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Bereits am anderen Morgen öffnete der Diener die Tür und meldete Señor und Señorita Cortejo. Sternau wollte seinen Ohren nicht trauen, mußte ihnen aber endlich doch Glauben schenken, als seine Augen ihm die Wahrheit des Gehörten bestätigten: Cortejo trat mit seiner Tochter ein.
»Verzeihen Sie, Señor Sternau«, sagte er, »daß wir Sie so bald aufsuchen. Josefa hatte so große Sehnsucht, etwas aus ihrer Heimat zu hören. Wir haben sehr lange Zeit keine Nachricht von dort erhalten, und so machen wir von ihrer freundlichen Erlaubnis Gebrauch.«
Sternau bemeisterte seinen Ärger und bewillkommnete sie mit möglichster Höflichkeit. Das Examen, das er zu erwarten hatte, begann sofort, nachdem sie Platz genommen hatten.
»Sie sind in Verakruz gelandet?« fragte Cortejo. – »Ja, Señor.« – »Mit welcher Gelegenheit?« – »Per Dampf,« antwortete Sternau kurz. – »Ich nehme an, daß Sie an Lord Lindsay empfohlen waren?« – »Ich lernte Miß Amy in Rodriganda kennen.« – »Ah«, sagte Josefa überrascht, »sie ist eine Freundin von Condesa Rosa gewesen?« – »Gewiß.« – »War das Leben in Rodriganda ein gesellschaftlich bewegtes, Señor?« – »Ich habe das strikte Gegenteil gefunden.« – »Das glaube ich nicht. Sie sagen, Miß Amy sei zugegen gewesen, und in einem Brief an uns wurde ein französischer Offizier erwähnt. Ich glaube aus diesem Grund, daß man nicht einsam gelebt hat«
Sternau merkte sehr wohl, daß er jetzt über Mariano ausgefragt werden solle.
»Ja, es war fast einsam«, sagte er kalt. – »Aber diesen Offizier lernten Sie auch kennen?« – »Ja.« – »Können Sie sich seines Namens erinnern?« – »Er nannte sich Alfred de Lautreville.« – »Und war er lange in Rodriganda?« – »Einige Tage.« – »Dann kehrte er nach Frankreich zurück?« – »Hm! Er reiste ab, ohne uns das Ziel zu nennen, Señorita.«
Josefa sah, daß Sternau so nicht zu fassen war. Er sagte ihr zwar keine direkte Unwahrheit, aber er gab ihr auch die gewünschte Auskunft nicht. Sie stand eben im Begriff, eine neue Frage zu formulieren, als Helmers eintrat. Dies war Sternau sehr lieb. Er konnte sich somit auf kurze Zeit entfernen, da Helmers als Seemann genug Spanisch gelernt hatte, um sich leidlich verständlich machen zu können. Er stellte daher den Seemann vor und entfernte sich unter einem schnell gesuchten Vorwand.
Dann eilte er zu dem Lord, bei dem er Amy und Mariano fand.
»Was bringen Sie?« fragte ersterer. »Sie treten ja in einer ganz besonderen Eile ein.« – »Ich bringe Ihnen die Bestätigung meiner gestrigen Mutmaßung; Cortejo ist da.« – »Unmöglich! Bei Ihnen?« – »Ja, er und seine Tochter.«
Der Lord schüttelte den Kopf und entgegnete lachend:
»Und Sie haben beide sitzenlassen?« – »Nein, Helmers ist bei ihnen. Ich komme nur, um Ihnen eine Bitte vorzutragen.« – »Sprechen Sie!« – »Laden Sie die beiden zum Frühstück ein.«
Der Lord machte ein sehr erstauntes Gesicht.
»Die beiden Cortejos?« fragte er. »Ich nehme an, daß Sie im Scherz sprechen.« – »O nein, ich spreche im vollsten Ernst. Zwar sehe ich, daß auch Miß Amy sich über meine Bitte wundert, aber ich ersuche dennoch um die Erlaubnis, sie aufrechterhalten zu dürfen.« – »Aber, beim Teufel, aus welchem Grund denn?« fragte Lindsay. »Dieses Geschmeiß ist mir so verhaßt und widerwärtig, daß ich es gar nicht sehen mag!« – »Ich muß wissen, welchen Eindruck der Anblick Marianos auf dasselbe macht.« – »Ah so, das ist etwas anderes! Aber so nehmen Sie ihn doch mit hinüber zu ihnen.« – »Nein, Mylord. Sie beide sollen ja Zeugen dieses Eindrucks sein!«
Der Lord nickte leise vor sich hin, und da er jetzt auch auf dem Angesicht seiner Tochter die Gewährung von Sternaus Bitte las, so erwiderte er:
»Gut, das kann von Wert für uns sein. Sie mögen also zum Frühstück kommen.« – »Aber ich kann sie nicht einladen, Mylord!« meinte Sternau. – »Hm, auch das noch! Nun wohl, gehen Sie in Gottes Namen; ich werde das besorgen.«
Sternau kehrte in sein Zimmer zurück, wo er jetzt von unbequemen Fragen verschont blieb, da die Anwesenheit des Seemanns dem Gespräch eine allgemeine Richtung gab. Nach einiger Zeit trat der Lord ein. Sich den Anschein gebend, als ob er geglaubt habe, Sternau allein zu treffen, und als sei er von der Anwesenheit Cortejos und Josefas gar nicht unterrichtet, begrüßte er sie mit vornehmer Freundlichkeit, blieb einige Zeit und lud sie dann ein, am Frühstück mit teilzunehmen, was sie bereitwilligst annahmen.
Nach kurzer Zeit versammelte man sich im Speisesalon. Es waren alle da, und nur Marianos Stuhl war unbesetzt; dennoch aber wurde begonnen, und ein lebhaftes Gespräch würzte die reichlich aufgetragenen mexikanischen Delikatessen.
Da, nach einer ziemlichen Weile erst, trat Mariano ein. Man hatte Cortejo und seine Tochter so placiert, daß sie ihn jetzt nicht sofort sehen konnten. Erst als er näher trat und sich bei seinem leeren Stuhl, der neben dem Sitz Cortejos stand, aufstellte, merkte der letztere, daß ein neuer Gast eingetreten sei, und blickte auf. Kaum aber hatte er in das Gesicht Marianos gesehen, so fuhr er erschrocken von seinem Stuhl empor und rief:
»Graf Emanuel!«
Sein Gesicht war bleich geworden, und seine Augen standen weit geöffnet. Auch seine Tochter hatte sich erhoben und starrte Mariano an. Es befand sich im Palast der Rodriganda ein Bild aus des Grafen Emanuel Jugendzeit, und diesem Bild glich der junge Mann so genau, daß auch Josefa erschrak.
»Sie irren«, sagte Sternau. »Dieser Herr ist nicht Graf Emanuel de Rodriganda, sondern der Leutnant des Lautreville, nach dem Sie mich gestern fragten.« – »Sie scheinen überhaupt ältere Personen mit jüngeren gern zu verwechseln«, bemerkte der Lord. »Gestern hielten Sie Herrn Sternau für den Herzog von Olsunna und heute den Leutnant für einen Grafen Rodriganda. Das ist merkwürdig!«
Jetzt endlich hatten sich die beiden wieder gefaßt.
»Verzeihung!« sagte Cortejo. »Es liegt hier eine kleine Ähnlichkeit vor, die mich irreführte und nicht daran denken ließ, daß die Jahre vergehen.« – »Und mich hast du förmlich erschreckt!« entschuldige sich Josefa. – »Sie sagen, es liege eine Ähnlichkeit vor zwischen dem Leutnant und dem Grafen Emanuel?« fragte Lindsay. – »Allerdings, Mylord.« – »So gab es wohl auch wirklich eine Ähnlichkeit zwischen Señor Sternau und dem Herzog von Olsunna?« – »Sogar eine frappante.« – »Haben Sie den Herzog gekannt?« – »Sehr genau. Mein Bruder war Haushofmeister bei ihm. Darf ich vielleicht Señor Sternau fragen, wo er geboren ist?« – »In Mainz«, antwortete der Gefragte. – »Wunderbar! Eine solche Ähnlichkeit zwischen Angehörigen ganz verschiedener Nationalitäten! Es ist der reine Zufall. Ihr Vater war gewiß auch Arzt wie Sie?« – »Nein. Er starb als Professor und war früher in Spanien Erzieher gewesen.«
Der Frage warf seiner Tochter einen Blick zu, den nur sie verstand, und dann bewegte sich das Gespräch wieder in einem gewöhnlicheren Gleise.
Während des weiteren Verlaufs ruhten die Augen Josefas fortwährend auf Mariano und Amy. Als das scharfsinnige Mädchen die Herzensverwandtschaft, die zwischen beiden bestand, bemerkte, zog ein nie geahntes Gefühl ihr das Herz zusammen.
Wie oft hatte sie vor dem Bild des Grafen Emanuel gestanden! Sie hatte es als einen Inbegriff männlicher Schönheit zu betrachten gelernt, ihre Phantasie hatte sich mit demselben beschäftigt, sie hatte von diesen Zügen geträumt und es sich als das größte Glück vorgestellt, von einem solchen Mann geliebt zu sein. Und nun saß das Ebenbild dieses Gemäldes ihr gegenüber. Das waren ganz genau dieselben Züge. Josefa hätte aufjauchzen mögen vor Wonne, ihr Traumbild verkörpert zu sehen. Sie fühlte in diesem Augenblick, daß Graf Alfonzo ihr vollständig gleichgültig sei, sie erkannte, daß es eine Liebe gibt, die in einem einzigen Augenblick kommt und siegt. Sie verschlang die Züge Marianos förmlich und konnte sich nur gezwungen von diesem Anblick trennen, als das Frühstück beendet war.
Als sie mit ihrem Vater nach Hause gekommen war, sagte er:
»Weißt du nun, woran du bist?« – »Nun?« fragte sie wie abwesend. – »Dieser Leutnant ist der echte Graf Alfonzo.«
Sie nickte schweigend.
»Sternau hat ihn befreit.« – »Wahrscheinlich.« – »Aber wie und wo? Was ist aus Landola und seinem Schiff geworden?« – »Ich weiß es nicht.«
Cortejo bemerkte in seinem Eifer das eigentümliche Verhalten seiner Tochter gar nicht und fuhr höchst zornig fort:
»Und wie habe ich mich blamiert! Erst gestern abend, und dann heute! So eine zweimalige Verwechslung. Aber die Ähnlichkeit war zu groß. Und, Josefa, weißt du, wer jener Sternau ist?« – »Ein ganz ungewöhnlicher und bedeutender Mensch!« – »Das mag sein, aber ich meine etwas anderes. Erinnerst du dich, was Gasparino vom Herzog von Olsunna schrieb?« – »Meinst du die Liaison mit der Gouvernante?« – »Ja. Nun, diese Gouvernante ging mit einem deutschen Erzieher in ihr Vaterland zurück, und dieser Erzieher – caramba, es fiel mit vorhin wie Schuppen von den Augen – dieser Erzieher hieß Sternau. Ich hörte den Namen von meinem Bruder.«
Josefa sah ihren Vater fragend an und erwiderte:
»Nun, was weiter?« – »Was, weiter?« rief er ganz ereifert. »Was ist's denn mit dir, Mädchen? Hast du denn deine Gedanken verloren, he? Was weiter? Dieser Sternau ist der Sohn, und noch dazu der einzige Sohn des Herzogs von Olsunna!«
Jetzt erst wurde Josefa aufmerksam.
»Du phantasierst wohl?« fragte sie. – »Das fällt mir gar nicht ein. Ich muß noch einen Brief von Gasparino da haben, in dem er auf jenes Abenteuer zurückkommt. Ich werde ihn sogleich suchen.«
Damit eilte Cortejo fort. Josefa aber warf sich in die Hängematte und blickte lange sinnend ins Leere. Ihre Eulenaugen bekamen einen milderen Ausdruck, ihre bleichen Wangen röteten sich, und endlich erhob sie sich wieder und schritt hinauf in das Bibliothekzimmer ihres Vaters, wo das Jugendbild des Grafen Emanuel an der Wand hing. Sie nahm es herab, trat damit an das Fenster und betrachtete es.
»Es gleicht ihm aufs Haar«, sagte sie leise. »Oh, was ist Alfonzo gegen ihn! Was ist der falsche gegen den echten Rodriganda!«
Ohne es zu wissen, drückte sie ihre Lippen auf das Bild.
»Wie erschrak ich, als ich ihn erblickte!« dachte sie laut. »Es gab mir einen Stich durch das Herz, aber dieser Stich tat nicht weh, er brachte keinen Schmerz. Und dann, als er sprach, da drang seine Stimme mir bis in die Tiefe meiner Seele. Was war das? War das etwa die Liebe?«
Und abermals drückte sie ihre Lippen auf das Bild.
»Und er saß neben dieser blonden Amy, und er hatte sie lieb! Ihre Augen suchten und fanden sich in jedem Augenblick. Ihre Hände begegneten einander unter dem Tisch; ich habe es gesehen. Da gab es mir abermals einen Stich durch das Herz; aber dieser Stich tat weh, er brachte mir Schmerz. War das die Eifersucht?«
Josefas Blick senkte sich inniger und inniger auf das Bild.
»Gibt es wirklich eine Liebe, die keine Jahre, keine Monate und Wochen braucht, um zu entstehen? Gibt es eine Liebe, die beim ersten Blick erwacht und dann nimmer wieder vergehen und sterben kann? Ja, es gibt eine solche, es gibt eine, ich fühle es. Und diese Liebe ist bei mir erwacht, für ihn, der dir gleicht, du süßes, süßes Angesicht!«
Sie küßte wieder und immer wieder das Bild, bis eine Stimme sie aus ihrer Verzückung weckte. Ihr Vater war unbemerkt eingetreten und rief verwundert:
»Josefa, Mädchen, was machst du? Was fällt dir ein? Ich glaube gar, du küßt das alte Bild! Willst du es gleich wieder an den Nagel hängen!«