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9. Kapitel.

»Es lag auf meinem Geist ein Alp,
Nicht zentner-, sondern bergesschwer.
Der Wahnsinn legte dicht und falb
Um mich sein ödes Nebelmeer.

Ich bebte, dennoch war ich tot;
Es schlug mein Herz, doch fühlt' es nichts;
Und mitten in des Morgens Rot
Stand ich, beraubt des Tageslichts.

Und nun ich endlich aufgewacht,
Da hör' ich in mir fort und fort
Von früh bis spät, bei Tag und Nacht
Nur der Vergeltung blutig Wort.«

Nicht einen Tag, sondern zwei Tage später hielten drei tüchtige, kraftvolle Pferde vor dem Palazzo des Lords, während drin in der Wohnung selbst Abschied genommen wurde.

»Also wie lange gedenken Sie auszubleiben, Doktor?« fragte Lindsay. – »Wer kann dies unter den gegenwärtigen Umständen bestimmen?« lautete die Antwort. »Wir kommen so bald wie möglich zurück.« – »Das hoffe ich. Schont die Pferde nicht, es laufen ihrer tausende auf der Weide herum. Haben Sie noch einen Wunsch?« – »Ja, Mylord. Man weiß nicht, was einem in diesem Land begegnen kann. Nehmen Sie sich, wenn sich meine Rückkunft verzögern sollte, meiner Jacht und ihrer Bemannung an.« – »Das werde ich tun, obgleich ich nicht befürchte, daß ich Veranlassung dazu haben werde. Leben Sie wohl!«

Sternau und Helmers saßen bereits zu Pferd, als Mariano noch immer oben an der Treppe stand und sich von Amy gar nicht trennen konnte. Endlich kam er, und nun ging es fort, zur Stadt hinaus, auf ganz demselben Weg, den zwei Tage vorher Cortejo eingeschlagen hatte.

Sternau hatte vorgezogen, ohne Diener und Führer zu reisen. Er hatte eine Karte von Mexiko bei sich, die war ihr Führer, und obgleich keiner von den dreien diesen Weg bereits einmal zurückgelegt hatte, verirrten sie sich doch nicht ein einziges Mal.

Es mochte noch eine kleine Tagereise von der Hazienda sein, als sie über eine mit einzelnen Gebüschinseln bestandene Ebene ritten. Sternau war der Erfahrenere von den dreien; es entging ihm kein gebrochener Halm, kein abgeknickter Zweig, kein von seinem Platz gestoßenes Steinchen. Da sagte er plötzlich, während sie lautlos dahinritten, zu seinen beiden Gefährten:

»Wendet den Kopf jetzt weder nach rechts noch links, aber schielt einmal nach dem dichten Seifenbaumstrauch dort rechts am Wasser.« – »Was gibt's?« fragte Mariano. – »Dort liegt ein Mensch auf der Lauer, und sein Pferd ist hinter ihm angebunden.« – »Ich sehe nichts.«

Auch Helmers versicherte dasselbe.

»Das glaube ich. Es gehört Übung und Erfahrung dazu, in diesem Dickicht bereits von weitem einen Mann und ein Pferd zu unterscheiden. Sobald ich meine Büchse empornehme, tut ihr es auch, schießt aber nicht eher, als bis ich selbst schieße.«

Sie ritten nun weiter, bis sie sich parallel mit dem Buschwerk befanden, da aber hielt Sternau plötzlich sein Pferd an, riß die Flinte vom Rücken und legte auf das Gebüsch an. Auch die beiden anderen folgten seinem Beispiel.

»Holla, Señor, was sucht Ihr da drin an der Erde?« rief er hinüber.

Ein kurzes, rauhes Lachen erscholl, und dann hörte man die Worte:

»Was geht das Euch an?« – »Sehr viel«, antwortete Sternau. »Kommt doch einmal hervor, wenn Ihr so gut sein wollt!« – »Ist das Euer Ernst?« lachte es zurück. – »Ja doch!« – »Na, so will ich Euch den Gefallen tun.«

Die Büsche teilten sich, und es trat ein Mann hervor, der in starkes Büffelfell gekleidet war. Sein Gesicht trug die Spuren indianischer Abstammung, aber seine Kleidung hatte den Schnitt, wie ihn die Ciboleros – Büffeljäger – lieben. Bewaffnet war er mit einer Büchse und einem Messer. Der Mann sah ganz so aus, als ob er sich in seinem Leben noch niemals gefürchtet habe. Sobald er das Gebüsch verlassen hatte, folgte ihm sein Pferd von selbst.

Er überflog die Gruppe der drei Männer mit bohrenden Augen und sagte:

»Hm, das war nicht übel gemacht, Señores! Man möchte fast denken, daß Ihr bereits in der Prärie gewesen wäret.«

Sternau verstand ihn sofort, aber Mariano fragte:

»Warum?« – »Weil Ihr so tatet, als ob Ihr mich nicht bemerkt hättet, und dann doch plötzlich Eure Gewehre auf mich anlegtet.« – »Es kam uns natürlich verdächtig vor, einen Menschen hier versteckt zu sehen«, sagte Sternau. »Was tatet Ihr in dem Busch?« – »Ich wartete.« – »Auf wen?« – »Ich weiß nicht. Vielleicht auf Euch!«

Sternau zog die Brauen etwas zusammen und warnte:

»Macht keinen dummen Witz, sondern erklärt Euch deutlicher.« – »Das kann ich tun. Sagt mir aber vorher, wohin Ihr wollt?« – »Nach der Hacienda del Erina.« – »Gut, so seid Ihr auch diejenigen, auf die ich warte.« – »Das klingt ja gerade so, als hätte man unsere Ankunft gewußt und Euch uns entgegengeschickt!« – »So ähnlich ist es! Ich jagte gestern da oben in den Bergen einen Büffel und fand auf dem Rückweg verdächtige Spuren. Ich ging ihnen nach und belauschte da einen Trupp Weiße, die beisammen lagen und sich laut erzählten. Da hörte ich, daß sie einige Reiter abfangen wollten, die nach der Hazienda von Mexiko aus unterwegs sind. Ich brach natürlich sofort auf, um diese Leute zu warnen. Seid Ihr die rechten, so ist es gut, seid Ihr aber die rechten nicht, so bleibe ich hier liegen, bis sie kommen.«

Da reichte ihm Sternau die Hand und sagte:

»Ihr seid ein braver Kerl, ich danke Euch! Wie die Sache liegt, werden wir wohl die rechten sein. Wie viele Männer waren es?« – »Zwölf.« – »Hm, das sind ihrer gerade so viele, als ich auf mich selbst nehme. Fast habe ich Lust, ein Wörtchen mit ihnen zu reden.«

Der Büffelhautmann blickte Sternau von der Seite an und sagte:

»Ihr nehmt zwölf auf Euch, Señor?« – »Ja, unter Umständen noch mehr«, antwortete Sternau ernsthaft. – »Da sind wohl elf zu viel, he?« – »Ganz wie Ihr denkt. Wenn es auf mich ankäme, so würde ich mir diese Leute einmal betrachten. Aber es ist doch wohl nicht geraten, sich unnötig in Gefahr zu begeben.« – »Ich denke das auch«, nickte der Fremde ironisch. – »Wohin geht nun Euer Weg?« fragte Sternau. – »Zur Hazienda. Soll ich Euch führen?« – »Wenn es Euch Vergnügen macht, ja.« – »So kommt.«

Der Fremde bestieg sein Pferd und setzte sich damit an die Spitze der kleinen Truppe. Er hing ganz nach Indianerart vornüber auf dem Pferd, um jede Spur sogleich bemerken zu können, und Sternau sah es seinem ganzen Habitus an, daß es ein Mann sei, auf den man sich verlassen könne.

Gegen Abend, als man ein Nachtlager brauchte, zeigte sich der Mann im Auffinden einer passenden Stelle und in Vorsichtsmaßregeln so erfahren und gewandt, daß Sternau erkannte, es mit keinem gewöhnlichen Menschen zu tun zu haben. Er nahm von den Speisen der drei, er rauchte auch eine Zigarette, aber als man ihm einen Schluck Rum anbot, wies er diesen zurück.

Ein Feuer wurde der Unsicherheit des Weges wegen nicht angemacht, und so wurde das kurze Abendgespräch im Dunkeln geführt.

»Kennt Ihr die Leute auf der Hazienda?« fragte Sternau den Führer. – »Ja, gewiß«, antwortete dieser. – »Wer ist dort zu treffen?« – »Zunächst Señor Arbellez, der Haziendero, sodann Señorita Emma, seine Tochter, sodann Señora Hermoyes und endlich ein Jäger, der am Kopf krank ist. Dann gibt es noch Gesinde und vierzig Vaqueros und Ciboleros.« – »Zu den Ciboleros gehört wohl auch Ihr?« – »Nein, Señor. Ich bin ein freier Mixteka.«

Da horchte Sternau auf.

»Ein Mixteka seid Ihr?« fragte er. – »Ja.« – »Oh, da müßt Ihr doch auch Mokaschimotak, den großen Häuptling Büffelstirn, kennen?« – »Ich kenne ihn«, entgegnete der Gefragte ruhig. – »Wo ist er jetzt zu finden?« – »Bald hier, bald dort, wie der große Geist ihn treibt. Wo habt Ihr von ihm gehört?« – »Sein Name ist allüberall; ich habe ihn sogar drüben über dem großen Meer nennen hören.« – »Wenn er das erfährt, so freut er sich. Wie soll ich Euch nennen, Señores, wenn ich mit Euch spreche?« – »Ich heiße Sternau, dieser Señor heißt Mariano und der andere Helmers. Und wie nennen wir Euch, Señor?« – »Ich bin ein Mixteka; nennt mich so.«

Das war das ganze Abendgespräch, dann ging man zur Ruhe, während welcher die Nachtwache unter die vier verteilt wurde. Am anderen Morgen wurde in der Frühe aufgebrochen, und bereits vor der Mittagszeit sah man die Hazienda vor sich liegen. Da hielt der Mixteka an und zeigte mit der Hand nach der Besitzung.

»Das ist die Hacienda del Erina, Señores«, sagte er. »Nun könnt Ihr sie nicht mehr verfehlen.« – »Wollt Ihr nicht mit?« fragte Sternau. – »Nein. Mein Weg ist der Wald. Lebt wohl!«

Der Mixteka gab seinem Pferd die Hacken und sprengte links ab davon. Die drei aber ritten der Ummauerung entgegen und hielten vor dem Tor an. Als Sternau klopfte, erschien ein Vaquero und fragte nach ihrem Begehr.

»Ist Señor Arbellez zu Hause?« – »Ja.« – »Sagt ihm, daß Gäste aus Mexiko zu ihm wollen.« – »Seid Ihr allein, oder kommen noch mehrere?« – »Wir sind allein.« – »So will ich Euch vertrauen und öffnen.«

Der Vaquero schob den Riegel zurück und ließ die Reiter in den Hof. Hier sprangen sie von ihren Pferden, die der Vaquero übernahm, um sie zu tränken. Als sie den Eingang des Hauses erreichten, kam ihnen der Haziendero bereits entgegen. Sein Blick ruhte mit staunendem Erschrecken auf der hohen Gestalt Sternaus.

»Dios mios, was ist das!« sagte er. »Seid Ihr ein Spanier, Señor?« – »Nein, ein Deutscher.« – »So ist es ein Naturspiel. Fast hätte ich Euch für den Herzog von Olsunna gehalten.«

Schon wieder hörte Sternau diesen Namen.

»Habt Ihr ihn gekannt, Señor?« fragte er. – »Ja, ich bin ein Spanier. Aber es ist richtig, Ihr könnt gar nicht der Herzog von Olsunna sein, der viel älter als Ihr ist. Seid willkommen!«

Der Haziendero reichte Sternau die Hand und streckte sie auch Mariano entgegen. Dieser hatte das Gesicht abgekehrt gehalten, weil er nach den Pferden blickte; jetzt drehte er sich herum, und nun der Haziendero in sein Gesicht blickte, zog er die Hand zurück und stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus.

»Caramba, was ist das! Graf Emanuel! Doch nein, auch das kann nicht sein, denn Graf Emanuel ist viel älter.«

Er griff sich an die Stirn, diese beiden Ähnlichkeiten machten ihm zu schaffen. Dabei fiel sein Auge auf Helmers, und er schlug die Hände zusammen.

»Valga me Dios, Gott stehe mir bei, bin ich verhext?« rief er. – »Was ist's, Vater?« fragte hinter ihm eine klare, süße Mädchenstimme. – »Komm her, mein Kind«, antwortete er. »So etwas ist mir noch nicht geschehen, das ist ja wunderbar! Da kommen drei Señores; der eine sieht dem Herzog von Olsunna, der andere dem Grafen Emanuel und der dritte deinem armen Bräutigam so ähnlich wie ein Ei dem anderen.«

Emma trat hervor und lächelte; aber als sie Helmers erblickte, sagte sie:

»Es ist wahr, Vater, dieser Herr sieht so aus wie mein armer Antonio.« – »Na, das wird sich aufklären«, meinte der Haziendero. »Seid willkommen, Señores, und tretet ein in mein Haus!«

Er streckte nun auch Mariano und Helmers die Hand entgegen und führte die Gäste in den Speisesaal, wo ihnen eine Erfrischung gereicht wurde. Eben hob Helmers das Glas empor, um zu trinken, als er es wieder absetzte. Sein Auge hing an der Tür, die sich geöffnet hatte, um eine bleiche Gestalt einzulassen, die mit irren, nichtssagenden Augen die Angekommenen überflog. Helmers trat ein paar Schritte nach der Tür zu und fixierte den Kranken.

»Ist es möglich!« rief er dann. »Anton, Anton! O mein Gott!«

Der Irre blickte ihn an und schüttelte den Kopf.

»Ich bin tot, ich bin erschlagen worden«, wimmerte er.

Helmers ließ die Arme sinken und fragte:

»Señor Arbellez, wer ist dieser Mann?« – »Es ist der Bräutigam meiner Tochter«, antwortete der Haziendero. »Er heißt Antonio Helmers, und die Jäger nannten ihn Donnerpfeil.« – »Also doch! Bruder, o mein Bruder!«

Mit diesem Ausruf stürzte Helmers auf den Irren zu, schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. Der Kranke ließ sich liebkosen, blickte gleichgültig in das Angesicht seines Bruders und sagte nur:

»Ich bin erschlagen worden, ich bin tot!« – »Was ist mit ihm, was fehlt ihm?« fragte Helmers den Wirt. – »Er ist wahnsinnig«, antwortete dieser. – »Wahnsinnig? O Herr, mein Gott, welch ein Wiedersehen!«

Der Deutsche drückte die Hand vor die Augen, warf sich in einen Stuhl und weinte. Die anderen standen wortlos und ergriffen dabei, bis Arbellez ihm die Hand auf die Schulter legte und mit leiser Stimme fragte:

»Ist es wahr, daß Ihr der Bruder von Señor Antonio seid?«

Helmers richtete die in Tränen schwimmenden Augen zu dem Frager empor und antwortete:

»Ja, ich bin sein Bruder! O mein Gott, welch ein Wiedersehen!« – »So seid Ihr Seemann?« – »Ja.« – »Er hat uns viel von Euch erzählt.« – »Ich bin tot, ich bin erschlagen«, klagte der Irre dazwischen.

Sternau hatte bisher kein Auge von ihm verwandt, jetzt fragte er:

»Was ist die Ursache seiner Krankheit?« – »Ein Schlag auf den Kopf«, antwortete Arbellez. – »Haben Sie einen Arzt gehabt?« – »Ja, längere Zeit.« – »Hat dieser gesagt, daß keine Hilfe möglich sei?« – »Ja.« – »So ist dieser Arzt ein Pfuscher, ein unverständiger Ignorant. Fassen Sie sich, Helmers. Ihr Bruder ist nicht wahnsinnig, sondern geistig gestört; es ist noch Hilfe möglich.«

Da ertönte ein heller Jubelschrei. Emma Arbellez hatte ihn ausgestoßen. Sie kam auf Sternau zugeflogen, faßte seine beiden Hände und fragte:

»Sagen Sie die Wahrheit, Señor?« – »Ja.« – »Gewiß? Sind Sie Arzt?« – »Ich bin Arzt und hoffe das Beste. Sobald ich die näheren Umstände weiß, unter denen er erkrankte, werde ich Ihnen mit Gewißheit sagen können, ob ich Hilfe bringen kann.« – »Oh, so lassen Sie sich erzählen ...« – »Gemach, Señorita!« unterbrach Sternau sie. »Das möchten wir uns denn doch bis zu einem ruhigeren Augenblick aufsparen. Zunächst haben wir noch anderes zu besprechen, das ebenso wichtig und nötig ist«

Sie ließ sich nur ungern zurückweisen und führte den Irren hinaus.

»Es muß eine sehr wichtige Angelegenheit sein, die Sie hierhergeführt hat«, sagte der Haziendero in einer Art von Vorahnung. – »Eine sehr, sehr wichtige«, bestätigte Sternau. – »Meine Hazienda war Ihr einziges Ziel?« – »Ja.« – »Und Sie haben sie ohne Führer gefunden?« – »So ziemlich. Erst gestern trafen wir einen Mann, der uns bis hierher begleitete. Es war ein Indianer, vom Stamm der Mixtekas.« – »Der Mixtekas? Das ist Büffelstirn gewesen.« – »Büffelstirn ist es gewesen, Büffelstirn?« fragte Sternau überrascht. »Er trug doch gar nicht die Abzeichen eines Häuptlings!« – »Das tut er nie. Er kleidet sich nur in Büffelhaut und trägt als Waffe eine Büchse und sein Messer.« – »So war er es. Ich bin mit Büffelstirn geritten, ohne es zu wissen. Er hat es uns verschwiegen, er ist ein echter, richtiger Mann. Wird man ihn wiedersehen?« – »Er ist jetzt täglich in der Gegend. Sie bleiben doch auf einige Zeit hier?« – »Das werden die Umstände bestimmen. Wann haben Sie Zeit, zu hören, was uns hierhergeführt hat?« – »Sogleich oder auch später, je nachdem Sie es wünschen. Ist die Sache kurz und muß sie sogleich erledigt sein?« – »Nein. Sie bedarf einer längeren Zeit und will überhaupt sehr achtsam behandelt sein. Es handelt sich um ein Familiengeheimnis, zu dessen Aufklärung wir Ihre Hilfe und diejenige von Maria Hermoyes brauchen.« – »Ich stehe zur Verfügung, bitte aber zunächst um die Erlaubnis, Ihnen Ihre Zimmer anweisen zu dürfen.«

Karja, die Indianerin, trat ein. Sie hatte nach den Zimmern gesehen und kam nun, um die Herren zu führen. Sternau erhielt dasjenige, das Graf Alfonzo gewöhnlich bewohnt hatte. Er reinigte sich vom Schmutz der Reise und ging dann auf einen Augenblick hinunter in den Garten. Dort sah er die schöne Tochter des Hazienderos sitzen, neben ihr den Irren, der sich höchst gleichgültig von ihr liebkosen ließ. Sie erhob sich, um dem Gast Platz zu machen.

Er setzte sich so, daß er den Kranken beobachten konnte, und begann nun mit der Señorita ein Gespräch, im Verlauf dessen sie ihm die Abenteuer in der Höhle des Königsschatzes und also auch den Grund von der Erkrankung ihres Bräutigams mitteilte. Er hörte aufmerksam zu, denn ihre Erzählung erregte noch mehr als bloß sein ärztliches Interesse.

»Also der berühmte Bärenherz war auch dabei«, sagte er darauf. »Hat sich dieser Apachenhäuptling seitdem wieder sehen lassen?« – »Nein.« – »Und all, all dieses Unheil nur um eines einzigen Menschen, um dieses Alfonzo Rodriganda willen. Man wird ihm das Handwerk legen und ihn seine Missetat sühnen lassen.« – »Oh, Señor, wird auch hier bei meinem armen Antonio eine Sühne, eine Hilfe möglich sein? Sein Bruder hat mir bereits erzählt, während Sie auf Ihrem Zimmer waren, daß Sie ein großer und berühmter Arzt sind und daß Sie sogar Ihre eigene Gemahlin vom Wahnsinn gerettet haben.« – »Der größte Arzt ist Gott; ich hoffe, daß er auch hier helfen wird. Ist Ihr Patient geduldig und gefügig?« – »Sehr.« – »Wird er mit mir gehen?« – »Sofort.« – »So werde ich ihn mit mir nehmen, um ihn sogleich zu untersuchen. Ich führe meine Bestecks stets bei mir und hoffe, daß ich alles habe, was ich brauche.«

Sternau ergriff die Hand des Patienten, und dieser folgte ihm mit der allergrößten Bereitwilligkeit. Emma ging unterdessen auf sein Zimmer und sank dort auf ihre Knie, um zu beten. Als sie dann in den Salon kam, waren bereits alle erwartungsvoll versammelt, um den Ausspruch des Arztes zu vernehmen. Dieser aber kam erst später. Er wurde sofort mit Fragen bestürmt.

»Ich will Ihnen allen eine frohe Botschaft bringen«, sagte er lächelnd. »Ich werde Señor Helmers wiederherstellen.«

Ein lauter, vielstimmiger Ruf erscholl durch den Raum, dann fuhr Sternau fort:

»Der Schlag ist ein außerordentlich kräftiger gewesen, aber er hat dennoch die Hirnschale nicht zertrümmert; doch unter derselben hat irgendein Blutgefäß seinen Inhalt gerade auf das Organ des Gedächtnisses ergossen, und so kommt es, daß der Patient alles vergessen hat, nur nicht das letzte, was er vom Leben fühlte, nämlich den Schlag. Er weiß, daß er totgeschlagen werden sollte, er hat den Hieb gefühlt und glaubt nun, daß er tot sei. Die sicherste Hilfe ist nur durch die Trepanation möglich. Ich werde die Hirnschale öffnen, um das ausgeflossene Blut zu entfernen, dann hört der Druck desselben auf die Hirnmasse auf, das Organ beginnt seine unterbrochene Tätigkeit, und in demselben Augenblick wird auch das vollständige Gedächtnis wiederkehren.« – »Ist diese Operation lebensgefährlich?« fragte Emma besorgt. – »Schmerzlich, aber nicht lebensgefährlich«, tröstete er. »Wenn die Angehörigen des Patienten mir Vollmacht erteilen, werde ich morgen die Trepanation vornehmen.«

Sie erklärten sich alle einverstanden, und Arbellez fügte lächelnd hinzu:

»Und um das Honorar dürfen Sie nicht bange sein, Señor. Der Patient ist reich, steinreich, er hat aus der Höhle des Königsschatzes ein Geschenk erhalten, das ihn in den Stand setzt, sogar eine Trepanation zu bezahlen.« – »Hoffen wir, daß die Operation ihn so weit herstellt, daß er seinen Schatz genießen kann«, entgegnete Sternau und ging wieder fort um nach seinen Instrumenten zu sehen, die ja morgen sich in einem brauchbaren Zustand befinden mußten.

Am Abend nach dem Nachtmahl fand eine Sitzung statt, in der der eigentliche Zweck der Reise erörtert wurde. Was Arbellez und Marie Hermoyes da erzählten, das bestätigte die Vermutungen, die Sternau bis jetzt gehegt hatte.

Der brave Haziendero bot Mariano sofort seine Hazienda an, und in dem ganzen Hausstand war nicht ein einziger, der nicht überzeugt gewesen wäre, daß Mariano der richtige, wirkliche Graf Alfonzo sei.

Nun nahte der nächste Tag, an dem die Operation stattfinden sollte. Sternau bat Helmers, Mariano und Arbellez, ihm zu assistieren, wies aber sonst jede Störung von sich. Um die Mittagsstunde begaben sich die vier Männer nach dem Zimmer des Patienten. Der Korridor, in dem dasselbe lag, war für jedermann verschlossen. Die ganze Bewohnerschaft des Hauses hielt sich beisammen, und jeder Gedanke und jedes ausgesprochene Wort waren ein Gebet um das Gelingen des großen Unternehmens.

Zuweilen war es, als ob ein schmerzhaftes Wimmern oder ein lauter, schriller Ton durch das Haus ertöne, dann aber war alles wieder ruhig. Endlich nach langer Zeit kam Arbellez herab. Er sah bleich und angegriffen aus.

»Wie steht es?« kam ihm Emma entgegen. – »Señor Sternau hat die besten Hoffnungen. Der Patient liegt in Ohnmacht. Du sollst kommen und bei ihm bleiben.« – »Ich allein?« – »Nein, in meiner Gesellschaft. Wenn er erwacht, darf er nur bekannte Gesichter sehen.«

Sie folgte dem Vater. Droben im Korridor begegnete ihnen Helmers Bruder. Auch er hatte die Farbe des Todes.

Als die beiden leise eintraten, stand Sternau über den Kranken gebeugt, um seine Pulsschläge und Atemzüge zu zählen. Als Emma in die fürchterlich ermatteten und entstellten Züge des Geliebten blickte, hätte sie geradezu aufschreien mögen, aber sie bezwang sich.

»Señorita, setzten Sie sich so, daß er Sie sofort sieht, wenn er erwacht. Ich werde mich hinter den Vorhang zurückziehen«, flüsterte Sternau. – »Wird es lange dauern, ehe ihm das Leben wiederkehrt?« fragte sie. – »Höchstens zehn Minuten, und dann wird es sich entscheiden, ob das Gedächtnis wieder da ist. Warten und beten wir!«

Sternau trat hinter den Vorhang zurück, und Emma setzte sich neben das Bett, während Arbellez in der Nähe desselben Platz nahm. So dehnten sich die Minuten zu Ewigkeiten aus, bis endlich, endlich der Patient die Hand regte.

»Erschrecken Sie nicht«, mahnte Sternau ganz leise. »Nach meiner Berechnung wird er einen Todesschrei ausstoßen, weil er meint, erschlagen zu werden.«

Der kluge Arzt hatte sich nicht getäuscht. Der Kranke regte sich mit einem Mal am ganzen Körper, lag einige Sekunden lang starr, und das waren die Augenblicke, in denen sein Denkvermögen wieder in Kraft trat. Nun stieß er einen Schrei aus, so entsetzlich, so schauerlich, daß selbst Arbellez zitterte und Emma sich anhalten mußte, um nicht zusammenzubrechen. Diesem Schrei folgte ein tiefer, tiefer Seufzer, und dann – dann schlug der Kranke die Augen auf. In diesen Augen hatte monatelang keine Spur des Selbstbewußtseins gelegen, jetzt aber war es, als ob der Kranke aus einem Schlaf erwache; er blickte zunächst geradeaus, dann nach rechts, nach links. – Hierauf stutzte er, und als sein Blick sich verschärft hatte und auf Emma gefallen war, da öffneten sich auch die Lippen, und er sagte leise:

»Emma! O Gott, mir träumte, daß mich dieser Alfonzo erschlagen wolle; es war in der Höhle des Königsschatzes. Ist's wahr, daß ich bei dir bin?« – »Ja, du bist bei mir, mein Antonio!« antwortete sie, indem sie seine Hand in die ihrige nahm.

Da griff er nach dem verhüllten Kopf.

»Aber doch tut mir der Kopf gerade dort, wo mich der Schlag traf, so weh«, sagte er. »Warum bin ich verbunden, Emma?« – »Du bist nur ein wenig verletzt«, antwortete sie. – »Ja, ich fühle es«, versetzte er. »Du wirst mir das erzählen, jetzt aber will ich schlafen, denn ich bin sehr müde.«

Er schloß die Augen, und bald zeigte das ruhige Atmen seiner Brust, daß er in Schlaf verfallen sei. Nun trat Sternau wieder hervor und flüsterte mit freudestrahlender, triumphierender Miene:

»Gewonnen! Es ist gelungen! Wenn das Wundfieber gut verläuft, so ist er vollständig hergestellt. Gehen Sie hinab, Señor Arbellez, und bringen Sie den Wartenden diese freudige Nachricht. Ich werde mit der Señorita hier wachen.«

Der brave Haziendero eilte fort und versetzte mit seiner Nachricht alle Bewohner des Hauses in Freude und Entzücken.


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