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Drittes Kapitel.

Die Zucht erwacht, sitzt wieder zu Gericht,
Die Flotte rächt die schwer verletzte Pflicht.
Verfolgen wir des Meut'rers klare Spur!

Byron

 

Der Mensch, gleich allen andern Geschöpfen von geselliger Natur, folgt lieber nach, als daß er vorangeht. Wenige sind mit jenem Seelenfeuer begabt, das sie antreibt, als Führer bei Erstürmung einer Bresche in den ersten Reihen zu stehen, mag es nun einer steinernen Festung gelten, oder, was weit gefährlicher ist, der öffentlichen Meinung, wo das Mißlingen sie in einem Falle dem Schwerte, im andern dem Schaffote überliefert.

Bei dieser Meuterei befanden sich von der erwähnten, selteneren Klasse nur wenige: – in dem Schiffe, von dem hier die Rede ist, nicht Einer, vielleicht Peters ausgenommen. Es gab darauf viele Prahlhänse, viele Eisenfresser, aber nicht einen einzigen, außer ihm, der dem Kommando gewachsen gewesen wäre, oder dem man dasselbe hätte anvertrauen können. Er war am Bord seines Schiffes das Leben und die Seele der Meuterei. In dem zu Ende des letzten Kapitels geschilderten Momente waren alle besseren Gefühle in seinem noch biederen Herzen thätig, und einem Kapitän von Entschlossenheit und Menschenkenntniß wäre es vielleicht gelungen, die Empörung zu unterdrücken; aber Kapitän A., der Peters Angst wahrnahm, sah in dem Kinde einen Gegenstand von nicht geringem Werthe, und als Adams dasselbe brachte, riß er den Knaben aus seinen Armen und befahl zwei Seesoldaten, ihre geladenen Musketen auf sein junges Herz anzulegen – um dadurch den Meuterern zu verstehen zu geben, daß er beim ersten Feindseligkeitszeichen von ihrer Seite das Kind erschießen lassen würde.

Die beiden Seesoldaten, welche diesen Befehl erhalten hatten, blickten einander stillschweigend an und gehorchten nicht. Es ward von dem Kapitän wiederholt, der darin ein Meisterstück von Diplomatie zu erblicken glaubte. Die Offiziere machten Vorstellungen; der Kommandant der Seesoldaten wandte sich voll Abscheu weg; doch vergebens – der grausame Befehl ward noch einmal unter Drohungen wiederholt. Die Seesoldaten murrten jetzt insgesammt laut und beriethen sich miteinander in leisem Tone.

Willy Peters war der Abgott und Liebling der ganzen Mannschaft. Er war bisher immer bei seinem Vater an Bord gewesen, und es gab Niemand auf dem Schiffe, der nicht sein Leben gewagt hätte, um das des Kindes zu retten. Die Wirkung dieses unklugen und grausamen Befehles war daher entscheidend. Die Seesoldaten, den Sergeanten an ihrer Spitze und den kleinen Willy in die Mitte nehmend, richteten ihre Bajonette zur Vertheidigung gegen den Kapitän und die Offiziere, und gingen zu den Meuterern über, denen sie sich mit drei Hurrahs anschlossen, während das Kind über die Hängemattenbarrikade in die Arme seines Vaters gehoben wurde.

»Wir müssen uns jetzt ihren Bedingungen unterwerfen, Sir,« sagte der erste Lieutenant.

»Jeder Bedingung, jeder Bedingung!« antwortete der erschrockene Kapitän. »Sagt ihnen dies, um Gottes willen, oder sie werden Feuer geben. Adams, tritt vor und sag' ihnen, wir unterwerfen uns.«

Dieser Befehl war jedoch unnöthig, denn die Meuterer, der Unmöglichkeit jedes ferneren Widerstandes gewiß, hatten die Hängemattenbarrikade niedergeworfen, und kamen jetzt, Peters an ihrer Spitze, herbei.

»Meine Herren, wollen Sie einwilligen, sich als Gefangene zu betrachten?« fragte Peters den ersten Lieutenant und die übrigen Offiziere, ohne dem Kapitän nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

»Ja, ja,« rief Kapitän A. »Ich hoffe, ihr werdet eure Hände nicht mit Blut beflecken. Mr. Peters, ich wollte dem Kinde kein Leid zufügen.«

»Hätten Sie es ermordet, Kapitän A., Sie würden ihm nicht so weh haben thun können, als Sie seinem Vater weh gethan haben,« erwiederte Peters; »doch fürchten Sie nicht für Ihr Leben, Sir; das ist in keiner Gefahr; Sie sollen mit aller Achtung und Aufmerksamkeit, so gut es nur die Umstände erlauben, behandelt werden. Wir führen keinen Krieg gegen Einzelne.«

Es war ein stolzer Augenblick für Peters, diesen Mann vor ihm kriechen und das Versprechen seines Lebens von ihm, dem so grausam Mißhandelten, unter Dankbezeugungen annehmen zu sehen. Es war eine glänzende Rache, deren volle Bedeutung nur von dem bewilligenden, nicht von dem empfangenden Theile gefühlt werden konnte; denn sie zu würdigen war nur ein solcher Mann im Stande, in welchem noch zarte und edle Gefühle lebten, die Kapitän A. durchaus abgingen.

Will der Leser die verschiedenen Berichte von den Begebenheiten, die wir jetzt schildern, zu Rathe ziehen, so wird er finden, daß den Offizieren, obwohl sie ihrer Waffen beraubt waren, doch alle persönliche Achtung erwiesen wurde. Einige der Verhaßtesten wurden an's Land geschickt, andere hatten sich die Folgen ihres unbändigen Betragens durchaus selbst zuzuschreiben; im Ganzen hingegen war Peters Bemerkung völlig richtig: »daß sie keinen Krieg gegen Einzelne führten« – sie forderten Gerechtigkeit von einem undankbaren Lande.

Es ist wahr, daß bei dieser Meuterei die Forderungen nicht so billig gestellt wurden, wie bei der vorhergehenden; aber wo ist der Mensch, welcher Recht und Unrecht genau abzuwägen vermag, wenn seine eigenen Gefühle unbewußterweise in die Wagschale geworfen werden?

Wie ich vorhin gesagt habe, es ist nicht meine Absicht, diesen Schandfleck unserer Nationalgeschichte in seinen Details zu verfolgen, sondern ich will mich auf den Abschnitt beschränken, der mit gegenwärtiger Erzählung in genauem Zusammenhange steht. Peters, als Abgeordneter seines Schiffes, kam zu der allgemeinen Versammlung, welche täglich auf Parkers Befehl an Bord der Königin Charlotte statt fand, und spielte eine entscheidende Rolle bei den Anordnungen der rebellischen Flotte.

Allein Parker, der Rädelsführer, obwohl ein talentvoller Mann, war dem Unternehmen, das er angefangen, doch nicht gewachsen. Mehreres, das bei allen Aufständen, wenn sie einen guten Erfolg haben sollen, unumgänglich nothwendig ist, ließ er außer Acht; er handelte zum Beispiel nicht rasch und entschieden genug; beschäftigte seine Anhänger nicht immer und hielt sie nicht in gehöriger Aufregung, um ihnen keine Zeit zum Nachdenken zu lassen. Die, welche unter einer befestigten Regierung dienen, kennen genau ihr gegenwärtiges Gewicht in der Schale des weltlichen Ranges und wissen, wie hoch sie ihre Erwartungen spannen dürfen; sie haben sich gewöhnt, ihren Ehrgeiz darnach einzuschränken, und indem sie sich bewußt sind, daß leidender Gehorsam der sicherste Weg zum Emporkommen ist, lassen sie sich ruhig da und dorthin leiten, um nach dem Willen und der Laune ihrer Obern geschlachtet zu werden. Wer aber mißvergnügt gegen eine befestigte Regierung anführt, hat eine schwere Aufgabe übernommen. Er hat seinen Anhängern nichts als Versprechungen zu bieten. Nichts ist da – Alles ist Erwartung. Wird ihnen Zeit zur Ueberlegung gelassen, so sehen sie bald ein, daß ihre Rolle in einem gefährlichen Spiele nur eine untergeordnete ist; daß sie selbst im Falle des Gelingens aller Wahrscheinlichkeiten nach keinen Genuß von den Vortheilen haben werden, wogegen, wenn das Wagniß scheitert, sie bedeutenden Gefahren ausgesetzt sind. Der Führer einer vereinten Schaar, wie die oben beschriebene, steigt, wenn er durch die Aufregung der Zeit gehoben wird, zu einer gefahrvollen Höhe, aber laßt einmal jene sich legen, und er stürzt, gleich dem Luftschiffer in seinem Ballon, aus dem das Gas entflieht, während er in den Wolken schwebt, von seiner luftigen Höhe herab in's Verderben.

Es muß ein ausgezeichneter Mann sein, der alle Hülfsquellen einer Volksbewegung zu sammeln, und zu einem glücklichen Ziele zu führen vermag. Der Grund springt in die Augen – Alles hängt nur von dem Führer ab. Seine Anhänger sind eigentlich nur die Steine, welche den Bogen der Brücke bilden, die über den Strom zwischen ihnen und ihren selbst gewählten Vorgesetzten hinüber führt; er ist der Schlußstein, an den sich das Ganze anlehnt – der, wenn er vollkommen paßt, den Bogen dauerhaft und zur Ertragung jedes Druckes fähig macht; ist er aber zu klein oder nicht regelmäßig gestaltet, so ist alle Arbeit umsonst, der ganze Bau muß nothwendig durch sein eigenes Gewicht zusammenstürzen und in Trümmern und Verwirrung enden.

Letzteres war das Schicksal der Meuterei am Nore. Die Empörung wurde gedämpft und die Rädelsführer durch das Kriegsgesetz zu der härtesten Strafe verurtheilt. Wie über die Uebrigen, ward auch über Peters das Todesurtheil ausgesprochen.

Auf dem vordersten Theile des Hauptdecks eines Linienschiffes, in einem viereckigen, stark befestigten Raume, der durch eine mit einem eisernen Gitter wohl verwahrte Oeffnung Licht empfing – und in dem kein anderes Geräthe sich befand, als eine lange hölzerne Bank – saß, die Beine in Fesseln, die an einem schweren auf dem Verdecke liegenden Eisenblock geschmiedet waren, der unglückliche Gefangene, in Gesellschaft dreier anderen Personen – seines Weibes, seines Kindes und Adams, des alten Quartiermeisters. Peters saß auf dem Boden, indem er sich mit dem Rücken an die Wand lehnte. Sein Weib lag neben ihm, ihr Gesicht in seinem Schooße bergend. Adams saß auf der Bank und das Kind stand zwischen seinen Knien. Alle schwiegen, und drei von ihnen richteten ihre Augen auf ein Mitglied der Gesellschaft, welches unglücklicher und trostloser als die Uebrigen schien.

»Meine theure, theure Helene!« sagte Peters voll tiefen Grams, als auf's Neue ein Anfall von Schmerz ihre abgezehrte Gestalt erschütterte.

»Warum aber meine Bitten zurückweisen, Edward? Wenn nicht deiner selbst willen, so höre doch auf mich wegen deines Weibes und Kindes. So erbittert auch dein Vater noch sein mag, seine schlummernde Liebe wird wieder erwachen, wenn er erfährt, in welch' schrecklicher Lage sich sein einziger Sohn befindet. Nein, sein Familienstolz wird nie zugeben, daß du eines so schimpflichen Todes stirbst; und dein angenommener Name wird ihn in die Lage setzen, sich ohne Erröthen für dich verwenden und deine Freilassung erlangen zu können.«

»Lege mir, meine liebste Helene, den Schmerz nicht auf, dir deine Bitte noch einmal abschlagen zu müssen. Ich verlange zu sterben und mein Schicksal soll für Andere eine Warnung sein. Wenn ich über die schrecklichen Folgen nachdenke, welche unsere Empörung für das Vaterland hätte haben können, so danke ich tausendmal Gott, daß sie nicht gelang. Ich weiß, worauf du hinweisen willst, – auf das erlittene Unrecht, die unverdienten Martern. Auch ich möchte mich damit rechtfertigen; und ich habe sie oft zu meiner Entschuldigung mir in's Gedächtniß zurückgerufen, wenn mein Gewissen mich quälte; aber ich fühle mein Verbrechen in keinem andern Verhältnisse, als das Wohl eines Einzelnen zu dem der Nation, welche zu gefährden ich Beistand leistete, weil ein Theilchen derselben, ohne ihren Willen, mich unterdrückte. Nein, meine Helene, ohne meine Verbrechen abzubüßen, würde ich doch nicht glücklich sein; und dieses elende Leben ist das einzige Sühnopfer, welches ich bieten kann. Freilich, wärest du und dieses arme Kind nicht, mein theuerstes Wesen, so würde ich freudig das Schaffot besteigen; doch der Gedanke – o Gott, stärke und kräftige mich!« rief der unglückliche Mann und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

»Fürchte nichts für mich, Edward. Ich fühle hier,« sagte Helene, ihre Hand auf's Herz legend, »eine sichere Ueberzeugung, daß wir bald wieder vereinigt werden. Ich will nicht weiter in dich dringen, mein Lieber. Aber das Kind – das Kind – o Edward, was wird aus unserem lieben Kinde werden, wenn wir beide dahingegangen sind?«

»Gefällt es Gott, mein Leben zu fristen, so wird ihm nie ein Vater fehlen,« sagte der alte Adams, während reichliche Thränen durch die Furchen seines verwitterten Gesichtes hinunterrannen.

»Was aus ihm werden wird?« rief Peters mit kräftiger Stimme. »Nun, er wird seines Vaters Fehler wieder gut machen – die Flecken in dem guten Rufe seines Vaters auswaschen. Er wird ein so getreuer Unterthan werden, als ich ein rebellischer gewesen bin. Er wird seinem Vaterlande so treu dienen, als ich es schmählicherweise verlassen habe. Er wird so redlich sein, als ich unredlich war; und es möge ihm so viel Heil wiederfahren, als mir Unheil – möge er so glücklich sein, als ich elend gewesen bin. Komm hieher, Junge. Bei meinen vertrauensvollen Hoffnungen auf Verzeihung und Frieden dort oben – bei dem Allmächtigen, vor dessen Richterstuhl ich in Kurzem zitternd stehen werde, weihe ich dich deinem Vaterlande – diene ihm wacker und treu. Sag mir, Willy, verstehst du mich, und willst du mir dies versprechen?«

Der Knabe legte seinen Kopf auf des Vaters Schulter und antwortete mit gedämpfter Stimme – »Ja.« Nach einer kurzen Pause fügte er bei: »Aber was wollen sie dir thun, Vater?«

»Ich werde für das Wohl des Vaterlandes sterben, mein Kind. Wenn Gott will, so magst du das Gleiche thun, aber auf eine ehrenhaftere Weise.«

Der Knabe schien in Gedanken verloren, entfernte sich bald von seinem Vater und setzte sich neben seiner Mutter auf das Deck, ohne ein Wort zu sprechen.

Adams erhob sich, nahm ihn auf und sagte: »Vielleicht habt ihr über Dinge zu reden, bei denen keine Zuhörer nöthig sind. Ich will Willy mit mir nehmen und ihn ein wenig an die frische Luft bringen, ehe ich ihn in seine Hängematte lege. Dies hier ist ein zu enges Loch. Ich wünsche euch beiden gute Nacht, obwohl ich fürchte, daß es ein vergeblicher Wunsch ist.«

Allerdings war er vergeblich, – dies war die letzte Nacht für den unglücklichen Peters. Am nächsten Morgen sollte seine Hinrichtung statt finden. Es gibt Scenen so vollkommenen Elends, daß sie nicht geschildert werden können, ohne die Gefühle des Lesers zu foltern, und zu den gräßlichsten derselben gehört wohl, wenn eine liebende Gattin zu den Füßen ihres Gemahls während der letzten zwölf Stunden seiner irdischen Laufbahn liegt. Wir müssen den Vorhang niederlassen.

Und jetzt, Leser, soll der Titel dieses Werkes, der dir vielleicht dunkel erscheinen mag, erklärt werden; denn so verständlich er auch Leuten unseres Standes ist, möchte er doch für die, welche nicht in königlichen Diensten stehen, ein Räthsel sein. In den Zeiten der Edwards wurde der breite Pfeil, den man für die gewaltigste Angriffswaffe hielt, als ein das königliche Eigenthum unterscheidendes Wahrzeichen angenommen, und ist als ein solches bis auf den heutigen Tag beibehalten worden. Jeder Artikel, der von den Arsenalen und Docks zu königlichem Dienste geliefert wird, ist mit diesem Zeichen dicht besetzt, und es gilt als ein todeswürdiges Verbrechen einen dergestalt bezeichnenden Gegenstand zu entwenden, da man ihn eben durch jenes Merkmal als dem König eigen Kings' own. Dies ist der Originaltitel des Werkes. erkennen kann.

Als Adams mit Willy die Zelle des Verurtheilten verlassen hatte, dachte er über die Vorgänge nach, und empfand, da Peters den Knaben seinem Könige und Vaterlande geweiht hatte, ein unwiderstehliches Gelüste ihn zu zeichnen. Das Tättowiren ist auf der Flotte ein sehr allgemeiner Gebrauch, und man sieht den Arm eines Matrosen von der Schulter bis zum Handgelenke mit Emblemen bedeckt; diese bestehen gewöhnlich in den Anfangsbuchstaben seines eigenen und des Namens seines Liebchens, dem Crucifixe, Neptun und Meernymphen in buntem Gemische, als ob Mythologie und heilige Schrift ein und dasselbe Ding wären. Adams war nicht lange unschlüssig, und da er unserem kleinen Helden sagte, daß dies der Wunsch seines Vaters sei, so überredete er ihn leicht, sich der schmerzhaften Operation zu unterziehen, die auf dem Vorderkastell vorgenommen wurde. Die Umrisse der Figur wurden mit Nadeln angestochen, und die blutenden Theile mit nassem Schießpulver und Dinte ausgerieben. Durch dieses einfache Mittel war nach Verfluß einer Stunde der linken Schulter des kleinen Willy, der alsdann in seine Hängematte gebracht wurde, die Gestalt eines breiten Pfeils oder das königliche Wahrzeichen unauslöschlich eingegraben.


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