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»Wer sind Sie, Señor?« fragte der Rittmeister, als er den höflichen Gruß des Eintretenden erwidert hatte.
Sternau warf einen Blick im Zimmer umher und dann auf die Offiziere. Sie trugen ihre Degen, waren aber sonst unbewaffnet.
Er antwortete: »Mein Name ist Sternau, Señor; ich bin Arzt und reise teils in Familienangelegenheiten und teils, um meine Erfahrungen zu erweitern. Ich komme nach dieser Hazienda, um mit Señor Verdoja in Ihrer Gegenwart ein Wort zu sprechen.« – »Das ist unmöglich, denn Verdoja ist nicht hier.« – »Ah! Wo befindet er sich?« – »Ich weiß es nicht; ich vermute, daß er sich vor uns aus dem Staub gemacht hat.« – »Das ist mir höchst unangenehm. Seit wann befinden Sie sich hier?« – »Seit heute vormittag.« – »War da Verdoja bereits fort?« – »Nein. Ich sprach mit ihm. Er sagte, daß er seine Vaqueros zu inspizieren hätte, und ritt davon. Er kam nicht zurück, und ich habe erfahren, daß er bei keinem einzigen Vaquero gesehen wurde. Er war ein Anhänger von Juarez und floh deshalb. Sein Lieblingsdiener ist mit ihm verschwunden.« – »So befindet sich wenigstens Señor Pardero hier?« – »Pardero? Ah, der Leutnant Verdojas? Nein, er ist nicht hier.«
Das gab Sternau zu denken. Waren diese beiden Männer mit ihren Gefangenen entflohen? Möglich war es schon. Oder hatten sie sich vor den Regierungstruppen in die Pyramide geflüchtet? Welch ein Los erwartete da die beiden Mädchen! Es lag auf der Hand, daß keiner der Offiziere von dem verbrecherischen Tun Verdojas etwas ahnte. Sollte Sternau es ihnen erzählen? Vielleicht war es gut, vielleicht auch nicht.
»Sie sind mit Verdoja und Pardero Freund?« fragte der Rittmeister. – »Nein«, antwortete Sternau. »Diese beiden Männer sind die größten Schurken, die ich jemals kennenlernte. Ich kam, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.« – »Ach, ich teile Ihre Meinung vollständig; um so mehr tut es mir leid, daß Sie diese Leute nicht finden.« – »Sie haben wirklich keine Ahnung, wo sie zu suchen sind?« – »Nicht die geringste.« – »So habe ich Sie umsonst inkommodiert und bitte, mich zu entschuldigen.«
Man hatte während der kurzen Unterhaltung noch nicht daran gedacht, Sternau einen Sessel anzubieten; jetzt, als er sich mit einer Verbeugung verabschieden wollte, sagte der Rittmeister:
»Nehmen Sie doch Platz, Señor! Sie bleiben diese Nacht doch hier?« – »Nein.« – »Ah, nicht? Sie wollen weiter? Die beiden Männer suchen?« – »Ja, allerdings.« – »Hören Sie, das ist gefährlich! Sie sind fremd, und es ist gewissermaßen Revolution im Land. Es streifen wilde Indianer gerade in dieser Gegend herum, und ich will Ihnen aufrichtig sagen, daß wir sogar diese Nacht einen Überfall der Apachen hier erwarten. Wenn Sie diesen Schuften in die Hände fallen, so sind Sie verloren!« – »Oh, ich fürchte sie nicht, Señor!« – »Nicht? Hm, Sie sind ein Neuling im Land!« – »Nicht so ganz! Übrigens weiß ich, daß die Indianer im Grunde genommen bessere Menschen sind, als man zu meinen gewohnt ist.« – »Sie irren, Sie irren sehr. Da liegt neben der hiesigen Besitzung eine weite Länderei, die dem Grafen Rodriganda gehört. Er hat eine Anzahl Pueblo-Indianer angestellt, und vorige Woche haben sie den Majordomo mit fast sämtlichen Weißen abgeschlachtet.« – »Das tut mir leid, hat seinen Grund aber jedenfalls in der nicht menschenfreundlichen Administration des Señor Cortejo.« – »Ah, Sie kennen diesen Cortejo, der die Güter des Grafen verwaltet?« – »Ja, er wohnt in Mexiko.« – »Das ist richtig. Dieser Graf Rodriganda ist einer der reichsten Grundbesitzer des Landes. Ich möchte wünschen, sein Sohn oder Erbe zu sein.«
Sternau lächelte und verbeugte sich verbindlich.
»Dann wären wir Verwandte«, sagte er. – »Verwandte?« fragte der Offizier. – »Ja. Meine Frau ist eine Condesa de Rodriganda y Sevilla, die einstige Erbin der Güter, von denen Sie sprachen.«
Der Rittmeister fuhr empor.
»Nicht möglich!« rief er. »Eine Gräfin de Rodriganda die Frau eines Arztes?« – »Es ist dennoch so!« – »Dann sind Sie von Adel?« – »Nein.« – »Aber ich bitte Sie! Das wäre ja kaum zu verstehen!«
Sternau griff in die Tasche und zog den letzten Brief hervor, den er von Rosa erhalten hatte. Er zeigte dem Rittmeister die Über- und die Unterschrift, den Stempel des Bogens und das Siegel des Kuverts.
»Bitte, überzeugen Sie sich«, sagte er. – »Wahrhaftig, das ist das Siegel der Rodriganda; ich kenne es sehr genau. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mit Alfonzo de Rodriganda, der sich jetzt in Spanien befindet, sehr befreundet war. Ich habe von ihm erfahren, daß er eine Schwester besitzt, die Rosa heißt, und sehe also, daß Sie die volle Wahrheit sagen. Nun müssen Sie bei uns Platz nehmen, denn es versteht sich ganz von selbst, daß ich Sie nicht fort lasse!«
Sternau lächelte abermals und erwiderte:
»Ihre Freundlichkeit verpflichtet mich zum größten Dank, aber ich darf nicht bleiben.« – »Warum?« – »Ich werde erwartet.« – »Wo? Außerhalb der Hacienda Verdoja?« – »Ja.« – »Teufel, wo könnte das sein? Bis zur nächsten Besitzung hat man fast einen Tag zu reiten. Und daß Ihre Gesellschaft im Freien kampiert, nehme ich doch nicht an.« – »Und doch ist es so. Ich werde von den Apachen erwartet.«
Sternau sprach diese Worte mit einem unendlichen Gleichmut aus, und doch war die Wirkung ganz dieselbe, als ob eine Bombe geplatzt wäre. Die Herren Offiziere fuhren von ihren Sitzen auf und dann weit auseinander.
»Von den Apachen?« fragte der Rittmeister mit offenem Mund. – »Ja.« – »Alle Wetter, das ist ein Spaß! Erklären Sie mir das!« – »Die Erklärung ist einfach, ich bin der Anführer der Apachen.«
Die Bestürzung der Herren verdoppelte sich; sie waren das, was man perplex nennt.
»Ihr Anführer? Aber das ist ja unmöglich!« – »Es ist im Gegenteil nicht nur möglich, sondern wirklich. Soll ich es Ihnen beweisen?« – »Ja, ich bitte Sie darum, ich bitte Sie recht sehr darum.« – »Nun, Sie haben einen Komantschen hier?« – »Das stimmt. Aber was hat das mit Ihrem Beweis zu tun?« – »Und den anderen Komantschen haben wir«, fuhr Sternau unbeirrt fort. – »Sie haben ihn?« fuhr der Offizier auf. – »Ja. Diese beiden Komantschen beobachteten uns, und dann trennten sie sich. Der eine ging nach dieser Hazienda, und der andere folgte unserer Fährte. Er war dabei sehr unvorsichtig, wurde ertappt und von einem der Apachen erstochen.«
Da griff der Rittmeister an seinen Degen und donnerte: »Señor, ist das wahr?« – »Ja.« – »Und das sagen Sie uns, die wir mit den Komantschen verbündet sind? Sie wagen es, in dieses Haus zu kommen?« – »Ah, pah, ich wage nichts! Ich kam in dieses Haus, um mit Verdoja eine Abrechnung zu halten, und nun ich ihn nicht finde, halte ich es für meine Pflicht, Ihren Leuten zu sagen, daß sie schlafen gehen können. Die Apachen werden keinen Angriff auf die Hazienda unternehmen.« – »Aber, zum Teufel, träume ich denn?« fragte der Offizier, indem er sich an den Kopf griff. – »Nein, Sie wachen. Mein Erscheinen hier mag Ihnen ein wenig ungewöhnlich vorkommen, ist aber sehr leicht zu erklären. Die Apachen kommen nicht, um mit den Weißen Krieg zu führen, sie beabsichtigen weiter nichts, als sich von den Komantschen einige Skalpe zu holen; sie sind meine Freunde, aber darum bin ich noch nicht Ihr Feind, Señor. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Apachen weder Ihnen noch der Hazienda einen Schaden zufügen werden, und daher erwarte ich, daß auch Sie meine Freunde nicht belästigen.« – »Den Teufel können Sie erwarten!« rief der Rittmeister. »Die Apachen sind Feinde unserer Verbündeten, also auch die unsrigen, ich werde sie niedersäbeln, wo ich sie finde!« – »Ich habe keine Veranlassung, Sie zu bekehren; aber betrachten Sie mich wenigstens als einen Abgesandten, der Sie um einen dreitägigen Waffenstillstand bitten will!« – »Fällt mir nicht ein! Die Rothäute mögen heute nacht kommen und sich blutige Köpfe holen. Und kommen sie nicht, so werde ich sie morgen aufsuchen; darauf können Sie sich verlassen!« – »Dies ist Ihr Ernst?« – »Mein vollständiger!« – »Dann habe ich hier nichts mehr zu suchen. Gute Nacht!«
Da trat ihm der Rittmeister in den Weg und fragte:
»Halt, wohin?« – »Fort, zu meinen Apachen«, antwortete Sternau gleichmütig. – »Sie? Fort? Daß ich ein Narr wäre! Sie bleiben da, Sie sind mein Gefangener!« – »Sie scherzen«, lachte Sternau. – »Donnerwetter, in solchen Sachen scherzt man nicht! Es ist mein vollständiger Ernst!« – »Sie erklären einen Abgesandten, einen Parlamentär, für gefangen?« – »Von den Roten erkenne ich keinen Parlamentär an. Übrigens sind Sie ganz ohne meine Erlaubnis gekommen, ich habe keinerlei Verpflichtung gegen Sie. Sie sind gekommen, um sich unsere Vorbereitungsmaßregeln anzusehen, ich erkläre Sie für einen Spion!« – »Halt, Señor! Der Gemahl einer Rodriganda ein Spion?« – »Pah, ich glaube jetzt nicht mehr an das, was ich vorhin für wahr hielt!« – »Tun Sie, was Ihnen beliebt! Ich aber bemerke Ihnen, daß ein Spion sich wohl nicht in der Weise in die Hazienda wagen würde, wie ich es getan habe.« – »Nun gut, Spion oder nicht! Sie sind in der Hazienda, Sie haben unsere Vorbereitungen gesehen, und Sie dürfen also nicht fort!« – »Wer will mich halten?« – »Ich, Señor!« entgegnete der Rittmeister drohend. – »Pah, Sie und alle Ihre Dragoner können mich nicht halten. Ich werde gehen, wie mir es beliebt, gerade so, wie ich gekommen bin, als es mir beliebte.«
Da zog der Offizier den Degen.
»Sie bleiben!« gebot er. »Sie riskieren sonst Ihr Leben!« – »Haben Sie keine Sorge um mich!« lächelte Sternau. »In solcher Gesellschaft riskiert der Fürst des Felsens ganz und gar nichts.«
Da erbleichte der Rittmeister und mit ihm die anderen Offiziere, trat zurück und sagte:
»Der Fürst des Felsens? Dios, ja, er soll dabeigewesen sein!« – »Allerdings war er bei den Apachen. Ich selbst bin es. Und nun versuchen Sie einmal, mich zu halten!«
Der Rittmeister war doch mutig genug, ihm wieder nahe zu treten. Er gebot:
»Und wenn Sie es zehnmal sind, Sie bleiben mein Gefangener. Legen Sie die Waffen ab!« – »Das dürfte mir wohl schwerlich einfallen! Übrigens haben Sie nur Ihre Degen, Señores, ich dürfte nur den Revolver ziehen, so wären Sie verloren; aber ich tue es anders. Ich habe gesagt, daß ich Ihr Feind nicht bin, und bitte nochmals, mich zu entlassen.« – »Sie bleiben!« gebot der Rittmeister. – »Nun denn, Sie wollen es nicht anders!«
Damit erhob Sternau blitzschnell die Faust, und in derselben Sekunde krachte der Rittmeister besinnungslos zu Boden. Ehe die beiden Leutnants nur einen Gedanken haben konnten, stand er auch schon vor ihnen – zwei Faustschläge, und auch sie lagen an der Erde, er hatte sich die Bahn frei gemacht und ging.
Als er in den Hof kam, empfing ihn derselbe Unteroffizier.
»Fertig?« fragte dieser. – »Ja. Laßt mich hinaus!« – »Durch die Tür?« – »Versteht sich, denn nun werdet Ihr ja glauben, daß ich allein bin!« – »Na, so kommt!«
Der Unteroffizier trat an das Tor, um es zu öffnen. In diesem Augenblick kam eine dunkle Gestalt herangeschlichen, es war der Komantsche, der einen Rundgang gemacht hatte. Die hohe Gestalt Sternaus fiel ihm auf; er trat heran, warf einen forschen Blick auf ihn und rief:
»Der Fürst des Felsens!« – »Der Fürst des Felsens!« erscholl es von Mund zu Mund. – »Haltet ihn fest!« schrie der Komantsche abermals und faßte zugleich nach Sternau. – »Sei nicht dumm, Komantsche!« gebot da Sternau. »Wie kannst du den Fürsten des Felsens halten! Ich weiß, du willst meinen Tod nicht, ich den deinen auch nicht. Pack dich!«
Damit ergriff er den Roten und gab ihm einen Stoß, daß er weit fortflog. Da aber wurde ein Fenster aufgerissen, und man sah den von der Lampe beschienenen Kopf des Rittmeisters erscheinen.
»Ist er noch da?« rief er in den Hof hinaus. »Nehmt ihn gefangen!« – »Hier ist er! Haltet ihn, haltet ihn fest!« rief es aus mehr als einem Dutzend Kehlen.
Doppelt so viele Hände streckten sich nach Sternau aus. Dieser aber riß den Stutzen von der Schulter und schlug ein gewaltiges Rad mit demselben. Der zwölffache Hieb, den er so austeilte, schaffte ihm freie Bahn, dann nahm er einen Anlauf und flog ebenso schnell über die Palisaden hinaus, wie er über dieselben hereingekommen war.
Jetzt griff alles zu den Gewehren, man kletterte an den Planken empor und schoß nach ihm. Doch Sternau hatte dies vorausgesehen und war im eiligsten Lauf um die nächste Ecke gebogen; daher flogen die Kugeln in eine vollständig falsche Richtung.
»Zu den Vaqueros, zu den Vaqueros!« rief der Rittmeister. »Sie mögen ihn fangen!«
Das Tor wurde geöffnet, und mehrere der flinksten Dragoner rannten zu den Herdfeuern, um die Vaqueros zu unterrichten; da aber bog Sternau wieder um die Ecke herum und schlich sich zu den Pferden. Vier von ihnen weideten auf einem separaten Platz, das waren die Offizierspferde, die besten von allen. Er sprang hinzu, löste die Fessel des einen, schwang sich auf und galoppierte davon, ehe noch einer der Vaqueros erfuhr, um was es sich handle.
Die Herren Dragoner hatten heute abend den Fürsten des Felsens kennengelernt.