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Achtunddreißigstes Kapitel.

Und mit der Segel raschem Flug
Geht nach der Heimath jetzt sein Lauf;
Schnell treibt des Windes scharfer Zug.
Hoch spritzt der Schaum am Kiel hinauf.

Byron.

 

Nach einer Fahrt von sechs Wochen lief die Aspasia in den Kanal ein. Das Wetter, welches während der ganzen Heimreise heiter gewesen war, änderte sich jetzt ganz; der trübe Himmel, ein dicker Nebel und ein kalter Staubregen zeigten deutlich, daß man sich der englischen Küste nähere. Aber da sie sich drei Jahre lang in einem tropischen Klima aufgehalten hatten, so war diese keineswegs eine Quelle der Beglückwünschung, sondern vielmehr der Klage für sie; denn es war gewöhnliches November-Kanal-Wetter, wobei sie überdies der Heimath und den Kaminen so nahe waren, daß diese durch die harte Probe, welche die Mannschaft zu bestehen hatte, ehe sie sich derselben erfreuen durfte, noch einen höhern Werth erhielten.

»Ha!« rief ein alter Schiffmann, der in jüngern Jahren auf einem Küstenfahrer gedient hatte, während er seine Jacke bis an den Hals zuknöpfte, »jetzt hat es doch auch wieder ein Ansehen! Wir haben doch nicht immer jenen verdammten blauen Himmel.«

So groß ist die Macht der Liebe, sei es gegen Personen oder gegen Dinge, daß selbst Mängel eine Quelle der Befriedigung werden.

Als der kurze Tag zu Ende ging, legte die Aspasia, welche vor dem Winde und dem schief herunter träufelnden Regen steuerte, der durch seine Schwere ihren Lauf noch zu befördern schien – bei und suchte nach Ankergrund.

»Nun, Steward, was gibt's Neues?« sagte einer der Midshipmen, als jener in die Kajüte trat, während die an seinem rauhen Oberrocke hängenden Regentropfen im Scheine des einzigen Lichtes, das die Finsterniß nur noch mehr hervorhob, wie kleine Diamanten blitzten.

»Neuigkeiten,« erwiederte Steward, indem er seinen Hut mit einem raschen Schwunge abnahm, so daß das Wasser, das sich auf dem Deckel desselben gesammelt hatte, Prose in's Gesicht spritzte, worüber dieser, zur Belustigung Stewards, plötzlich aufschrak; nun, wie die Zeitungsbursche mit der zweiten Ausgabe eines Abendblattes ausrufen: »Große Neuigkeiten, herrliche Neuigkeiten! – und, um Alles kurz zusammenzufassen, Ankergrund auf vierundsiebenzig Faden; grauer Sand und Muscheln.«

»Hussa!« antwortete der alte Schiffsmeistersgehülfe.

»Jetzt drei Hurrah's – und dann ein Lied.«

Die drei Hurrah's wurden mit gehörigem Nachdrucke, wenn auch nicht mit der gehörigen Schicklichkeit, ausgebracht, indem Alle sich rund um den Tisch herumstellten. »Jetzt, meine Jungen, haltet Takt. Mr. Prose, wenn Sie mit ihrem verdammten Näseln einfallen, so gebe ich Ihnen einen Puff.«

Auf dem Kanale steuern wir
Mit gutem Wind zum Heimathland;
So schön und lieblich, gleich wie hier,
Ist's nicht an Indiens fernem Strand,
Laßt uns bei hellem Gläserklingen
Dem Vaterland ein Vivat bringen u. s. w.

Das Lied wurde von den Midshipmen in vollem Chorus gebrüllt. Nach dem ersten Verse fielen die Seesoldaten aus ihrer ganz in der Nähe befindlichen Kajüte ein; von ihr ging es weiter nach dem untern Deck, so daß die letzten Strophen von fast zweihundert Stimmen gesungen wurden, deren mächtiger Schall in jeden Winkel des Schiffes drang und in jeder Brust wiedertönte, den Kapitän nicht ausgenommen, der an der Laufplanke stehend, über eine Sache lächelte, die er als eine Subordinationsverletzung bei der Schiffsmannschaft betrachtet haben würde, wenn er es nicht als einen Beweis jener innigen Anhänglichkeit an das Vaterland angesehen hätte, aus der unsere Seemacht hervorging.

Der Gesang endigte mit einem allgemeinen, lärmenden Hurrahgeschrei vorn und hinten im Schiffe, und jetzt erst schickte der Kapitän hinunter und ließ die Leute ersuchen, ihren Lärm einzustellen. Sobald Alles vorbei war, rief man in der Midshipmens-Kajüte laut nach Grog, der auch alsbald gebracht wurde.

»Dies Englands weißen Klippen!« schrie der Eine, indem er seinen vollen Humpen trank und ihn umgekehrt auf den Tisch stellte.

»Dieses dem Lande der Schönheit!«

»Dieses der Smaragdinsel Irland.

»Dieses dem Kuchenlande Schottland.!« rief Steward, seinen Humpen ausleerend und ihn über seine Schulter werfend.

»Sechs statt Eines für eine Feldlerche,« schrie Prose.

»Hundert statt Eines, du verdammter Spießbürger; ich sorge für alle.«

»Nein, nein, nein!« schrieen sämmtliche Midshipmen; »nicht Einer für Eines

»Jetzt sollt ihr ein Lied haben, Jungen, rief Steward, der augenblicklich mit großem Gefühl die schöne Melodie anstimmte:

»Alte Freunde, sollten wir vergessen,
Die gute alte Zeit?«

»Aber ich habe meinen Toast noch nicht ausgebracht,« sagte Jerry, als das Beifallsrufen am Schlusse des Liedes zu Ende war.

»Dieses der Schattenseite von Pallmall!«

»Und ich glaube,« sagte Steward, indem er Prose einen Backenstreich versetzte, der diesem den Athem benahm, »daß Sie an Wapping denken, Sie Herrgottblitz!«

»Ich meine, daß ich genug Wapping bekommen habe, seitdem ich auf diesem Schiffe bin,« antwortete Prose.

»Nun, Prose, das muß ich sagen, Sie sind ganz köstlich,« bemerkte Jerry. »Gleichen einem Feuersteine; es bedarf nur eines Schlages von Steward's eiserner Faust, so sprühen Sie Funken. Versetzen Sie ihm noch Eins, Steward. Er gleicht den tanzenden Derwischen in Tausend und Einer Nacht; er muß geprügelt werden, um für ein paar Heller Witz aus ihm herauszuzwacken.«

»Ich wünschte, Sie behielten Ihren Rath bei sich, Jerry.«

»Mein lieber Prose, ich wünsche nur um der Ehre von Middlesex In dieser Grafschaft liegt London. willen, daß Sie leuchten. Ich bin überzeugt, daß in Ihrem Kopfe viel Witz steckt; aber er ist eingeschlossen, wie der Kern in einer Nuß; man kann ihn nicht bekommen, ohne die Schale zu zerbrechen. Versetzen Sie ihm noch Eins, Steward.«

»Wohlan, Prose, ich will Ihre Partei nehmen und sein Recept an ihm selbst probiren, nämlich ihn so lange prügeln, bis er etwas Witziges sagt.«

»Das macht mich ganz entzückt;« erwiederte Jerry; »nun, wenn ich einmal etwas Ordentliches sage, so versteht Ihr es nicht. Ich werde deshalb in alle Ewigkeit geprügelt werden. Ueberdieß bin ich zu weit entfernt von Ihnen.«

»Wie verstehen Sie das?«

»Nun, ich gleiche mancher Kuh; ich gebe meine Milch nicht eher her, bis das Kalb an meiner Seite ist. Wenn Sie sich nun auf dieser Seite des Tisches befänden –«

»Da bin ich,« rief Steward, sprang hinüber und faßte Jerry beim Kragen; »jetzt, Mr. Jerry, machen Sie sogleich einen Witz.«

»Ja, versprechen Sie mir, ihn zu begreifen. Wir befinden uns gerade in der umgekehrten Lage Englands und Schottlands nach der Schlacht von Culloden.«

»Wie meinen Sie das, Sie Tropf?« schrie Steward, den dieser Vergleich in Harnisch gebracht hatte.

»Nun, ich bin in Ihren Klauen, gerade wie es Schottland war – ein erobertes Land.«

»Sie lügen, Sie kleiner Racker,« rief Steward, indem er Jerry's Hals drückte, bis er den Mund aufsperrte; »Schottland wurde niemals erobert.«

»Nun denn,« fuhr Jerry fort, dem jetzt die Galle aufstieg, sobald Steward ihm etwas mehr Athem ließ; »ich bin wie König Karl in den Händen der Schotten. Wie theuer verkaufet Ihr ihn?«

Jerry's dünner Leib tönte jetzt wie eine Trommel von dem Streiche, den er von Steward dafür empfing, daß er sein angebetetes Geburtsland zum zweiten Male verhöhnt hatte. Sobald er die Sprache wieder erlangt hatte, sagte er: »Nun, war ich nicht sehr witzig? Sind Sie zufrieden, oder wollen Sie noch mehr haben? Oder wollen Sie's bei Prose versuchen und sehen, ob Sie Blut aus einer Rübe zapfen können?«

Steward, der nicht geneigt war, noch weitere schöne Sachen von Jerry zu hören, nahm seinen vorigen Sitz neben Prose wieder ein, der in tiefes Nachdenken versunken schien.

»Nun, Prose, Sie denken gewiß an Ihre Verwandte in Cheapside?«

»Gesetzt nun, daß dieses der Fall wäre, Steward? Wir haben in der City dieselben Gefühle, wie ihr auf der Haide, und obgleich ich mich nicht, wie Sie, einer Verwandtschaft mit den früheren Königen rühme, so kann man doch Vater, Mutter, Brüder und Schwestern lieben, ohne im Stande zu sein, seinen Stammbaum bis auf den Urgroßvater hinauf zu verfolgen. Ich habe niemals Ihre hohen Rechte bestritten; warum treten Sie denn meinen demüthigen Ansprüchen auf das allgemeine Menschengefühl entgegen?«

»Ich bin geschlagen, Prose,« erwiederte Steward. »Sie sollen mein Glas Grog für diese Rede haben; denn Sie hielten noch nie eine bessere. Geben Sie mir Ihre Hand, mein guter Junge.«

»Ich bin froh, daß Sie wenigstens einige Symptome von Vernunft zeigen,« bemerkte der an der Thüre stehende und noch immer zürnende Jerry. »Ich kann doch nach einer so außerordentlichen Concession von Ihrer Seite noch einige Hoffnung auf Ihre Majestät setzen. Sie müssen wichtige Gründe haben, stolz darauf zu sein, daß Sie Ihren Stammbaum bis auf einen Gränzhäuptling zurückführen können, der zu einer Fehde aufbrach, wenn ihm Spores als Mittagsmahl vorgesetzt wurden; oder der, um mich deutlicher auszudrücken, Vieh stahl und diejenigen beraubte, welche sich ihm nicht widersetzen konnten. Dies mochte damals als ein Merkmal von Tapferkeit angesehen werden; aber die Zeiten haben sich jetzt geändert; und wenn Ihr gefeierter Ahn jetzt lebte, nun so würde er (hiebei fuhr Jerry mit seiner Hand unter das linke Ohr) das bekommen, was er verdiente, und damit basta.«

»Bei meinem Erzeuger, gehen Sie mir aus den Augen, oder ich ermorde Sie!« schrie Stewart, blaß vor Wuth.

»Auf dies war ich bedacht,« erwiederte Jerry, »ehe ich meine Meinung zu äußern wagte, und jetzt, da ich an der Thüre stehe, so will ich Ihnen noch einen kleinen Rath ertheilen. Rühmen Sie sich aller Ihrer Vorfahren, in so fern sie ehrliche Leute sind; gehen Sie aber zu weit, so sind Sie ein Narr –« und hiemit machte sich Jerry klugerweise so schnell als möglich davon.

»Die Stunde der Wiedervergeltung wird kommen,« schrie Stewart Jerry nach, als der Letztere die Leiter hinaufsprang. Aber dies war nicht der Fall; denn als der nächste Morgen tagte, hefteten sie ihre Augen auf die Kalkfelsen der Insel Wight, während die Aspasia den Nadeln zusteuerte. An Bord eines Kriegsschiffes finden zwei Ereignisse statt, in Folge deren Beleidigungen vergessen, Entschuldigungen geboten und angenommene Herausforderungen rückgängig gemacht, Händedrücke freundschaftlich gewechselt und durch Freude und Wohlwollen alle Feindseligkeiten unterdrückt werden. Das eine besteht in dem Entzücken nach einem Gefechte – das andere in dem Anblicke des Vaterlandes nach einer längern Abwesenheit.

Jerry stellte sich ohne Scheu neben Stewart, der über die Laufplanke hinaussah.

»Um zwölf Uhr werden wir vor Anker gehen.«

»Danken Sie Ihren Sternen,« sagte Stewart mit bedeutungsvollem Lächeln.

Die Aspasia segelte jetzt durch die Nadeln, und nachdem sie an Hurst-Castle, Cowes und der Einfahrt von Southampton-Water vorübergekommen war, ging sie bei Spithead sieben Faden tief vor Anker. Die Segel wurden eingezogen, das Schiff festgebunden, ein Boot ausgesetzt und Kapitän M. fuhr an's Land, um sich dem Hafen-Admiral vorzustellen und seine Depeschen zu übergeben.

Bei der Rückkehr brachte das Boot Briefe mit, die auf die Ankunft des Schiffes gewartet hatten. Einer derselben benachrichtigte Jerry von dem Tode seines Vaters, so wie, daß er in den Besitz eines Vermögens gelangt sei, das ihn in Stand setzte, sich vom Dienste zurückzuziehen. Durch ein anderes Schreiben von der Admiralität wurde Stewart zum Lieutenant befördert; ein anderes von M'Elvina lud unsern Helden ein, ihm einen Besuch abzustatten und so lange in seinem Hause zu bleiben, als es der Dienst erlauben würde, indem an Kapitän M. geschrieben und derselbe ersucht worden sei, ihm Urlaub zu ertheilen.

So wie Kapitän M. von der Admiralität Antwort erhalten hatte, begab er sich an Bord zurück und meldete seinen Offizieren, daß man ihm die Erlaubniß ertheilt habe, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit einige Zeit am Lande bleiben zu dürfen, und daß ein anderer Kapitän jetzt das Kommando des Schiffes übernehmen werde. Er ließ die Matrosen zusammentreten, hielt eine Anrede an die Schiffsmannschaft, dankte ihr für ihr wackeres Benehmen unter seinem Kommando und drückte die Hoffnung aus, daß er bei seiner Rückkehr auf das Schiff sie alle am Leben und gesund wieder treffen werde.

Der erste Lieutenant vernahm zu seiner großen Ueberraschung und Freude, daß er zum Schiffskommandanten ernannt sei, was Kapitän M. von der Admiralität ausgewirkt hatte. Die Mannschaft wurde entlassen, Kapitän M. verabschiedete sich von seinen Offizieren, stieg an der Schiffsseite hinunter und ließ abstoßen.

Als das Boot sich von der Fregatte entfernte, stiegen die Leute ohne besonderen Befehl in die Wandtaue hinaus und begrüßten ihn mit drei Abschiedshurrah's. Kapitän M. nahm zur Erwiederung seinen Hut ab, hüllte das Gesicht in seinen Mantel, um seine Rührung zu verbergen, und das Boot steuerte weiter dem Lande zu.

Seymour, der sich in dem Boote befand, folgte seinem Kapitän in das Gasthaus. Dieser sagte ihm, daß er seine Versetzung in ein Wachtschiff und Urlaub aus zwei Monate für ihn erlangt habe, die er bei seinem Freunde M'Elvina zubringen könne. Dann entließ er ihn mit einem freundlichen Händeschütteln und bat ihn, er möchte öfters schreiben und sich nur an seinen Banquier wenden, wenn er irgend eine pekuniäre Unterstützung bedürfe.

Seymours Herz war voll: er konnte seinem wohlwollenden Beschützer nicht antworten. Dann kehrte er noch einmal an Bord zurück, nahm von seinen Tischgenossen Abschied und langte am folgenden Abschied auf M'Elvina's Landgute an.

Daß er hier eine herzliche Aufnahme fand, braucht kaum versichert zu werden. M'Elvina, dessen Ehe nicht mit Familie gesegnet war, fühlte eine Neigung zu unserem Helden, als wenn er sein eigenes Kind wäre, und Susanna war von der schönen Gestalt und den gewinnenden Manieren des Knaben entzückt, dessen Jugendzeit oft für ihren Gatten ein Gegenstand der Unterhaltung gewesen war.

Will der Leser sich die Mühe nehmen, an seinen Fingern nachzurechnen, so wird er finden, daß William Seymour jetzt sechszehn Jahre alt ist. Will er das nicht, so muß er meinem Worte glauben; und dann wird es auch gut sein, wenn ich sage, daß Miß Rainscourt etwas über vierzehn ist. Ich bin bei Erwähnung dieser chronologischen Fakta so genau, weil ich die Absicht habe, im nächsten Kapitel diese beiden Leute zusammen zu führen.


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