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Sternau unternahm jetzt einen Morgenspaziergang hinaus nach den Weideplätzen, fing sich eines der Pferde und galoppierte auf demselben eine Strecke in die Savanne hinein; dann kehrte er wieder zurück. Er gab das Pferd frei und schritt zu Fuß der Hazienda zu. Unter dem Tor begegnete ihm der Leutnant Pardero.
»Ah, Señor Sternau!« sagte dieser, stehenbleibend und in einem nicht eben höflichen Ton. »Ich habe Sie gesucht!« – »Weshalb?« fragte Sternau kurz. – »Ich muß mit Ihnen sprechen!« – »Sie müssen?« meinte der Deutsche in einem verwunderten Ton. »Heißt das vielleicht, das ich gezwungen bin, Sie anzuhören?« – »Allerdings«, lautete die spöttische Antwort. – »Nun ja, ein gebildeter Mann verweigert keinem anderen das Gehör, vorausgesetzt, daß die nötigen Höflichkeiten nicht vernachlässigt werden. Unter dem Torweg erteile ich keine Audienz. Haben Sie mich zu sprechen, so kommen Sie nach meinem Zimmer.«
Der Leutnant verfärbte sich, trat einen Schritt zurück und erwiderte:
»Sie sprechen so hochmütig von Audienzen. Halten Sie sich für ein gekröntes Haupt?« – »Pah! Ich verstehe Audienz in weiterem Sinne, bei der es sich um eine Unterredung zwischen einem höher und einem niedriger Gestellten handelt. Sie werden mir doch zugeben, daß unsere Stellungen in bürgerlicher, intellektueller und moralischer Beziehung sich nicht gleich sind. Ich werde dennoch bereit sein, Sie anzuhören.«
Er wandte sich zum Gehen, doch der Leutnant faßte ihn hastig beim Arm und fragte mit drohender Miene:
»Meinen Sie etwa, daß ich moralisch unter Ihnen stehe?« – »Ich meine niemals etwas, sondern ich sage stets nur das, von dessen Wahrheit ich vollständig überzeugt bin. Nehmen Sie übrigens Ihre Hand von meinem Arm, ich liebe derartige Berührungen nicht.«
Er schüttelte die Hand des Spaniers von sich ab und ging fort. Der Leutnant fühlte sich durch den Ton und den Blick des Deutschen eingeschüchtert; er ließ ihn gehen, verfolgte ihn aber mit flammenden Augen und murmelte:
»Prahler, das sollst du büßen! Diese Deutschen sind wie die Maulesel; tragen geduldig und ohne Mut und ohne Ehrgefühl die größten Lasten, rappelt es aber einmal in ihrem Kopf, so werden sie störrisch und ungezogen, man kann sie dann nur durch Prügel zähmen. Und dieses Experiment werde ich hier anwenden. Wir wollen doch einmal sehen, ob dieser Sternau so stolz bleibt, wenn er erfährt, um was es sich handelt.«
Er wartete ein kleines Weilchen und begab sich sodann nach der Wohnung Sternaus. Dieser hatte ihn erwartet; er ahnte, welchen Gegenstand die Unterredung betreffen werde, und empfing den Eintretenden mit einer kalten, aber höflichen Verbeugung.
»Sie sehen, Señor, daß ich komme«, sagte der Spanier mit einem höhnischen Lächeln.
Sternau nickte.
»Zur Audienz«, fügte der Spanier hinzu.
Sternau nickte abermals, ohne ein Wort zu sagen.
»Darum hoffe ich, daß ich jetzt Gehör finden werde!« fügte Pardero drohend hinzu. – »Jedenfalls, wenn Sie sich anständig betragen«, antwortete der Deutsche.
Da brauste der Spanier auf.
»Herr, haben Sie mich einmal unanständig gesehen?« – »Kommen wir zur Sache, Señor Pardero!« entgegnete Sternau eiseskühl. – »Gut, wir können ja diesen Gegenstand einstweilen fallenlassen. Aber ich bin nicht gewöhnt, stehend mich zu unterhalten!«
Der Spanier blickte nach einem der vorhandenen Stühle. Sternau tat, als habe er den Blick gar nicht bemerkt, und antwortete mit einem sarkastischen Lächeln:
»Von einer Unterhaltung ist hier keine Rede, sondern von einer Audienz. Der Empfangene hat sein Gesuch stehend vorzutragen. Ist dies gegen Ihren Geschmack, so muß ich die gegenwärtige Zusammenkunft für beendet erklären.«
Hatte Sternau bei diesen Worten beabsichtigt, den Spanier auf das tiefste zu beleidigen, so war es ihm vollständig gelungen. Parderos Gesicht flammte von der Röte des Zorns, seine Augen glühten, und seine Stimme zitterte, als er antwortete:
»Señor, ich fühle mich nicht mehr in der Lage, Sie für einen Kavalier zu halten!« – »Ihre Lage ist mir vollständig gleichgültig«, lächelte Sternau. »Aber bitte, kommen Sie zur Sache. Ich bin nicht gewillt, mich für einen Schwätzer halten zu lassen.«
Pardero wollte aufbrausen, als er aber sah, daß Sternau sogleich nach dem Hut griff, um sich zu entfernen, bezwang er sich und sagte mit möglichster Gelassenheit:
»Ich komme im Auftrag meines Vorgesetzten, Kapitän Verdoja.«
Als Sternau keine Miene machte, diese Einleitung mit einem Wort zu beantworten, fuhr der Spanier leichthin fort:
»Gestehen Sie, daß Sie ihn beleidigt haben?«
Sternau zuckte die Schultern und erwiderte lächelnd:
»Sie scheinen nicht gewohnt zu sein, Ihre Ausdrücke treffend zu wählen. Gestehen kann nur ein Verbrecher dem Richter gegenüber, und ich bin ebensowenig das erstere, wie Sie das andere sind. Von einem Geständnis meinerseits kann also keine Rede sein. Übrigens habe ich diesen Mann nicht beleidigt, sondern niedergeschlagen. Vielleicht ist das Ihrer Ansicht nach eine Beleidigung im Komparativ oder gar im Superlativ.« – »Ja«, rief der Leutnant, »das ist es allerdings. Der Kapitän fordert Genugtuung!« – »Ah!« dehnte Sternau mit gut gespielter Verwunderung. »Genugtuung? Und diese fordert er durch Sie?« – »Wie Sie hören.« – »Hm! Sind Ihnen die Regeln des Duells bekannt, Señor Pardero?« – »Zweifeln Sie daran?« – »Ja.« – »Donnerwetter!« – »Bitte, ich bin nicht gewöhnt, in meinem Zimmer dergleichen Ausdrücke zu vernehmen. Ich zweifle an Ihrer Kenntnis der Duellgesetze, weil Sie sich zum Kartellträger in einer Angelegenheit hergeben, die nichts weniger als ehrenvoll für Sie sein kann. Ist Ihnen die Veranlassung zu dem Hieb bekannt, den Kapitän Verdoja von mir erhalten hat?« – »Vollkommen«, antwortete der Gefragte mit vor Wut bebender Stimme. – »Nun, dann verachte ich Sie! Ich schlug den Kapitän nieder, weil er eine anständige Dame beleidigte, die sogar die Tochter seines Gastfreundes war. Wer sich zur Vermittlung eines solchen Falles hergibt, der ist in meinen Augen nicht nur eine moralische Null, sondern er ist sogar ein ganz bedeutendes sittliches Minus.«
Da griff der Spanier nach seinem Degen, zog die Klinge halb heraus und rief:
»Was sagen Sie? Was wagen Sie? Ich werde ...« – »Nichts werden Sie!« sagte Sternau ruhig, aber diese Ruhe war diejenige vor dem Donnerschlag. In seinen Augen blitzte ein Wetterleuchten auf, das auch einen mutigeren Mann, als der Leutnant war, hätte erschrecken können. Er fuhr fort: »Nehmen Sie die Hand vom Degen, sonst zerbreche ich ihn vor Ihren Augen! Es kann mich eigentlich nicht wundern, daß Sie die Botschaft des Kapitäns übernommen haben, denn Sie sind ein ebenso großer Schurke wie er. Sie haben ...« – »Halt!« schrie der Leutnant, den die Wut jetzt übermannte. »Sagen Sie noch ein solches Wort, so durchbohre ich Sie! Wollen Sie mir sogleich diesen Schurken abbitten?«
Er zog den Degen vollends heraus und holte zum Stoß aus. Sternau stellte sich ihm gemütlich gegenüber, schlug die Arme über der breiten, mächtigen Brust zusammen und sagte:
»Gut, wenn Sie es wünschen, so bitte ich Ihnen den ›Schurken‹ ab. Es ist wahr; Sie sind kein Schurke, sondern ein Doppelschurke, ein elender!«
Der Eindruck dieser Worte war kein augenblicklicher. Der Spanier stand ganz steif, er konnte im ersten Moment sich gar nicht fassen und seinen Gegner gar nicht begreifen, dann aber stieß er einen heiseren Schrei der Wut aus und zückte den Degen. Aber in demselben Augenblick befand sich die scharfe, spitze Waffe in der Hand des Deutschen; der Spanier wußte gar nicht, wie sie ihm entwunden worden war. Sternau bog die Klinge zweimal zusammen und warf die drei Stücke dem Leutnant vor die Füße.
»Hier haben Sie Ihren Apfelschäler!« sagte er lachend. »Sie haben Señorita Karja ebenso beleidigt, wie Ihr Kapitän Señorita Emma beleidigte. Es ist ein Schurke so groß wie der andere. Wenn Sie mein Zimmer nicht sofort verlassen, werfe ich Sie zum Fenster hinaus.«
Er streckte seinen Arm drohend nach dem Gegner. Dieser schlüpfte gewandt unter demselben hinweg und sprang nach der Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und rief, dem Deutschen die geballte Faust entgegenstreckend:
»Das sollen Sie büßen, und zwar bald, bald! Sie werden sich mit zweien zu schlagen haben, anstatt nur mit einem, und wenigstens einer von uns wird Sie töten, wenn Sie nicht geradezu den Teufel im Leib haben.«
Er eilte zur Tür hinaus. Sternau brannte sich ruhig eine Zigarette an und wartete nun gleichmütig der Dinge, die da kommen sollten. Seine Geduld sollte nicht lange auf die Probe gestellt werden, denn bereits nach einer kleinen Viertelstunde klopfte es an seiner Tür, und auf sein lautes »Herein!« trat der andere Leutnant durch die geöffnete Tür, verbeugte sich sehr höflich und sagte in einem ebenso höflichen Ton:
»Verzeihung, Señor Sternau, daß ich Sie störe! Können Sie sich mir auf höchstens fünf Minuten widmen?« – »Gern, Señor. Bitte, nehmen Sie Platz, und bedienen Sie sich einer Zigarette!«
Der Offizier war ganz überrascht über diese Freundlichkeit. Leutnant Pardero hatte ihm von dem Verhalten Sternaus erzählt, und anstatt in diesem einen Wüterich zu finden, wurde er mit solcher Höflichkeit empfangen. Was ein europäischer Offizier als Kartellträger unterlassen hätte, der Leutnant tat es, er nahm eine Zigarette und ließ sie sich von Sternau in Brand stecken. Eigentlich mußte ihm die Veranlassung seines Besuchs doch verbieten, sie anzunehmen. Als beide nun einander gegenübersaßen, begann der Offizier.
»Aufrichtig gestanden komme ich nicht gern zu Ihnen, Señor; denn die Angelegenheit, die mich zu Ihnen führt, ist eine feindliche.«
Er hielt inne und blickte Sternau erwartungsvoll an. Dieser wollte Ihm das Schwierige seiner Lage erleichtern und sagte daher mild:
»Sprechen Sie getrost, Señor! Ich bin jedenfalls auf das, was Sie mir bringen, bereits genugsam vorbereitet.« – »Nun, ich komme im Auftrag der Señores Verdoja und Pardero, die von Ihnen beleidigt zu sein glauben.«
Sternau nickte leichthin.
»Sie gebrauchen den richtigen Ausdruck«, sagte er. »Die Señores glauben, von mir beleidigt zu sein, aber im Gegenteil sind diese beiden es, die zwei Damen beleidigten, die sich ohne Schutz befanden, dann aber in mir den Rächer fanden. Señor, Sie bringen mir nun eine Aufforderung zum Zweikampf?« – »Ja, Señor Sternau.« – »Und mit wem soll ich mich schlagen?« – »Mit beiden.« – »Hm! Das tut mir leid um Ihretwillen, denn Sie sind der Abgesandte von Männern, die ich nicht achten kann. Übrigens brauche ich die Forderung gar nicht anzunehmen, da man sich nur mit Ehrenmännern schlägt. Aber ich will Sie, der Sie höflich zu mir sprachen, nicht kränken, und ebenso will ich bedenken, daß ich mich gegenwärtig in einem Land befinde, in dem der Ehrbegriff vielleicht noch nicht die notwendige Läuterung erfahren hat, und darum will ich mich zu der Forderung bekennen. Haben die beiden Herren bereits Wünsche in Beziehung auf das Arrangement ausgesprochen?« – »Allerdings.« – »Nun?« – »Der Kapitän wünscht, sich auf Degen zu schlagen, der Leutnant aber auf Pistolen.« – »Das glaube ich!« lachte Sternau fröhlich. »Ich habe des Leutnants Säbel zerbrochen; er weiß also, daß ich mit dieser Waffe umzugehen verstehe, und wählt daher Pistolen. Ich will den beiden Herren die Erfüllung ihrer Wünsche zugestehen, aber nur unter zwei Bedingungen.« – »Ich will sie hören, Señor.« – »Ich schlage mich mit dem Kapitän auf Degen, bis einer von uns durch eine Wunde gezwungen ist, den Degen fallen zu lassen.« – »Dies wird vielleicht zugestanden.« – »Und mit dem Leutnant schieße ich mich über die Barriere mit zwei geladenen Läufen. Die Barriere ist drei Schritte, und jeder hat zwei Kugeln.« – »Mein Gott, Señor, auf diese Weise gehen Sie einem sicheren Tod entgegen!« warnte der Offizier. »Wenn Sie dem Kapitän entkommen, werden Sie doch dem Leutnant nicht entgehen, der der beste Pistolenschütze ist, den ich kenne.« – »Vielleicht gibt es noch bessere, als er ist«, lachte Sternau. »Haben Sie bereits einmal von berühmten Schützen, Jägern und Savannenmännern gehört, Señor?« – »Oh, sehr oft!« – »Können Sie mir die Namen einiger sagen?« – »Nun, ich habe gehört von Sans-ear, von Shatterhand, von Firehand, von Winnetou, von dem berühmten Fürsten des Felsens und von ...« – »Halt, Señor, glauben Sie, daß dieser Fürst des Felsens eine Pistole zu führen versteht?« – »Besser wie jeder andere«, meinte der Spanier rasch. – »Nun, dieser Fürst des Felsens bin ich. Haben Sie also keine Sorge, daß ich mich vor Ihrem Leutnant fürchte. Ich teile Ihnen vielmehr mit, daß ich das Resultat des Doppelduells bereits jetzt kenne.«
Der Spanier blickte ihn überrascht an.
»Daß Sie der Fürst des Felsens sind, weiß ich ja, und wie Sie schießen, das weiß ich ebensogut«, entgegnete er. »Aber Sie sind ja auch nur ein Mensch. Ein kleiner Unfall kann Ihnen verderblich sein. Wie wollen Sie das Resultat des doppelten Zweikampfs vorher wissen?« – »Ich würde Ihnen dieses Resultat jetzt mitteilen, wenn Sie nicht der Sekundant meiner Gegner wären, doch vor Beginn des Duells werde ich Ihnen beweisen, daß ich die Wahrheit sagte. Das übrige besprechen Sie gütigst mit Señor Mariano, der so freundlich sein wird, mir zu sekundieren.« – »Und Zeugen, Unparteiische?« – »Brauchen wir nicht!« – »Einen Arzt?« – »Auch nicht. Arzt bin übrigens ich selbst, werde aber meinen Gegnern nicht die mindeste Handreichung leisten.« – »Bedenken Sie, Señor, daß auch Sie verwundet werden können!« sagte der Leutnant. – »Pah, von diesen beiden Männern ist keiner imstande, mich zu verwunden!«
Mit diesen Worten wandte Sternau sich stolz ab, und der Offizier ging. Als dieser fort war, suchte Sternau Mariano auf, um ihn von dem Stand der Sache zu unterrichten. Der junge Mann war bereit, Sekundant zu sein, und ging, um den Sekundanten der beiden Gegner aufzusuchen. Es dauerte nicht lange, so kehrte er wieder zurück und meldete, daß die Bedingungen Sternaus angenommen worden seien. Dieser letztere hatte als der Geforderte das Recht, seine eigenen Pistolen mitzubringen, und da er derselben ganz und gar sicher war, so fühlte er sich des Erfolges völlig gewiß.
Von diesem Augenblick kam er nicht vom Fenster seines Zimmers. Er wußte, was nun geschehen werde, und behielt den Ausgang der Hazienda im Auge. Um die Zeit der Mittagshöhe schwang der Kapitän sich auf sein Pferd und ritt davon. Sternau ahnte, daß er die Absicht habe, einen Brief unter den Stein zu stecken, und ließ auch sich sein Pferd vorführen. Kaum war der Kapitän am nördlichen Horizont verschwunden, so sprengte Sternau nach Süden davon. Beide hatten die Absicht, andere irrezuleiten, denn der Ort, wo sich der Stein befand, lag nach Westen.
Sobald Sternau nicht mehr gesehen werden konnte, lenkte er nach Westen ein und spornte sein Pferd zur größten Schnelligkeit an. Es lag ihm daran, eher dazusein als der Kapitän. Da sich aber dessen Helfershelfer in der Nähe befinden konnten, so war die größte Vorsicht geboten. Je näher er kam, desto aufmerksamer wurde er, er vermied alles freie Terrain und hielt sich sorgfältig gedeckt Endlich stieg er vom Pferd, führte dasselbe in ein Gebüsch und band es dort an. Dann setzte er seinen Weg zu Fuß fort.
In der Nähe des Steins angekommen, legte er sich auf die Erde und kroch leise mit der äußersten Vorsicht weiter fort. Endlich erblickte er ihn, und nun umkroch er ihn in einem weiten Kreis. Er gewann die Überzeugung, daß kein Lauscher in der Nähe sei, und suchte sich nun ein Versteck.
Kaum zehn Schritt von dem Baum entfernt, stand eine nicht zu hohe Zeder, deren dicht behangene Äste nicht schwer zu erreichen waren. Er schwang sich empor, und es gelang ihm, sich so gut zu verbergen, daß er unmöglich gesehen werden konnte.
Dies war kaum geschehen, so erklang der Hufschlag eines Pferdes. Das Geräusch verstummte draußen vor den Bäumen. Ein Mann sprang aus dem Sattel und schritt eilig auf den Stein zu, hob ihn halb empor und legte einen zusammengefalteten Zettel darunter. Dann brachte er den Stein in seine ursprüngliche Lage zurück, ging zum Pferd, schwang sich auf und ritt davon.
Im Nu war Sternau vom Baum herab, holte den Zettel heraus, faltete ihn auseinander und las:
»Heute gerade um Mitternacht bei den Ladrillos. Aber ganz bestimmt; es ist sehr notwendig. Morgen sind wir am Ziel.«
Eine Unterschrift war nicht vorhanden. Verdoja hatte eine solche nicht nur für überflüssig, sondern sogar für gefährlich gehalten. Sternau legte den Zettel genau wieder so zusammen, wie er erst gewesen war, und steckte ihn unter den Stein, vernichtete darauf seine Spuren und kehrte dann nach seinem Pferd zurück, das er bestieg, um im Galopp die Hazienda aufzusuchen.
Als er sie erreichte, war der Kapitän noch nicht wieder da; er kehrte erst nach geraumer Zeit zurück und hatte keine Ahnung, daß sein Geheimnis bereits verraten sei. Vielleicht erfuhr er gar nicht, daß Sternau die Hazienda verlassen gehabt hatte.
Ladrillos ist ein spanisches Wort und bedeutet zu deutsch Ziegelsteine. Die Urbewohner Mittelamerikas bauten nämlich ihre Pyramiden und Städte meist aus in der Sonne gedörrten Back- oder Ziegelsteinen, die von ihnen Adobes genannt wurden, bei den Spaniern aber Ladrillos hießen. Man findet noch heute die Ruinen solcher Adobesstädte und bewundert die Kunst, mit der jene Urvölker zu bauen verstanden. Hier und da trifft man im Urwald, mitten in der Savanne oder in einer Felseneinöde ein einsames, halb oder auch ganz zerfallenes Gemäuer, das aus solchen Ladrillos gesteht und als Zeuge dient, daß früher diese Einöden bewohnt und bebaut waren.
Auch in der Nähe der Hacienda del Erina gab es eine solche Ruine. Sie lag, höchstens eine halbe Stunde von dem Haus entfernt, mitten in einem Felsengewirr und wurde von Domen und Schlingpflanzen so überwuchert, daß sie ganz unzugänglich war. Aber kurz vor der eingefallenen Frontmauer des einstigen Gebäudes befand sich ein rundes Loch, gerade so, als ob hier ein Schacht ausgefüllt worden sei. Dieses Loch war zugänglich und von dichtem Gebüsch umstanden, und Sternau glaubte sicher annehmen zu dürfen, daß die Zusammenkunft hier stattfinden werde.
Er sagte keinem Menschen ein Wort von dem, was er wußte, und saß im Verlauf des ganzen Nachmittags bei dem Kranken, der sich ganz wohl fühlte und seine Erinnerung so vollständig wiedererhalten hatte, daß er ihm sein Abenteuer in der Höhle des Königsschatzes erzählen konnte. Emma brachte die Kostbarkeiten herbei, und Sternau konnte den Reichtum bewundern, durch den der einst so arme Jäger zum Millionär geworden war.
Emma schwebte in Wonne, den Geliebten so wohl zu sehen. Sie hoffte auf ein baldiges Glück und sagte, auf den Steuermann Helmers deutend, zu dem Kranken:
»Eigentlich brauchst du diesen Reichtum gar nicht, denn die Hacienda del Erina wird uns gehören. Solltest du da nicht mit deinem Bruder teilen?«
Der Kranke nickte lächelnd und erwiderte:
»Bruder, was ich habe, gehört auch dir. Sprachst du nicht gestern von einem Sohn, den du hast?« – »Ja. Ich habe Weib und Kind zu Hause«, antwortete der Steuermann.
Er erzählte nun von den Seinen und wurde in dieser Schilderung von Sternau reichlich unterstützt. Der Kranke hörte aufmerksam zu und sagte:
»Dieser Knabe ist ein Wunderkind und muß eine entsprechende Ausbildung erhalten. Du hast an deinem Landesherrn und dem Oberförster zwei mächtige Gönner, aber das ist doch immer eine Abhängigkeit. Du mußt die nötigen Mitteln von mir annehmen, ich bin ja dein Bruder, der Oheim deines Knaben, und darf dir eine Gabe anbieten, ohne dich zu beleidigen.«
Der brave Steuermann wies das von sich ab, aber die Anwesenden waren alle gegen ihn, und auch der Haziendero Pedro Arbellez zeigte dieselbe Gesinnung wie die übrigen. Und so wurde halb im Scherz und halb im Ernst beschlossen, daß die Hälfte des Teiles, den Helmers vom Königsschatz erhalten hatte, dem kleinen Kurt Helmers in Rheinswalden gehören solle.
Gegen Abend fühlte sich der Patient wieder ermüdet und schlief ein. Während Emma bei ihm blieb, gingen die anderen zum Abendbrot. Die Offiziere waren nicht dabei. Nach dem, was vorgefallen war, hielten sie es geraten, ganz zurückgezogen auf ihren Zimmern zu speisen.
Nach dem Essen sagte Sternau, daß ihn einige Arbeiten nötigten, ungestört in seiner Wohnung zu bleiben. Er wollte nicht haben, daß man seine Abwesenheit bemerke. Er wartete den geeigneten Augenblick ab, steckte Waffen, Tücher und Riemen zu sich und schlich sich in eins der Zimmer, die nach dem Hof lagen und unbewohnt waren. Er hatte in dem seinigen das Licht brennen lassen, damit man glauben solle, daß er anwesend sei, aber von außen die Tür verschlossen, daß niemand das Gegenteil bemerke. Er öffnete das Fenster, stieg hinaus und zog es wieder zu, dann schlich er sich über den Hof und schwang sich über den Palisadenzaun.
So gelangte er glücklich ins Freie, ohne bemerkt worden zu sein, umging die Hazienda und schlug die Richtung nach den Ladrillos ein.
Es war zwar dunkel, aber sein geübtes Auge erkannte die Umgebung so gut, daß er nicht zu befürchten brauchte, die Richtung zu verfehlen. Er hatte während seiner Wanderungen durch die Wildnis gelernt, unhörbaren Schrittes zu gehen. So hätte auch heute nur dann einer ihn bemerken können, auf den er geradezu gestoßen wäre. Als er glaubte, den Ladrillos nahe gekommen zu sein, verdoppelte er seine Vorsicht und bewegte sich schließlich nur in kriechender Stellung vorwärts.
Plötzlich hielt er an und sog die Luft mit geöffneten Nasenflügeln ein.
»Was ist das?« sagte er. »Das ist ein brenzlicher Geruch, untermischt mit dem Duft von gebratenem Fleisch. Ich glaube gar, dieser Kerl ist so dumm oder so verwegen, ein Feuer zu brennen. Auf ebener Erde aber kann das nicht sein, denn dann müßte man es bemerken. Es ist nahe von hier, denn der Bratengeruch geht nicht weit. Wollen doch sehen!«
Er kroch dem Geruch nach und gelangte bald an das weiter oben beschriebene Loch. Es hatte höchstens zwanzig Fuß im Durchmesser und zehn Fuß in der Tiefe. Am Rand standen Büsche, unter denen Sternau sich versteckte.
*
Er sah nun den Mann, der unten bei einem kleinen Feuer saß und sich ein wildes Kaninchen briet. Mitternacht war gar nicht mehr fern, und Sternau machte es sich so bequem wie möglich in seinem Versteck. Der Mann begann, sein Kaninchen zu verspeisen, und zwar mit einem solchen Appetit, daß bald nichts mehr übrig war. Er hatte eine Doppelbüchse neben sich liegen und ein Messer im Gürtel. Seine Gestalt war zwar kräftig und untersetzt gebaut, aber Sternau sah, daß es ihm nicht schwerfallen werde, diesen Menschen ohne großes Geräusch zu überwältigen.
So wartete er, bis es ihm vorkam, als ob er leise Schritte vernehme. Er war so klug gewesen, sich entgegengesetzt von der Seite zu verbergen, nach der die Hazienda lag, daher brauchte er sich nicht zu sorgen, von dem Nahenden bemerkt zu werden.