenn Sie diesen Hund niederschießen, quittiere ich Ihnen Ihre ganze Spielschuld!«
Pardero nickte mit dem Kopf, aber es war ein automatisches, seelenloses Nicken, eine fast unbewußte Bewegung. Er sah ebenso bleich aus wie der Kapitän vorher, und sein Auge hing voll Angst an den Sekundanten, die jetzt die Barriere markierten. Die beiden Doppelpistolen wurden sorgfältig untersucht und geladen, dann wurden sie von den Gegnern aus dem Hut gewählt. Sie stellten sich einander gegenüber, nur drei Schritte voneinander entfernt. Der Leutnant stellte sich seitwärts, Mariano aber hinter Sternau.
»Señor, welche Unvorsichtigkeit!« rief ihm der Sekundant des Gegners zu. »Sie müssen ja getroffen werden!« – »Oh, mein Freund und ich, wie sind unverwundbar«, antwortete er lächelnd.
Dennoch war er sich bewußt, daß es nur das Vertrauen in Sternaus Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit sei, die ihn veranlaßte, eine so exponierte Stellung einzunehmen. Der Kapitän stand in der Nähe, hielt seinen Arm in der improvisierten Binde und schleuderte haßlodernde Blicke auf Sternau. Er hätte sein halbes Leben, vielleicht noch mehr darum gegeben, wenn er jetzt hätte die Kugel Parderos nach dem Herzen des Feindes lenken können.
Der Leutnant erhob die Hand und zählte:
»Eins!«
Die rechten Arme der Gegner erhoben sich mit den Pistolen, die Läufe gerade auf die Brust des Gegenübers gerichtet.
»Zwei!«
Die Hand Parderos zitterte; er biß die Zähne zusammen, überwand das Beben und hielt das Auge auf die Stelle gerichtet, wo das Herz Sternaus klopfte. Gerade dorthin mußte die Kugel kommen. Auf drei Schritte Entfernung konnte gar nicht gefehlt werden, kein Zoll breit, nicht den Gedanken eines Haares breit. Und diese Überzeugung gab ihm seine Ruhe und sein Selbstvertrauen zurück; die beiden Mündungen seiner Waffe starrten fest und unverrückbar, als ob sie auf einer granitenen Unterlage ruhten, nach dem Herzen des Gegners. Dieser aber, Sternau, stand hoch und stolz vor ihm mit einem überlegenen Lächeln auf den Lippen.
»Drei!«
Das war das Todeswort. Sternau hatte seinen festen Blick nicht vom Auge Parderos verwandt, dennoch richtete sich seine Waffe bei dem letzten Kommandowort von dessen Brust mit Gedankenschnelle weg auf dessen Waffe. Die beiden Schüsse krachten. Parderos Hand wurde samt der Pistole zurückgeschleudert; Sternaus zweiter Schuß blitzte auf, nur einen Augenblick später auch derjenige seines Gegners, aber dieser stieß einen Schrei aus und ließ die Pistole sinken. Zu gleicher Zeit stöhnte auch der Kapitän dort an seinem Busch.
»Meine Hand!« rief der Leutnant. – »Ich bin getroffen!« schrie der Kapitän. – »Unmöglich!« rief der Sekundant und eilte zu ihm. – »Es ist so«, sagt Sternau ruhig. »Señor Pardero hatte keine feste Hand. Meine erste Kugel ging nach seinem Lauf, warf denselben zurück und diagonalisierte mit der seinigen zur Seite. Meine zweite Kugel zerschmetterte seine Hand, und so ging seine zweite ab, rückwärts hinter mich und, wie ich sehe, in den bereits verwundeten Arm meines ersten Gegners. Wer sich schießen will, muß etwas gelernt haben, und wer den Mut hat, Damen zu beleidigen, der muß den Mut haben, die Folgen zu tragen. Ich habe die Gewohnheit, solchen Leuten die rechte Hand zu nehmen. Adieu, Señores!«
Er steckte die beiden abgeschossenen Pistolen zu sich und schritt nach seinem Pferd. Da stellte sich ihm der Sekundant in den Weg und sagte:
»Herr, Sie sind Arzt?« – »Ich hatte bereits gestern die Ehre, es Ihnen zu sagen.« – »Nun wohl, hier sind zwei Verwundete.« – »Ich pflege nicht Wunden zu heilen, die ich schlage, weil sie verdient worden sind; so ähnlich sprach ich mich gestern aus. Übrigens ist die zweite Wunde Ihres Freundes eine einfache Fleischwunde, wie ich bereits aus der Haltung seines Armes sehe, sie hat nichts zu bedeuten. Vielleicht hütet er sich später vor Freunden, die auf ihn schießen, während vom Feind sein Leben geschont wird. Adieu!«
Sternau stieg auf und ritt davon, Mariano folgte ihm. Die drei Offiziere blieben zurück. Pardero stand da mit zerschmetterter Hand, und Verdoja ließ sich den Ärmel aufschneiden und seine Schußwunde verbinden. Ihre Flüche und Verwünschungen folgten den Davonreitenden nach.
Diese kümmerten sich nicht darum, sondern suchten den Ort auf, wo sie ihre Gefangenen verwahrt hatten.
»Wie ist mir jetzt das Herz so leicht«, meinte Mariano. »Ich kam nicht ohne Besorgnis zum Rendezvous.« – »Du hast mich noch nicht gekannt«, meinte Sternau heiter. »Jetzt aber laß uns eilen, daß wir die Hazienda eher erreichen als sie, sonst kommen wir um eine Überraschung, auf die ich mich ganz außerordentlich freue.«
Sie fanden die drei Pferde noch an den Bäumen, banden sie los, nahmen sie bei den Zügeln und galoppierten davon. Die beiden Gefangenen waren so fest auf ihre Tiere gebunden, daß sie sich kaum regen konnten. Unterwegs nahm ihnen Sternau die Knebel aus dem Mund.
»Ihr redet kein Wort«, befahl er ihnen, »sonst jage ich euch eine Kugel durch den Kopf. Ich will euch sogar die Hände freigeben, doch nur unter der Voraussetzung, daß ihr euch stets hart vor uns haltet. Es geht nach der Hazienda del Erina.«
Er knüpfte ihnen auch die Handfesseln auf, so daß sie nun die Zügel regieren konnten. Sie waren nur noch mit Stricken befestigt, die von dem einen ihrer Füße unter dem Pferd hinweg nach dem andern liefen. Dies war nicht nur eine Gnade, sondern auch eine Vorsichtsmaßregel von Sternau. Er wollte die bei der Hazienda lagernden Lanzenreiter nicht wissen lassen, daß er Gefangene bringe, das hätte dann der Kapitän zu früh erfahren. Gab er den beiden Männern also die Zügel frei, so hatten sie das Aussehen freier Begleiter und konnten sehr leicht für Leute gehalten werden, die zur Hazienda gehörten.
Es ging im Galopp dieser letzteren zu. Das Tor stand, wie jetzt gewöhnlich, offen, und so ritten sie in den Hof ein, ohne von den Soldaten beachtet zu werden.