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Neunundfünfzigstes Kapitel.

Hat je man solche Schurkerei gesehen.
So fein ersonnen und so gut vollführt?
Doch wurden die Betrüger selbst betrogen.

Der Jude von Malta.

 

Rainscourt's Gefühle steigerten sich bis zur Verzweiflung und zum Wahnsinn. Sobald die Leute das Gemach verlassen hatten, ging er mit geballter Faust im Zimmer auf und ab und kehrte all' seinen Grimm gegen M'Elvina, den er für seinen Todfeind ansah. Ihm eine Herausforderung zuzusenden, um sowohl ihn, als sein Zeugniß aus dem Wege zu räumen und zugleich seine eigene Rache zu kühlen, war der nächste und vorherrschende Gedanke, womit sich sein erhitztes und verwirrtes Gehirn beschäftigte. Die Güter herauszugeben – verantwortlich für das bereits verschwendete Vermögen des Admirals zu sein – mit Einem Male von dem Ueberflusse in gänzliche Armuth zu versinken und vielleicht noch in's Gefängniß zu wandern – das däuchte ihm unmöglich. Er setzte seine raschen Bewegungen fort, immer noch zwischen dem Gedanken an Rache oder Selbstmord schwankend, als ein Klopfen an die Thüre ihn aus seinen dumpfen Träumen weckte. Der Wundarzt, welcher Seymour in Behandlung hatte, trat ein. Er kam, um Rainscourt, den er seit seiner Rückkehr noch nicht gesehen, seine Aufwartung zu machen und ihm über das Befinden seines Patienten Bericht abzustatten.

»Ihr unterthänigster Diener, Sir; ich muß leider sagen, daß sich mein Patient bei meinem Besuche diesen Morgen nicht gar wohl befand. Ich hoffe, ihn, wenn ich hinauf komme, besser zu finden.«

»Oh,« erwiederte Rainscourt, dessen düstere und geängstigte Seele ein schwacher Hoffnungsstrahl, aus seiner Verlegenheit noch befreit zu werden, erhellte.

»Ja, in der That,« erwiederte der Arzt, der, gleich vielen anderen, so viel als möglich von Bedenklichkeit zu sprechen wußte, um den Werth seiner Dienstleistungen zu erhöhen, wie Tom Däumling, der zuerst Riesen machte, und sie dann tödtete – »wirklich ein heftiges Fieber – ich bin mit den Symptomen nicht recht zufrieden. Doch wir wollen sehen, was zu machen ist.«

»Halten Sie es also für möglich, daß er nicht wieder aufkömmt?« fragte Rainscourt mit scharfer Betonung.

»Das läßt sich eigentlich nicht genau bestimmen, Sir; weit schlimmere Patienten sind wieder aufgekommen, und minder gefährliche gestorben. Wenn das Fieber nachläßt, so geht Alles gut – im andern Falle müssen wir das Beste hoffen,« erwiederte der Wundarzt, die Achseln zuckend.

»Es ist also möglich, daß er an der Wunde und dem Fieber stirbt?«

»Ganz gewiß; er kann in vierundzwanzig Stunden nicht mehr sein.«

»Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Mr. B.,« erwiederte Rainscourt, der jetzt allein zu sein wünschte. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Sir,« erwiederte der Wundarzt, während Rainscourt ihn mit einem höflichen Komplimente an die Thüre begleitete.

Rainscourt schritt wieder auf und ab. »Er kann an diesem Fieber und der Wunde in vierundzwanzig Stunden sterben. Daran wäre also nichts Auffallendes;« und während er so dachte, fuhr der Teufel in sein Herz. Er setzte sich, drückte, die Ellenbogen auf den Tisch stützend, die Hände an seine brennenden Schläfe und versenkte sich in ein wildes Labyrinth schlimmer Gedanken, bis ihm endlich der böse Feind einen Ausweg zeigte.

Rainscourt ließ die alte Wärterin kommen. Diejenigen, welche in dem Schwesterkönigreiche gelebt haben oder mit seinen Gewohnheiten und Eigentümlichkeiten bekannt sind, müssen wissen, daß die Irländer aus der untern Klasse an ihre Herrschaft fast bis zur Selbstaufopferung anhänglich sind. Norah war Rainscourt's Säugamme gewesen und hatte als treue Dienerin des Hauses Emilie gewiegt – sie hatte Rainscourt in seinem Elende nicht verlassen und wärmte sich jetzt im Winter ihrer Tage in der Sonne seines Glückes.

»Möge der Segen des Tages auf den Herrn kommen,« sagte die Alte bei ihrem Eintritte.

Rainscourt verschloß die Thüre. »Norah,« sagte er, »ich habe dir schlimme Neuigkeiten mitzutheilen. Weißt du, daß das Schloß nicht länger mir angehören wird?«

»Das Schloß nicht länger Ihnen gehören? O Jerum!« erwiederte die Alte, indem sie die Augen vor Staunen weit aufriß.

»Daß ich ein Bettler bin und in das Gefängniß gesetzt werde?«

»Der Herr in das Gefängniß gesetzt werden! – O Jerum!«

»Daß meine Tochter keine reiche Erbin mehr ist, sondern jetzt keinen Schilling mehr hat?«

»Das schöne Kind keinen Schilling mehr! – O Jerum!«

»Daß du entlassen – aus dem Schlosse gejagt wirst?«

»Ich aus dem Schlosse gejagt? – O Jerum!«

»Ja, Norah, dieß geschieht Alles in wenigen Tagen.«

»Aber wer wird das thun?«

»Nun, der junge Mann da oben, welchem wir das Leben retten. Dieß ist unser Dank.«

»Dank? O Jerum! – Und so jung – und so schön dazu.«

»Aber er kann sterben, Norah.«

»Ja, das kann er gewiß,« entgegnete die Alte, die sich bei diesem Gedanken wieder erheiterte. »Er liegt an einem bösen Fieber.«

»Aber er kann auch wieder aufkommen, Norah.«

»Ja, das kann er,« erwiederte sie betrübt; »er ist ein junges Blut.«

»Sage mir, Norah, liebst du deinen Herrn? liebst du deine junge Gebieterin?«

»Ob ich den gnädigen Herrn und das Fräulein liebe?« erwiederte die Alte erzürnt; »und Sie können mich so fragen!«

»Kannst du es über's Herz bringen, uns von Haus und Hof vertrieben – arm und mit Wunden bedeckt in die weite Welt hinausgestoßen zu sehen? Willst du dieses zugeben, wenn es auf dich ankommt, es zu verhindern?«

»Ob ich es über das Herz bringen kann? – ob es auf mich ankömmt? Sagen Sie mir es nur, ich will Alles thun, was ich im Stande bin.«

»Ich sagte, der Verwundete könne sterben – Norah, er muß sterben.«

Die Alte blickte Rainscourt scharf in's Gesicht, als wenn sie seine Gedanken erforschen wollte. »Ich sehe! –« Dann ließ sie eine Zeit lang ihren Kopf, wie in Nachdenken versunken, hängen und blickte wieder auf.

»Wird Vater O'Sullivan mir dafür Absolution ertheilen?«

»Er wird – er soll – ich will zehntausend Messen für deine Seele lesen lassen.«

»Aber was soll ich denn thun? – So jung und so schön! ich will heute Nacht darüber nachdenken. Ich schlafe gegenwärtig nicht viel; die Ratten lärmen so arg.«

»Ratten?« rief Rainscourt; »warum nimmt man nicht Arsenik?«

»Arsenik!« wiederholte die Alte; »meinen Sie Arsenik für die Ratten?«

»Ja,« erwiederte Rainscourt bedeutungsvoll, »für alle Ratten – auch für die, welche den Grund eines alten Hauses untergraben wollen.«

»Ja, es ist ein altes Haus, das der Rainscourt;« erwiederte die Wärterin; »aber ich bin in Etwas schwindelig – ich will's ein Bischen überlegen.«

Nach einigen Minuten war ihre Miene wieder heiter. »Warum verheirathen Sie beide jungen Leute nicht mit einander? Es gäbe ein so schönes Pärchen!«

»Verheirathen, alte Närrin! Glaubst du, daß er jetzt, wo das ganze Vermögen ihm gehört, Emilie ohne einen Heller heirathen würde? Nein – nein.«

»Das ist richtig – und Sie bedürfen also Arsenik – wissen Sie aber auch gewiß, daß der Priester Absolution ertheilen wird?«

»Gewiß,« erwiederte Rainscourt ungeduldig; »komm' morgen in aller Frühe zu mir.«

»Ja, ich will diese Nacht darüber nachdenken – so jung und so schön; o Jerum!« murmelte die Alte, während sie die Thüre aufschloß und mit wankenden Schritten das Zimmer verließ.

Sobald Rainscourt allein war, wurde er wiederum die Beute stürmischer Leidenschaften. Obwohl sein Gewissen längst unempfindsam war, wenn es sich um die gewöhnlichen Alltagsverbrechen der Welt handelte, schauderte es doch vor einem vorbedachten Morde zurück. Mehr als einmal war er entschlossen, den Dingen ihren Lauf zu lassen und, im Fall Seymour wieder aufkommen sollte, mit so viel Geld als möglich aus dem Lande zu fliehen; aber der Teufel hatte sein Herz in Besitz genommen und ließ sich nicht mehr vertreiben.

Abermals ging die Thüre auf und herein trat Emilie, das Gesicht strahlend vor Freude über die Unterredung mit Seymour; in welcher sie einander das gegenseitige Versprechen der Liebe und Treue gegeben hatten.

»Mein lieber Vater, Mr. Seymour ist für diesen Abend weit besser.«

»Meinetwegen dürfte er im Grabe liegen!« erwiederte Rainscourt mit Bitterkeit.

Emilie war auf Seymour's Bitte gekommen, um ihrem Vater zu entdecken, was sie einander gelobt hatten; allein sein heftiger Ausruf schreckte sie zurück. Sie hielt den Augenblick nicht für günstig und entfernte sich, ihm gute Nacht wünschend, während in ihrem Gesichte eine nicht geringe Entrüstung über seinen frevelhaften Wunsch sich kundgab. Sie ging auf ihr Zimmer und ihr Unmuth legte sich bald bei dem Gedanken, daß ihr Vater wohl um ihretwillen in einer so gereizten Stimmung gewesen sei und daß morgen Alles wieder gut sein würde. Voll Dankbarkeit und Liebe betete sie zu ihrem Schöpfer, legte dann, stets an Seymour denkend, ihr Haupt auf das Kissen, und heitere Bilder einer glücklichen Zukunft erfüllten ihre Träume in ununterbrochener Folge.

Ergötze dich an ihnen, schönes und unschuldiges Mädchen! schwelge wo möglich bis zur Sättigung in ihnen – denn es ist deine letzte Freude. Wie sehr würde das Elend dieser Welt sich vermehren, wenn wir in die Zukunft blicken könnten. Wie wenige von uns würden es der Mühe Werth halten, ihre Pilgerreise fortzusetzen. Das menschliche Leben ist eine Wanderung in Irrthum und Finsterniß. Das Irrlicht, welchem der Mensch jederzeit folgt, täuscht ihn auch jederzeit, und man warnt ihn vergebens – wenn er die Täuschung erkennt, sieht er ein anderes, und folgt nun diesem wieder. Wenn er die Frucht zu genießen glaubt, verwandelt sie sich in seinem Mund in Asche – Warnung folgt auf Warnung – Täuschung auf Täuschung – jedes graue Haar auf seinem Kopfe kann als trauriges Denkmal theuer erkaufter und doch nutzloser Erfahrung angesehen werden. Aber angespornt von Hoffnung, die Alles in nächster Ferne zeigt, hört er nimmer auf, einem Nichts nachzustreben, bis er in sein Grab taumelt und Alles vorüber ist.

M'Elvina und der Vikar dachten nicht im Mindesten an die Folgen, die daraus hervorgehen konnten, daß sie Rainscourt in seinem Zorne verließen. Eben so wenig dachten Rainscourt und die Wärterin daran, wie furchtbar und wie wichtig die Ergebnisse ihrer ruchlosen Anschläge sein würden. Ach, das liebende und schuldlose Paar, das jetzt schlummerte, von seligen Träumen gewiegt, ahnete nicht, was die rastlos gebärende Zeit am nächsten Morgen bringen werde.

Morgens in aller Frühe wurde Rainscourt, der wach geblieben war und sich nicht ausgekleidet hatte, durch ein leises Klopfen an seine Thüre aufgeschreckt. Es war die Wärterin.

»Nun,« fragte Rainscourt hastig, »hast du das zubereitet, wovon ich sprach?«

»Ja, aber –«

»Kein Aber, Norah, oder wir trennen uns für immer. Wo ist es? Wer ist bei ihm?«

»Eine von den Frauen. Ich habe ihr gesagt, ich wolle, sobald es Tag werde, bei ihm wachen.«

»Wann nimmt er seine Arznei?«

»Alle zwei Stunden – o Jerum – er wird jetzt zum letzten Male einnehmen – so jung und so schön.«

»Schweig', Närrin! Geh' und schicke das andere Frauenzimmer zu Bette und dann bring' mir das Arzneiglas.«

Die alte Wärterin wackelte fort, wandte sich jedoch wieder um – »Aber die Absolution?«

»Geh' und thue, wie ich dir befahl,« rief Rainscourt heftig.

»Um Gotteswillen, sprechen Sie nicht so laut! das ganze Haus wird Sie hören,« sagte flehend die alte Hexe, während sie das Zimmer verließ.

Sie kehrte mit der Arznei zurück. Rainscourt that das Pulver hinein und schüttelte das Glas, wie ein Verzweifelter. »Das ist der erste Trank, den er nehmen muß; gib ihm sogleich ein.«

»O Jerum,« schrie die Alte, während sie mit zitternder Hand das Glas in Empfang nahm.

»Geh', und komm wieder, um mir Nachricht zu bringen, wenn er es genommen hat.«

Norah verließ das Zimmer. Rainscourt erwartete ihre Rückkehr in einem so furchtbaren Seelenzustande, daß starke Schweißtropfen von seiner Stirne herabrannen. In dem einen Augenblicke wollte er sie zurückrufen – in dem andern grinste ihn die bitterste Armuth an und sein teuflischer Entschluß stand fest. Die Qual der Ungewißheit peinigte ihn so, daß er nicht länger warten konnte. Er ging nach der Thüre des Krankenzimmers, öffnete sie sachte und schaute hinein.

Die Alte saß zusammengekauert auf dem Boden, Gesicht und Kopf mit dem Mantel bedeckt. Das Knarren der Thüre schreckte sie auf; sie warf den Mantel zurück und blickte herum. Rainscourt richtete durch Zeichen die Frage an sie, ob er den Trank genommen habe. Sie schüttelte den Kopf. Zornig streckte er seinen Finger aus und bedeutete ihr, ihm den Trank zu geben. Die Alte sank auf die Kniee und hielt flehend ihre Hände empor. Rainscourt winkte ihr hinaus – und sie folgte ihm auf sein Zimmer.

»Siehst du diese Pistolen?« sagte Rainscourt, »sie sind geladen; augenblicklich gehorche meinen Befehlen – versprich mir bei deiner Seligkeit, dein Herr wird nicht länger leben. Schwöre!« fuhr er fort, eine der Pistolen an das Ohr haltend und den Finger an den Drücker legend.

»Ich will es – bei meiner Seligkeit, ich will es,« rief Norah; »legen Sie nur die Pistolen weg, und wenn er tausendmal schöner wäre und wenn meine Seele ewig brennen müßte – ich will es thun.«

Sie kehrte abermals nach dem Krankenzimmer zurück, begleitet von Rainscourt, der an der Thüre stehen blieb, um sie in ihrem Entschlusse zu ermuntern.

Seymour ward von der alten Unholdin aus einem Traume aufgerüttelt, in welchem Emiliens Gestalt seine Phantasie entzückte – um den tödtlichen Trank zu nehmen, der ihm jetzt dargereicht wurde. Gewöhnt, das Fiebermittel zu bestimmten Stunden einzunehmen, trank er schnell, um bald wieder in seine seligen Träume hinüber zu schlummern.

»Was ist das? es verbrennt mir die Kehle!« rief Seymour.

»Es ist nicht das Gleiche, welches Sie vorhin genommen haben,« sagte die Alte schaudernd, während sie ihm Wasser daraus reichte.

»Danke, Wärterin!« sagte Seymour, während er wieder auf seine Kissen zurücksank.


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