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Wegen der Beobachtung aller Formalitäten, Bräuche, Ceremorien, Disciplin und dergleichen, worüber er vielleicht heimlich selbst lacht, wenn er Gehorsam fordert, empfehlt mich unserem Gouverneur, Don Fabricio.
Die Launen von Madrid.
Nach wenigen Tagen segelte Courtenay in der zur Ueberfahrt bestimmten Fregatte mit der Prisenmannschaft der Aspasia nach Barbados.
Die Fregatte stand unter dem Kommando eines der sonderbarsten Kapitäne. Er war gescheidt, ein trefflicher Seemann und in den Details und technischen Kenntnissen seines Berufes wohl bewandert – ein kühner und unternehmender Offizier, aber von sehr despotischer Gesinnung. Er war mit dem Dienstreglement vertraut genug, um sich mit demselben dermaßen einzuzäunen, daß er den eigensinnigsten Befehlen Gehorsam verschaffen oder die Offiziere, welche ihm nicht sogleich Folge leisteten, in Verlegenheiten bringen konnte, die ihre Stellung gefährdeten. In einem Stande, wo ein Einzelner in Gesellschaft Vieler sich einschifft, getrennt von der Gewalt, die ihm seine eigene verleiht – wo sein Wille von Hunderten, die vielleicht eben so klug als er selbst sind, ohne Widerrede befolgt werden muß, ist es unumgänglich erforderlich, daß derselbe mit einer an den Despotismus glänzenden Macht bekleidet wird. Allerdings ist er seinen Oberen für jeden Mißbrauch der Gewalt Rechenschaft schuldig; allein unter den Vielen, welchen eine so ausgedehnte Herrschaft anvertraut ist, muß es immer auch einige geben, die entweder ihrem Charakter zu Folge oder durch das schlechte Beispiel derer, unter welchen sie selbst standen, verleitet, sich nicht in den vorgeschriebenen Gränzen halten. Dieß ist jedoch kein Grund, eine solche Autorität zu beschränken, denn da man bloß durch die Meinung herrscht, so ist sie zur Aufrechterhaltung der Disciplin im Dienste durchaus nothwendig; man sollte sich aber deßwegen wohl in Acht nehmen, sie solchen Leuten anzuvertrauen, die ihrer nicht würdig sind.
Kapitän Bradshaw besaß manche versöhnende Eigenschaften. Ein so großer Tyrann er auch war, so bewunderte er doch bei den Offizieren einen muthigen Widerstand, sobald derselbe durch eine gerechte Sache hervorgerufen wurde, und nach ruhiger Ueberlegung war er stets der Freund dessen, der sich ihm auf solche Art widersetzte; denn er fühlte, daß sein eigenes heftiges Temperament lediglich die Folge eines blinden Gehorsams sei. So viel ich mich erinnere, hat Raynal gesagt, der Hochmuth der Beamten entspringe eben so oft aus der Kriecherei ihrer Untergebenen oder Exspektanten, als aus andern Ursachen. Bei unserem Dienste sind Alle Untergebene und Exspektanten; kann es daher auffallen, wenn ein Kapitän hie und da den Tyrannen spielt? Kapitän Bradshaw war jedoch von Natur nicht tyrannisch; er war es bloß deßwegen geworden, weil er schon in jugendlichem Alter befördert wurde und nachher keinen Widerspruch mehr fand, indem Jedermann seinen Scherzen Beifall zollte und seine Heiterkeit als Witz aufnahm. Er konnte einen Offizier, der nur einen unbedeutenden Fehler begangen, vor ein Kriegsgericht stellen, und öffnete vielleicht an demselben Tage einem andern Unbekannten, von dem er vernommen, daß er der Unterstützung würdig sei und seine Freunde habe, seine Börse und nahm ihn überall in Schutz. Gegen seine Matrosen war er mit dem Gelde eben so freigebig, als mit der Katze. Er konnte zum Beispiel den einen Tag einem Matrosen eine neue Jacke geben und ließ sie ihm am andern aus dem Rücken mit dem Tauende in Fetzen schlagen. Doch war dieß eigentlich keine Konsequenz, sondern Ueberspanntheit des Charakters – ihm nicht angeboren, sondern durch langjährigen Dienst erzeugt. Das Propfreiß war von schlimmerer Beschaffenheit als der Mutterstamm, und die Frucht war ein Gemisch von beiden. Die Matrosen, welche unter allen Leuten das versöhnlichste Temperament haben und einer guten Eigenschaft wegen hundert Fehler verzeihen, erklärten, daß er, genau betrachtet, doch kein schlechter Kapitän sei.
Sein heftiges und tyrannisches Temperament unterhielt zwischen ihm und seinen Offizieren beständige Mißhelligkeiten, daher wechselten Letztere auf seinem Schiffe immerwährend. Man konnte jedoch wahrnehmen, daß diejenigen, welche ihn nach einem muthvollen Widerstande verlassen hatten, stets bei ihm beliebt waren und sich seiner Empfehlung erfreuten, während andere, die sich geduldig unterwarfen, vernachlässigt wurden. Gleich einem schönen, aber klugen Frauenzimmer, welches wohl einsteht, daß Koketterie etwas Verächtliches ist, aber aus Gewohnheit nicht ohne dieselbe existiren kann, verlangte Kapitän Bradshaw die Servilität, die er gewohnt war, belohnte jedoch die Allzudemüthigen keineswegs. Alle auf der Station beförderten Midshipmen mußten die Prüfung durchmachen, bei Kapitän Bradshaw in Dienst zu treten, auf dessen Schiffe es immer vakante Stellen gab. Dieß brachte jedoch sicherlich eine gute Wirkung auf diejenigen jungen Leute hervor, die geneigt waren, auf ihren neuen Rang sich etwas einzubilden: denn sie wurden immer tüchtig geschult, ehe sie sein Schiff verlassen durften.
Als Courtenay und seine Leute an Bord der Fregatte gingen, weigerte sich der erste Lieutenant, der Schiffer und der Wundarzt – empört über die Sprache, welche der Kapitän gegen sie gebraucht hatte – in der Kajüte desselben zu speisen. Der Aufwärter, welcher sie eingeladen hatte, hinterbrachte nun Kapitän Bradshaw, daß die Offiziere seine Einladung nicht annehmen wollten.
»Was? Sie wollen nicht? Gott straf' mich! Das will ich sehen; ruf mir den Sekretär.«
Der Sekretär erschien mit einem tiefen Bücklinge.
»Mr. Powell, da setzen Sie sich hin und schreiben Sie, wie ich diktire,« rief ihm Kapitän Bradshaw zu und diktirte, in der Kajüte auf- und abgehend, eine Note, worin nach einer langen Einleitung der erste Lieutenant, der Schiffer und der Wundarzt die Weisung erhielten, jeden Tag bis auf weitere Befehle mit ihm zu speisen. Kapitän Bradshaw siegelte dann die Ordre, ließ den ersten Lieutenant kommen und händigte sie ihm selbst ein.
»Ferguson! – Bradly!« rief der erste Lieutenant, als er mit dem Papiere in der Hand in das Konstabelzimmer trat; »da ist etwas für uns alle drei – ein gemessener Befehl, mit dem Schiffsherrn jeden Tag zu speisen, bis – unsere Gesellschaft ihm entleidet.«
»Man soll mich hängen lassen, wenn ich das thue,« erwiederte der Wundarzt. »Ich will mich selbst auf die Krankenliste setzen.«
»Und wenn ich auch gehen muß, so rühre ich doch nichts an,« fiel der Schiffer ein. »Es ist ein altes Sprichwort: man kann ein Pferd zum Brunnen führen, aber nicht machen, daß es trinkt.«
»Was wir auch beginnen,« erwiederte Roberts, der erste Lieutenant, »so müssen wir zusammenhalten; aber ich bin lange genug im Dienste gewesen, um zu wissen, daß man zu erst gehorchen und nachher Einwendungen machen muß. »Daß der Befehl ein ungewöhnlicher ist, gebe ich zu und kenne auch keine Dienstvorschriften, die ihm Kraft ertheilen können; aber zugleich muß man auch bedenken, daß wir durch Verweigerung des Gehorsams uns größerer Gefahr aussetzen. Man sehe nur einmal, wie listig er hier in der Einleitung die Worte gebraucht: Anschein von Verschwörung, womit man die Absicht habe, ihn verächtlich zu machen; ferner – zur Aufrechterhaltung einer besseren Disciplin in königlichen Diensten, die nothwendig darunter leiden muß, wenn die Matrosen, die stets auf das Beispiel ihrer Oberen sehen, gerade unter diesen keine Einigkeit wahrnehmen. Meiner Seel', der Kerl ist verdammt klug. Ich glaube, er würde einen Grund finden, uns beide Reihen Zähne ausbrechen zu lassen, wenn er Lust dazu hätte, und dann nachher bündig beweisen, es sei Alles zum Besten des königlichen Dienstes geschehen. Aber was ist jetzt zu machen?«
»Nun, welcher Meinung sind Sie, Roberts?«
»Oh, ich glaube, es ist am besten, wenn wir gehen, und falls Sie nur zu mir halten wollen, wird er uns nicht zum zweitenmale bei sich speisen lassen.«
»Ja, dann stimme ich bei,« erwiederte der Wundarzt.
»Dann muß ich wohl auch; aber beim Himmel, es ist eine unerhörte Tyrannei und Unterdrückung.«
»Hat nichts zu sagen, folgen Sie nur mir. Wir gehen Alle mit einander, führen uns so gemein auf, als wir nur können – sind so unhöflich, als möglich – verderben Alles – betragen uns auf die frechste Weise und lachen ihm in's Gesicht. Wenn wir nicht zu weit gehen, so kann er uns nichts anhaben – und wird uns mit keiner zweiten Einladung belästigen.«
Ihr Plan war bald entworfen, und um drei Uhr rief man sie nebst einem der Midshipmen und Jerry, dem als einem Fremden auch die Ehre einer Einladung zu Theil geworden, in die Kajüte.
Kapitän Bradshaw, der ein seiner Gastfreundschaft entsprechendes Vermögen besaß, bildete sich viel auf seine gute Tafel ein; sein Koch war ein Künstler – und seine Weine waren von der besten Qualität. Kurz, es war durchaus nichts Unangenehmes, bei ihm zu speisen – aber nach einer Nöthigung! – Nein.
Die Offiziere machten ihre Komplimente. Der Kapitän, erfreut über ihren Gehorsam, beabsichtigte, obgleich er sie mit Gewalt zum Essen gebracht hatte, doch bei Tische mit der größten Höflichkeit die Honneurs zu machen.
»Roberts,« begann er, »thun Sie mir den Gefallen, dort am Ende des Tisches sich zu setzen – Doktor, hier ist ein Stuhl für Sie. – Mr. Bradly, kommen Sie auf diese Seite heran. Jetzt, Steward, aufgetragen! Wir wollen sehen, was es gibt. He, Midshipman, läßt Ihr Kapitän Sie Hunger leiden!«
»Nein, Sir,« erwiederte Jerry, der wohl wußte, woran er war; »aber er gibt mir nicht jeden Tag ein Mittagessen.«
»Hum,« murmelte der Kapitän, der Jerry's Aeußerung nach einer so kurzen Bekanntschaft für sehr frei hielt.
Die Suppe wurde vorgelegt. Den ersten Löffel voll, den Roberts in den Mund nahm, spie er wieder auf das schneeweiße Tischtuch, und sobald sein Mund leer war, rief er aus: »Gott!«
»Nun, was gibt's?« fragte der Kapitän.
»So verdammt heiß; ich verbrenne mir die Zunge.«
»O, das ist Alles? Aufwärter, wisch' die verschüttete Suppe ab,« sagte der Kapitän, der bei seiner Mahlzeit etwas ekel war.
»Kennen Sie Jemmy Cavan, Sir, zu Barbados?« fragte der Doktor.
»Nein, Sir, ich kenne keine Jemmies,« erwiederte Kapitän Bradshaw, über diese zutrauliche Anrede erstaunt.
»Er ist ein verdammt guter Bursche, Sir, das kann ich Ihnen sagen. Wenn er Sie am Ufer trifft, so müssen Sie immer mit ihm zu Mittag speisen – sie mögen wollen oder nicht; er nimmt keine Weigerung an.«
»Nun, das muß ein verteufelt guter Bursche sein; solch einem Tölpel begegnet man nicht immer,« bemerkte der Schiffer.
Kapitän Bradshaw fühlte wohl, daß er verblümter Weise » ein Tölpel« geheißen wurde, was ihm durchaus nicht in den Kopf wollte.
»Mr. Bradly, wollen Sie ein Stück Hammelsbraten?«
»Ja wohl,« sagte der Schiffer.
»Roberts, darf ich Sie bemühen, den Hammelsrücken zu zerlegen?«
Der erste Lieutenant schnitt ein Stück ab, steckte es an die Gabel, machte ein verdächtiges Gesicht dazu und hielt es dann unter die Nase.
»Nun, was ist's?«
»Es hat einen etwas starken Geruch, Sir, meine ich.«
»O, ich rieche es hier,« sagte Jerry, der den Scherz sogleich verstand.
»Wirklich? Aufwärter, trage dies Gericht hinweg. Glücklicher Weise ist es nicht unser ganzes Mittagessen. Was ist Ihnen gefällig, Mr. Bradly?«
»Nun, ich esse selten etwas außer Hammelsbraten. Die garstigen Ragouts sind mir zuwider. Ich will mit Ihrer Erlaubniß warten; in der Zwischenzeit kann ich ja ein Glas Wein mit Ihnen trinken, Kapitän Bradshaw.«
»Den Teufel wollen Sie!« entschlüpfte beinahe dem Munde des Kapitäns, als er seine bisherige Ordnung so umgekehrt sah; aber er verschluckte es und antwortete mit bitterem Tone:
»Mit dem größten Vergnügen, Sir.«
»Kommen Sie, Doktor, wir wollen anstoßen,« sagte der erste Lieutenant.
Sie thaten es und stießen die Gläser mit solcher Gewalt an einander, daß beide zerbrachen und der Wein auf das seine Damast-Tischtuch lief. Jetzt konnte Jerry sich nicht länger halten, sondern brach in ein lautes Gelächter aus, zur größten Verwunderung des Kapitäns, der an seinem Tische ein solches Betragen von einem Midshipman nicht gewohnt war. Aber Jerry konnte seinem Drange, in das Benehmen der Gesellschaft einzustimmen, durchaus nicht widerstehen, obgleich er keine Entschuldigung dafür hatte.
»Hole ein paar Weingläser, Aufwärter, und ich möchte Sie bitten, meine Herren; die Stärke derselben nicht abermals zu versuchen,« sagte Kapitän Bradshaw mit sehr majestätischer Miene.
»Nun, M. Ferguson, ich werde die Ehre haben, ein Glas Wein mit Ihnen zu trinken. Was wünschen Sie für einen? Hier ist Xeres und Moselwein.«
»Ich möchte lieber Champagner,« antwortete der Wundarzt, welcher wohl wußte, daß Kapitän Bradshaw nie damit herausrückte, außer wenn er Fremde bei Tische hatte. Kapitän Bradshaw bezwang seine Entrüstung und befahl Champagner aufzutragen.
»Ich halte auch mit,« rief der erste Lieutenant und streckte sein Glas hin.
»Komm, Jüngling, wir wollen auch ein Glas mit einander trinken,« sagte Jerry zu dem Midshipman, welcher erschrocken über das, was vorging, seinen Stuhl ein wenig von Jerry entfernte und bald diesen, bald den Kapitän anblickte.
»O bitte, trinken Sie doch ein Glas mit dem jungen Gentleman,« sagte Kapitän Bradshaw mit höhnischer Artigkeit.
»He, Aufwärter! Keine von Ihren halben Portionen, wenn es Ihnen gefällig ist,« fuhr der impertinente Jerry fort. »Jetzt, Kleiner, das gilt für dein Wohlsein!«
Kapitän Bradshaw war erstaunt. »He, junger Herr, ließ Kapitän M. Sie auch schon peitschen?«
»Nein, Sir,« erwiederte Jerry gelassen, als er wahrnahm, daß er zu weit gegangen sei; »er behandelt seine Offiziere wie Gentlemen.«
»Dann werden sie hoffentlich an Bord seines Schiffes sich wie Gentlemen betragen.«
Dieser Wink machte Jerry auf einen Augenblick stutzig. Die Offiziere jedoch trieben ihr Wesen wie vorher. Der Wundarzt warf seinen Teller mit einer Pflaumentorte auf das Deck. Der erste Lieutenant brachte Schnupftabak auf's Tischtuch und legte seine Tabaksdose aus den Tisch, was, wie er wohl wußte, der Kapitän nicht leiden konnte, und der Schiffer verlangte ein Glas Grog, weil er von den faulen französischen Weinen Leibschmerzen bekommen habe.
Kapitän Bradshaw konnte sich kaum auf seinem Stuhle halten, auf welchem er immer rechts und links rutschte. Er merkte wohl, daß die Offiziere ihn durch ihr außergewöhnliches Betragen absichtlich ärgern wollten; und doch konnte er keinen Spektakel anfangen, wenn sie Gläser zerbrachen oder an den Speisen Verschiedenes auszusetzen hatten, was sie geflissentlich thaten und dann ihre Teller, ohne nur einen Mund voll zu kosten, mit anscheinendem Ekel hinwegschickten. Auch konnte er sie nicht wegen Unschicklichkeit und Mangel an Höflichkeit bei Tisch vor ein Kriegsgericht stellen lassen. Er kam jetzt auf den Gedanken, das jeden Tag bis auf weitere Befehle hätte in seiner Ordre füglich wegbleiben können; es aber sogleich zu streichen, wäre eine Anerkennung ihres Sieges gewesen. Auf der andern Seite konnte er aber auch sich ein solches Benehmen unmöglich ferner gefallen lassen.
Das Diner war vorüber und das Dessert wurde aufgetragen. Kapitän Bradshaw ließ die Flaschen herumgehen und hielt sich selbst an den Madeira. Roberts nahm Claret, sagte aber, sobald er ihn gekostet hatte: »Verzeihen Sie, Kapitän Bradshaw, dieser Wein schmeckt nach dem Korke.«
»Wirklich? Nimm diese weg, Aufwärter, und hole eine andere Flasche.«
Es wurde eine andere aufgesetzt.
»Hoffentlich werden Sie diese besser finden, Mr. Roberts,« sagte der Kapitän, der in der That glaubte, daß die Behauptung desselben Grund hätte.
»Ja,« erwiederte der erste Lieutenant, »für diese Sorte ist der Wein schon recht.«
»Wie meinen Sie das, Sir? Es ist ja Chateau Margot vom ersten Gewächs.«
»Erlauben Sie, Sir,« sagte der Offizier mit einem mißtrauischen Lächeln, »man muß Sie damit betrogen haben.«
Kapitän Bradshaw, der ein ausgezeichneter Weinkenner war, verlangte ein Glas, schenkte ein und kostete den Claret. »Ich kann nicht Ihrer Ansicht sein, Sir, und überdieß habe ich keinen bessern.«
»Dann muß ich Sie bemühen, Herr Doktor, den Portwein herumzugeben; denn diese Brühe kann ich in der That nicht trinken.«
»Trinken Sie Portwein, Mr. Bradly?« fragte der Kapitän mit einer Miene so finster wie eine Wetterwolke.
»Nein, heute nicht; ich habe etwas Leibschmerzen; aber ich will dem Portwein morgen sein Recht anthun.«
»Ich ebenfalls,« fügte der Wundarzt hinzu.
»Und da ich nicht unter die Privilegirten gehöre,« bemerkte Jerry, der den vorigen Wink bereits wieder vergessen hatte, »so will ich heute meine Portion nehmen.«
»Die können Sie noch bekommen,« antwortete der Kapitän trocken.
Die Offiziere wurden jetzt sehr laut, stritten mit einander über Dienstsachen und kümmerten sich nicht im Mindesten um den Kapitän. Der Schiffer zeichnete zur Erklärung mit Wein eine Karte auf den polirten Tisch, während der erste Lieutenant seine Meinung mit Zwiebackstückchen vertheidigte, die er auf verschiedenen Posten aufstellte – ein Manöver, bei dem noch zwei weitere Gläser zu Grunde gingen.
Der Kapitän klingelte und befahl in ärgerlichem Tone, Kaffee zu bringen. Als die Offiziere diesen zu sich genommen hatten, verbeugte er sich steif gegen sie und wünschte ihnen guten Abend.
Es gab ein Gericht, das für Kapitän Bradshaw ein Gegenstand des Abscheues war. Der erste Lieutenant, welcher davon wußte, sagte, als sie gerade sich entfernen wollten: »Kapitän Bradshaw, wenn wir uns nicht zu viel Freiheit herausnehmen, so möchten wir morgen Kuttelflecke speisen. Wir sind alle drei große Liebhaber davon.«
»Ich ebenfalls,« setzte Jerry hinzu.
Jetzt konnte es Kapitän Bradshaw nicht länger aushalten. »Verlassen sie augenblicklich die Kajüte, meine Herren. Beim Himmel, Sie sollen Ihre Beine nicht zum zweiten Male unter meinen Tisch stecken.«
»Sollen wir morgen nicht da zu Mittag speisen, Sir?« entgegnete der erste Lieutenant mit scheinbarer Verwunderung; »der Befehl sagt jeden Tag.«
»Bis auf weitere Ordre,« brüllte der Kapitän; »und nun haben Sie dieselbe, und ich will verdammt sein, wenn sie je wieder mit mir zu Mittag speisen dürfen.«
Die Offiziere begaben sich hinweg und hielten ihre Heiterkeit zurück, bis sie das Konstabelzimmer erreicht hatten. Jerry war im Begriff, ihnen zu folgen, als ihn Kapitän Bradshaw beim Arme packte.
»Warten Sie, junger Herr; Sie haben Ihre Portion noch nicht bekommen.«
»O ich bin vollkommen satt, Sir; ich danke Ihnen,« sagte Jerry; – »ein ausgezeichnetes Mittagessen, vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft.«
»Ja, aber ich muß Ihnen jetzt Ihr Dessert geben.«
»Ich habe mein Dessert und meinen Kaffee dazu gehabt, Sir,« erwiederte Jerry, indem er zu entwischen suchte.
»Aber Sie haben Ihren Chasse-Café noch nicht erhalten, und ich kann nicht zugeben, daß Sie ohne denselben die Kajüte verlassen. Aufwärter, sage einem Hochbootsmannsgehülfen, er solle die Katze bringen und ein Schiemann solle mit Bindseilen kommen.«
Jerry befand sich jetzt in der Klemme. – Kapitän Bradshaw's unbewegliche Miene gab zu erkennen, daß es sein voller Ernst sei. Jedoch schwieg er still, bis die Operateurs erschienen, in der Hoffnung, der Kapitän werde sich eines Besseren besinnen.
»Schiemann, binden Sie diesen jungen Herrn auf einen Kanonenrost.«
»Darf ich Sie bitten, Sir, mich mein Vergehen wissen zu lassen?«
»Nein, Sir.«
»Ich gehöre nicht zu Ihrem Schiffe,« fuhr Jerry fort. »Habe ich Uebles gethan, so ist Kapitän M. als ein strenger Offizier bekannt, der Ihre Beschwerden gehörig berücksichtigen wird.«
»Ich will ihm die Mühe ersparen, Sir.«
Jerry wurde jetzt ergriffen und alle Anstalten zur Züchtigung getroffen. »Nun, Sir,« begann Jerry wieder, »ich muß mich Ihrem Willen fügen; aber ich weiß, was Kapitän M. sagen wird.«
»Was, Sir?«
»Daß Sie über Ihre Offiziere ergrimmt waren, aber weil Sie diese nicht bestrafen konnten, sich dafür an einem armen Knaben rächten.«
»Das wird er sagen? – Hochbootsmannsgehülfe, wo ist die Katze?«
»Hier Sir! – wie viele Stränge soll ich nehmen?«
»Geben Sie ihm nur alle neun.«
»Nun, Euer Gnaden,« entgegnete der Gehülfe in mitleidigem Tone, »es ist schwerlich Platz dafür da.«
»Jerry, der in seinem Grimme sich wenig um das kümmerte, was er sagte und alle Folgen verachtete, wandte sich jetzt wieder an den Kapitän:
»Kapitän Bradshaw, würden Sie nicht, bevor Sie anfangen, mir erlauben, Ihnen zu sagen, wie ich Sie nach dem ersten Hiebe nennen werde?«
»Wie, Sir?«
»Wie?« schrie Jerry höhnisch; »nun, wenn Sie mich auch in Stücke hauen und dann nachher aus dem Dienste bringen, so werde ich Sie einen elenden Feigling nennen, und wenn Sie nur noch einige Ueberlegung besitzen, wird Ihnen Ihr eigenes Gewissen dasselbe sagen.«
Kapitän Bradshaw fuhr zurück, erstaunt über eine so unerhörte Sprache von einem Midshipman; doch war er über den unbeugsamen Muth des Knaben erfreut und fühlte vielleicht selbst die Wahrheit seiner Bemerkung. Kurz und gut, Jerry hatte sich gerettet. Nach einer kurzen Pause sagte der Kapitän:
»Laßt ihn los; aber merken Sie sich, Sir, lassen Sie mich Ihr Gesicht nimmer sehen, so lange Sie auf dem Schiffe sind.«
»Nein, und auch keinen andern Theil von mir, so viel in meiner Macht steht,« erwiederte Jerry, indem er seine Kleider zuknöpfte und mit einem Satze aus der Kajüte hinaussprang.