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31. Kapitel.

Anton Helmers, oder, wie er wieder genannt werden kann, Donnerpfeil, hatte nur noch drei Stunden Tag für sich, und diese wurden reichlich ausgenützt. Er sagte sich, daß die Räuber die Hacienda del Erina erst nach Mitternacht verlassen und also einen Vorsprung von ungefähr zwölf Stunden erreicht hatten, und diesen hoffte er einzubringen. Er ließ daher, so lange es Tag war, die Pferde im Galopp gehen, und selbst als der Abend hereingebrochen war, brauchte er diese Schnelligkeit kaum zu vermindern. Die fünf Trupps der Räuber waren gewiß nicht so rasch vorwärts gekommen. Sie hatten dann auch am Versammlungsort aufeinander warten müssen, während er den nächsten Weg einschlug und mit dem Auffinden ihrer Spur nicht viel Zeit zu verlieren hoffte.

Diese Berechnung erwies sich als richtig, denn nachdem Helmers mit seinen Begleitern den jenseitigen Fuß des Gebirges zwei Stunden später erreichte als Verdoja, der mit seinen vier Gefangenen den Weg nach Westen durch die Mapimi eingeschlagen hatte, fanden sie dort eine Spur, die sich längs des Gebirges nach Norden zog. Sie stiegen nun ab und untersuchten dieselbe.

»Sechs Pferde«, sagte Donnerpfeil. »Es haben sich also zwei der Abteilungen bereits vereinigt, und ich hoffe, daß wir das Stelldichein der anderen bald erreichen.«

Es dauerte kaum zehn Minuten, so erfüllte sich dieses Wort, denn sie kamen an den Lagerplatz der Mexikaner und sahen aus den Spuren, in welcher Weise diese um das Feuer gruppiert gewesen waren. Die Stellen, an denen die Gefesselten langgestreckt gelegen hatten, waren sehr leicht zu erkennen. Donnerpfeil zeigte auf eine derselben.

»Hier hat Sternau gelegen«, sagte er. – »Woraus sehen Sie das?« fragte Francesco. – »Das ist sehr einfach«, erklärte der Gefragte. »Sternau ist ein erfahrener Westmann, der alle Schliche des Prärielebens kennt. Er hat sich denken können, daß die Räuber verfolgt werden, und sich darum Mühe gegeben, die Spuren so deutlich wie möglich zu machen. Hier hat er mit den Füßen gelegen; man sieht, daß er die Absätze seiner Stiefel mit Vorbedacht in den Boden gegraben hat. Hier rechts und links hat er die Ellbogen tief niedergedrückt, und hier oben ist die deutliche Spur seines Kopfes. So handelt nur ein sehr umsichtiger Westjäger, und daraus schon würde ich schließen, daß Sternau es gewesen ist. Aber noch sicherer wird meine Vermutung durch die Länge der Körpereindrücke. Sternau ist der längste und stärkste; nur er kann hier gelegen haben.« – »Das stimmt«, antwortete Francesco. »Aber was ist denn das hier?«

Er zeigte auf mehrere sehr energische Fußeindrücke in der unmittelbaren Nähe der Feuerstelle. Donnerpfeil untersuchte dieselben.

»Ah, hier hat Sternau gestanden«, sagte er; »das können nur die Eindrücke seiner Füße sein. Ein anderer stand gerade vor ihm, und die übrigen rund im Kreis. Was hat es da gegeben? Wenn er stehen konnte, so hat man seine Füße von den Fesseln befreien müssen. Sollte es einen Grund gegeben haben, der die Räuber nötigte, ihn loszubinden? Dann ist er ganz sicher entweder entkommen oder gefallen, denn ein drittes gibt es bei diesem unvergleichlichen Mann ja nicht. Wollen sehen!«

Donnerpfeil forschte weiter, aber schon im nächsten Augenblick rief er:

»Ich hab' es! Man hat ihm die Fesseln nicht nur von den Beinen, sondern auch von den Händen und Armen genommen. Er muß, er muß sich befreit haben!«

Die beiden Vaqueros blickten den Sprecher erstaunt an. So etwas zu erkennen und zu behaupten, waren sie nicht imstande.

»Woraus erkennen Sie das?« fragte Francesco. »Das will ich Ihnen sagen. Hier hat sich Sternau niedergekniet und der Mann auch, der ihm gegenüberstand. Sternau muß an diesem etwas untersucht haben; daneben liegt, außerhalb der Asche, ein erloschener Feuerbrand; man hat also dazu geleuchtet. Sternau ist Arzt; er hat einen Patienten vor sich gehabt. Dann haben sich beide wieder erhoben. Und nun seht, wie tief Sternau seine Fersen in den weichen Boden gegraben hat, und wie hingegen der andere den Boden mit den Fersen zuerst verlassen und die Zehen eingedrückt hat. Sternau hat eine Last in den Händen gehabt, er hat den anderen gepackt und emporgehoben. Die Richtung seiner Füße zeigt da hinüber. Ich wette, er hat diesen Mann emporgehoben und unter die anderen hineingeschleudert, um sich einen freien Weg zu bahnen!«

Donnerpfeil umging die Feuerstelle und bückte sich auf die dortigen Spuren nieder.

»Seht«, sagte er, »ich hatte recht. Hier sind wenigstens vier Mann zusammengebrochen; der eine wurde auf sie geschleudert. Dadurch entstand eine Bresche, durch die Sternau entsprungen ist, das sieht man an den Eindrücken seiner Füße, die ich ganz deutlich erkenne. Er ist in weiten Sprüngen davongeflogen, jedenfalls dahin, wo die Pferde standen, denn er wußte ganz genau, daß er ohne ein solches nicht entkommen könne. Er wurde verfolgt, wie die anderen Eindrücke beweisen.«

Donnerpfeil schritt den Spuren nach, blieb aber nach fünf Schritten bereits stehen.

»Ah, hier hatte man die Gewehre zusammengelehnt; er hat eins derselben mit fortgerissen; er ist also bewaffnet!«

Er ging weiter bis zu dem Ort, an dem die Pferde gestanden hatten, und noch darüber hinaus bis dahin, wo die von Sternau getöteten Mexikaner begraben worden waren. Donnerpfeil erriet alles.

»Dieser Sternau ist ein Held, ein geradezu unvergleichlicher Held. Es ist mir unbegreiflich, wie es ihm gelingen konnte, so viele Männer zu töten.«

Mit diesen Worten spendete Donnerpfeil dem Arzt das größte Lob, welches er erteilen konnte, da er ja selbst ein berühmter Savannenläufer war.

Jetzt ritten die drei den Spuren nach, die zunächst nach Westen und dann nach Süden führten. Plötzlich aber bogen drei Pferde nach Osten zurück, während die Spuren der übrigen nach Westen führten, und Donnerpfeil fragte sehr nachdenklich:

»Was ist das? Wer hat sich hier von den anderen getrennt?«

Dann untersuchte er die Spuren der drei vereinzelten Pferde und sagte mit vergnügtem Nicken:

»Ein Teufelskerl, dieser Sternau! Von diesen drei Pferden waren zwei ledig und nur das eine besetzt; das sieht man aus der Tiefe der Hufeindrücke. Das ist Sternau gewesen, er hat zwei Tiere, die den Getöteten gehörten, an sich genommen, um den Wechsel zu haben und also rascher vorwärts zu kommen. Dann ist er nach Osten zurückgeritten, um in den Rücken der Mexikaner zu kommen. Er ist also einen Kreis geritten und befindet sich hinter ihnen. Wir haben also sie und ihn vor uns.«

Er blickte bei diesen Worten, als müsse er die Verfolgten sehen, mit scharfen Augen nach Westen aus und sprang plötzlich einige Schritte vorwärts. Dort war, was ihm und den anderen bisher entgangen war, ein ziemlich großes Sandhäufchen errichtet worden. Das konnte kein Werk des Windes oder irgendeines Zufalls sein; das konnte nur ein Mensch getan haben.

»Das ist ganz sicher ein Zeichen von Sternau«, sagte Donnerpfeil erfreut. »Das müssen wir sogleich untersuchen.«

Und sofort griff er mit den Händen in das Häufchen und brachte nach kurzem Wühlen ein zusammengelegtes Papier hervor, faltete es auseinander und las:

 

»Ich bin entkommen, die anderen noch gefangen, aber gesund und wohl. Habe zwei Pferde und genug Waffen und Munition. Verdoja schlug mich im Hof nieder. Pardero und dreizehn Mexikaner waren bei ihm. Sie stiegen durch das Fenster des Lanzenreiters und überrumpelten die vier mit List. Man vergaß, meine Kleider zu untersuchen. Ich habe Papier und Stift bei mir und gebe dieses Zeichen. Die Gefangenen werden befreit werden, keine Sorge. Mir nur schleunigst folgen, ich werde meine Spur sichtbar machen.

Den .... früh neun Uhr.

Sternau.«

 

»Hurra!« rief Donnerpfeil. »Jetzt ist alles gut!« Sich zu dem einen Vaquero wendend, setzte er dann hinzu: »Francesco bleibt bei mir, nun wir aber Sicherheit haben, kehrst du mit den müden Pferden zurück und bringst Señor Arbellez diesen Zettel. Er wird ihm ein Trost sein. Sage dem Señor, daß wir nur eine Stunde hinter Sternau sind. Er war um neun Uhr hier, und jetzt ist es kaum zehn. Vorwärts! Rasch!«

Die Pferde wurden gewechselt; dann flogen Donnerpfeil und Francesco auf zwei ungebrauchten Pferden in voller Karriere nach Osten zu in die Mapimi hinein, immer auf der Spur, die sehr deutlich zu erkennen war. Der Vaquero aber kehrte sehr gern um, es lag ihm gar nichts daran, die verrufene Wüste kennenzulernen.

Die beiden anderen ließen ihre Pferde nach Herzenslust ausgreifen. Diese mexikanischen Pferde ermüden, sobald sie ledig gehen, selbst durch den stärksten Tagesmarsch nicht; die Tiere, auf denen Donnerpfeil und Francesco saßen, waren also so gut wie frisch und ließen die Entfernungen förmlich unter ihren Hufen verschwinden. Da aber Sternau jedenfalls auch die äußerste Schnelligkeit anwandte, so konnte er nicht in kurzer Zeit erreicht werden.

Der Vormittag verging und ebenso ein großer Teil des Nachmittags; da endlich erblickten sie in der fernen Ebene vor sich zwei kleine, dunkle Punkte.

»Das ist er, er und das ledige Pferd!« sagte Donnerpfeil. »Ah, wir müssen ihn einholen, ehe es Nacht wird.«

Sie gaben darauf den Pferden die Sporen zu fühlen und flogen in rasender Schnelligkeit über den Boden dahin. Wieder verging eine halbe Stunde. Dann vergrößerten sich die beiden Punkte, und man erkannte bereits einen Reiter mit einem ledigen Pferd und sah jetzt sogar, daß dieser Reiter die Büchse quer über sich erhob und über dem Kopf wirbelte.

»Er hat sich umgedreht und uns gesehen«, sagte Donnerpfeil. – »Aber er hält uns für Feinde«, bemerkte Francesco. – »Warum?« – »Weil er nicht anhält und uns erwartet.« – »Mein guter Francesco, du bist ein tüchtiger Vaquero, aber kein Savannenmann. Wenn er uns erwarten will, so verliert er Zeit und Raum. Hier ist jede Minute kostbar. Des Nachts können wir die Spuren der Räuber nicht sehen, da bleiben wir zurück, während sie jedenfalls die Nacht noch zum Ritt benutzen. Also müssen wir die Helligkeit bis zur letzten Sekunde ausbeuten. Darum überläßt Sternau es uns, ihn einfach einzuholen.« – »Aber wir könnten doch auch andere sein?« – »Dann wäre es desto dümmer von ihm, nur einen Augenblick unsertwegen gewartet zu haben. Er ahnt aber bereits, daß wir zu ihm gehören. Siehe, er gibt das Zeichen wieder.«

Jetzt erhob auch Donnerpfeil seine Büchse und wirbelte sie über dem Kopf. Dies genügte, um Sternau wissen zu lassen, daß er einen Bekannten hinter sich habe, und dieser konnte doch nur von der Hacienda del Erina kommen.

»Wir kommen ihm doch näher«, meinte Francesco. – »Das ist erklärlich«, antwortete Donnerpfeil. »Er hat die Pferde nehmen müssen, wie sie waren, gut oder schlecht, während wir uns die besten aussuchen konnten. Übrigens sind die seinigen nicht frisch gewesen, während die unsrigen ledig gegangen sind. Auch ist er viel schwerer als einer von uns beiden. Siehe, jetzt wechselt er.«

Sie sahen, daß Sternau mitten im Galopp von seinem Reitpferd sich hinüber in den Sattel des anderen schwang.

»Er nimmt sich nicht einmal Zeit, während des Umsteigens anzuhalten; das ist recht von ihm«, nickte Donnerpfeil. »Paß auf, daß er seine Schnelligkeit nicht im geringsten mindert, um uns zu begrüßen, sobald wir ihn erreichen. Er ist der ›Fürst des Felsens‹ und weiß genau, um was es sich handelt.«

Die Entfernung zwischen den Reitern verminderte sich immer mehr, man konnte sich bereits hören.

»Herr Sternau!« rief Donnerpfeil in deutscher Sprache.

Da drehte der Angerufene das Gesicht zurück und antwortete:

»Herr Helmers! Ah, ich habe Sie schon längst erkannt!« – »Hallo! Woran denn?« – »So reitet nur ein Westmann, und auf del Erina waren Sie nur der einzige noch. Aber machen Sie vorwärts!« – »Komme gleich!«

Donnerpfeil erhob sich im Sattel, um die Last zu erleichtern, und stieß einen schrillen Schrei aus. Sein Pferd schoß dahin wie ein Pfeil, dasjenige Francescos ebenso, und in einigen Minuten galoppierten beide an Sternaus Seite dahin.

»Willkommen, und Gott sei Dank!« sagte dieser, den beiden die Hand reichend. »Haben Sie meinen Zettel gefunden?« – »Ja, er ist bereits nach der Hazienda unterwegs.« – »Das ist gut. Sie hatten noch einen Mann mit?« – »Ja, um Señor Arbellez Nachricht zu bringen, sobald wir Gewißheit fanden.« – »Recht so. Aber warum beladen Sie Ihre Pferde mit solchen Paketen?«

Donnerpfeil lächelte.

»Das sind lauter notwendige Sachen«, sagte er. »Ich dachte, daß die Ausrüstung der Herren, die ich befreien wollte, sehr mangelhaft sein werde, und darum habe ich einiges mitgebracht. Ihr Trapperanzug und alle Ihre Waffen sind mit dabei.« – »Ah, wirklich?« fragte Sternau erfreut. – »Ja.« – »Mein Bärentöter?« – »Ja.« – »Mein Henrystutzen?« – »Natürlich!« – »Meine Revolver, Messer und Tomahawk?« – »Alles, alles! Auch die Waffen Marianos und meines Bruders habe ich mitgebracht.« – »Ich danke Ihnen! Das ist sehr umsichtig gehandelt. Übrigens hindert uns der Galopp ja nicht im Sprechen. Wie steht es auf der Hazienda? Wann entdeckte man den Überfall?«

Donnerpfeil erzählte alles von dem Augenblick seiner Rückkehr von der Hacienda Vandaqua an bis zum gegenwärtigen. Und dann gab Sternau seinen Bericht, dem die beiden anderen mit Spannung und Staunen folgten.

Dabei aber wurde die Schnelligkeit nicht vermindert, und die Pferde hielten aus, bis es Nacht geworden war und man die Spuren der Räuber unmöglich mehr erkennen konnte. Dadurch wurden die drei Männer gezwungen, haltzumachen. Zum Glück gab es an dieser Stelle einiges Gras, das die Pferde abweiden konnten, Holz aber, um ein Feuer anzumachen, fehlte gänzlich, und so verbrachten sie die Nacht im Finstern.

Gesprochen wurde wenig. Es galt vor allen Dingen auszuruhen, und erst als dies vorüber war und der Tagesanbruch bevorstand, meinte Donnerpfeil:

»Diese Schurken werden die ganze Nacht geritten sein!« – »Ganz sicher«, antwortete Sternau. »Sie wissen ja, daß ich ihnen folge. Jedenfalls machen sie erst jetzt, am Morgen, einen kurzen Halt, und diesen müssen wir benutzen, die Versäumnis der Nacht möglichst einzuholen.«


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